Google Groups no longer supports new Usenet posts or subscriptions. Historical content remains viewable.
Dismiss

Zwischen den Medienwelten - Sind Alternativmedien besser als Mainstreammedien?

0 views
Skip to first unread message

a.anderer

unread,
Feb 17, 2024, 6:11:17 AM2/17/24
to
https://www.manova.news/artikel/zwischen-den-medienwelten

Zwischen den Medienwelten
Sind Alternativmedien besser als Mainstreammedien? Oder nur eine
Ergänzung? Und wo liegen sie falsch? Ein Gespräch mit einem, der beide
Seiten kennt.

Foto: Pixel-Shot/Shutterstock.com

Ein Gespenst geht um in Deutschland — das Gespenst der
Alternativmedien. Jedenfalls fürchtet sich der mediale Mainstream vor
ihnen. Daher verteufelt er sie mit Nachdruck, bringt sie mit Fake News
und Desinformation in Verbindung. Diese Abschottung ist Programm,
findet Walter van Rossum, der lange für öffentlich-rechtliche wie
private Medien arbeitete, den Mainstream also gut kennt. Seit einigen
Jahren ist er alternativ unterwegs. Jetzt hat er ein Buch über die
Alternativmedien geschrieben. Roberto De Lapuente hat sich mit ihm
unterhalten.
von Roberto J. De Lapuente

Roberto De Lapuente: Seit wie vielen Jahren bist du nun Journalist,
lieber Walter? Und seit wann bist du für Alternativmedien tätig?

Walter van Rossum: Ich habe 1981 angefangen, für öffentlich-rechtliche
Medien zu schreiben. Und zwar zunächst für den Deutschlandfunk, dann
für den WDR. Es folgten Texte in der ZEIT, später FAZ, FR und ein paar
anderen Blättern. Da war ich 27 und promovierte nebenbei. An der Uni
hatte ich eine Assistentenstelle bei den Romanisten. Meine erste
Sendung im Deutschlandfunk war eine Rezension von Negt/Kluge:
Geschichte und Eigensinn. Länge 25 Minuten, ausgestrahlt morgens um
10:05 Uhr. Dann folgte ein dreiteiliges Feature, ein Essay über die
Lage der Universitäten.

Du warst fest angestellt bei den Öffentlich-Rechtlichen?

Nein, ich habe immer als sogenannter Freier gearbeitet. Für
Alternativmedien arbeite ich jetzt seit etwa zehn Jahren. Die
Öffentlich-Rechtlichen habe mich 2021 nach exakt 40 Jahren gefeuert.
Ich war vielleicht eine halbe Stunde lang irritiert, seitdem bin ich
nur noch erleichtert.
„Früher wurde im Großen und Ganzen der Eigensinn prämiert“

Warum wolltest du Journalist werden? War es die Kohle oder die Suche
nach dem, was man Wahrheit nennt?

Ich habe mich anfangs gar nicht als „richtigen“ Journalisten
verstanden. Mehr als Literaturkritiker mit dem Schwerpunkt
französische Literatur. Dazu kamen viele Sachbuchrezensionen. Das
wurde dann auch schnell politisch. Es ging damals viel um die
Postmoderne, die sich anschickte, das 68er-Erbe zu liquidieren. Ich
war aber von Leuten wie Jean-Paul Sartre geprägt und bin es heute
noch. Das waren völlig andere Zeiten — sehr generöse Zeiten. Ich hatte
nie einen beruflichen Plan. Ich hatte nur einen festen Berufswunsch:
NICHT Chefredakteur der ZEIT zu werden. Diese öligen Typen gingen mir
schon damals furchtbar auf den Zeiger. Mit dieser fröhlichen Hybris
kam ich dann lange Zeit gut über die Runden. Und was die Kohle
betrifft: Im Rundfunk und mit Zeitungsschreiberei konnte man als
„Freier“ nicht reich werden, aber ganz gut leben. Ich schätze mal, die
Honorare waren damals real ungefähr doppelt so hoch wie heute.

Du warst viele Jahre im Mainstream zu finden — seitdem du für
Alternativangebote arbeitest: Fühlst du dich nun freier als früher?

Die ersten 20 Jahre im Mainstream waren paradiesisch. Das lag auch an
einem völlig anderen Typ von Redakteur. Das waren damals in der
Mehrzahl keine konformistischen Vollstreckungsbeamten, sondern
Charakterköpfe. Denen habe ich sehr viel zu verdanken. Natürlich eckte
man hier und da an, aber im Großen und Ganzen wurde Eigensinn
prämiert. Als ich 2003 mein ziemlich kritisches Buch über die Talkshow
von Sabine Christiansen veröffentlicht hatte, flatterten mir gleich
mehrere Angebote zur Mitarbeit aus den diversen TV-Redaktionen ins
Haus. Gleichzeitig habe ich damals schon gespürt, dass der Wind sich
langsam drehte. Die Verfallsgeschichte wäre ein eigenes Thema.

