Am Fri, 16 Sep 2022 01:55:24 +0200 schrieb Stephan Gerlach
<
mam9...@t-online.de>:
>Martin Klaiber schrieb:
>> Ulli Horlacher <
fram...@tandem-fahren.de> wrote:
>>
>>> Fast alle meine Fahrraeder haben Akkus.
>>> Das Problem ist der Motor, der das Fahrrad zum Mofa degradiert.
>>
>> Zwischen einem Pedelec und einem Mofa besteht ein großer Unterschied.
>> Das weißt Du auch, ich brauche die Unterschiede nicht zu wiederholen.
>>
>>> So was brauchen nur Alte oder Behinderte.
>>
>> Alt werden wir alle mal und behindert ist man u.U. schneller als man
>> denkt. Ein blöder Unfall reicht.
>
>Das hat er ja auch nicht bestritten.
>
>> Außerdem stimmt Deine Behauptung nicht. Ich habe in meinem Umfeld
>> drei Personen, die mittelalt und gesund sind und sich ein Pedelec
>> gekauft haben, weil sie damit zur Arbeit fahren wollen und der Weg
>> mit einem normalen Fahrrad ihnen zu weit ist.
>
>Ist in Ordnung. Andere kaufen aus dem Grund ein Auto; Pedelec statt(!)
>Auto ist aus ökoligischen Gründen sicher vorzuziehen.
Es ist gegenüber der verworfenen Möglichkeit Fahrrad statt Auto gewiss
_nicht_ vorzuziehen. Ob die Leute bei E-Kfz bleiben oder ob sie ohne
diese Möglichkeit nicht doch zum Fahrrad gegriffen hätten, wissen wir
nicht, das ist reines Framing und eine Mutmaßung von Martin K.
>
>> Im Einzelnen:
Genau, im Einzelnen. Es ist weitgehend irrelevant, dass es an den
Rändern der Verteilung Fälle gibt, die Aussreißer sind und Ausreißer
bleiben. Das Pedelec ist ein Fakefahrrad und Marketingkonstrukt, das
als Fahrradkiller angetreten ist und für den kurze Distanzen fahrenden
Mainstream entworfen wurde. Es erfüllt diese Funktion bislang genau so
wie erwartet.
Es fahren Massen an gesunden Menschen inzwischen mit kräftigem
Elektroantrieb und nur homöopathisch dosiertem Gebrauch der eigenen
Muskulatur, von Kindern über Jugendliche und Erwachsene bis hin zu den
Greisen über kurze Distanzen, in Situationen, die sie problemlos mit den
Fahrrad fahren könnten und die sie wahrscheinlich ohne die Verfügbarkeit
von Fakefahrrädern sonst mit richtigen Fahrrädern gefahren wären.
Und viele von denen transportieren, wenn ihnen die Anfahrt zu weit oder
zu steil ist, auch die Pedelecs dann auf dem Heckgepäckträger ihres
Autos zum großen Parkplatz am Rande des Stadtwaldes oder des
Erholungsgebiets weiter draussen. Ich bin auf meinen Runden, die mich
an solchen Parkplätzen vorbeiführen, noch selten auf Leute getroffen,
die mit dem Pedelec dort hoch fahren. Wer vorher die Fahrräder so
dorthin transportierte, macht das jetzt halt mit dem Pedelec so.
Gewiss wird in Pflichtstudien gerne damit herumgewedelt, dass mit
Pedelec weiter gefahren würde als mit Fahrrädern. Wenn man aber genauer
reinschaut, stellt sich heraus, dass dies meist auf dem Ergebnis einer
Eigeneinschätzung beruht und dass die Unterschiede eh nicht gross sind.
Was glaubt man wohl, was jemand, der sich kürzlich für 3000 EUR ein
E-Bike gekauft hat, wohl auf die Frage antwortet, ob er oder sie damit
mehr oder weniger weit fährt als vorher mit dem Fahrrad? Unterschiede
im 10-20%-Bereich würde ich da eher unter Wunschdenken einsortieren.
Die Leute fahren überwiegend nicht E-Bike, weil ihnen der Arbeitsweg zu
lang oder zu anstrengend ist, sondern weil man ihnen die Möglichkeit
verschafft hat, ein Motorfahrzeug der Mofa-Klasse zu fahren, welches von
allen umständlichen und teuren Restriktionen befreit ist, die für Mofas
gelten und weil man das kräftig beworben hat und immer noch kräftig
bewirbt.
Zur ursprünglichen Vermarktung, incl. der rechtlichen Einstufung hat das
Narrativ "ja aber die Alten und Behinderten!!" funktioniert, inzwischen
hat man es fallenlassen, wie überraschend. Was kümmert uns unser
Geschwätz von gestern?
