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Retro-Kritik: Red Dawn - Die rote Flut (1984)

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Johannes Pietsch

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May 18, 2008, 5:36:36 AM5/18/08
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Retro-Kritik: Red Dawn - Die rote Flut (1984)

Regie: John Milius
Darsteller: Patrick Swayze, C. Thomas Howell, Lea Thompson, Charlie
Sheen, Darren Dalton, Jennifer Grey, Harry Dean Stanton, Powers Boothe

Es gibt Jugendsünden, die so mancher liebend gerne ungeschehen machen
würde und sich doch kaum aus seiner Biographie ausradieren lassen. Ein
Augustus wurde erst zum Friedenskaiser des goldenen römischen
Zeitalters, nachdem er jahrelang einen blutigen Bürgerkrieg zunächst
gegen die Cäsarmörder Cassius und Brutus und dann gegen Marcus Antonius
geführt hatte, während dessen sogar der große Staatsmann und Redner
Cicero sein Leben lassen musste. Der Franke Chlodwig brachte zunächst
sämtliche Konkurrenten um die Ecke, um anschließend die Herrschaft der
Merowinger über halb Europa zu begründen und zum Christentum
überzutreten. Und als der heilige Augustinus noch nicht als Bischof von
Hippo am "De civitate die" schrieb, führte er in Thagaste ein
ausschweifendes Leben und zeugte einen unehelichen Sohn.

Was sich jedoch eine ganze Riege später sehr erfolgreicher
Hollywooddarsteller nebst einigen ebenfalls recht namhaften
Charaktermimen in diversen Nebenrollen im Jahr 1984 leistete, ist durch
keine jugendliche Verblendung zu erklären. John Milius' "Red Dawn"
gehört mit Abstand zum untersten Schubladeninventar, welches der zu
Beginn der 80er Jahre tobende kalte Krieg der Reagen-Ära hervorgebracht
hat. Aufgemacht als aprilfrisch-adrettes Teeny-Pfadfinder-Abenteuer mit
Weltkriegskulisse predigt das Machwerk antikommunistische Propaganda,
wie sie hohlköpfiger kaum daherkommen könnte.

In den frühen 80er Jahren strotzte das Action-Kino nur so vor
nationalpatriotischen Gewaltphantasien unter Sternenbanner-Flagge.
George Pan Cosmatos "Rambo 2" hielt ebenso wenig mit seinem
bluttriefenden Vietnahm-Revanchismus hinter dem Berg wie Chuck Norris
mit seinen drei "Missing in action"-Machwerken. John Milius,
Brutalo-Revanchist von Gottes oder besser Reagens Gnaden und
Nazi-Devotionalien-Sammler, setzte dem filmischen Hurra-Patriotismus
dieser Ära dann allerdings eindeutig die olivgrün karierte Seppelmütze
auf: In "Red Dawn" entwirft er tatsächlich eine Kitsch-Vision vom
dritten Weltkrieg als romantisch-verklärtes Western-Abenteuer vor
malerischer Bergkulisse, faschistoide Schlagseite inbegriffen.

Schaut man sich den Film mit den Augen des Betrachters im 21.
Jahrhundert an, so wirkt er von der ersten Minute an wie ein seltsam
verklärter Blick durch einen Zeittunnel zurück in die Ära der frühen
80er, in die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses und Raketenstationierungen
in der Bundesrepublik, an Cruise Missile und Pershing zwo, an NATO und
Warschauer Pakt, an ein geteiltes Deutschland und den Krefelder Appell,
an die großen Herbstmanöver und die Friedensmärsche.

