Am Thu, 11 Aug 2022 16:20:04 +0200 schrieb Hannes Kuhnert
Ok, dann habe ich dich mißverstanden, sorry.
>
>Auch meine ich mitnichten, „alles“ sei ein Kompromiss.
>
>Nach meinem Verständnis ist aber jede Radgrößenwahl ein Kompromiss, bei
>allen Fahrradarten gleichermaßen.
So formuliert, ja. Ein wenig geht mir hier aber doch der Aspekt
verloren, dass der für den Gebrauch auf Strassen variierender Qualität
gebräuchlichste Fahrradtyp zu einem Radgrößenbereich tendierte, der
gewissermassen das Optimum darstellt, wenn man eben _keine_ Kompromisse
schließen muss, die z.B. darauf hinauslaufen, viel kleinere Felgen zu
verwenden, um u.a. eine Federung und dicke Reifen unterzubringen, die
das Fahrrad geländetauglich machen, oder noch viel kleinere, um
Liegeräder oder vernünftige Falträder realisieren zu können.
Freilich kann man den Gebrauch des Fahrrades als Verkehrsmittel auf
Straßen zu einem Sonderfall wie jeden anderen erklären, da gehe ich aber
nicht mit.
>Ich sehe nämlich in jedem Fall gute
>Gründe für größere und für kleinere Räder, womit die Entscheidung für
>eine bestimmte Größe eben das ist: ein Kompromiss.
Natürlich. Das Fahrrad ist vom Prinzip her ein Kompromiss, weil es die
Möglichkeiten und Grenzen eines zweibeinigen Lauftiers mit denen eines
kurbelbetriebenen Räderfahrzeugs zusammenbringen muss. Das Ergebnis
dieses Kompromiss ist das, was im Laufe des letzten Jahrhunders aus dem
Stanley- oder Rover-Saftetybicylce geworden ist.
Das ist aber nicht die Art Kompromiss, von dem du sprichst. Du sprichst
von Kompromissen, die man schließen muss, wenn man mit dem Rad nicht
variierende Straßenverhältnisse möglichst komplett abdecken will,
sondern nur das, was übrigbleibt, wenn für einen Spezialfall optimiert
wurde. Dann nimmt man halt Einschränkungen an anderer Stelle hin, von
der Notwendigkeit von zusätzlichen technischem Aufwand bis hin zu
eingeschränkter Leistungsfähigkeit beim Gebrauch auf der Straße.
>
>Nicht in jeder Hinsicht teilen möchte ich die Auffassung, es wäre für
>/normale Fahrräder/ genau ein Reifendurchmesser etabliert.
Das ist eine Spitzfindigkeit, die zu nichts führt. Selbstverständlich
ist es nicht "genau ein Reifendurchmesser", sondern ein Bereich von
Durchmessern, bei dem das angenommene Optimum entsprechend innerhalb des
Anwendungsbereichs "Straßenfahrzeug" schon deswegen variiert, weil die
Menschen unterschiedliche Körpermaße haben. Das geht durchaus bis zu dem
Punkt, dass der Reifen eines Spezialrades bei ungewöhnlichen Körpermaßen
besser geeignet sein können. Wenn man aber realisischerweise annimmt,
dass eine Standardreifengröße pro Anwendungsbereich besser ist viele
unterschiedlichen Größen je Anwendungsbereich, im Extremfall als
Maßanfertigung pro Einzelfahrrad, u.a. weil das einen Rattenschwanz an
Anpassung an anderen Komponenten nach sich zieht, dann ist eine
Standardgröße für den Standardfall das, was man erwartet und über
längere Zeiträume auch hat.
>In meiner
>Kindheit gab es unter den Aufrecht-Fahrrädern für den Straßengebrauch
>für Erwachsene selbstverständlich „26er-Fahrräder“ und „28er-Fahrräder“.
