a.anderer
unread,Jan 19, 2024, 6:10:11 PM1/19/24You do not have permission to delete messages in this group
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Von Alexej Danckwardt
Vielleicht ist es auch gut, dass Illusionen früher fallen, als sie
materiell werden können. Insoweit haben Sahra Wagenknecht und ihr
Anhang im Bundestag uns allen am Donnerstag sogar einen Gefallen
getan: Auch sie sind nicht die Lösung.
Was ist geschehen? Die AfD hatte im Bundestag einen Antrag
eingebracht, die Bundesregierung zu einer Friedensinitiative im
Ukraine-Krieg zu verpflichten und dabei auch die Sicherheitsinteressen
Russlands zu berücksichtigen. Der Auswärtige Ausschuss des deutschen
Parlaments empfahl Ablehnung und in der namentlichen Abstimmung
darüber im Bundestagsplenum stimmten bis auf die AfD-Fraktion und aus
ihr ausgetretene fraktionslose Abgeordnete alle anderen für die
Beschlussempfehlung und damit gegen den Antrag der AfD.
Dass die Rest-Linken um Gregor Gysi und Dietmar Bartsch der
Regierungslinie treu folgten und zusammen mit SPD, Grünen, der FDP und
der nicht minder russophoben Unionsfraktion votierten, überrascht
niemanden mehr. Gysis "Linke" ist längst Teil jener "Konsenssauce",
die Demagoge Gregor noch vor zehn Jahren auslachte. Spannend war, wie
Sahra Wagenknecht und die Abgeordneten, die sich mit ihr zusammen von
der Linken abspalteten, abstimmen würden.
Es war der erste praktische Test dafür, wie ernst es die neue Partei
mit der Opposition zur aktuellen Kriegslinie der deutschen
Bundesregierung meint, und diesen Test verbockte der
Wagenknecht-Anhang krachend. Der Leser ahnt es schon: Alle zehn
Abgeordneten des BSW stimmten für die Empfehlung des Ausschusses und
damit gegen den Antrag der AfD, gegen Diplomatie und
Friedensverhandlungen.
Wie zu erwarten, wird dies von Anhängern des Bündnisses damit erklärt,
dass Wagenknecht politisch erledigt wäre, wenn sie mit der AfD
gestimmt hätte. Eine Erklärung, die nicht zieht. Erstens gibt es für
solche Fälle die Option der Enthaltung, wenn man eine Sache inhaltlich
nicht ablehnen kann, aber aus Gründen politischer Ränkespiele auch
nicht offen dafür stimmen will und den Mehrheitsverhältnissen nach die
eigene Stimme ohnehin nichts entscheidet. Empfiehlt sich für eine
Oppositionspartei grundsätzlich häufiger, um nicht mit der Regierung
immer wieder in einem Boot zu landen.
Zweitens, und das ist weitaus wichtiger: Die Wähler, die für das BSW
stimmen könnten, wollen ein Ende des überkommenen politischen
Affentheaters, nicht dessen Fortsetzung. Sie wollen eine Ära
ausschließlich sachbezogener Politik, die sich für das Richtige
einsetzt und das Richtige tut, ganz ohne Rücksicht auf Lanz, Bild und
X/Twitter. Dass die BSW-Abgeordneten mediale Kampagnen ob ihrer Stimme
für einen AfD-Antrag mehr fürchten, als die Enttäuschung ihrer
Sympathisanten, zeigt, wie wenig auch diese Politiker ihre
potenziellen Wähler und generell die Bürger in diesem Land kennen.
Auch sie leben vorrangig in der links-grünen Twitter-Blase. Das lässt
an ihrer Eignung zweifeln, zur neuen politischen Elite heranzureifen,
die Deutschland so dringend braucht.
Auch die eigene Erklärung des Stimmverhaltens, die die Abgeordnete
Sevim Dagdelen in ihrer Rede vor der Abstimmung darbot, überzeugt
nicht im Geringsten. Dass der AfD-Antrag, in einigen – nicht gänzlich
unvernünftigen – Punkten skizziert, wie ein russisch-ukrainischer
Friedensschluss aussehen könnte, nimmt das Verhandlungsergebnis
keineswegs vorweg. Sie sind nur der Vorschlag, mit dem Deutschland in
die Verhandlungen als Vermittler eingestiegen wäre. Und auch wenn man
mit einem Detail nicht einverstanden ist, aber weiterhin für
diplomatische Lösungen eintritt, ist Enthaltung die richtige Wahl,
aber nicht die glatte Ablehnung.
Jeder, der mich länger kennt, weiß: Kaum jemand hat die Abspaltung der
gesunden Kräfte aus der Linken so sehr herbeigesehnt wie ich. Die
Forderung "Spaltung jetzt!" habe ich schon Ende 2015 – damals noch
Mitglied – formuliert, als mir klar wurde, dass gewissenlose
Karrieristen die von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründete
Partei infiltriert hatten und inzwischen dominierten. Karrieristen,
deren Platz eher in der SPD, bei den Grünen und in einigen Fällen
sogar in der FDP war. Sie dominierten nicht nur, sie nutzten ihre
Stärke damals schon dafür, jede politische Arbeit der klassisch linken
Kräfte in der Partei zu sabotieren. Die Partei war nicht mehr zu
retten, und die seitdem verstrichene Zeit hat diese Einschätzung
bestätigt.
Wagenknecht hat den schon 2015, spätestens 2016 überfälligen Schritt
acht Jahre hinausgezögert. Acht Jahre, in denen die sozialistischen
Kräfte in der Partei, die ihre Heimat sein sollte, gebunden, gelähmt
und systematisch zersetzt wurden. Acht zusätzliche Jahre gab es
deshalb keine vernehmbare sozialistische Opposition zu Merkel und
Scholz, was zweifellos zum Erfolg der AfD beigetragen hat.
Der Befreiungsschlag kam viel zu spät, aber nun zeigt sich auch noch,
dass die Kräfte, die Wagenknecht aus der babylonischen Gefangenschaft
der Parteidisziplin herausgeführt hat, gar nicht mehr so gesund sind,
wie es 2015 schien. Ob da das Stockholm-Syndrom nachwirkt, ob sie sich
inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verändert haben, ob es von
vornherein eine Fehleinschätzung war, ihnen mehr als systemkonformen
Opportunismus zuzutrauen, ist letztlich nachrangig: Diese Katze fängt
keine Mäuse.
Mit der gestrigen Abstimmung hat das BSW meine Sympathien verloren.