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Kritik: Neues vom Wixxer

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Johannes Pietsch

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Mar 14, 2007, 2:31:42 PM3/14/07
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Filmkritik "Neues vom Wixxer"

Gesehen am 07.03.2007 im Residenz Kinocenter Bückeburg (Sneak-Preview)

Dass Filmregisseure, Maler oder Autoren als Reaktion auf den Erfolg
eines ihrer Werke ein zweites, mögliches ähnlich geartetes folgen
lassen, ist nicht erst seit Aufkommen der Hollywood'schen
Fortsetzungsmanie ein Gesetz menschlichen Kunstschaffens. Ebenso wenig
ist es ein natürlicher Zwang, dass der zweite Anlauf automatisch
schlechter sein muss als der erfolgreiche Erstling - auch wenn die
schier unüberblickbare Legion erbärmlich schlechter Filmfortsetzungen
diese Vermutung nahe legt. Schon Homer schob nach der "Ilias" mit der
"Odyssee" seinem ersten Bestseller einen zweiten hinterher und ließ
damit auf sein erstes epochales Werk ein zweites noch grandioseres Stück
Weltliteratur folgen.

Auch "Neues vom Wixxer", die Fortsetzung der Edgar-Wallace-Parodie "Der
Wixxer" von 2004, hält interessanterweise qualitativ nicht nur mit
seinem Vorgänger mit, sondern kann zur allgemeinen Überraschung
stellenweise sogar einige Pointen noch deutlich treffsicherer platzieren
als der Erstling. Auch der war anno 2004 ein absoluter
Überraschungserfolg, insbesondere eingedenk der seinerzeit arg niedrigen
Popularitätswerte seines Hauptakteurs Oliver Kalkofe. Kaum einer hatte
2003/2004 das TV-Lästermaul noch ernsthaft auf der Rechnung, und nahezu
jeder glaubte, der unverkennbar aufs Medienabstellgleis geratene
Erfinder von "Kalkofes Mattscheibe" habe sich mit seiner ersten
Kinoproduktion einfach nur am Trendbüffet des drei Jahre älteren "Schuh
des Manitu" bedienen wollen, "Der Wixxer" sei somit nur ein flott
dahergeschossenes Ripp-Off des Bully-Erfolgs.

Genau das war "Der Wixxer" jedoch nicht. Die Idee, dem teutonischen
60-Jahre-Krimi-Kintopp ein filmisches Denkmal zu setzen, entstammte
mitnichten Bully Herbigs kassenträchtiger Karl-May-Veralberung von 2001,
sondern der Ära des Frühstyxradios, jenes legendären selbsterklärten
"größten Kulturmagazins der Welt", welches von 1988 bis 1998 über die
Wellen des niedersächsischen Privatsenders FFN aus Isernhagen
ausgestrahlt wurde und das damals zur Initialzündung einer ganz neuen
Welle anarchischen Brechstangenhumors made in Germany werden sollte.

Mit brachialem Fäkalhumor, rotzigsten Verbal-Injurien, zotigsten
Gossen-Kalauern und gezielter Übertretung jeglicher Geschmacksgrenzen
hatten die Frühstyxradio-Erfinder Dietmar Wischmeyer, Asso Richter,
Andreas Liebold und Sabine Bulthaup von 1988 an das bis dato kaum mehr
als bieder zu bezeichnende teutonische Spaß-Unwesen auf den Kopf
gestellt und damit den Weg geebnet für die nachgeborene
Comedy-Generation à la Ingo Appelt, Atze Schröder oder Tom Gerhardt. Die
zelebrierte Arschkrampen-Anarchie des FFN-Frühstyxradios fand jeden
Sonntag Vormittag eine eingeschworene Anhängerschaft von mehreren
Hunderttausend Hörern, und selbst eine (kurzzeitige) Absetzung der
Sendung im Frühjahr 1992 konnte ihren Erfolg nicht bremsen, sondern
brachte vielmehr den für die Absetzung verantwortlichen Programmdirektor
Peter Bartsch zu Fall.

