Das wird sich spätestens dann relativ kurzfristig (um nicht zu
sagen schlagartig) ändern, wenn die Medien -- unter Führung der
Nachrichtenagenturen -- auf die neue Rechtschreibung umschwenken.
Michael
> Bei offiziellen Briefen, zB Bewerbungsschreiben, hab ich immer Bedenken,
> mich an die neue Rechtschreibung zu halten. Manches sieht ja doch sehr
> ungewöhnlich aus und ich will nicht, daß der Empfänger denkt, ich kann nicht
> rechtschreiben.
> Andererseits gewöhnt man sich dann nie an die neuen Regeln.
> Was gibt's da für Meinungen dazu?
Bei Bewerbungsschreiben hängt es wohl auch davon ab, bei wem man sich
bewirbt. Die Entscheidung ist Teil der Bewerbungsstrategie.
Ciao
Holger
heidi...@teleweb.at meinte am 06.02.99
in /de/etc/sprache/deutsch
zum Thema "Neue Rechtschreibung":
> Bei offiziellen Briefen, zB Bewerbungsschreiben, hab ich
> immer Bedenken, mich an die neue Rechtschreibung zu
> halten. Manches sieht ja doch sehr ungewöhnlich aus und
> ich will nicht, daß der Empfänger denkt, ich kann nicht
> rechtschreiben. Andererseits gewöhnt man sich dann nie an
> die neuen Regeln. Was gibt's da für Meinungen dazu?
1. Regeln sind nur für Schulen und andere Behörden verbindlich. Du darfst
also schreiben, wie Du willst.
2. Die alten Regeln sind ungleich schwieriger. Ein in dieser Form
geschriebenes Bewerbungsschreiben - so es denn diesen Regeln wirklich
entspricht - ist daher beeindruckender.
Ciao!
Arnulf
as...@on-luebeck.de (Arnulf Sopp)
http://www.on-luebeck.de/~asopp/
>2. Die alten Regeln sind ungleich schwieriger
Tja, das hört man häufig...
Gruß
Christoph
Nicht mehr für uns.
> Ein in dieser Form
> geschriebenes Bewerbungsschreiben - so es denn diesen Regeln wirklich
> entspricht - ist daher beeindruckender.
Mich würde ein _konsequent_ neurechtschreibig abgefasster Text mehr
faszinieren.
gruß,
--
Lutz Frommberger | "Wenn ist das Nunstueck git und
| Slotermeyer? Ja! ... Beiherhund
Lutz.Fro...@ira.uka.de | das Oder die Flipperwaldt
http://i11www.ira.uka.de/~frommb/ | gersput." - Ernest Scribbler
>1. Regeln sind nur f=FCr Schulen und andere Beh=F6rden verbindlich.
... und auch da nur im Schriftverkehr untereinander.
Rein rechtlich darf ein dir zugestellter Gerichtsbescheid vor Schreibfehler
strotzen. Das Ganze muß nur noch als "deutsch" erkennbar sein.
Tja ...
Reinhard
>Arnulf sprachs aus:
>
>
>>1. Regeln sind nur f=FCr Schulen und andere Beh=F6rden verbindlich.
>
>... und auch da nur im Schriftverkehr untereinander.
...da frage ich mich aber doch, ob Sekret*ä*riat korrekt ist? - oder
ist das auch schon neue Rechtschreibung? Man/frau lernt ja nie aus.
Gruß - Gaby
Das gilt für Erstklässler oder für Marsmenschen, die ganz neu Deutsch
lernen. Ich für meinen Teil habe meine komplette Schul- und Studienzeit
und auch noch die Zeit davor und dazwischen nur die alte Rechtschreibung
benuntzt. Für micht ist natürlich die neue schwieriger.
Alles ist relativ
sagt
Jürgen
--
Eilmitteilung von microsoft:
----------------------------
"Entgegen anders lautenden Gerüchten erscheint
Windows 2000 wie vorgesehen am 1. Oktober 1900"
-----------------------------------------------
http://user.berlin.de/~juergen.hoffmann/
juergen....@berlin.de meinte am 10.02.99
in /de/etc/sprache/deutsch
zum Thema "Re: Neue Rechtschreibung":
> > 2. Die alten Regeln sind ungleich schwieriger. Ein in
> > dieser Form geschriebenes Bewerbungsschreiben - so es
> > denn diesen Regeln wirklich entspricht - ist daher
> > beeindruckender.
>
> Das gilt für Erstklässler oder für Marsmenschen, die ganz
> neu Deutsch lernen. Ich für meinen Teil habe meine
> komplette Schul- und Studienzeit und auch noch die Zeit
> davor und dazwischen nur die alte Rechtschreibung
> benuntzt. Für micht ist natürlich die neue schwieriger.
