Am Sat, 23 Oct 2021 09:03:49 GMT schrieb
an...@mips.complang.tuwien.ac.at (Anton Ertl):
>Bernhard Kraft <
bernha...@web.de> writes:
>>Ich hatte mal eine Diskussion mit einem Sportler über den Sinn eines
>>Pedelecs. Am Ende kam dabei heraus, dass der nur deswegen ein Pedelec
>>hat, weil er nicht gerne bergauf Fahrrad fährt.
>Wobei das m.E. tatsaechlich eine der Sachen ist, die am
>schmerzhaftesten zu lernen sind (und manche (viele?) lernen vielleicht
>stattdessen, diese Situation zu vermeiden, z.B. mit einem Motor). Man
>ist gewohnt, ein gewisses Tempo zu fahren, und bei einer Bruecke oder
>so gibt man halt kurzfristig deutlich mehr Leistung, um das Tempo zu
>halten. Aber wenn man dann an eine richtige Steigung kommt, dann
>funktioniert das nicht. Und weil man noch kein Gefuehl dafuer hat,
>wieviel der Koerper dauerhaft leisten kann, faehrt man zu schnell
>hinauf, und ist voellig erschoepft, bevor man oben ist.
Genau das. Vor ein paar Monaten, es ging um den Entwurf von neuen
Rennrädern, lag mir einer meiner Söhne damit in den Ohren, bei der
Schaltung auf die langen Entfaltungen zu verzichten, zugunsten von
kürzeren, um für starke Anstiege besser gerüstet zu sein. Also noch über
das hinausgehend, was wir mit den Rennrädern und 3x10 und 30v/25h bzw.
30v/28h am kurzen Ende schon seit Anfang 2010 schon haben.
Zunächst war ich geneigt, "erzähl' mir etwas, das ich noch nicht weiß
und jedem erzähle, der es hören oder auch nicht hören will!" zu
kommentieren, dann ist mir aber bewußt geworden, dass meine
Angewohnheiten vielleicht nicht typisch sind: ich hatte jahrzehntelang
auf dem Weg zur Arbeit einen Ampelsprint nach dem anderen zu bewältigen.
Dabei entwickelt man genügend Muskulatur, die einen auch einen mäßig
langen Anstieg auch bei normalem Fahrtempo als nicht merklich
anstrengend erscheinen lassen, aber nicht unbedingt Ausdauer oder
ökonomisches Verhalten auf längeren Anstiegen.
Lange, schnell gefahrene Touren standen bei uns nie auf dem Programm,
weder in den Anfangszeiten vor 1980, da sind wir mit den Reiserädern
zwar 60-100 km weit, aber sehr gemächlich und im Flachland gefahren. Die
Touren und Radreisen mit den Kindern, als die noch klein waren, wurden
auch nicht schneller gefahren, sondern eher noch langsamer. Lange,
anspruchsvolle Radreisen oder lange, schnell gefahrene Tagestouren in
hügeligen Gegenden, von denen viele hier berichten können, hatte ich,
hatten wir nie auf dem Programm, auch nicht, nachdem die Kinder aus dem
Haus waren. Wo meiner Frau die Hügel zu steil waren, bin ich die halt
schnell hochgefahren und habe dann oben gewartet. Faktisch habe ich
meinen vom Arbeitsweg gewohnten Fahrstil beibehalten und so den
Leistungsunterschied kompensiert.
Insofern fehlt mir ein wenig das Gefühl für diese Probleme. Auch auf
meinen jetzigen Touren, bei denen ich in den letzten zwei, drei Jahren
durchaus gelegentlich auch mal 100 km mit 1200 Höhenmetern fahre,
beobachte ich zwar am Schnitt, dass mit konstanter Leistung zu fahren
effektiver ist. Die Hügel mit mehr Leistung hochfahren macht aber mehr
Spaß, als gegen einen nicht vorhandenen Gegner zu sprinten und wer
zwingt mich denn, immer und überall optimal zu fahren?
Darüberhinaus meine ich - und das war auch ein Aspekt meiner Frage nach
grundsätzolichen Unterschieden zwischen Fahrrad und Kfz in einem anderen
Thread -, dass das beobachtete Fehlverhalten, Fahren mit konstanter
Geschwindigkeit, unabhängig vom Leistungsbedarf, in heutigen Zeiten auch
und vielleicht sogar überwiegend durch gewohnheitsmäßigen Gebrauch eines
Kfz geprägt und dann auch auf dem Fahrrad beibehalten wird. Oder, wie Du
richtig schreibst, das Radfahren aufgegeben und auf ein Kfz gewechselt
wird.
