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Kritik: Harry Potter und der Halbblutprinz

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Johannes Pietsch

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Jul 18, 2009, 6:26:58 AM7/18/09
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Filmkritik "Harry Potter und der Halbblutprinz"

Gesehen am Mittwoch, 15. Juli 2009, im Residenz Kinocenter Bückeburg
(Vorabpremiere)


Mit der Pubertät ist das so eine vertrackte Geschichte. Die Magie der
(im Nachhinein so oft verklärten) Kindheit ist dahin, die Welt, die
früher noch von Feen, Drachen, Elfen und schönen Prinzessinnen bevölkert
wurde, ist entzaubert und wird nun von sehr pubertären und somit nur
allzu menschlichen Trieben, Ängsten und Vorstellungen beherrscht. Das
gleiche gilt für Harry Potter, den berühmtesten Zauberlehrling aller
Zeiten mit der gezackten Narbe auf der Stirn: Die weltweite Euphorie ist
- zwei Jahre nach Erscheinen des letzten Romans des siebenbändigen
Zyklus - verflogen, das magische Phänomen aus den Auslagen und den
Schaufenstern der Buchhandlungen verschwunden. Auf dem Thron der
Bestsellerlisten haben es sich mittlerweile Stephanie Meyers schnieke
"Twilight"-Vampire bequem gemacht, und von den Wänden der Kinderzimmer
starren nicht mehr Harry, Ron und Hermine, sondern Tokio Hotel, Edward
Cullen und Miley Cyrus.

Regisseur David Yates hätte daher aus der nicht wirklichen Not eine
Tugend machen können und autark von jedem hysterischen Jugend-Hype mit
der sechsten Joanne-K-Rowling-Adaption eine gänzlich erwachsen gewordene
Verfilmung vorlegen können, so wie es die Autorin selbst ja auch mit
ihren Romanen vollzug, die sie im Gleichschritt mit ihren Protagonisten
reifer, düsterer und erwachsener werden ließ.

Leider tat er genau dies nicht: "Harry Potter und der Halbblutprinz" ist
vielmehr nach dem zaghaften Schritt vorwärts in der ebenfalls von David
Yates inszenierten vorangegangener Potter-Verfilmung "Der Orden des
Phönix" wieder drei Schritte zurück in Richtung Anbiederung an die
Zielgruppe. Und die ist eben immer noch weiblich, im Schnitt zwischen 10
und 12 Jahren alt und trägt Zahnspangen.

In "Harry Potter und der Orden des Phönix" hatten Regisseur David Yates
und sein damaliger Drehbuchautor Michael Goldenberg den Mut besessen,
auf der Höhe der Potter-Manie zum Zeitpunkt des Erscheinens des
Abschlussbandes sieben aus der fünften, bislang längsten Romanvorlage
den kürzesten und zudem finstersten Film der Serie zu machen, konsequent
düster und ganz am Geschmack und am nervlichen Empfinden des
Durchschnitts-Teenagers vorbei. Was dem erfolgreichsten Film des Jahres
2007 einiges an Sympathien und angeblich auch zahlreiche Millionen
Einnahmen kostete. So griff man in der latenten Furcht vor einer
kommerziellen Bachlandung im Jahre zwei nach Harry Potter zum
untauglichsten Mittel und holte ausgerechnet Steve Kloves als
Drehbuchautor zurück, der schon die beiden Chris-Columbus-Verfilmungen
zur wunderhübsch bebilderten, aber inhaltlich geist- und seelenlosen
Nummernrevue zerstückelt hatte.

Dabei beginnt der Film mit einem echten Paukenschlag: Über London dräuen
düstere Unheilswolken, aus denen sich das "Dunkle Mal", das Zeichen des
bösen Lord Voldemort hervorschält. Dann schießen drei schwarze Wesen aus
der Finsternis und bringen die berühmte Londoner Millenium-Brücke zum
Schwingen, die nach einer beeindruckenden Katastrophen-Sequenz mit
zahlreichen Opfern auseinander bricht und in den Fluten der Themse
versinkt, ganz so, als wolle der sechste Harry-Potter einen Vorgeschmack
auf Roland Emmerichs neuen filmischen Weltuntergang "2012" geben. Es
herrscht Krieg, seit der böse, faschistische Lord Voldemort in Band vier
wiederauferstanden ist und nach alter Macht zurückstrebt, und längst
haben sich die Fronten auf die Welt der Muggel ausgeweitet.