Oliver Kalkofe war 1991 zu der Wischmeyer-Truppe gestoßen und hatte der
Sendung unter anderem den Ferkelwämser Gürgen Ferkulat, den
massenmordenden Herrn Radiooven, den speckigen Märchenerzähler Onkel
Hotte, den Denglisch-brabbelnden Fremdenführer Alfons Derra sowie den
autobiographisch eingefärbten Praktikanten Hans-Jürgen auf dem
Raumschiff "FFNterprise" beschert. 1996 erfand er gemeinsam mit seinem
Comedy-Partner und späteren Sport-Moderator Oliver Welke - beide
firmierten beim Frühstyxradio als das Duo Kalk & Welk - den "Wixxer",
ein - so wörtlich - "Kriminalhörspiel in mehreren tausend Teilen", in
dem die beiden sensationell unterbelichteten Scotland-Yard-Ermittler
Very Long (Welke) und Even Longer (Kalkofe) mehrere Wochen lang auf
Radio FFN in täglich wenige Minuten langen Folgen mit so einschlägigen
Titeln wie "Der Frosch ohne Maske", "Das Scheißhaus an der Themse", "Der
blöde Bogenschütze" oder "Die toten Hosen von London" nach dem
titelgebenden Superverbrecher fahndeten. Die Radio-Serie mündete
schließlich in einer denkwürdigen dreistündigen Sondersendung in der
Nacht zum 1. Advent 1996, in der unter intensiver Beteiligung der
Zuhörer die Identität des Schurken gelüftet wurde.

Oliver Kalkofes Kunstgriff beim Kinofilm "Der Wixxer" bestand darin, aus
der Konkursmasse des Frühstyxradios und seines eigenes TV-Formats
"Kalkofes Mattscheibe" sowie dem Erbe der legendären Edgar-Wallace-Filme
ein stimmiges Humor-Potpurri zusammenzurühren. Dabei forderte "Der
Wixxer" dem Zuschauer jedoch einiges an generationsübergreifender
Medienkompetenz ab: Ohne Kenntnis von Kalkofes Comedy-Vergangenheit bei
Radio FFN waren zahlreiche der Pointen schlicht und einfach nicht zu
verstehen.

Dem geht die Fortsetzung "Neues vom Wixxer" nun weitgehend aus dem Weg.
Weniger Frühstyxradio und weniger Mattscheibe, kein Earl of Cockwood und
keine degenerierten Zwillinge Pommi und Fritti mehr, dafür mehr "Scary
Movie" und "Nackte Kanone" lautet die Devise. Wieder begleitet der
Zuschauer die beiden IQ-tiefergelegten Scotland-Yard-Ermittler Very Long
und Even Longer auf der Jagd nach dem legendären Superverbrecher, dessen
Name - natürlich - an den Edgar-Wallace-Klassiker "Der Hexer" erinnert,
dessen Totenkopfmaske jedoch "Im Banne des Unheimlichen" entlehnt wurde.
Wie im Vorgänger übernimmt für die Filmfassung TV-Comedian Bastian
Pastewka die Rolle des Very Long, während Oliver Welke, der Very Long
der Hörspielfassung von 1996, als mittelschwer beschränkter
Gerichtsmediziner Dr. Brinkmän reüssiert.

Gleich zu Beginn wird mit den Überbleibseln des ersten Teils Tabula rasa
gemacht. Der erste Wixxer sinkt getroffen von Pfeilen in eine bereit
stehende Grube, neben der sich passenderweise auch gleich die Grabsteine
weiterer zukünftiger Opfer erheben. Eile ist geboten, denn hier will der
neue Wixxer binnen weniger Stunden seine Gegner unter die Erde bringen.
Also geht es erneut auf die ebenso atemlose wie inhaltlich kaum der Rede
werte Hatz nach dem Oberschurken, in dessen Maske offensichtlich ein
neuer Übeltäter geschlüpft ist. Und wie schon im ersten Teil hat der mit
dem von Oliver Kalkofe allenfalls leidlich komisch verkörperten
Chief-Inspector Even Longer ein ganz persönliches Hühnchen zu rupfen.

Unter der Regie von Cyrill Boss und Philip Stennert geht es in "Neues
vom Wixxer" wiederum dem urdeutschen Popkulturgut Edgar Wallace an den
Kragen. "Hallo, hier spricht Edgar Wallace sein Nachbar..." Mag dieser
Nachbar auch etwas debil erscheinen, so hat er doch eifrig an der Wand
gelauscht: Kein filmhistorisches Detail ist zu entlegen, um nicht durch
eine pointierte Anspielung auf Kalkofes Kinomattscheibe gebannt zu
werden. Im Großen und Ganzen dominiert dabei die ruchlose Hommage, wie
man sie aus der amerikanischen Naked Gun-Reihe kennt, angereichert wird
sie mit einer durchaus ernst zu nehmenden Verbeugung vor dem Original.
In Pastewkas übereifrigem Assistenzinspektor Very Long lässt sich leicht
das Vorbild Eddie Arendt erkennen. Lars Rudolph, im ersten Teil noch als
Harry Smeerlap unterwegs, gibt diesmal als Chucky Norris (eine sehr
hübsche Namensverballhornung des gealterten Karate-Stars zur
gleichnamigen Mörderpuppe) die perfekte Klaus-Kinski-Reinkarnation.