Schon der Beginn macht auf geradezu schreiend komische Weise deutlich,
wie Deutschland von besonders reaktionären Kreisen der USA in der
damaligen Zeit gesehen wurde. In ein paar Schlagzeilen skizziert der
Film dem Zuschauer die politische Großwetterlage zu Beginn der Handlung:
In Deutschland (West!) haben die Grünen die Wahl gewonnen, darauf sofort
alle amerikanischen Nuklearwaffen abgebaut und sind mit Mann und Maus
und Sack und Pack aus der NATO ausgetreten. Man erinnere sich: Zum
damaligen Zeitpunkt regierte in Wirklichkeit der geradezu devote
USA-hörige Bundeskanzler Kohl ("Wir wollen den Sozialismus bekämpfen zu
Lande, zu Wasser und in der Luft."), und die tatsächliche grüne Partei
war gerade einmal vier Jahre alt!. Zugleich - so weiter im Film - kippen
zahlreiche Nachbarstaaten der USA durch Revolution in den Kommunismus,
in der Sowjetunion herrscht Hunger, und Kuba rüstet massiv gegen den
bösen kapitalistischen Erzfeind im Norden: Beste Voraussetzungen also
für den dritten Weltkrieg.

Und der passiert auf ganz beschauliche Weise in einer typischen
amerikanischen Kleinstadt, als eines schönen Tages ein Haufen
sowjetisch-kubanischer Fallschirmjäger vom blauen Himmel schwebt, ein
paar Zivilisten über den Haufen schießt und das Städtchen en passant in
Beschlag nimmt. Widerstand wird im Keim erstickt, auch vom
amerikanischen Militär ist nichts Nennenswertes zu sehen. Ein paar
Wochen später ist der dritte Weltkrieg so gut wie gelaufen, der Großteil
der USA besetzt und die inneramerikanische Front im Stellungskrieg
erstarrt. Im Rest der Welt sieht's noch heimeliger aus: In Europa hat
man sich mit den Russen arrangiert, und die Chinesen haben dank
massierten Wasserstoffbombeneinsatzes nicht mehr allzu viel zu melden.
Ach ja, so schön kann Weltkrieg sein.

Tja, wären da nicht so ein paar aufsässige Radau-Kids, natürlich
Mitglieder des örtlichen Football-Teams aus besagter amerikanischer
Kleinstadt, die sich vor den Invasoren in die Berge geflüchtet haben und
nun nichts Besseres im Sinn haben, als Russen und Kubanern mal so
richtig auf die Nerven zu gehen. Alles natürlich im Namen
amerikanischster Ideale wie Freiheit, Ehre, Demokratie und
Menschenrechte, zu deren Verteidigung sich Ober-Footballer Jed (Patrick
Swayze) zunächst mal zum Mini-Gröfaz der Gruppe aufschwingt und allen
ihm zuwider laufenden Meinungen selbige ordentlich geigt. Wie schön,
dass ihm die schnuckelige Toni (Jennifer Grey) nicht ins Wort fällt,
sondern nur mit schmachtenden Augenaufschlägen bedenkt - Dirty Dancing
meets World War II. Tatsächlich dürfen die Kiddies anschließend unter
dem martialischen Namen "Wolverines" massenhaft sowjetische
Elitesoldaten abschlachten, Konvois überfallen und gegnerische
Waffenlager plündern.

Die schwer bewaffneten und mit allem erdenklichen Kriegsmaterial
ausgerüsteten Besatzungstruppen sind selbstverständlich völlig machtlos,
wenn ihnen der pubertierende Partisan aus dem Dickicht des Waldesgrüns
heimleuchtet. Zwischendurch gibt's ein bißchen uramerikanischen
Einwanderer- und Indianer-Mystik-Nonsens, wenn beispielsweise der
Jungspund der Gruppe auf der Jagd sein erstes Wild erlegt und nun dessen
Blut zu trinken hat ("Du mußt das tun, damit seine Kraft in Dich
übergeht!") Herrlich, so schön und romantisch hatten es unsere Großväter
auf dem Russlandfeldzug bestimmt auch. Da kommen Jugenderinnerungen und
die letzten Mahlzeiten gleichzeitig wieder hoch.

Die Schurken, die es im Dutzend billiger niederzumachen gilt, dürfen im
Gegenzug so richtig deftig böse sein. Wer in der Besatzungszone nicht
pariert, wird ins Umerziehungslager gesteckt, zu welchem passenderweise
das uramerikanischste Etablissement umfunktioniert wurde, das sich
denken lässt: Ein Autokino. Auf der Leinwand läuft sowjetische
Propaganda, und von sämtlichen Wänden grinst Lenin auf den unterjochten
Mr. Babbitt herab.

