Am Sun, 30 Apr 2023 00:01:45 +0200 schrieb Arno Welzel
<
use...@arnowelzel.de>:
Auch. Da liest man in der Überschrift die vollmundige Formulierung
| Pedelec fahren steigert Fitness und Gesundheit
Es erhält also nicht bloß die Fitness und Gesundheit, es steigert sie
sogar! Und mühelos!
In der Einleitung wird nachgelegt:
| Forschende der Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin
| an der Medizinischen Hochschule liefern erstmals konkrete
| Messdaten und konnten zeigen, dass Pedelec fahren
| gesundheitsfördernd ist.
Viele beeindruckende, wuchtige Begriffe. Erstmals! Konkret! Messdaten!
Gesundheitsfördend! Aber keine Einschränkung irgendwelcher Art bzgl. wer
fährt, wie gefahren wird und was mit gesundheitsfördernd konkret gemeint
sein könnte.
Was lernt der Leser? Ich habe da eine Idee. Die folgende Skizze
beschreibt eine mögliche Reaktion, die mir plausibel erscheint, sogar so
oder in Variationen regelrecht naheliegend.
Der gesunde Fünfzigjährige, der schon ein wenig Speck um die Hüften
angesetzt hat und merkt, dass er nicht mehr ganz so leicht die Treppen
hochkommt, hat kürzlich probiert, das alte Rad nicht nur für die Fahrt
zum gelegentliche Bowling mit seinen Kumpels zu nutzen, sondern am
Wochenende ganz gemütlich, aber mal etwas weiträumiger herumzufahren.
Dass ihm auch das nicht mehr so leicht gefallen ist wie in seiner
Jugend, schreibt er dem Umstand zu, dass das alte Rad halt schon recht
abgenutzt ist und zwecks Inspektion zum Händler müsste, um es auf
Vordermann bringen zu lassen. Gesagt, getan, er packt das Rad in den
Kofferraum und fährt zum Händler.
Dprt sieht er, rein zufällig, einen Ausdruck des verklinkten Artikels
auf dem Tresen liegen und überfliegt ihn beim Warten.
Das Bild zweier junger Leute auf Pedelecs
<
https://www.hannover.de/var/storage/images/_aliases/alias_1600xVariabel/9/7/7/5/23905779-1-ger-DE/a51fd3a8d7ed-mhh_E_Bike_Studie-teaser.jpg>
spricht ihn an, dito die weiteren Überschriften "Herz-Kreislaufsystem
wird gefordert" und "Niedrigerer Hemmschwelle". Folglich dreht sich das
Gespräch nur beiläufig um sein altes Rad, und mehr darum, ob es nicht
wirtschaftlicher sei, das Geld nicht in ein veraltetes Rad zu stecken
("Schaun' sie, auch das Tretlager hat schon Spiel, auch der Steuerkopf
macht mir Sorgen, ..., und die Bremsen, ich sag' mal nichts dazu, nur
soviel: wir verkaufen fast nur noch Räder mit Scheibenbremsen").
Geschickt leitet der Verkäufer dann darauf über, dass man für das, was
man aktuell für ein gutes Fahrrad bezahlen muss, schon ein günstiges,
aber trotzdem brauchbares Pedelec bekäme, mit dem man ja praktisch auch
Fahrrad führe, nur besser. Geschickt überlässt der Händler dem Kunden,
darauf hinzuweisen, dass man "entgegen vieler Vorurteile das
Herz-Kreislaufsystem beim Pedelecfahren nahezu so gefordert werde wie
beim herkömmlichen Radfahren“. Der Entschluss, kein neues Fahrrad,
sondern ein Pedelec zu kaufen, ist dann schnell gefasst.
Natürlich wird es kein "preiswertes" Pedelec, das nur 200% der
Eigenleistung zugibt, sondern ein schickes E-MTB mit dem neuesten
Boschmotor, der nicht nur 340% zugeben kann, sondern via "extended
Boost", mit dessen "einzigartigen Dynamik" sich Hindernisse durch
"situativen Druck auf das Pedal leicht überwinden" lassen, dem Fahrer
regelrecht Flügel verleiht. Besser und angenehmer kann man doch kaum
etwas für seine Gesundheit tun. Und man will sich ja schließlich nicht
lumpen lassen.
<
https://www.bosch-ebike.com/de/help-center/was-ist-der-extended-boost-e276>
Der Postillon hat den grundsätzlichen Ansatz in
<
https://www.der-postillon.com/2019/07/e-heimtrainer.html> sehr schön
aufgespießt.
