Am Tue, 6 Feb 2024 22:56:04 +0100 schrieb "Peter.Fronteddu"
<
nopi...@web.de>:
>Am 06.02.2024 um 18:30 schrieb Anton Ertl:
>
>> Ja, es ist eine gute Frage, wie sich bei 60% Radfahreranteil (nicht
>> Radverkehrsanteil) in Wien (und einem noch hoeheren anderswo), bei
>> gleichzeitig 9% Radverkehrsanteil, wo also die meisten selbsternannten
>> Radfahrer ihre Wege nicht mit dem Rad zuruecklegen dieses Kopf-Problem
>> geloest werden kann.
>
>Mei, das kriegst Du dann raus, wenn die Alternative erlebt wurde. Ich
>fahr heute auch anders Auto, als ich vor meinen 10 Jahren
>Alltagsradlerzeit gefahren bin. Rücksicht lernt man, wenn man sie selbst
>gebraucht hat/hätte ;)
Aber die meisten Neulinge wissen es besser, als diejenigen, die diesen
Lernprozess schon vor zehn oder dreissig Jahren weitgehend hinter sich
hatten.
Einer der Gründe, warum wir nach den zehn Jahren praktisch vollständiger
Autoabstinenz, in denen wir unsere Kinder großgezogen hatten, seit 25
Jahren wieder ein Auto angeschafft und dann auch behalten haben, war die
Erkenntnis, dass sich gegen diese Variante des "ewigen September"*),
gegen die manigfaltigen Irrtümer von naiven "Rad weg"/
"Radinfrastruktur"/"Schutzkleidung"/"E-Mofa"-Frischlingen nicht
anstinken läßt. Es kommen immer zu viele Unbedarfte hinzu, die nur kurz
dabeibleiben, sowohl räumlich wie zeitlich, als es die wenigen
kompensieren können, die dranbleiben.
Der Radverkehr stagniert seit vielen Jahrzehnten auf niedrigem Niveau,
überall dort, wo er nicht durch günstige geografische Situationen
(kleine, von Autobahnenringen erdrosselte Küstenstädte) begünstigt wird,
weil er von denjenigen dominiert wird, die von zügigem, sicheren
Radfahren absolut keine Ahnung haben. Ein interessantes Forschungsthmema
könnte die Ursachenforschung sein (Konjunktiv!). Meine Hypothese ist: es
interessiert keinen. Radfahren als Lifestyle statt als Mittel zum Zweck
lebt davon, mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Eindruck zu
schinden. Das u.a. hat den Pedelec-Boom verursacht.
>
>Aber solange das Auto immer noch erfolgreich und in epischer Breite von
>Politik und Industrie als Freiheitsindividualismusvorzeigedingsbums
>vermarktet wird - solange ändert sich halt nix.
Eine nahezu perfekte Illustration, die ich vor drei Jahren beiläufig in
einem Artikel
<
https://www.mystrobl.de/ws/pluspora/plainpostings/20210716t1121-ein_trauriger_blick_in_die_hiesige_region.html>
kommmentierte, hat das Radverkehrs-Fachblatt Spiegel in
<
https://archive.is/LRPEe> geliefert. Ich zitier' mal nur den
betreffenende Abschnitt aus meinem Text:
| Wenn ich aber die teils unbeholfenen, teils sehr
| professionellen Berichterstattungen im WDR, im Spiegel und
| anderen Massenmedien Revue passieren lasse, beschleicht mich
| das Gefühl, Werbesendungen für Prepper zu sehen, mal subtil,
| mal überhaupt nicht subtil, in denen Gründe geliefert
| werden, sich doch lieber nicht den einen schwach
| motorisierten Wagen oder besser gar kein neues Auto zu
| kaufen, sondern den neuesten dicken Hybrid-SUV mit großer
| Bodenfreiheit, Kuhfänger und reichlich PS. Notfalls drapiert
| man oder frau es mit einem Weibchen, das neben einem Toyota
| Land Cruiser plaziert gerade ein Rennrad dem Kofferraum
| dieses Sport-LKW entnommen hat, an einer Joe Blow
| Standluftpumpe herumfingert und dabei eine schlechtere Figur
| macht als dieser geschickt im Hintergrund aufgebaute
| Schickimiki-Geländewagen. Der protzt in einer Version, die
| etwas hermacht, mit 415 PS entsprechend 305 kW und fährt 210
| km/h. Die Wikipedia schreibt dazu
|
| Der Toyota Land Cruiser wird, besonders in asymmetrischen
| Konflikten, häufig als sogenannter „Technical“
| eingesetzt.[12] Die Präsenz des Land Cruisers und des Toyota
| Hilux in den vom Islamischen Staat besetzten Gebieten im
| Irak, in Syrien und Libyen ist so auffällig, dass sich das
| US-Finanzministerium an den Hersteller gewendet hat. Der
| Autobauer soll bei der Klärung der Frage behilflich sein,
| wie der Islamische Staat an die vielen Fahrzeuge gekommen
| sei.
