In dem Thread "Radfahrer absteigen" (beginnend mit
<
dfjdehlv0hjb0t2rm...@4ax.com>) wurde über eine Abfahrt
diskutiert, in der es 50 Höhenmeter mit 20% hinunter geht, illustriert
mit einem Foto von einem Verkehrsschild an einer ordentlich
asphaltierten Straße in einem Naturschutzgebiet: Z108-66 kombiniert mit
Z1012-32 (20%, Radfahrer absteigen). Daraus entstand eine Diskussion
darüber, ob das angemessen sei. Ein Aspekt bzw. eine vermutete
Begründung war der Umstand, dass so etwas mit einem Fahrrad vielleicht
nicht bewältigbar sei, weil sich mit einer Felgenbremse die Felgen
unweigerlich bis zum Versagen des Reifenes erhitzen müssten. Rainer Mai
hatte vor geraumer Zeit in der Fahrradzukunft einen Artikel
veröffentlicht, der zumindest bei flüchtigem Lesen suggerieren könnte,
dies sei zu erwarten. Auch hier wurden entsprechende Ansichten
vertreten. Mein Einwand war, dass die aus 50 Hm resultierende
Energiemenge zwar beeindrucken klingt, bei richtigem Bremsen aber bei
Weitem nicht ausreicht, die Felgen eines konventionellen Rades mit einem
normal schweren Fahrer und wenig Gepäck überhaupt so heiß werden zu
lassen. Soweit die Theorie.
Mit entsprechenden war stories von Fahrten kann ich nicht aufwarten, da
mir die Gelegenheit für (und das Interesse an) Alpenüberquerungen und
vergleichbaren Aktivitäten fehlte. Interessant (für mich) ist aber, wie
sich das konkrete Beispiel in der Praxis darstellt.
Nun habe ich zwar kein 20%-Gefälle in Reichweite, das 50 Hm hergibt,
nicht mal die 15%, von denen hier die Rede war. Jedoch erscheinen mir
die Steigungsangaben so vage, dass ich mit einer schnurgeraden
12%-Abfahrt, direkt hier vor der Haustür, nicht so weit weg von diesen
Bedingungen bin.
Also bin ich kürzlich, als ich keine Lust zu einer längere Ausfahrt
hatte (keine 118 km wie gestern), dieses Stück neun mal hinauf und
wieder hinunter gefahren, bevor ich danach eine kleine Runde durch den
Stadtwald weiter oben angeschlossen habe.
Fahrversuch Kreuzberg
Wenn ich mit meinen Daten rechne (knapp 80 kg für Rennrad, mich und den
mitgeführten Krempel, 26°C initale Felgentemperatur), komme ich auf etwa
70°C, wenn sämtliche potentielle Energie von 50 Hm als Wärme in den
beiden Felgen landet, deren Gewicht ich mit 500 g pro Stück veranschlagt
habe.
Hier ein Blick von oben auf die Teststrecke, wo noch nicht
Schrebergärten auf der einen Seite und Autos der Schrebergärtner auf der
anderen Seite den Weg säumen.
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https://www.mystrobl.de/ws/pic/fahrrad/20220805/00_12_51_00001.jpg>
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https://www.mystrobl.de/ws/pic/fahrrad/20220805/Screenshot%202022-08-05%20at%2021-08-23.jpg>
Ich bin den genau 50 Höhenmeter umfassenden 12%-Anstieg insgesamt neun
Mal hoch und runter gefahren, hoch so schnell wie mir möglich, runter
mit variierendem Tempo weit unterhalb dessen, was durch ungebremstes
Rollen erreicht würde. Dabei habe ich vorher und nachher die
Felgentemperatur gemessen, mit einem IR-Thermometer GM700 der Fa.
Benetech.
Aufgrund des anfänglichen Sonnenscheins und warmen Asphalts war die
Felgentemperatur anfänglich und zu Beginn einer Abfahrt höher als die im
Schatten gemessene Lufttemperatur, konkret an der Felge im
nichtreflektierenden Teil gemessene 26°C.
