Also wenn ich das richtig verstehe, kritisiert da eine Stroemung von
Autofahrern, die ihr subjektives Sicherheitsgefuehl fuer Radfahrer in
Beton und Poller gegossen sehen will, die andere Stroemung von
Autofahrern, denen es in erster Linie um die Fluessigkeit und
objektive Sicherheit des motorisierten verkehrs geht. Beiden
Stroemungen ist gemeinsam, dass sie die Radfahrer weg haben wollen, so
oder so, und dass ihnen die objektive Sicherheit von Radfahrern egal
ist.
In DP16_BeckerSchwedes.pdf finde ich nur die Kritik an der (vermutlich
zu Recht) als wenig inklusiv empfundenen Zusammensetzung der FGSV.
DP17_Schwedes_et_al.pdf geht da schon eher in die Richtung:
|Die zweite These lautet: Forschung, die sich auf Zahlen bezieht, kann
|im Idealfall sehr präzise Hypothesen überprüfen; allerdings ist
|das Konstrukt der Sicherheit zu komplex,als dass es sich allein anhand
|von Zahlen und einer Negativdefinition abbilden ließe.
Allerdings folgt darauf zunaechst (Abschnitt 3.1) die Kritik an der
Verwendung nur von polizeilich erfassten oder schweren
Zusammenstoessen, dass das naemlich die Beinahezusammenstoesse und
leichten Zusammenstoesse unberuecksichtigt laesst, die das
Sicherheitsempfinden wegen ihrer groesseren Haeufigkeit staerker
beeinflussen.
Weiters kristisieren die Autoren, dass in Studien oefters zwar keine
empirischen Erkenntnisse zu einem bestimmten Thema ermittelt wurden,
diese aber trotzdem daraufhin gerne Empfehlungen zu dem Thema abgeben
(Abschnitt 3.3).
Im selben Abschnitt wird aber auch kritisiert, dass die ECF aus der
geringeren Unfallgefaehrdung bei Fuehrung auf der Fahrbahn und
Radstreifen bei Schnuell et al. eine eigene Empfehlung fuer die
Ersetzung von Radwegen durch Radfahrstreifen an Knotenpunkten
ableitet, waehrend Schnuell et al. schreiben "Allerdings lässt sich
aus dem Ergebnis nicht schließen, die Führung auf der Fahrbahn oder
auf Radfahrstreifen sei generell sicherer als die auf Radwegen." Ja,
ok, dazu muss man eben auch noch die Sicherheit zwischen den
Knotenpunkten heranziehen, aber da wollte der ECF ja auch gar nichts
aendern. Von daher kann ich diese Kritik an den Empfehlungen der ECF
mit Hinweis auf diese Studie nicht nachvollziehen; man koennte noch
einwenden, dass man zuvor untersuchen muesste, ob der Wechsel zwischen
Rad-weg und Randstreifen eventuell die Unfallgefaehr so weit erhoeht,
dass der genannte Vorteil ausgeglichen oder mehr als ausgeglichen
wird, aber das machen Schwedes at al. nicht.
Ah, im Abschnitt 4 geht's zur Sache: subjektive Sicherheit,
Komfortlevel. Immerhin steht da noch:
|Fraglich bleibt jedoch auch nach diesen Arbeiten, ob sie bereits alle
|Faktoren berücksichtigen konnten, die den Radverkehrsanteil
|beeinflussen können und woran es in Bezug auf die bestehende
|Infrastruktur liegt, dass sich ein nur so geringer Anteil für die
|Nutzung des Fahrrads erwärmen kann.
Kleiner Tipp: Es liegt an der Anzahl der Autoparkplaetze, daran, dass
Autos schnell fahren duerfen, und dass auch viel dafuer getan wird,
dass sie auch tatsaechlich schnell vorankommen (wenn es nicht zuviele
sind), und dass das ganze so billig ist, dass viele es sich leisten
koennen.
In Abschnitt 5 geht's dann weiter mit:
|[Wir schlagen] einen Ansatz vor, der nicht allein theoretisch
|hergeleitete Konstrukte in den Mittelpunkt stellt, um diese zu prüfen,
|sondern auch die Menschen, die die Infrastruktur nutzen sollen. Dies
|schließt sowohl diejenigen ein, die bereits Rad fahren,aber auch die
|„interessierten aber besorgten“ Menschen (Geller 2009; Dill & McNeil
|2013), die dies gern täten, sich aus den unterschiedlichsten Gründen
|bisher aber dagegen entschiedenhaben.
Ah, da sind sie, die Nicht/Auch-Radfahrer, fuer die der ganze
Firlefanz seit mindestens 30 Jahren gemacht wird, und die dann bei
Auto, Tramway, oder Schuster's Rappen bleiben. So neu ist der Ansatz
von Schwedes et al. nicht.
Durch die Hinzunahme qualitativer Erhebungsmethoden ist es möglich,
ein umfassenderes und ganzheitliches Verständnis eines Gegenstands zu
erlangen und dabei Neues zu entdecken, statt allein Bekanntes zu
bekräftigen. In Fokusgruppen oder problemzentrierten Interviews kann
ermittelt werden, welche konkreten Probleme sich für Nutzer*innen aus
der bestehenden Infrastrukturgestaltungergeben, welche Entscheidungen
deshalb getroffen werden und aus welchen Gründen bestimmte
infrastrukturelle Elemente als besonders störend oder hilfreich
eingeschätzt werden.
Ich waere sehr ueberrascht, wenn da etwas anderes herauskaeme, als die
naechste Variante der Separation, die dann, oh Wunder, den
Radverkehrsanteil ebenfalls nicht steigern kann.
Warum ich da so skeptisch bin? Selbst wenn die Forscher da nicht
schon mit der Grundidee der Separation und des Vorrangs des MIVs
hineingehen wuerden, werden ihnen diese Grundsaetze bei den meisten
Interviewten (gerade bei den Nicht/Auch-Radfahrern) entgegenschlagen,
und sie selbst leben ja auch schon seit der Kindheit unter dem
Einfluss dieser Grundsaetze.
Das interessante ist, dass "subjektive Sicherheit" seit mindestens 20
Jahren fuer die Rechtfertigung von Randwegen (in allen Formen und
Farben) herhaelt (mit dem Argument hat im Jahr 2002 einer vom VCOe mir
gegenueber die Forderung des VCOe nach Radwegen gerechtfertigt, und
spaetestens 1999 ist "subjektive Sicherheit" hier in drf vorgekommen).
Jetzt werden die Radwege tatsaechlich schon laenger als 20 Jahre
gebaut, und wie Schwedes et al. selbst feststellen, hat das am
Radverkehrsanteil wenig geaendert. Dass die dann im Jahr 2021 noch
mit dem Argument daherkommen, man koennte den Radverkehrsanteil
steigern, indem man die subjektive Sicherheit erhoeht, liegt wohl am
Wunschdenken (bzw. ein Versuch, am Wunschdenken anderer anzudocken).
- anton
--
de.rec.fahrrad FAQ:
http://0x1a.de/rec/fahrrad/
Radfahrer sollten vor oder hinter fahrenden Kfz fahren und nicht daneben.
Ist der Radverkehr erst separiert, diskriminiert man ihn voellig ungeniert.