Am Sun, 10 Jul 2022 05:57:59 +0200 schrieb Arno Welzel
<
use...@arnowelzel.de>:
>Wolfgang Strobl:
>
>> Am Thu, 7 Jul 2022 15:14:20 +0200 schrieb Arno Welzel
>> <
use...@arnowelzel.de>:
>[...]
>>> Ich dagegen möchte auf den Mirrycle am
>>> Alltagsrad im Berliner Stadtverkehr nicht mehr verzichten.
>>
>> Und ich möchte mir meine Fähigkeit zu einer möglichst umfassenden
>> Rundumsicht so lange wie möglich erhalten. Das ist mit einem Rückspiegel
>
>Die habe ich auch nach Jahren der Spiegel-Nutzung immer noch.
Das ist schön für dich. Warum nutzt du sie nicht?
Etwas ernsthafter, die in deinem Satz versteckte implizite Behauptung
bzw. Verallgemeinerung ist die, dass Beweglichkeit des Kopfes und der
Augen nebst der dazugehörigen Geläufigkeit, diese für die Beobachung
seines Umfeldes erworben wird und nicht verloren geht, wenn man sie
weniger oder gar nicht mehr nutzt. Ich bezweifle das, einfach weil ich
zu viele Leute beobachten kann, denen diese Geläufigkeit offensichtlich
fehlt.
>
>> schwierig, weil man sich entscheiden muss, ob man für eine Rückschau in
>> den Spiegel oder nach hinten schaut. Da kann die Routine für den Blick
>> nach hinten schon mal einrosten.
>
>Nö - ich mache *beides*.
Schön, ich mache auch beides, beschrieb ich ja schon, auf dem Motorrad,
da benutze ich Spiegel _und_ Umschauen. Darum geht es aber nicht. Es
geht darum, dass (zu) viele Leute sich zu oft und manchmal
ausschließlich auf die Rückspiegel verlassen. Zu viele Radfahrer haben
weder Spiegel noch schauen sie sich um, dem Eindruck zufolge verlassen
sie sich auf ihr Gehör, was zu oft ein fataler Fehler ist.
Ich halte nichts davon, diesen Leuten Spiegel zu empfehlen oder auch nur
zu suggerieren, dass Spiegel ein Ersatz dafür sind, sein Umfeld durch
direkten Blick im Auge zu behalten, was auch die Fähigkeit einschließt,
aus peripherer Sicht seine Schlüsse zu zu ziehen. Du magst so oft das
Gegenteil behaupten wie du möchtest, die Verhaltensweisen schließen sich
z.T. aus. Ich habe es beim Fahren mit dem Motorrad immer wieder daran
bemerkt, dass ich in kritischen Situation zur Seite bzw. mich umgeschaut
habe - und mir dann erst im Nachhinein, beim Nachdenkend darüber, was da
abgelaufen ist, aufgefallen ist, dass der Spiegel gar nicht daran
beteiligt war, einen Vorgang neben oder hinter mir (ein überholendes
Fahrzeug, beispielsweise) wahrzunehmen.
>Im Spiegel behalte ich bequem den Bereich ab
>ca. 1-2 Meter hinter mir im Blick, ohne ständig aktiv nach hinten
>schauen zu müssen und wenn ich die Spur wechseln oder abbiegen will,
>schaue ich *zusätzlich* aktiv nach hinten.
Wenn ich mit Tempo unterwegs bin und absehbar nicht die Spur wechseln
möchte, habe ich besseres zu tun, als den Bereich hinter mir zu
beobachten. Oft genug rappelt es auf dem Rad auch so, dass schon das
Gerappel für eine gewisse Verschlechterung der Sicht sorgt. Spiegel
sind davon aus mehreren Gründen (u.a. Verdopplung des Fehlerwinkels,
Schwingfähigkeit) erheblich mehr betroffen als die Augen.
