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Weniger USA wagen
Sollte er wieder US-Präsident werden, so würde Trump NATO-Partner „im
Stich lassen“. Die Empörung ist groß. Aber genau das wäre ein Segen
für die Welt.
Foto: Gints Ivuskans/Shutterstock.com
Helle Aufregung in den Redaktionen — und nun auch am Rande der
Münchner Rüstungskonferenz, die als Namen den Euphemismus
„Sicherheitskonferenz“ trägt: Donald Trump stellt nämlich in Aussicht,
die NATO verhungern zu lassen. Wenn anderen NATO-Mitgliedsländern
Gefahr drohe, stellte er schon mal klar, so würden die Amerikaner
nicht anrücken. Er rechtfertigt das mit deren zu niedrigen
Rüstungsausgaben. Es könne nicht sein, dass die Vereinigten Staaten
den Großteil der Last trügen, um das Eisen der anderen, die weniger
investierten, aus dem Feuer zu holen.
von Roberto J. De Lapuente
Man könnte Trumps Ansinnen auch so übersetzen: Er fordert mehr Waffen,
setzt auf Aufrüstung. Ähnliches soll er laut dem US-Magazin Politico
auch schon zu seiner Amtszeit gesagt haben, wie EU-Kommissar Thierry
Breton berichtete. An die Adresse Ursula von der Leyens erklärte der
damalige US-Präsident:
„Sie müssen verstehen, wenn Europa angegriffen wird, werden wir
niemals anrücken, um Ihnen zu helfen und Sie zu unterstützen.
Übrigens, die NATO ist tot, wir verlassen sie, wir werden aus der NATO
austreten.“
Euphemismus „Weltpolizist“
Politico berichtete erst vor einigen Wochen darüber. Das demokratische
Amerika zeigte sich darüber empört, Vize-Präsidentin Kamala Harris
betonte sofort, dass das nie geschehen werde — ganz so, als ob sie
eine künftige Regierung Trumps bevormunden könnte. Die Europäische
Union zeigte sich auch bestürzt. Und mit ihr etliche Journalisten, die
allerdings gleich wieder eine Gelegenheit sahen, vor einer möglichen
Präsidentschaft Donald Trumps zu warnen. Ihr Ansatz war jedoch nicht,
vor einem eventuellen Präsidenten zu warnen, der auf mehr Rüstung
setzt. Sie malten ein verlassenes Europa an die Wand, das überfallen
wird, während die USA zusehen. Die medialen Analysen gingen nicht sehr
tief, der Politico-Bericht musste lediglich als Aufhänger herhalten.
Bis dato war man es ja gewohnt, dass die Amerikaner immer
irgendwie da sind, wenn es Probleme gibt. Ein Weltpolizist sei das
Land in Übersee. Ein Aufpasser mit moralischem Kompass. Spätestens
seit dem Vietnamkrieg kann man zwar dergleichen nicht mehr behaupten,
ohne ausgelacht zu werden, aber immer noch wird diese Mär von der
Moral amerikanischer Außenpolitik in die Welt gesetzt.
Die Behauptung stammt aus den transatlantischen Seilschaften, die sich
überall ranken, die Politiker wie Journalisten vereinnahmen und die
unipolare Weltordnung als alternativloses Konzept skizzieren. Bis vor
einigen Jahren wusste die Öffentlichkeit noch nicht mal, was
„unipolare Weltordnung“ bedeutet — diese Bezeichnung kam kaum vor im
Diskurs. Es war ja auch schlicht nicht nötig darüber zu sprechen, denn
es gab keine Ordnung neben ihr.
Natürlich hat sich im Bewusstsein der westlichen Bevölkerungen viel
verschoben in den letzten Jahrzehnten. Deutsche demonstrierten in
großer Zahl in den Achtzigern gegen amerikanische
Raketenstationierungen vor ihrer Haustür. Diverse Kriegseinsätze der
US-Army wurden hierzulande moniert, führten zu Friedensdemos. Damals
wäre noch niemand auf die Idee gekommen, pazifistisch Bestrebte als
„Lumpenpazifisten“ zu beleidigen. Das war schlicht nicht nötig, denn
der Weltpolizist benötigte keine Sympathie. Er konnte damit leben,
dass in der westlichen Hemisphäre Argwohn gegen sein Vorgehen
herrschte: Niemand gebot ihm Einhalt, er war die einzige Weltordnung.