In meiner Kindheit nicht, da kam nach dem 24er (ein Kinderrad) das 28er,
als Jugendlichen- und Erwachsenenrad. 26 mag es als wahlweise Kinder-
oder Erwachsenenrad gegeben haben, ich erinnere mich aber nicht, das
dergl. in meinem Umfeld gebräuchlich gewesen wäre. IMHO wären _zwei_
Standardgrößen für konventionelle Straßenfahrräder durchaus
wünschenswert gewesen, jedoch war der Konvergenzdruck, der dann nur noch
das 28er als Erwachsenenrad übrigließ, offenbar stärker. 26er erlebten
dann erst mit dem MTB eine Neuauflage, aus einer ganz anderen Richtung
und gewiss nicht als Strassenfahrrad.
>Erst später hat sich das in meinem Umfeld weitgehend auf „28er“,
>ETRTO 622, verengt. Es gibt aber nach wie vor auch anderes zu kaufen und
>fahren tun erst recht auch noch viele „26er“.
https://geizhals.de/?cat=spradtrack
<26"(20) 27.5"/650B(19) 28"(673) 29"(15)>
26" sind überwiegend Damenräder/Tiefeinsteiger, davon vier oder fünf
solche von Winora, die vom Anbieter so beschrieben werden:
''Mit dem "Streethammer Y" bietet Winora ein Crossrad für Jugendliche.
Mit der Straßenausstattung wird es zum sportlichen Rad für den täglichen
Einsatz.'' Besonders hervorgehoben wird die Federgabel.
<
https://geizhals.de/?cat=spradkinder>
12"(41) 14"(17) 16"(44) 18"(24) 20"(97) 24"(88) 26"(39)
>Darüber hinaus bin ich der
>Ansicht, dass zwar ETRTO 622 in vielen Fällen eine gute Größe ist, aber
>auch in vielen Fällen, wo ETRTO 622 genutzt wird, ETRTO 559, 571 oder
>584, in einigen Fällen größeres wie ETRTO 642 eine bessere Wahl wäre.
Sicher. Wenn man Zeit, Geld und Geduld für eine Maßanfertigung hat, die
auch beliebige Reifengrößen zuläßt, oder auf dem Reißbrett läßt sich
immer eine Geometrie und Ausstattung skizzieren, die besser ist als das,
was man für wenig Geld von der Stange bekommt, oder mit wenig mehr Geld
aus den verfügbaren Standardkomponenten zusammengebaut. Das ändert
nichts daran, dass 622 nicht ohne Grund die Standardgröße für
Straßenfahrräder geworden ist.
>Damit plädiere ich nicht für eine feingliedrige Streuung – mit ihren
>negativen Folgen für Preise und Teileverfügbarkeit –, sondern deute nur
>an, dass meines Erachtens technisch-funktional mindestens zwei
>prominente Laufradgrößen angebracht wären, wo heute ETRTO 622 das
>Neunormalfahrradangebots massiv dominiert. Dass ETRTO 622 da derzeit
>nicht etwa bei 50% oder 70%, sondern gefühltermaßen bei 95% liegt,
>betrachte ich nicht als technischen Kompromiss, sondern als ästhetische
>Mode.
Bzgl. "zwei Laufradgrößen" stimme ich zu, darauf bin ich längst schon
einfach deswegen gekommen, weil meine Frau mit einem Rennrad mit
26er-Rädern etwas besser bedient wäre. Wünschenswert wäre das. Es macht
den Umstand, dass _eine_ Standardgröße statt zweier offenbar objektive
Vorteile hat (Preise, Teileverfügbarkeit, du schreibst es ja selber),
aber nicht zu einer ästhetischen Mode. Schon gar nicht, wenn man
bedenkt, dass durchaus Versuche unternommen werden, unsinnige
Variationen qua Fashion in den Markt zu drücken.
>
>Hier habe ich die zuvor betrachteten Geländefahrräder bewusst außer acht
>gelassen.
Hier sehe ich tatsächlich eher Fashion am Werk, um eine unschöne, aber
profitable Differenzierung beizubehalten.