>
>Notbehelf sind höhere Strafen die auch durchgesetzt werden.
Wie es bei anderen kriminellen Handlungen ja durchaus nicht unüblich
ist. Es ist ein Unding, dass Totschlag durch Nachlässigkeit als
Kavaliersdelikt gilt und auch so behandelt wird, wenn die Tatwaffe ein
Auto ist. Dass das Risiko für Radfahrer nicht größer ist als für
Fußgänger, zu denen auch Autofahrer mutieren, wenn sie ihre Fahrzeuge
verlassen und dass das Risiko insgesamt nicht groß ist (wie Tom in
<
https://radunfaelle.wordpress.com/> ausführlichst dokumentiert, ändert
nichts an dem Umstand, dass die Leute es generell so empfinden (wollen),
auch um ihren exzessiven und nachlässigen Autogebrauch vor anderen und
vor sich selbst zu rechtfertigen.
Weit besser als dieser Notbehelf wäre es aber, die Radverkehrspolitik,
wie sie von allen Parteien von ganz links bis ganz rechts und von
praktisch allen Radfahrervertretungen (incl. ADFC und VCD in
Deutschland) vertreten wird, komplett auf den Kopf zu stellen.
Was hieße das? Etwa so etwas:
<----------snip----------->
Wir verzichten ab sofort darauf, den Leuten Angst vor dem Radfahren aus
eigener Kraft zu machen, mit Werbung für bizarre Kleidung, für die
Flucht in Schonräume und Verkehrskindergärten für Erwachsene, wir
verzichten darauf, Legenden über die Notwendigkeit einer Motorisierung
selbst des letzten Fahrrades zu verbreiten.
Stattdessen wollen wir in Zukunft zu einer Kultur und Sichtweise
beitragen, die Radfahren als eine für fast jeden, vom Kleinkind bis zum
Greis mögliche, erfreuliche und leichte Art der Fortbewegung sieht, die
neben ihrem eigentlichen Zweck: Transport, eine Serie von nebenher
erlebbaren erfreulichen Begleiterscheinungen hat. Wir haben verstanden,
dass es beim Rad wie bei jedem Werkzeug zwar erforderliche Fertigkeiten
gibt, die erworben werden müssen, dass es für seinen Gebrauch aber weder
der Sonderwege noch einer stigmatisierenden Bekleidung bedarf.
Unser Beitrag wird in Zukunft deshalb darin bestehen, die Interessen von
Radfahrern als gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern zu vertreten,
statt den den Bau von und den Rückzug in obligatorische Schutzräume
propagieren, statt Fahrkurse für Pedelec-Fahrer werden wir Aktionen wie
"Mit dem Rennrad zur Arbeit" planen und Kurse wie "Ausdauertraining mit
dem Alltagsrad" anbieten. Ziel ist es, im hier und jetzt die längst
vorhandene Infrastruktur, man nennet sie Fahrbahn, mit gewöhnlichen
Fahrrädern zu zu nutzen und das so flott, leicht und erfreulich, wie es
nur sein kann.
<----------snip----------->
>Und
>Zwangsmassnahmen zur Reduzierung der Geschwindigkeit. Shared Space kann
>man ja machen. Braucht als dafür verantwortlicher Politiker allerdings
>ne gute Exit Strategie ;)
Wenn man das so wie üblich macht, dann ja. Zwingend ist das nicht.
>
>Man könnte auch das Autofahren einfach teurer machen, indem man die
>echten Kosten einpreist.
Der Weg dazu war schon vor 50 Jahren offensichtlich: das AutoFAHREN (und
das Fliegen!) teurer machen, indem man den Treibstoff teurer macht und
parallel die Limits verschärft, Tempolimits, Nachtflugverbot. Und wenn
jetzt jemand "abbbber, abbber EV" sagt: wenn wir verpflichtend
intelligente Zähler in den Häusern bekommen, dann sollte ein
entsprechendes manipulationssicheres Gerät in Auto - einem
lebensgefährlichen Gerät, dessen Betrieb in der Öffentlichkeit ein
Privileg ist, kein Recht - wohl erst recht kein Problem sein.
>Dann ist deutlich weniger los. Fand ich mal ne
>gute Idee. Heute nicht mehr so, weil im Prinzip zwar richtig aber die
>Nebenfolgen sind nicht so dolle.
Weil?
*)
<
https://de.wikipedia.org/wiki/Eternal_September>