On Thu, 19 Oct 2023, Christian Weisgerber wrote:
> >> > und „urtext“.
> >>
> >> Philologische Fachsprache.
> >
> > Ist mir länger vertraut.
>
> Ich rate mal, dass dir das im Zusammenhang mit Bibelgeschichte
> begegnet ist, da das IIRC ein Interessengebiet von dir ist.
So ist es.
Ich bin jetzt beim Artikel Urtext (biblical studies) in der en:WP an dem
Satz hängengeblieben:
The theory that there was an Urtext was advocated by Paul de Lagarde.
Today it is disputed that there ever was such a uniform text.
Was soll das heißen? Ein Urtext für die ganze hebräische Bibel, wie es
weiter oben steht? Halte ich für sehr wenig plausibel. Ist dann eher eine
Aussage eines persönlichen Glaubens als eine von der Wissenschaft
prinzipiell prüfbare. Andere heilige Bücher haben deswegen eine tradierte
Überlieferungsgeschichte, die mit einem vom Himmel gefallenen oder von
einem Engel diktierten Buch beginnt.
Umgekehrt halte ich es für sehr plausibel, dass jeder in der Bibel
vorkommende Text eine erste Fassung hat – vielleicht manchmal auch eine
mündlich tradierte, die mehr als einmal schriftlich niedergelegt wurde.
Und das wurde dann abgeschrieben, zum Teil redigiert, zum Teil verbessert,
zum Teil verschlechtert, zum Teil verschlimmbessert (also verschlechtert
in der Absicht, es zu verbessern). Das wäre aber nicht ein Urtext im Sinne
des en:WP-Artikels.
Trotzdem würde ich sagen, jemand hätte aus dem Urtext übersetzt, wenn er
die Absicht und das Fachwissen gehabt hat, die zuverlässigsten Quellen zu
benutzen. Einen besseren gibt es nicht – vielleicht findet Indiana Jones
mal das signierte Original. Das Wort „Vorlage“ würde ich eher bei einer
Abschrift verwenden, vielleicht auch bei einer möglichst wortgetreuen
Übersetzung einer einzigen Quelle.
--
Helmut Richter