Bei der ersten Abfahrt hatte ich eigentlich vorgehabt, mit beiden
Bremsen gleich stark zu bremsen, bei der Messung stellte sich dann aber
heraus, dass die meiste Wärme vorne gelandet war. Vorne maß ich 49°C,
hinten 30°C.
Bei der ersten Abfahrt konnte ich noch relativ zügig fahren, weil
weniger Leute und Autos unterwegs waren, im Schnitt 22 km/h, wobei ich
immer mal wieder auf <10 km/h abgebremst habe. Die gemessenen 49 Grad
waren blieben die maximale Erwärmung. Alle weiteren in den
verbleibenden acht Fahrten gemessenen Temperaturen am Ende der Abfahrt
lagen zwischen 30 und 40 Grad.
Statt wie beim ersten Mal wie gewohnt nur die Vorderradbemse zu
betätigen und dann die Hinterradbremse zusätzlich, habe ich bei der
zweiten Abfahrt erst mit der Hinterradbremse gebremst (hier stellt das
Blockieren des Hinterrades das natürliche Limit dar) und dann zusätzlich
die Vorderradbremse leicht betätigt. Zur Vorsicht hatte ich diesmal auf
halber Höhe kurz angehalten und gemessen, im Ergebnis lag der Schnitt
nur noch bei 10 km/h.
Die restlichen Fahrten bin ich dann mit Variationen (mal mehr vorne, mal
mehr hinten bremsen oder mehr Tempovarianz, insg. eher langsamer)
gefahren, habe aber nichts mehr notiert, da die Temperaturen der Felgen
bei um die 35° blieben.
Ich frage mich, ob es ein Gadget gibt, dass einem die Felgentemperatur
via ANT+ mitteilt. Einer meiner Söhne hat eines, welches den Reifendruck
kontinuierlich übermittelt. Die Felgentemperatur würde mich mehr
interessieren. Fallenden Reifendruck kann ich beim Fahren bemerken, die
Felgentemperatur nicht. Lufttemperatur messen ist überflüssig, das kann
das 1030 auch so schon.
Fazit bzw. Interpretation
Wenn man zögerlich bremst, aber mit beiden Bremsen (bei dem Gefälle hier
runter auf 7-20 km/h), landet nur ein Bruchteil der Wärme in der Felge,
sie erwärmt sich pi mal Daumen nur um etwa zehn Grad. Intervallbremsen
bringt anscheinend wenig oder ist sogar kontraproduktiv, wenn man -
naheliegend - dafür vornehmlich die Vorderradbremse einsetzt und nicht
mal in die Nähe der Grenzgeschwindigkeit kommt. Hingegen spielt eine
Rolle, ob man die Wärme auf beide Felgen verteilt und wie viel Zeit zum
Abkühlen bleibt. Dies mag anders sein, wenn man sich nahe an die 100
Grad heranbremst. Und dann stellt sich die Frage, ob man das Risiko
eingehen will.
Lange und heftige Abfahrten sind jedenfalls kein Grund, Radfahrer
auszusperren, das setzt voraus, dass die Leute zwingend ungeeignete
Fahrzeuge verwenden oder geeignete nicht beherrschen. Wo die Leute aus
eigener Kraft hochfahren können, beherrschen sie aber in der Regel auch
das Hinunterfahren. Würde man mit dem Kfzverkehr ähnlich verfahren,
müsste man sämtliche Straßen für den Kfzverkehr sperren, denn dort
finden sich überall immer wieder Fälle, in denen Kfzführer sich oder
andere Leute aufgrund von Unfähigkeit totfahren. Wer mit dem Rad
unterwegs ist, gefährdet im Wesentlichen nur sich selber, das ist ein
mächtiges Korrektiv.
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Wir danken für die Beachtung aller Sicherheitsbestimmungen