Der zitierte Artikel ist übrigens ein prächtiges Beispiel dafür, wie man
die intendierte Werbebotschaft bei der Zielgruppe unterbringt, sich
durch ein paar nachgeschobene und schnell überlesene Einschränkungen
aber den Hintern freihält. Das steht dann z.B.
| Die Herzfrequenz der Pedelecfahrer lag dabei während des
| Radelns, unter Berücksichtigung der Therapien mit
| ß-Blockern, nur fünf Schläge pro Minute unter der der
| Fahrradfahrer.
Sie lag also im Mittel NIEDRIGER. Wer schon mal seine Herzfrequenz im
Rahmen eines länger andauernden systematischen Trainings gemessen hat,
weiß, dass diese einerseits durch die gesundheitliche Situation
(Infekte, Überanstrengung und Erholungsbedarf, durch andere Aktivitäten,
Streß, ...) unerwartet variieren kann, dass es aber andererseits
erstaunlich schwer ist, die länger durchzuhaltende mittlere Herzfrequenz
um solche in dieser Darstellung läppisch wirkende Beträge zu steigern.
Das ist aber nur ein Aspekt. Es wird hier so getan, als seien die
Fahrradfahrer eine valide Kontrollgruppe. Stattdessen wird etwas
verschämt eingeräumt (Hintern bedeckt halten, siehe oben),
| Die Gruppe der Pedelec-Nutzer war im Durchschnitt etwas
| älter als die Nutzer herkömmlicher Räder, hatte einen
| höheren Body-Mass-Index und litt auch häufiger an
| Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Asthma, oder
| Herzerkrankungen.
und
| Über 35 Prozent der teilnehmenden E-Bike Fahrer haben
| Vorerkrankungen wie zum Beispiel einen Herzinfarkt,
| Bluthochdruck oder Gelenkverschleiß.
Zwei schon offensichtlich unterschiedliche Personengruppen auf diese
Weise zu vergleichen ist Kaffeesatzleserei. Um herauszufinden, dass
dann, wenn man etwas mehr körperlich vorgeschädigte Leute auf E-Bikes
setzt und etwas weniger geschädigte auf Fahrräder und sonst keine
Vorgaben macht, sich Erstere noch etwas weniger anstrengen als Letzere,
der Puls bei den E-Bikern etwas weniger hochgeht, die aber etwas weiter
fahren, ist durch die Motorisierung zu erwarten.
Ob sich bei der einen oder der bei der anderen Gruppe ein konkreter
gesundheitlicher Effekt ergeben hat, etwa eine anhaltende
Leistungsteigerung, woran das festgemacht wird, in Vergleich zu was,
läßt sich dem Artikel nicht mal andeutungsweise entnehmen. Der
mutmaßliche Ansatz, dass man einfach zwei nicht kontrollierte
Personengruppen genommen hat, hier die Motorisierten, da die Radfahrer,
die gemessenen Unterschiede beim Puls für unerheblich erklärt, das dahin
zu verallgemeinern, dass es überhaupt keine Unterschiede gäbe, daraus
dann, dass Pedelecfahren gesund sei, weil _Radfahren_ ja gesund sei -
das ist ein wenig zu simpel, als dass ich das den Autoren dieser Studie
unterstellen möchte. Man kann ihnen aber durchaus unterstellen, eine
Steilvorlage geliefert zu haben, auf deren Basis dann solche Artikel
produziert werden, die reines E-Mofa-Marketing sind.
Fazit
Ingesamt lassen sich aus der Darstellung keine sinnvollen Erkenntnisse
gewinnen, aber die Werbebotschaft, so wie sie unser Bowlingspieler (und
sein Händler) verstanden hat, ist sonnenklar. Es bestätigt jedenfalls
mein Vermutung, dass es sich um ziemlich aburde Hoffnung handelt, der
Ersatz von Muskelleistung durch Motorleistung würde diese Muskelleistung
zwar eliminieren, nicht aber deren gesundheitlichen Effekte.
Ich halte es da mit Sagan: "extraordinary claims require extraordinary
evidence". Dies hier ist keine.
>
>> Ob sich dieses optimistischen Hoffnungen in längerfristig angelegten
>> Studien mit soliderem Design halten läßt, muss die Zukunft zeigen. Klar
>> ist aber, dass dieses Ergebnis einem populären Wunschdenken entspricht.
>> Man fühlt sich an die Anzeigen "Bauch weg ohne Mühe in nur zwei Wochen,
>> durch unser patientiertes Reizstromgerät!" auf der Rückseite der
>> Fernsehprogrammbeilage der damaligen Papierzeitungen erinnert.