Wirklich geadelt wird die Fortsetzung durch das Mitwirken des gerade 80
Jahre alt gewordenen Joachim Fuchsberger. Der spielte damals in mehreren
Edgar-Wallace-Streifen aus der Filmschmiede Rialto den Inspector Bryan
Edgar Higgins und setzt diesen Part nun als mondäner
Scotland-Yard-Veteran Lord David Dickham (ein Schelm, wer dabei
Ähnlichkeiten mit einem gewissen Fußballstar vermutet) fort. Mit Chris
Howland als Butler Hudson aus "Das Haus am Eaton Place" sowie der
70er-Jahre-Ikone Judy Winter flankieren ihn zwei weitere Große aus jener
Zeit, als Heinz Drache noch den Zinker jagte und Pierre Brice als
Häuptling der Apatschen an den Plitwitzer Seen entlang ritt.

Von der zeitgenössischen Comedy-Front prägt sich als Neuzugang vor allem
Christian Tramitz als Flamenco-tanzender Humphrey-Bogart-Klon ins
Gedächtnis. Was die unsägliche Hella von Sinnen dem Humorpotential des
"Wixxer"-Sequels hinzufügen soll, bleibt ebenso ein Geheimnis wie die
viel zu schmal angelegten Rollen der wunderbaren Christiane Paul und der
kaum weniger talentierteren Sonja Kirchberger.

Die Gags oszillieren wieder irgendwo zwischen schön blöd und saublöd,
dafür sind Look und Atmosphäre, wie es sich für eine richtige Persiflage
gehört, absolut stimmig. So wechselt der Film in vielen Szenen
sinnigerweise von Farbe nach Schwarzweiß, was nicht nur in der Handlung
begründet wird, sondern auch wiederholt Gelegenheit für
selbstreferentielle Elemente bietet.

Aber das ganze wäre nicht einmal halb so witzig, wäre da nicht der nach
wie vor schlicht grandiose Christoph Maria Herbst in der Rolle des
Alfons Hatler, der mit schwarzem Oberlippenbärtchen und straff gezogenem
Scheitel allen Möchtegern-Gröfazen dieser Welt zeigt, wie man einen
Diktator wirklich parodiert. Nach seinem Einsatz als Butler im ersten
Teil, der sich den Gästen von Schloss Blackwood-Castle auch gerne einmal
"als Führer anbot", leitet er nun eine Londoner Irrenanstalt, deren Name
Alfred Hitchcocks "Psycho" referenziert Weitere gelungene Kalauer
liefern Parodien auf aktuelle Film- und TV-Erfolge wie "24" oder "Saw",
und bei einer eingeschobenen Werbepause mit herrlich behämmerten Spots
für Handy-Klingeltöne glaubt man sich fast wieder im FFN-Frühstyxradio.

Ein bisschen "Kalkofes Mattscheibe" darf es dann auch sein, wenn sich
Ostzonen-Entertainer Achim Mentzel, Roberto Blanco als der Puppenspieler
von Mexico, Bernd Clüver als der Junge mit der Mundharmonika und Frank
Zander als Fred Fahrwasser in kurzen Gastauftritten ein Stelldichein
geben. Wie liebevoll und sympathisch die einstmals bevorzugten
Zielscheiben von Oliver Kalkofes Spott hier ihre Cameos abliefern, zeigt
indes auch, wie sehr der TV-Zyniker seinen einstigen Ruf wie Donnerhall
in der Medienwelt eingebüßt hat. Anfang der 90er galt er noch als böses
Enfant terrible, geradezu als Paria, als er Patrick Lindner noch als
"Nightmare on Alm-Street", Wolfgang Lippert als "Grabbel-Zoni mit
Kassengestell" und Karl Moik als "finale TV-Apokalypse" bezeichnete.

Und genau das ist es, was man bei allem gelungenen Humor letztendlich
beim ersten wie beim zweiten "Wixxer" vermisst: Den abgründig
geschmacklosen, bizarren und anarchischen Brachial-Witz des
FFN-Frühstyxradios, so wie er 1996 noch in der Hörspielfassung zu
erleben war. Dieser Humor hat einen Namen: Dietmar Wischmeyer. Der
Erfinder, Kreativkopf und Genius des Frühstyxradios war es nämlich - und
nach über zehn Jahren sei es erlaubt, es zu verraten - der im November
1996 in jener denkwürdigen mitternächtlichen Radio-Sondersendung von
Inspector Very Long und Chief-Inspector Even Longer als Der Wixxer
enttarnt wurde.


7 von 10 Punkten

Johannes Pietsch


__________ NOD32 1.1566 (20060530) Information __________

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http://www.nod32.com

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