Doch nach diesem wahrhaft fulminanten Auftakt legt David Yates eine
geruhsame Atempause ein, die bis zum Ende des Films vorhält. Vor der
malerischen Postkartenansicht der schottischen Highlands dampft der
Hogwarts-Express heim ins Reich beschaulicher Teenager-Idylle. Denn
obwohl Hogwarts sich mittlerweile im Belagerungszustand befindet
(Auroren bewachen das Gelände, Schüler werden nach Waffen durchsucht,
und ein magischer Schutzschild verhindert das Eindringen der Gehilfen
Voldemorts) geht es hinter den Schulmauern nach wie vor zu wie bei Hanni
und Nanni. Zu keinem Zeitpunkt lassen Regisseur Yates und Drehbuchautor
Kloves den Zuschauer die latente Panik verspüren, die Joanne K. Rowlings
Romanvorlage so genial vermittelte, dessen Handlung vor dem stetig
verfinsternden Hintergrund des Krieges zwischen guten und bösen
Zauberwesen der lange erwarteten finalen Auseinandersetzung zwischen
Harry und seinem dämonischen Alter Ego Voldemort entgegenfiebert.

Und genauso wenig spürt man etwas von der unglaublichen Spannung, die
insbesondere die letzten beiden Harry-Potter-Romane mit ihren
Zeitsprüngen in die Vergangenheit beim Leser erzeugen, dem
detektivischen Puzzlespiel aus Versatzstücken uralter, finsterer
Geheimnisse, die nur Stück für Stück ans Licht kommen und oftmals auch
Figuren der guten Seite schlagartig in ein neues, erschreckendes Licht
tauchen.

Gerade Band sechs hätte Joanne K. Rowling statt "Harry Potter and the
Halfblood Prince" treffender mit "The beginning and the life of Tom
Riddle" überschreiben können, erzählt es doch in weiten Teilen mittels
grandios eingewobener Flashbacks nahezu die gesamte Biographie jenes
jungen, fehlgeleiteten Zauberers, aus dem später der große Finsterling
Voldemort werden soll.

Doch bei David Yates ist davon fast nichts zu sehen. Nur ganz am Rand
streift der Film über das Denkarium und der darin sichtbaren
Erinnerungen die Vergangenheit Tom Riddles. Ralph-Fiennes-Neffe Hero
Fiennes-Tiffin spielt ihn in den Rückblicken mit dämonischer
Leichenblässe im Stil eines Damien Thorn aus dem 70er-Jahre-Schocker
"Das Omen". Noch viel weniger Zeit verschwendet der Film für das Rätsel
um den titelgebenden Halblutprinzen: Sein Name wird einmal kurz im
Zusammenhang mit einem ganz besonderen Schulbuch erwähnt, seine
Identität geradezu beleidigend beiläufig im Finale enthüllt. Eine
Erklärung für den Namen Halblutprinz bleiben David Yates und Steve
Kloves ebenso schuldig wie das Rätselraten um seine geheimnisumwitterte
Vergangenheit und sein scheinbar phänomenales Wissen um bestimmte
magischen Künste. Ähnliches gilt für nahezu die gesamten Zusammenhänge
um den reaktivierten Hogwarts-Lehrer Horace Slughorn, die von ihm einst
ins Leben gerufene burschenschaftsähnliche Verbindung unter den
Hogwarts-Studenten und insbesondere seine unglückselige Verbindung zum
späteren Lord Voldemort.

Stattdessen fokussiert sich der Film die meiste Zeit in wunderschön
elegischen, aber seelenlosen Bildern auf die Hitzewallungen, denen die
spätpubertierenden Hogwarts-Zöglinge ausgesetzt sind. Schlickschlupfe
heißen die magischen unsichtbaren Geschöpfe, die laut Harry Potters
mittelschwer verträumt und entrückt faselnden Mitschülerin Luna Lovegood
(in den Potter-Romanen ist sie eine wundervolle Satire auf die
Hippie-Generation) die Menschen befallen und im Kopf wuschig machen. In
der Muggelwelt werden sie üblicherweise Hormone genannt, und ihre
Auswirkungen auf das Verhalten pubertierender Zauberschüler mag ja ab
und an etwas durchaus Witziges an sich haben, nur dummerweise überhaupt
nichts Magisches. Und so bietet zwar Rons und Hermines ewiges Gezanke,
hinter dem sich selbstverständlich nichts anderes als die echte, wahre
Liebe verbergen kann, sowie Harrys Schmachten nach der bleichen,
unscheinbaren Weasley-Schwester Ginny den einen oder anderen
unterhaltsamen Lacher, aber eben so überhaupt nichts Märchenhaftes oder
Magisches.