Du beackerst sie ja auch ein wenig in deinem aktuellen Buch
„Alternativen in Medien und Recht...“

Jedenfalls wurde ich vor zehn Jahren meines medialen Umfeldes so
überdrüssig, dass ich begann, mich nach anderen Jobs umzuschauen. Ich
wollte raus aus dieser Medienwelt. Vermutlich war ich zu borniert oder
zu alt, um zu erkennen, dass sich abseits des Mainstreams eine
beachtliche digitale Gegenöffentlichkeit zu bilden begann.

Anfangs lud mich Albrecht Müller, der Herausgeber der NachDenkSeiten,
ein, für seine Plattform zu schreiben. Dann begann ich, für Rubikon zu
schreiben, und bei der Nachfolgeorganisation Manova arbeite ich bis
heute. Da habe ich dann junge Redakteure getroffen, die eher den ollen
Charakterköpfen von früher ähnelten, dabei aber enorm improvisieren
mussten. Dafür bin ich unendlich dankbar. Wie gesagt, ich stand kurz
davor, das Gewerbe zu verlassen.
„Aus den Katakomben funken die Ausgestoßenen für Ausgestoßene“

Die Gebührenfinanzierung der Öffentlichen-Rechtlichen ist sicherlich
ein Vorteil — schließlich kommt Geld rein, egal was man fabriziert.
Ist die öffentliche Finanzierung von Medien weiterhin ein
Zukunftsmodell? Oder hast du alle Illusionen verloren?

Die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) war gewiss famos.
Es genügt ein Blick in den alten Rundfunkstaatsvertrag. Ich habe ja
auch einige Jahre erlebt, dass der Geist dieses Papiers lebte. Dazu
gehörten auch erhebliche Reibungen. Das Problem besteht darin, dass
die ursprünglich formulierten Prinzipien und Grundlagen in der
Realität längst keinerlei Rolle mehr spielen. Die Parteien haben den
ÖRR ganz und gar gekapert. Vermutlich haben 90 Prozent des
öffentlich-rechtlichen Outputs überhaupt nichts mit einer
qualifizierten medialen Grundversorgung zu tun, um die es in besagtem
Staatsvertrag geht. Die 10 Prozent, die sich den Anschein von
Qualitätsjournalismus geben, dürften nicht mal die Aufnahmeprüfung
irgendeiner Journalistenschule bestehen. Von politischer
Unabhängigkeit des Personals und redaktioneller Autonomie sind keine
Spurenelemente mehr erkennbar.

Okay, das klingt illusionslos …

Ich habe den schier unaufhaltsamen Abriss des Systems in den letzten
20 Jahren ja hautnah miterlebt. In der gegenwärtigen Form ist der
Laden mit Sicherheit nicht reformierbar. Er müsste bis auf die
Grundmauern entkernt und das gesamte Personal fristlos entlassen
werden. Nicht zu vergessen wäre die Absenkung der aberwitzigen
Altersbezüge der Festangestellten.

Dann blieben noch die Verwaltungs- oder Rundfunkräte, die dort
politisch Einfluss nehmen.

Wenn man das alte System noch einmal neu aufsetzte, bleibt das Problem
der Aufsicht. Die dafür zuständigen Gremien haben ja auf sagenhafte
Weise versagt. Da müsste man sich was Neues einfallen lassen. Doch all
das bleibt völlig hypothetisch, so lange, bis wir wieder in einer
Gesellschaft leben, die den Pluralismus nicht nur erträgt, sondern
auch noch schätzt. Heute haben wir eine geteilte Realität, oben dröhnt
die Zitadelle der „Anständigen“ geschützt von einem dichten „Cordon
sanitaire“ aus Faktencheckern, direkter Zensur und dem EU Digital
Services Act, aus den Katakomben funken die Ausgestoßenen für
Ausgestoßene. Allerdings sollten wir eines nicht vergessen: Unsere
Parallelgesellschaft hat mit ihren bescheidenen Mitteln und ohne alle
Steuermilliarden eine so bunte wie qualifizierte Medienlandschaft
hervorgebracht.
„Faktenchecker sind getarnte Handlanger einer perfiden Zensur“

Du nanntest Faktenchecker: Machen die journalistische Arbeit?

