Am Thu, 04 Aug 2022 08:19:45 GMT schrieb
an...@mips.complang.tuwien.ac.at (Anton Ertl):
>Was mit dem VCD los ist? Das gleiche wie schon vor Jahren, und wie
>mit dem ADFC. Wasilis von Rauch hat mich 2016 mit einer Link- und
>Textflut von Separierungspropaganda zugeschuettet. Auf Gegenargumente
>ging er nicht ein; 6 Wochen spaeter schickte er mir dann noch eine
>Flut von Links und Texten. Nicht lang danach wurde er
>VCD-Vorsitzender.
Mein Eindruck ist, dass jeder, der einmal eine Position in einem Verein,
einem Verband oder einer Partei errungen hat, Argumente nicht mehr
zugänglich ist. Es ist schon schwer, eine Meinung zu ändern, die man
für sich behalten hat, schwerer, wenn man sie unverbindlich geäußert
hat, etwa im Usenet :-), aber fatal, wenn man sich als Funktionär darauf
festgelegt hat. Also tut so einer gut daran, es gar nicht erst zu
risikieren.
>
>>Statt weiterer Verdichtung in der Stadt
>
>Mein Eindruck ist, dass der MIV-Anteil vor allem eine Funktion der
>Bevoelkerungsdichte ist: Je weniger dicht, desto mehr Auto, aus
>mehreren Gruenden:
Die Korrelation und z.T. auch die Kausalität bestreite ich ja gar nicht.
Darum geht es aber nicht. Es erschreckt mich, wie verbreitet inzwischen
die entsprechende Propaganda ist. In der Welt konnte man entsprechende
Forderungen schon über die weit gestreuten Extrakte bemerken, beim
Spiegel, der solche Trends dann meist auch anfeuert, wird man auch damit
rechnen müssen (oder ich hab's übersehen). Es ist irre - wir erfahren
aus der Presse, dass die verfügbaren Flächen für die (Bus-)Bahnhöfe und
Haltestellen schon nicht mehr reichen, um mit zusätzlichen Zügen und
Bussen das Passagieraufkommen zu bewältigen und den zu den immer noch
partiell vorhandenen Stoßzeiten überquellenden Nahverkehr zu entlasten -
und gleichzeitig fahren die Busse draussen auf dem Lande leer oder kaum
besetzt herum.
Man kann es auch polemischer ausdrücken: wenn das über das ganze
politische Spektrum um sich greift, sich bei der Stadtbevölkerung zu
bedienen, um die Landbevölkerung zu bedienen, was kann es dann bessere
Argumente geben, als sich ein Auto pro Person zuzulegen und raus aufs
Land zu ziehen? Wer klug ist, hat sich nach der Abwrackprämie auch schon
bei der E-Auto-Prämie bedient und wird dann vielleicht auch auf einen
Zuschuss für die Ladestation an der Doppelgarage spekulieren. Wer
richtig klug ist, baut sich Photovoltaik aufs Dach, lädt damit und fährt
zum Nulltarif. Wen interessiert schon, dass mit der Produktion von
Fahrzeug und Straßen bereits ein Großteil des ökologischen Fußabdrucks
realisiert wurde?
Vielleicht ist einer dieser fatalen Kompromisse, auf die sich Vertreter
konträrer politischer Sichten so gut einigen können. Den ökologisch
Bewegten kann man das als "weniger Ressourcenverbrauch durch
Verdichtung" schmackhaft machen, der Landbevölkerung aber durch das
Versprechen, zusätzlich zu reichlich Platz und vergleichsweise billigem
Wohnraum und den gut ausgebauten und wenig befahrenen Straßen auch noch
einen preiswerten und komfortablen Bus- oder Schienenverkehr zu
bekommen. Wäre ich Autolobbyist, ich würde mir die Hände reiben.
>
>1) Es ist mehr Platz fuer das Auto da, bei hoher Dichte relativ
> weniger.
Ich kann das Argument "sollen die Städter doch ihre Autos aufgeben, die
brauchen keine, wir schon!" nicht mehr hören. Es ist eine weithin
gebetsmühlenartig wiederholte Formel, die dann auch so begründet wird,
wenn man nachfragt.
Wenn man mal die alteingesessene Bevölkerunga ausklammert, die es so
kaum noch irgendwo gibt, hat jeder seine Wahl im Rahmen seiner
Möglichkeiten selber getroffen und sich vom Auto freiwillig abhängig
gemacht, oder eben nicht. Stadt oder Land macht da keinen Unterschied.
>
>2) Es zahlt sich nicht mehr aus, auf Fussgaenger ausgerichtete
> Geschaefte zu eroeffnen (Entfernung zu weit), also macht man lieber
> ein Einkaufszentrum auf der gruenen Wiese mit grosszuegigen
> Parkplaetzen.
Wir haben hier in Deutschland IMHO schon fast die Verhältnisse, wie ich
sie aus dem autozentrierten Frankreich kenne: die großzügigen
Einkaufszentren mit noch größeren Parkplätzen am Rande der Städte haben
nicht nur ein umfangreicheres Angebot als die kleineren in den Städten,
sondern auch ein besseres. Das war hier nicht immer so. Und die
Veränderung betrifft auch die Stadt, und zwar negativ.
Die jetzt schon zu hohe Verdichtung der Städte ist mit ein Grund dafür:
es fehlt an Lager- und Gewerbeflächen, das Lager wird zunehmend auf die
Straße verlegt - und dann ist es billiger, wieder größere Fahrzeuge von
weiter draussen herumfahren zu lassen, die aber nur Kleinstmengen
ausliefern, der Verkehr nimmt weiter zu, ein fataler Trend.
>
>3) Es zahlt sich nicht aus, einen attraktiven OePNV anzubieten, weil
> in fusslaeufiger Entfernung zuwenige Passagiere wohnen,
> insbesondere auch weil viele mit dem Auto fahren, weil das aufgrund
> von 1) und 2) so attraktiv ist.
Aus "es zahlt sich nicht aus" kann man unterschiedliche Schlüsse ziehen.
Der Ökonom würde genau so wie der Ökologe darauf hinweisen, dass 1 km
Schiene und 1 km Asphalttrasse pro Nase mehr Kapital benötigen bzw.
Umwelt/Ressourcen verbrauchen als 1 m Schiene und 1 m Asphalttrasse pro
Nase und dass es weder marktkonform noch ökologisch sei, das per
Subvention glattzubügeln. Tatsächlich lautet das Credo derzeit: es
zahlt sich nicht aus, also müssen wir es kostenlos machen, vor allem
aber auf dem Land, weil man da ganz besonders bedürftig ist.