Die wirklich wichtigen Handlungselemente des Buches werden allenfalls
einmal beiläufig im Vorbeigehen angerissen, abgehakt, und das war's.
Dass "Harry Potter und der Halbblutprinz" literarisch der Prolog ist,
der die handlungstragenden Figuren in Stellung für das große Finale
bringt? Wen interessiert's. Das finstere Geheimnis um Voldemorts
Unsterblichkeit? Wird mit so knappen Dialogsätzen abgetan, dass man es
fast sofort wieder vergessen hat. Der unglaubliche Schock gleich zu
Beginn des Buches, als ein Treffen mit der Sirius-Black-Mörderin
Bellatrix Lestrange und der Draco-Malfoy-Mutter Narcissa die wahren
Absichten von Professor Severus Snape offenbart? Kaum der Rede wert. Zu
den dämonischen Inferi, mit denen sich Harry und Professor Dumbledore in
einer unterirdischen Höhle auseinandersetzen müssen und die nichts
anderes sind als Zombies, wird nicht ein einziges Wort der Erklärung
verloren. Und der Halbblutprinz? Ach ja, den gab's ja auch noch. Der
offenbart Harry wenige Minuten vor Schluss einfach mal eben, dass er es
nun einmal ist. Ach so ist das. Und Punkt und aus.

Zudem bewirkt die extrem stilisierte, oftmals geradezu in Gemäldeform
gegossene Inszenierung, dass man weder den adretten Jungschauspielern
noch ihren arrivierten, erwachsenen Kollegen ihre Emotionen auch nur
ansatzweise abnimmt. Die Tränen, die Hermine um den liebestoll
gewordenen Ron vergisst, fließen viel zu dekorativ vor
sonnenuntergangsbeschienen Hogwarts-Ornamenten. Hauptdarsteller Daniel
Radcliffe gibt seinen Harry ständig ein wenig geistesabwesend wie ein
Zwanzigjähriger, den es nervt, einen 16jährigen spielen zu müssen. Und
die wenigen Dialogsätze, die Alan Rickman wie in Trance dahinsäuselt,
grenzen an Arbeitsverweigerung. Allein Michael Gambon, der sich in der
entscheidenden Szene des Films vom souveränen, magischen Übervater und
Schutzpatron Dumbledore zum flehenden, gebrochenen alten Mann verwandet,
vermag darstellerisch einige wenige Glanzlichter zu setzen.

Das offene Ende mit dem Showdown auf dem Dach des Hogwarts-Turms
entspricht inhaltlich dem Buch, doch ist es dort der entscheidende
Cliffhanger vor dem furiosen Finale in Band sieben, im Film hingegen wie
alles zuvor auch nur eine beiläufig erwähnte Nebensache, eine Banalität
ohne jegliche dramaturgische Geschlossenheit. Und um das Filmende
vollends zu ruinieren, lassen David Yates und Steve Kloves eine
besonders dramatische Action-Sequenz des Buches, die wie eine Vorübung
auf das gewaltige Schlachtenspektakel in Band sieben wirkt, völlig unter
den Tisch fallen.

Soap statt Action, statt "The beginning and the life of Tom Riddle" also
"Vier Knutschflecke und ein Todesfall"? Das wäre ja dann ein Fall für
den "Vier Hochzeiten und ein Todesfall"-Regisseur Mike Newell gewesen,
der anno 2004 aus dem vierten Band "Harry Potter und der Feuerkelch" ein
recht ansehnliches Fantasy-Spektakel mit deutlich mehr Action und vor
allem mit einem wirklich ansprechenden Drachenkampf zauberte. David
Yates jedoch ist weder Action- noch Fantasy-Mann, sondern
Fernseh-Regisseur, und das merkt man "Harry Potter und der
Halbblutprinz" in nahezu jeder Szene an.

Der richtige Mann auf dem Regiestuhl wäre eindeutig der Mexikaner
Guillermo del Toro gewesen, um den sich die Produzenten bereits für den
"Orden des Phönix" nachhaltig bemüht hatten, der dann jedoch seinem
"Hellboy"-Sequel den Vorzug gab. Schon sein Landsmann Alfonso Cuaron
hatte anno 2003 gezeigt, wie man aus dem verspielten, niedlichen
Disney-Land eines Chris Columbus ein visionär neues Potter-Universum
erstehen lassen kann. Und de Toro selbst hatte anno 2005 mit seinem
schier überwältigenden, mehrfach preisgekrönten Fantasy-Drama "Pan's
Labyrinth" erahnen lassen, wie man Harry Potter hätte verfilmen können.

Nichts davon erleben wir in "Harry Potter und der Halbblutprinz". Und da
aller schlechten Dinge nicht nur drei, sondern sogar vier sind, wird
David Yates 2010 und 2011 auch den auf zwei Filme aufgeteilten letzten
Band "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" in Szene setzen. Dann
etwa wieder Hanni und Nanni statt Gellert Grindelwald, Soap statt
apokalyptischem Endkampf zwischen Gut und Böse? Der sechste Film lässt
Schlimmes erahnen. Quo vadis, Harry Potter?

5 von 10 Punkten

Johannes Pietsch

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