Mit Sicherheit nicht. Die Kernfrage lautet: Wie kann man mit
journalistischen Mitteln Zeugnis von der Realität ablegen? Und wer
sich mit dieser Frage schon mal beschäftigt hat, merkt unmittelbar,
dass die Realität nicht aus einer Anhäufung von Fakten besteht und
dass die sogenannten Tatsachen kein Absolutum des Wissens darstellen.
Ganz grob gesagt definiert sich die Moderne über ihren skeptischen
Umgang mit Wahrheit. Wahrheit ist stets „gemacht“. Sie entsteht und
vergeht in laufenden Prozessen, getragen von bestimmten
Verständigungsprotokollen.

In diesem Sinne ist das Wirkliche nicht das Gewisse und deshalb
zuverlässig das Problem. Kein ernsthafter Wissenschaftler würde für
sich in Anspruch nehmen, letzte Wahrheiten entdeckt zu haben. Wie
absurd, wenn ausgerechnet Journalisten das für sich in Anspruch
nehmen. Wer Fake News aufzudecken behauptet, der will ja nicht in eine
Diskussion eintreten, eine andere Variante von Wirklichkeitserklärung
in Spiel bringen, sondern der will Diskussionen im Namen letzter
Wahrheiten unterbinden. Man könnte es fast schon totalitär nennen,
wenn es nicht so sagenhaft dümmlich wäre.

Das ist theoretisch, hast du ein Beispiel, um es bildhaft zu machen?

Die Antwort auf die Frage, wie viele Arbeitslose es im Moment gibt,
hängt beispielsweise entscheidend davon ab, wie Arbeitslosigkeit
definiert wird. Und gute Journalisten wissen eigentlich, dass diese
Definitionen gerne mal umgearbeitet werden. Und ganz pragmatisch: In
meinem Buch habe ich mir ja ein paar Faktenchecker vorgenommen. Die
kann man vor dem Frühstück auseinandernehmen. Meistens bestehen die
aus nichts als einer Reihe von Behauptungen, die zu einem bestellten
Ergebnis führen. Das sind die als Journalisten getarnten Handlanger
einer perfiden Zensur.

Die Finanzierung ist auch ein Stichwort für die Alternativmedien, oder
sagen wir lieber: deren Problem. Wie könnten die sich aufstellen, um
finanziell sicherer auftreten zu können?

Ich bin für ein Bezahlsystem. Es geht dabei um eine bessere
Planungssicherheit und auch eine gewisse Unabhängigkeit. Die größeren
Plattformen sollten sich auf eine Art Grundbetrag einigen. Ich denke
hier an Summen zwischen ein und fünf Euro monatlich im Dauerauftrag.
Und ich kenne genug Leute, die nicht gerade im Geld schwimmen, die
machen das längst ganz selbstverständlich. Fast jeder kann zwei bis
drei der von ihm besonders geschätzten Medien mit monatlich zwei Euros
unterstützen. Wer mehr hat, kann natürlich auch mehr bezahlen.

Übrigens hätte ich nicht gedacht, dass sich allein auf Grundlage
freiwilliger Spenden so viel auf die Beine stellen lässt. Aber man
darf auch nicht vergessen, dass viele Redakteure und Autoren ziemlich
bescheidene Honorare und Gehälter beziehen.
„Wenn ich heute bei den Redaktionen anriefe, für die ich
jahrzehntelang gearbeitet habe, die würden sofort auflegen“

Hast du als Alternativmedienschaffender nicht auch häufig das Gefühl,
dass Alternative viel zu oft Getriebene der Mainstreammedien sind?
Also dem Sinne nach, dass sie Nachrichten aufgreifen, die dort
fabriziert werden? Ihnen fehlt einfach ein ideologiefreies
Nachrichtensystem, eine Art Alternativ-dpa.

Ich verstehe, was du meinst. Doch wir sind nun mal eine
Gegenöffentlichkeit. Wir haben Corona nicht erfunden. Aber wir mussten
darauf reagieren und den ganzen offiziellen Coronamaßnahmen-Diskurs
auseinandernehmen. Aber wir durften die Debattenarena ja nicht als
Teilnehmer einer Diskussion betreten, wir sind ja schon rausgeflogen,
bevor wir unsere Zweifel selbst formuliert hatten. Und das Sujet war
ja für die meisten von uns nicht gerade vertrautes Gelände. Ich halte
das für eine großartige Leistung, wie wir eine Art lückenloses
Gegennarrativ geschaffen haben. Außerdem sind wir ja tatsächlich die
Getriebenen …

Sag ich ja — oder meinst du das anders?

Nun ja, wir werden gejagt und müssen jederzeit verstehen, was die
Jäger im Schilde führen und was wir dagegen tun können. Wir bestimmen
nicht die laufende große Agenda, nicht Corona, nicht die Ukraine,
nicht die Inflation, nicht Palästina. Aber wir wissen, warum wir da
nicht mitmachen. Das ist in meinen Augen schon deutlich mehr als der
berühmte Sand im Getriebe.