Im Juni 2011 mokierte ich mich in
<
bt3nv6dc75be8fm5u...@4ax.com> über den Touristik- und
E-Bike-Club ADFC, weil der eine "Radfahrschule für Erwachsene" angeboten
hatte, über die im WDR in "Lokalzeit Bonn" ausgiebig berichtet wurde.
Gegenstand des Unterrichts war aber ausschließlich der Umgang mit
Motofahrzeugen, E-Bikes, konkret Pedelec.
Gewiss nicht der ADFC, aber andere Leute - muß ja nicht gleich ein
Verein sein -, die tatsächlich das Fahrrad als Verkehrsmittel im Fokus
haben, könnten sich durchaus Verdienste durch eine alternative
"Radfahrschule für Erwachsene" erwerben, in der auch der hier
diskutierte Aspekt: wie pflegt und nutzt man seinen Muskelmotor
effektiv, um Steigungen zu bewältigen, gelehrt wird.
Tangential: ich bin bisweilen verblüfft, wenn mir die eigenen Kinder
Sachverhalte erklären oder vormachen, bei denen ich auf meine Erfahrung
bauend erwarte, es besser zu wissen und bisweilen auch zu können. Wenn
ich dann bemerke, dass es nicht ganz so ist, liegt es, so auch beim
Radfahren, oft daran, dass sie bessere Voraussetzungen hatten. Wir,
meine Frau und ich, sind von unseren Familien und in einer Zeit geprägt
worden, in der das eigene Kfz das war, was man anstrebte und bekam:
Mofa, Motorroller, Motorräder, Autos. Als Kind bin ich etwa ab der
Grundschule weiträumig mit einem 24er herumgefahren, unbegleitet, mit 15
und einem Mofa war das vorbei, von Ausnahmen wie autofreien Sonntagen
abgesehen. Unsere Kinder sind schon ab dem Kindergartenalter zusammen
mit uns weiträumig in der Region herumgefahren und haben auch unseren
Alltagsgebrauch von Fahrrädern quasi als selbstverständlich erlebt.
Alltägliches Radfahren haben sie auch später beibehalten, mal mehr, mal
weniger, ohne dass es in Sport ausgeartet wäre: junge Erwachsene machen
Kraftsport, hieß es. Fun fact: beide haben durch die Pandemie bedingt
jedoch angefangen, weiträumige, schnell gefahrene Rundtouren in ihrer
jeweiligen Region zu fahren. Einer von beiden ist diese Woche gleich
dreimal den Mont Ventoux hochgefahren, zwei Mal davon heute. :-) Ein
bißchen Neid kommt da schon auf. Warum erzähle ich das? Nun, ein
wesentlicher Faktor, dies als Nichtsportler zu bewältigen, bestand wohl
darin, mit konstanter Antriebsleistung zu fahren. Powermeterpedale sind
dabei hilfreich, denn man verschätzt sich in der Tat leicht und das
selbst dann, wenn einem das Phänomen sehr wohl bekannt ist.
TL;DR Alten Leuten mit abnehmenden Kräften sollte man keinen Hilfsmotor
verschreiben, der aus einem Fahrrad ein schlechtes Mofa macht, sondern
ein möglichst leichtes Fahrrad, ausgerüstet mit einem der noch
vorhandenen Leistung angepassten Schaltung und einer Anzeige der
aktuellen Antriebsleistung. Derzeit käuflich erwerbbare
Leitungsmesseinrichtungen für Leistungssportzwecke sind zwar obszön
teuer und meist nur mit Klickpedalen nutzbar. Aber erstens muss das
nicht sein und zweitens wäre das selbst mit den vorhandenen Produkten
immer noch mit weniger Geld realisierbar als ein Pedelec oberhalt bder
Schrottklasse kostet. Auch hier hätten Vereine oder Gruppen eine
Aufgabe, denen es nicht primär darauf ankommt, in die eigene Tasche zu
wirtschaften.
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Wir danken für die Beachtung aller Sicherheitsbestimmungen