Nach Herzenslust schob er, mit freundlicher Hilfe der NATO, seinen
Einflussbereich in Europa immer mehr nach Osten. Es schien keine
Widerstände zu geben.
Die Hybris des Weltpolizisten mündete in die Ukraine, in die
Ereignisse auf dem Maidan. Die Osterweiterung war endgültig auf dem
Treppenabsatz Russlands angekommen. Das ist die Vorgeschichte, die im
Westen gerne zensiert wird, denn sie muss tatsächlich beschämen, zeigt
auf, dass dieser Krieg nicht nur ein Elternteil hat. Noch etwas wird
an dieser Vorgeschichte kenntlich: Der Weltpolizist ist gar kein
Freund, schon gar kein Helfer. Er ist ein Despot, ein Nimmersatt. Ein
Troublemaker und Destabilisierer. Er hinterlässt verbrannte Erde,
stürzt Weltregionen in Krisen, setzt Demokratien außer Kraft und
beeinflusst Nationen nach seinen Vorstellungen. Man kennt solche
Ordnungshüter aus amerikanischen Western: als Sheriffs, die eigentlich
Gangster sind.
Der eigenen Schwäche bewusst werden
Dieser verschlagene Sheriff stellt also nun in Aussicht, Europa nicht
zur Hilfe zu kommen, wenn es in Gefahr ist. Man nimmt das in Europa
als Drohung war. Der Medienbetrieb zeigte sich empört, schließlich
müsse man gegen die globalen Gefahren zusammenstehen. Was zu den
Gefahren zählt, kann man sich denken: allen voran Russland. Und
natürlich Wladimir Putin. Was, wenn er Polen überfällt? Kaum hatte der
russische Präsident im Interview mit Tucker Carlson dargelegt, dass er
überhaupt kein Interesse an der Besetzung der westlichen russischen
Peripherie habe, gab NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu
Protokoll, dass man einen Angriff fürchten müsse.
In dieser Angst vor einem Zugriff auf Polen, Litauen oder Tschechien
steckt auch ein Schuldeingeständnis. Die NATO fürchtet sich davor,
weil sie weiß, dass die Vorwürfe der Osterweiterung eben kein Märchen
sind, sondern den Tatsachen entspricht. Das alte Europa steht hinter
den Ländern des Ostens, die neu eingegliedert wurden in die NATO und
die nun als Brandmauer wirken sollen. Dort hetzt es auf zu mehr
Kriegsengagement. Mehr Waffen sollen es weiterhin sein.
Und aus Deutschland vernimmt man Stimmen, die voller Hass dafür
plädieren, den Krieg nach Russland zu tragen. Hass in den Netzwerken
sei ja angeblich demokratiegefährdend, liest man dieser Tage. Wenn
aber Roderich Kiesewetter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann für einen
Angriffskrieg plädieren, nennt man diese Hetze mutige Forderungen.
Diese kriegsbereite Haltung hat nur eine Ursache: Man weiß eben, dass
Washington hinter Europa steht. Deswegen ist man ja so besorgt wegen
Donald Trump. Wenn dieser Rückhalt schwindet, kann man keine dicke
Lippe mehr riskieren, ohne sich einer Gefahr auszusetzen, die man
selbst nicht bewältigen kann. Man wird sich ohne die USA seiner
eigenen Schwäche bewusst. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz
vernahm man daher auch Stimmen, die darlegten, dass man darüber nicht
jammern solle: Nun sei die Zeit eines Europa angebrochen, das sich
selbst militarisieren müsse. Die ersten Schritte dazu sind bereits
getan, man sah unlängst den Kanzler in einer Munitionsfabrik, er
posierte mit Kriegsausstattung.