Beispielsweise in Sachen Corona hatten wir in fast allen Belangen zu
100 Prozent Recht. Das ist oben durchaus angekommen. Nicht umsonst
organisiert man gerade hysterisch eine gespaltene Gesellschaft von
Anständigen hier und Faschisten da. Damit es nur ja keine Berührung
gibt. Wo ich dir allerdings zustimmen würde: Wir müssten uns mehr
Gedanken darüber machen, wo wir hinwollen. Wir sind ja als
Parallelgesellschaft gegründet worden. Es wird Zeit, dass wir uns
selbst gründen.

Erstaunlich ist, dass es keinen Fahrstuhleffekt zu geben scheint. Als
die Privatsender im Fernsehen den öffentlich-rechtlichen Anstalten
Konkurrenz machten, wechselten auch mal welche von privaten zu
öffentlichen TV-Sendern. Aber von Alternativmedien in den Mainstream
wechselt heute kaum jemand. Nur andersherum. Woran liegt das?

Wer einmal in den Katakomben war, dem vergibt die Oberwelt nicht. Wenn
ich heute bei den Redaktionen oder Verlagen anriefe, für die ich
jahrzehntelang gearbeitet habe, die würden sofort auflegen. Ich bin
verbrannt. Meinerseits zieht mich nichts in den medialen Mainstream
zurück. Mich ekelt es geradezu vor dessen Produktion.
„Der Pluralismus, den die Oberwelt abgeschafft hat, scheint sich in
den Kelleretagen wieder einzurichten“

Auch die Alternativmedienbranche macht ja nicht alles richtig. Was
sind deiner Meinung nach die Fehler der Alternativen?

Die meisten Alternativmedien sind ja aus dem Moment heraus und im
Tumult entstanden oder groß geworden. Bevor ich mein Buch begann,
hatte ich keine Ahnung, wie viele Plattformen et cetera ich noch nicht
einmal vom Hörensagen kannte. Noch erstaunlicher die beeindruckende
Qualität. Ich nenne nur mal zwei Beispiele: Corona Doks (Corodok.de)
oder Punkt. Preradovic (punkt-preradovic.com). Die Corona Doks liefern
grundsolide — man möchte fast sagen: peer reviewed — Informationen zu
allen Themen rund um Corona. Während Milena Preradovic am laufenden
Band kluge Interviews mit klugen Leuten zu allen möglichen Themen
führt. Danach ist man immer etwas schlauer als zuvor.

Ich staune wirklich immer noch über die Größe und die Qualität des
medialen Feldes, das da entstanden ist. Auch die stilistische und
politische Heterogenität gefällt mir. Der Pluralismus, den die
Oberwelt abgeschafft hat, scheint sich in den Kelleretagen wieder
einzurichten. Wir müssen allerdings lernen, ihn zuzulassen und zu
schützen.

Aber es gibt doch was Falsches im Alternativen. Reichelt ist
schließlich auch Alternativmedium. Lassen wir das mal inhaltlich, aber
der Stil ist dort manchmal schon — freundlich gesagt — befremdlich …

Mit leisem Schrecken sehe auch ich, dass sich mittlerweile einige
Radaumedien etabliert haben, die sich eines großen Zulaufs erfreuen.
Meist wird dort mit investigativem Gestus genüsslich auf Personen
eingedroschen. Man kann ja mal ein paar Witze machen über den
BDM-Pummel, der jetzt mit allen Mitteln zur Grande Dame der
Außenpolitik hochtoupiert wird, aber meistens handelt es sich um
lärmende redaktionelle Garnitur für viel Werbung. Manche Plattformen
machen unverhohlen Werbung für Gold und andere Edelmetalle, dafür
gibt’s ein bisschen Gratiskritik. Ein wenig Boulevard darf schon sein,
aber er muss ja nicht gleich geschmacklos und unanständig werden.

Das Qualitätsgefälle hältst du nicht für problematisch?

Doch, viele der Leute, die jetzt in der Gegenöffentlichkeit
publizieren, hatten vorher nie für die Öffentlichkeit geschrieben oder
Interviews geführt. Einige wenige haben es auch in der Folge nie
gelernt. Das kann man manchmal kaum lesen oder anschauen. Wenn man das
als einen Fehler bezeichnen will. Und ich weiß nicht, ob man das
Folgende auch einen Fehler nennen kann — aber es gibt eine gewisse
Überproduktion. Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele, die über
bestimmte IT-Kenntnisse verfügen, auch glauben, schon gleich auf
Sendung gehen zu müssen und dann auch noch davon leben wollen.
0 new messages