>[...]
>Es geht allerdings nicht um "Bauch weg" o.Ä. und auch nicht um besondere
>sportliche Leistungen.
Aber es geht um eine Werbemasche und um Wunschdenken, welches die
einzige reale Substanz solcher Artikel ist, und möglicherweise auch der
Studie, auf der sie basieren.
>Und das bereits leichte Bewegung - z.B. zu
>regelmäßig zu Fuß gehen - der Gesundheit förderlich ist, ist eigentlich
>keine neue Erkenntnis.
Das hätte der Händler, der unseren Bowler beriet, diesem auch sagen
könnnen: "Wenn sie bloß so radfahren wollen, wie sie spazieren gehen,
dann brauchen sie kein E-Bike und nicht mal ein besonders aufwendiges
und teures Rad. Ich hab' hier ein schönes, gar nicht teures Sportrad, da
könnte ich ihnen ein kleineres vorderes Kettenblatt montieren, damit
kommen sie jeden Hügel hoch, ohne ins Schwitzen zu kommen. Oder, wenn's
teurer sein darf und wartungsfrei, nehmen sie eine moderne
Nabenschaltung, wie die Rohloff."
Hat er aber nicht. Stattdessen hat er ihm ein E-Bike verkauft, mehr
verdient, sich ein langfristiges Zusatzsgeschäft gesichert und
inkaufgenommen, das der Kunde sich bei der Nutzung vmtl. _weniger_
anstrengen wird, als er es täte, wenn er einfach spazierenginge. Und
viel weniger, als wenn er ein Fahrrad in ähnlicher Preislage gekauft
hätte und damit gefahren wäre. Denn unser Bowler ist erst fünfzig,
weder fettleibig noch sonstwie gesundheitlich geschädigt. Noch. Ob er
es bleiben wird, muss die Zukunft zeigen. IMO sind seine Chancen
deutlich gesunken.
>
>Aber vermutlich gilt, dass wer auf dem Fahrrad kaum mehr als 15-20 km/h
>in der Ebene fährt, vermutlich auch nichts für seine Gesundheit tut,
>selbst wenn auf diese Weise täglich eine Stunde verbracht wird.
Das Problem ist, dass man nun mit dem E-Bike motorisiert 15-25 km/h
fahren kann, nicht nur in der Ebene, nicht nur auf Asphalt sondern auch
die Hügel rauf, auf Sand und Schotter, damit eine Viertelstunde mehr
verbringen kann, sich vormacht, richtig was geschafft zu haben -
tatsächlich aber messbar noch etwas_weniger_ für seine Gesundheit getan
hat als ohne den Motorantrieb.
Das wäre soweit kein Problem, bliebe nicht ein Unterschied, den ich
inzwischen bis zum Abwinken angesprochen habe: wo der Mensch auf dem
richtigen Fahrrad immer wieder mit Situationen konfrontiert wird, die
ihn vor die Wahl stellen, sich entweder etwas mehr anzustrengen, oder
auf eine unangenehme Weise zu scheitern, schaltet der Pedelecfahrer
einfach von Eco auf Turbo, wenn er oder sie nicht eh dauernd auf Turbo
fährt, weil: der Akku ist ja gross genug.
Examplarisch: die Ampel wird nicht mehr erreicht, man schafft das
Anfahren am Berg nicht oder den kurzen Anstieg nicht, steigt also ab und
schiebt - ärgerlich, man wird bei Gegenwind so langsam, dass Steuern
schwierig wird, man kommt nicht rechtzeitig zum Termin an, wenn man
nicht etwas schneller fährt, etc. Ich bin sicher, dass die meisten
Nutzer von richtigen Rädern noch viel mehr Situationen schildern können,
vom Gepäcktransport bis zum Ärger mit halb platten Reifen.
Dass Radfahren aus eigener Kraft fordert und manchmal überfordert, ist
Fakt und unbestritten. Man kann das als _das_ zentrale Argument für
Pedelec verwenden. IMO ist es das entscheidende Argument _gegen_ diese
Konstruktion.
Wäre ich zynisch, würde ich behaupten, die Wahl, welches der beiden
Argumente man vorzieht, hinge davon ab, ob man daran wie der Händler
direkt verdient oder sonstwie davon profitiert, dass man Leute vorzeitig
krank macht und deswegen einen verengten Blick entwickelt. Da ich kein
Zyniker bin, belasse ich es bei der Vermutung, es handele sich um einen
auf Wunschdenken basierenden Irrtum.
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Thank you for observing all safety precautions