Das hört übrigens bei gesunden Erwachsenen, die ihre Reichweite mit dem
Rad vmtl. überwiegend hätten noch deutlich steigern können, noch lange
nicht auf. Letztes Jahr hat man beispielsweise die Kinder als Zielgruppe
entdeckt. Im April habe ich hier in <t3js8v$1ss6$
1...@gioia.aioe.org>
<
jcal84...@mid.individual.net> ausführlich einen Artikel in einem
Blättchen des VSF diskutiert, dessen Deckblatt hier
<
https://www.mystrobl.de/ws/vp/ebike/vsf_e-bikes_fuer_kinder.JPG>
zu sehen ist.
Der Artikel ist von der Überschrift her auf kritisch frisiert
"Pedelec für Kinder ist der neue Hype: Spassmacher, Motivatoren - und
umstritten", schwenkt im Text dann aber ganz schnell auf einen Jubel-
und Verkaufsmodus um.
"NICHT ALS KIND SCHON AN DIE FAULHEIT GEWÖHNEN", SO EIN ARGUMENT
DAGEGEN. ES GIBT ABER AUCH GUTE GRÜNDE DAFÜR."
Im Text stehen dann aber Sätze wie "Dank E-Bikes können Familien mit
kleinen Kindern auch längere Touren und auch über hügeliges Terrain
unternehmen, was bis zum Alter von etwa 14 Jahren motorlos oft nicht
geht"
Das schmierig zu nennen ist noch zu höflich.
[Fallbeschreibung von Leuten, die mit dem Pedelec zur Arbeit fahren,
weggelassen, weil austauschbar]
>Ob die Pedelecs in den genannten Fällen tatsächlich *gebraucht* wurden,
>dürfte wohl wesentlich damit zusammenhängen, ob die betreffenden
>Personen die Strecke evtl. auch mit einem Fahrrad schaffen würden, dies
>aber aus dem nachvollziehbaren Grund, sich wenig/nicht anstrengen zu
>wollen, nicht tun. In diesem Fall wäre der Grund für die Fahrt mit dem
>Pedelec nicht, daß sie es brauchen im Sinne von "anders komme ich nicht
>zum Ziel", sondern daß es einfach viel weniger anstrengend ist.
So ist es. I.d.R. wird dann auch noch das Schwitzen herangezogen,
welches man vermeiden müsse. Klar, das ist alles völlig plausibel: genau
dafür wurden Kraftfahrzeuge erfunden und die tun ihren Job.
Bloß hätte man dafür nicht E-Mofas als Fahrräder inszenieren und
rechtlich einstufen müssen. In den meisten Fällen wäre für die
Betreffenden wohl besser gewesen, statt des Pedelec einen 45 km/h
E-Roller anzuschaffen, damit zur Arbeit zu fahren und ansonsten beim
Fahrrad zu bleiben.
Oder, was mir seinerzeit (lang ist her, tatter) eine große Hilfe war,
als ich begonnen hatte, nach einem Arbeitsplatzwechsel statt 6 km in der
Ebene den doppelt so lange und mit einem kräftigen Anstieg
abschließenden Weg zur Arbeit nicht mit dem Auto, sondern dem Rad zu
versuchen: ich bin an ausgesuchten Tagen (ohne Termindruck oder Sitzung
am frühen morgen, günstiges Wetter) mit dem Fahrrad statt mit dem Auto
hochgefahren. Jahre zuvor war ich mehrfach mit dem Rad daran
gescheitert war, weil: zu anstregend. Eine Weile ging es, vor allem im
Anschluss an einem ausgiebigen Fahrradurlaub, aber es reichte schon eine
kurze Pause, um das bißchen aufgebauter Fitness wieder zu verlieren.
Umgekehrt reichte schon ein Tag in der Woche im Sommer, aus einer
anstrengenden und ermüdenden Fahrt eine zu machen, die erträglich und
manchmal sogar efreulich erschien.
"Die unerfreuliche Anstrengung vermeiden" ist das, was die Erfinderin
des Konzepts Pedelec explizit als Grund und Verkaufsargument benannt
hatte. Problem: dies eliminiert genau das, was einerseits für die
gesundheitsförderliche Wirkung des Radfahrens verantwortlich ist,
nämlich die Anstrengung, und es verhindert das Erlebnis (und die
Erkenntnis), dass gerade diese als unerfreulich empfundene Anstrengung
sich selber eliminiert: je mehr Anstrengung, um so schneller fällt das,
was gestern noch eine üble Anstrengung empfunden wurde, gar nicht mehr
als Anstrengung auf. Sportwisssenschaflter können einem recht genau
erklären, woran das liegt, aber man muss kein Sportler sein, um von
Erkenntnissen bzgl. Muskelaufbau und Motivation zu profitieren.