Diese Aufrüstung müsste sich aber gegen den Widerstand in der
Bevölkerung durchsetzen. Und dies in Zeiten, da öffentliche Gelder
dringend für wichtige Infrastruktur benötigt würden. Eine europäische
Rüstungskampagne bände aber Steuergelder langfristig. Europa kann sich
so eine Agenda nicht leisten. Jedenfalls nicht, wenn es nicht an
anderen Stellen massiv einspart. Wem das schaden wird, kann man sich
ausmalen. Sicher nicht den Milliardären. Die werden noch reicher,
insbesondere wenn sie Teilhaber von Rüstungsunternehmen sind.
Fragilität, die Stabilität bringt
Donald Trump könnte tatsächlich ein Segen für die globale Außenpolitik
sein. Es mag ja durchaus möglich sein, dass seinem Anti-NATO-Kurs eine
Aufrüstungsforderung innewohnt, ganz nach dem Motto also: Entweder ihr
rüstet mehr oder wir helfen euch nicht. Möglicherweise ist das aber
eine glückliche Fügung der Geschichte, eine „List der Vernunft“, um
mit Hegels Weltgeist zu sprechen. Menschliche Historie war für den
Philosophen ein stetiges Aufwärtsgehen, dauerhafter Fortschritt also.
Regressive Zwischenphasen, etwa das dunkle Mittelalter — wenn es denn
so dunkel war, aber das ist ein anderes Thema —, seien quasi ein Kniff
des Weltgeistes, um aus den Tiefen umso schneller in neue Höhen
vorzuschießen.
Der vermutlich neue und damit alte Präsident der Vereinigten Staaten
könnte eine solche List sein. Seine Forderung könnte zu einer
gespaltenen NATO führen — und Europa dazu bringen, sich unsicherer zu
fühlen. Ab dann muss man aufpassen, welche Signale man an Länder
ausstrahlt, die Europa näher sind als eine Nation, die irgendwo weit
in der Ferne hinter dem Atlantik liegt. Europa wird Russland wieder
als Nachbarn wahrnehmen müssen. Den muss man nicht lieben, aber man
muss mit ihm leben können. Und letztlich auch wieder mit ihm handeln.
Stehen die USA nicht mehr mit ihren Armeen parat, sollte etwas
schiefgehen, zeigt dies die ganze Fragilität des europäischen
Projektes auf. Europa ist kein Gebilde wie jener Bundesstaat, der
Weltpolizist war — und in kühnen Träumen noch immer sein will. Und der
unter der Präsidentschaft Bidens nochmal begann, die alten imperialen
Ansprüche geltend zu machen. Europa hat anders als die USA eine
jahrtausendealte Geschichte des Krieges und der Zerwürfnisse.
Die Menschen in den USA betrachten heute noch den Amerikanischen
Bürgerkrieg als Tragik, die die Zeiten überdauert. Weitere Kriege
kennt man auf dem Boden der Vereinigten Staaten nicht — Kriege mit den
Indianern zählt man gemeinhin nicht mit. Was soll Europa sagen mit
seiner Litanei an Gewalt und Tod? Dieses Erbe weist die fragile
Konstellation des europäischen Kontinentes aus. Sich einen Nachbarn zu
leisten, den man schmäht, verachtet, beleidigt, dem man aggressiv
begegnet: Das wird Gewalt und Tod neu entfachen. So war es immer in
Europa.
Am Ende könnte man sagen, dass Donald Trump ein Segen sein kann
für die Zukunft Europas. Wenn er sich aus dem Ukrainekrieg heraushält,
wird die europäische Bereitschaft schwinden. Denn dann wird aus dem
Stellvertreterkrieg in der Ukraine eine europäisch-russische
Auseinandersetzung.
Und vieles spricht dafür, diese auch als deutsch-russische
Auseinandersetzung zu betrachten. Dann braucht es einen neuen
Realismus, ohne den großen Bruder von drüben. Vielleicht kann es dann
auch passieren, dass Roderich Kiesewetter nicht mehr bejubelt wird,
wenn er für einen Angriff Russlands plädiert. Vielleicht nennt man
solche dann „Lumpenbellizisten“ und hetzt den Staatsanwalt auf sie.
Kein Wunder, dass auch er Trump fürchtet wie der Teufel das
Weihwasser.