Würden die Bösewichter nun zu austauschbaren, gesichtslosen
Gegenspielern wie die Indianer im Western oder die imperialen
Sturmtruppen in "Star Wars" degradiert, so würde das ganze den
Gesetzmäßigkeiten des klassischen Western, Kriegs- oder Abenteuerfilms
gehorchen. Doch dummerweise gewährt uns der Kommunistenhasser John
Milius diese Gnade nicht: Vereinzelt zeigen nämlich die ostzonalen
Frontschweine ein sehr menschliches, geradezu mitleiderregend junges und
hilfloses Antlitz.

Und in diesen Momenten gerät "Red Dawn" zur wirklich widerwärtigen
Farce, wenn der hasserfüllte Milius seine clerasilfrischen
Partisanenkämpfer diese Gegner, gerade dann, wenn sie wehrlos sind, auch
und erst recht abschlachten lässt. Ein gefangener Sowjetsoldat, der
vergeblich an die Genfer Konvention erinnert, wird ebenso erbarmungslos
dahingemeuchelt wie ein Verräter in den eigenen Reihen. Logisch, etwas
anderes haben der Iwan und seine Sympathisanten auch nicht verdient. Und
so richtig triefen darf das sternenbannerumflorte Pathos dann, wenn
Partisan Jed und Bruder Matt ihren aufrechten Vater im
Internierungslager besuchen. "Ihr dürft nie wieder weinen!" herrscht der
Patriarch, gespielt von Harry Dean Stanton, seine schniefenden
Sohnemänner an. Natürlich nicht, nach einer solchen Gardinenpredigt
setzt es erst recht Saures für die Russen.

Eine ganze Riege späterer Top-Darsteller, die vor allem in den späten
80er und frühen 90er Jahren zu großer Bekanntheit gelangten, darf in
"Red Dawn" als jugendliche Freiheitskämpfer die Kalashnikov und den
Raketenwerfer schwingen, angeführt vom späteren Teenyschwarm-Dreigestirn
Patrick Swayze, Charlie Sheen und C. Thomas Howell, dazu Swayzes "Dirty
Dancing"-Partnerin Jennifer Grey und Lea Thompson, bestens bekannt als
Michael J. Fox' Mutter aus "Zurück in die Zukunft". Weitere bekannte
Gesichter im unrühmlichen Geschehen sind Charaktermime Harry Dean
Stanton ("Paris Texas") und Powers Poothe ("Frailty", "Nixon").

So verheerend das moralische Urteil über "Red Dawn" auch ausfallen mag,
es war ein Film seiner Zeit, der exakt dem blühenden Nationalismus und
Revisionismus der frühen 80er Jahre entsprach. Von Ronald Reagen wird
kolportiert, er habe, nachdem er John Pan Cosmatos' "Rambo 2" im Kino
sah, den Journalisten diktiert: "Boy, I saw Rambo last night. Now I know
what to do next time." Seien wir froh, dass er nur Rambo und nicht auch
Milius' "Red Dawn" gesehen hat.

Nun könnte man über all diesen Unfug, den John Milius da vor über zwei
Jahrzehnten mit seinem martialischen Pfadfinder-Weltkrieg aufgefahren
hat, herzlich lachen, könnte sich kugeln über ein paar Football-Kids,
die es mit Pfeil und Bogen mit Hunderten sowjetischer Elitesoldaten
aufnehmen und dazwischen noch dämlich-martialische Sprüche aufsagen.
Doch das Lachen bleibt einem mehr als einmal im Halse stecken, entdeckt
man die unübersehbaren Parallelen von "Red Dawn" zur Gegenwart: Genau
die Situation einer bis an die Zähne bewaffneten, quantitativ ebenso wie
technisch haushoch überlegenen Invasionsarmee, die von ein paar
unausgebildeten, aber zu allem entschlossenen Partisanen in die Knie
gezwungen wird, ist es nämlich, in die sich ausgerechnet die Vereinigten
Staaten mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Irak gebracht hat.

2 von 10 Punkten

Johannes Pietsch
--
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