>
>Oder ob sie die Strecke tatsächlich nicht in annähernd ähnlicher Zeit
>schaffen würden; in diesem Fall kann man tatsächlich sagen, das Pedelec
>würde hier gebraucht (wenn man die Möglichkeit von Bahn oder Auto
>ausschließt).
Es ist nicht schwer, zu raten, was hier das Gegenargument sein wird: nur
mit dem, ahem, Fahrrad darf ich auf Radwege.
Und das ist neben der gesundheitsschädlichen Wirkung des Umstiegs auf
diese Kraftfahrzeuge mein anderer Haupteinwand gegen Pedelec: sie sind
nicht nur angetreten, das Fahrrad als Verkehrsmittel zu eliminieren, sie
sind auch bestens geeignet, eine fahrradfeindliche Verkehrspolitik zu
unterstützen, die da lautet: Fahrräder haben als langsame Fahrzeuge auf
Straßen (gemeint ist: Fahrbahn) nichts zu suchen.
Finger in den Ohren "lalala, ich hör' nichts" reicht nicht, um daran
vorbeizuschauen, dass Fahrräder anders als Mofas (incl. Pedelec) nicht
mit i.W. konstanter Geschwindigkeit gefahren werden, sondern mit einem
Geschwindigkeitsprofil, welches über eine Größenordnung (Faktor 10)
variiert. Meine letzte Runde weist eine Höchstgeschwindigkeiet von 74
km/h aus, die davor eine Mindestgeschwindigkeit von unter 3 km/h. Das
ist untypisch, weil ich nur selten Strecken fahre, die solche
Gewchwindigkeiten zulassen. Ein Profil von 5-50 km/h ist aber nicht
ungewöhnlich, 5 km/h erlaubt mit geeigneter Schaltung, nahezu jeden
Anstieg zu bewältigen, 50 km/h erreicht man schon auf mässigen Abfahrten
ganz ohne Mittreten.
Man muss schon sehr blind sein, um dies: die den eigenen Fähigkeiten und
der Situation angepassten, stark variierenden Fahrgeschwindigkeiten von
Radfahrern nicht wahrzunehmen.
Ein Fahrzeug aber, bei dem sich auf natürliche Weise (ha!) ein typisches
Fahrtempo von 22 km/h einstellt, ist viel besser geeignet, eine
Verkehrspolitik zu begründen, die eine Verdrängung und Beschränkung auf
Sonderwege vorsieht, auf denen gar nicht schneller gefahren werden kann
bzw. soll, und bei der eine Kritik an schlechten, kraftzehrenden
Untergründen genau so verpufft wie die an ungünstigen Trassierungen.
Davon merkt der Pedelecfahrer nichts: den Verlust durch Rollwiderstände
kompensiert der Motor ohnehin und für müheloses Beschleunigen bei
Stop&Go an unübersichtlichen Stellen sorgt die Anfahrhilfe.
>
>Ein weiterer Fall, bei dem man von "brauchen" sprechen könnte, wäre, daß
>man am Ziel gar nicht verschwitzt ankommen darf/will und auch keine
>Möglichkeit zum Waschen/Duschen hat.
Soweit ich es überblicke, hat niemand hier bestritten, dass der Gebrauch
von Kraftfahrzeugen mit "muss gepflegt und nicht verschwitzt" ankommen
begründet wird. Dafür hätte es aber der Pedelec nicht bedurft.
Motorroller, auch elektrische, exisitieren und bieten einen besseren
Schutz vor Witterung und verschmutzter Kleidung.
Übrigens hat der anrollende Klimawandel auch dafür gesorgt, dass nicht
nur in den USA, sondern auch hier kaum noch Autos ohne Klimaanlage
verkauft werden. M.a.W., wem sein Arbeitgeber eine "gepflegte
Erscheinung" aufnötigt, ohne am Arbeitsplatz für die entsprechende
Infrastruktur zu sorgen, der kann sich schnell gezwungen sehen, vom
Pedelec Abstand zu nehmen, weil man da bei 36 Grad im Schatten eher noch
triefender schwitzt als ich diesen Sommer bei einer ~100 km-Runde bei
eben dieser Temperatur auf dem Rennrad. Fahrtwind kühlt und sauberer
Schweiß stinkt nicht. Aber klar: je nach Distanz hat man schnell einen
halben oder ganzen Liter Wasser ausgeschwitzt. Das ist nur zu vermeiden,
wenn man sich nicht nennenswert anstrengt (was dann schon wieder etwas
über die Legende "Tretunterstützung" aussagt).