Es mag sein, dass man dann, wenn man mit konstantem Tempo kilometerweit
auf einer perfekt asphaltierten, geraden Strasse mit mehreren
Richtungsfahrstreifen unterwegs ist _und_ dort regelmäßig die Spur
wechseln muss oder abbiegen will (was der Vorraussetzung ein wenig
widerspricht), Interesse daran hat, den Verkehr hinter sich dauernd zu
beobachten. Ich glaub's nicht. Unabhängig davon, wie dicht der
Verkehr ist und wie oft Hindernisse oder Abbiegewünsche den
nachfolgenden Verkehr interessant machen, spricht nichts dagegen, sich
rechtzeitig nach hinten umzuschauen. Es ist ja nicht so, dass man das
nur einmal machen kann. Worin besteht das Motiv, permanent den
rückwärtigen Verkehr zu beobachten und wie das Kaninchen auf die
Schlange zu starren, wenn man nichts mit dieser Information anfangen
kann? Um ein generelles Gefühl für die Gesamtsituation zu behalten,
reicht es, sich in größeren Abständen kurz umzuschauen, vorzugsweise
dann, wenn vorne nichts los ist. Wenn Eile geboten ist, besteht auf dem
Fahrrad kein Grund, erst ein verglichen mit schnellen Kfz unstabildes
Spiegelbild zu suchen, um dann erst den Kopf zu drehen und nach hinten
zu schauen, das kostet nur unnötig Zeit. Anders als Autos haben
Fahrräder keine sichtbehindernde Karosserie, die den Gebrauch von
Spiegeln erzwingt und anders als gefederten Motorrädern, bei denen ein
schwerer Integralhelm ähnliche Sichtfeldeinschränkungen produziert und
die meist mit viel höherem Tempo gefahren werden, mit Folgen für
Amplitude und Frequenz der Lenkbewegung.
Als Gadget für Leute mit Spieltrieb, das in speziellen
Verkehrssituationen vielleicht mal ganz nützlich sein kann, oder bei
Bewegungseinschränkungen (ich denke da an die zu Zeiten gern bemühte Oma
mit Genickstarre, auf dem wie ein Motorad gefahrenen Pedelec) sehe ich
ein Anwendungsfeld.
Heute sind es aber eher Pärchen mittleren Alters, die man da sieht, auf
E-Bikes, Warnweste, Winterkleidung bei Aussentemperaturen von deutlich
über 20 Grad, hoch aufgerichtet, einen Display vor sich, das schon aus
der Ferne was hermacht, und links und rechts zwei üppige Spiegel. Die
Dinger werden wie gewisse Motorräder gefahren. Ob die Spiegel da
tatsächlich bestimmungsgemäß eingesetzt werden, vermag ich nicht zu
beurteilen, möglich wäre es. Verblüffend ist, wie einheitlich das
Outfit dieser Leute ist, das ist noch krasser, als man es bei
Rennradfahrern in vollem Ornat sieht.
>
>> Aber das nur nebenbei, um ein Motiv zu verraten, den Rückspiegel auf
>> einem normalen Fahrrad nicht zu einem unverzichtbaren Utensil werden zu
>> lassen.
>
>Es ist auch nicht "unverzichtbar".
Nun ja, meine Einwände richteten sich gegen
"Aus gutem Grund sind Spiegel in Kraftfahrzeugen vorgeschrieben."
und
"Rückspiegel sind am Fahrrad nicht weniger notwendig und praktisch als
am Motorrad.",
gefolgt von
"Ich fühle mich unsicher auf einem Fahrrad ohne Rückspiegel",
also der einschlägigen Litanei aus dem Kapitel "gefühlte Sicherheit".
Originalzitat aus <
2c6hchtd660j1tcp0...@4ax.com> von
Martin Gerdes.
Etwas kürzer ausgedrückt, er hält Rückspiegel am Fahrrad für
unverzichtbar.
>Ich finde es nur sehr bequem und
>*möchte* es gerne so. Aber Fahrräder ohne Rückspiegel kann ich auch
>weiterhin unfallfrei fahren.
So formuliert habe ich keinen Einwand.
Mein Punkt war aber auch: Jeder, der kein Handicap hat, kann und sollte
lernen, wie man ohne Spiegel auch die rückwärtige Umgebung in den Blick
nimmt und das Gelernte durch Praxis frisch halten. Wenn es darum geht,
schnell und sicher auf öffentlichen Straßen Rad zu fahren.
Rückspiegel sind eine nützliche Erfindung, nicht nur für den Gebrauch an
oder in Kraftfahrzeugen. Auch gibt es Fahrräder, bei denen man nur
schwer ohne auskommt und Menschen, deren Gebrechen den Gebrauch
nützlich, manchmal sogar unverzichtbar erscheinen lassen. Aber Letztes
ist glücklicherweise die große Ausnahme, die man nicht zur Notwendigkeit
oder sogar zu einem Vorzug hochstiliseren sollte.
Der große Vorzug des Fahrrades, eines ausschließlich muskelbetriebenen
Fahrzeugs, besteht in der großen Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten und
Gebrauchsweisen, die trotz einer gewissen Konzentration eine hier und
heute optimale Standardform erstaunlich viele Bauformen generiert hat.
Essentielle Bestandteile eines Fahrrades sind neben mindestens zwei
Rädern ein meist mit den Füßen betriebener und als Tretkurbel
ausgelegter Antrieb. Ein gewisser Konsens besteht IMHO auch bezüglich
einer Bremse, die ein Fahrrad unter den Bedingungen, unter denen es
eingesetzt wird, genügend verzögert. Wie wenig das sein kann, sieht man
am Gebrauch von Hollandrädern in Holland, die legal nur die eine
Rücktrittbremse hatten, zu einer Zeit, als hier schon zwei unabhängig
voneinander wirksame Bremsen vorgeschrieben waren.
Als verzichtbar würde ich die zweite Bremse an meinen Rädern nicht
bezeichnen, vor die Wahl gestellt würde ich allerdings lieber mit zwei
guten Felgenbremsen herumfahren als mit nur einer Scheibenbremse, die,
frisch montiert und eingefahren, aber perfekt funktioniert.
Das ist aber keine für alle Zeiten zementierte Meinung, darüber läßt
sich diskutieren. Ich sehe jedenfalls einen Platz für unterschiedliche
Bauformen, incl. der Rücktrittbremse, sofern diese nicht alleinige
Bremse ist.
Eine ähnliche Sichtweise habe ich bei vielen Utensilien, die IMO häufig
weder die Eigenschaften, die ihre Fans ihnen andichten haben und
manchmal einen Verwendungszweck, der dem behaupteten Zweck und Nutzen
diametral entgegengesetzt ist. Mein Einwand gegen diese Untensilien
richtet sich nicht gegen deren Existenz oder, mit Einschränkungen, gegen
den Gebrauch, sondern gegen vollmundige Erklärungen, dass und warum
diese Utensilien generell unverzichtbar seien.
>
>[...]
>> Im Endeffekt lenkt der Blick in den Spiegel gerade in den
>> Fahrsituationen, in denen die Information vielleicht nützlich wäre, zu
>> sehr ab, als dass ich es riskieren würde, längere Zeit auf ein tanzendes
>> Spiegelbild in einem kleinen Spiegel zu starren.
>
>Ich "starre" auch nicht längere Zeit in ein "tanzendes Spiegelbild",
>sondern schaue da nur ab und zu mal rein. Und nein, mein Fahrrad ist
>nicht gefedert, geht trotzdem gut.
Dann hast du vielleicht das Glück, überwiegend auf perfekt asphaltierten
Fahrbahnen in mehr oder weniger flachem Gelände unterwegs zu sein. Ich
finde dergleichen in meiner Region zwar auch, aber selten. Und wo doch,
gibt es meist noch andere Faktoren, die eine Rolle spielen. Etwa den
Umstand, dass ich dort weder abbiegen will noch Gelegenheit zum
Überholen habe.
Nimm als Beispiel das Video, das ich auch hier schon mal gezeigt habe,
<
https://www.mystrobl.de/ws/pic/20210710/L113.mp4>
Faktor 20 beschleunigt, das reicht, um sich einen Gesamteindruck zu
verschaffen, notfalls spielt man es langsamer ab.
Das sind rund 3,4 km Strecke zwischen dem Ortsausgang von Volmershoven
und dem Ortseingang von Flerzheim, die ich da mit einem Schnitt von 32
km/h gefahren bin. Zeitbedarf genau sechs Minuten. Die Verbindung fahre
ich häufiger, wenn auch oft langsamer, vor allem, wenn meine Frau und
ich dort gemeinsam langfahren.
Was genau hätte ein Rückspiegel da genützt? Wenn ich in den Kreisel
einfahre, beanspruche ich rechtzeitig den gesamten verengten
Fahrstreifen. Um das tun zu können, muss ich mich rechzeitig vorher
genügend weit umschauen, um sicher zu sein, dass nicht gerade jemand zum
Überholen ansetzt. Die Entscheidung zur Umschau kann ich treffen, ohne
dafür einen Rückspiegel zu gebrauchen. Dasselbe gilt für Hindernisse,
denen ich ausweichen muss. Wenn sie weit genug entfernt sind, wenn ich
sie entdecke, habe ich genügend Zeit, mich umzuschauen. Wenn die Zeit
aber schon für den Schulterblick knapp wird, dann reicht sie gewiss
nicht, um erst in den Rückspiegel zu schauen und mich ggfs. dann erst
umzuschauen.