Zugegeben, nach nochmaligem Durchlesen meines Standardwerks scheint es mir
nicht eindeutig verständlich, wenn man des zuvor Geschriebenen über die
neue Rechtschreibung eingedenk ist. Gemeint war:
Die alte Rechtschreibung ist schwieriger. Wenn man sich ihrer also
bedient, erntet man mehr Beifall.
So ist es möglicherweise meine Schuld, daß Du mich gründlich
mißverstandest.
>So ist es möglicherweise meine Schuld, daß Du mich gründlich
>mißverstandest.
>
... missverstanden hast?
Reinhard
Arnulf wollte wahrscheinlich zum Ausdruck bringen, daß das
Mißverständnis hoffentlich nicht in die Gegenwart fortwirkt.
Der korrekte Gebrauch des Imperfekt bzw. Praeteritum gerät leider mehr
und mehr in Vergessenheit.
MUSE zuckt mittlerweile zusammen, wenn mal ausnahmsweise jemand die
Zeiten korrekt anwendet (Deins ja auch).
Sogar mein ehemaliger Deutschlehrer hat sich kürzlich über folgenden
Satz (aus einem Aktenvermerk aus dem Jahre 1925) mokiert: "Es wird
angenommen, daß er homosexuell veranlagt sei." Sein Kommentar war: "Der
Gebrauch des Konjunktiv I, der ja eigentlich indirekte Rede anzeigt,
unterstreicht noch einmal, wie zart nur angedeutet wird."
Ich habe den Eindruck, daß Beugungen, die sich in einer Abwandlung der
Stammform ausdrücken (und nicht im phantasievollen Schmücken von
Partizipien mit Formen von Hilfsverben), mittlerweile schon eo ipso als
falsch bzw. ungebräuchlich empfunden werden.
Fällt das nur mir so auf, oder verarmt unsere Sprache in ihrer
praktischen Anwendung wirklich so sehr?
--
...und tschuess!
Michael
E-mail: M.Otte...@sailor.ping.de
>Der korrekte Gebrauch des Imperfekt bzw. Praeteritum gerät leider mehr
>und mehr in Vergessenheit.
>MUSE zuckt mittlerweile zusammen, wenn mal ausnahmsweise jemand die
>Zeiten korrekt anwendet (Deins ja auch).
...
>Ich habe den Eindruck, daß Beugungen, die sich in einer Abwandlung der
>Stammform ausdrücken (und nicht im phantasievollen Schmücken von
>Partizipien mit Formen von Hilfsverben), mittlerweile schon eo ipso als
>falsch bzw. ungebräuchlich empfunden werden.
>Fällt das nur mir so auf, oder verarmt unsere Sprache in ihrer
>praktischen Anwendung wirklich so sehr?
Wir kommen mehr und mehr zu einer rein deskriptiven
Betrachtung der Sprache:
Der Duden schaut den Leuten aufs Maul und schreibt
unreflektiert auf, was die so von sich geben - die Leute
wiederum schauen in den Duden, finden ihren Sprachgebrauch
darin wieder, und sehen sich bestätigt: "Es steht im Duden,
ergo ist es richtig".
Das muß man schlicht "realisieren" (früher hätte ich
geschrieben: sich vor Augen führen).
Der Konjunktiv hat heute anscheinend die Funktion,
Unverbindlichkeit zu vermitteln oder die Tatsache, daß
jemandes Aussagen nicht justiziabel seien oder sein sollen.
Das Maul halten mag man dennoch nicht.
"Ich würde sagen" impliziert meines Erachtens ein
unausgesprochenes "aber man fragt mich ja nicht, deswegen
sage ich ja auch eigentlich nicht". Der Staat wird heute
regiert von Leuten, die alle nicht sagen, was sie sagen.
Der Indikativ hingegen steht heute für ein eingebautes
Ausrufezeichen.
Hätte ich noch formuliert: "Aus dieser Situation hätte er
(der Mittelstürmer) einfach ein Tor schießen müssen", so
heißt das heute: "diese Changße mußte ein Tor sein" oder gar
"die Changße muß ein Tor sein".
O tempo'a, o mo'res; wie jener Pirat stets anzumerken
pflegte.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerdes
<oberlehrer an>
Wenn schon, denn schon: O tempo'a, o mo'es.
Das ist der gleiche, der im kalten Wasser "B''''''''''" sagte...
SCNR
<Oberlehrer aus>
Roland
--
V R. Schmitt-Hartmann, System Architecture HFC/NMS
+---------------+ Alcatel SEL AG, Access Systems Division, AS/HEA4
| A L C A T E L | Tel:+49-711821-49106, Fax: -45068, Alcanet: 259-
+---------------+ mailto:Roland.Schm...@ks.sel.alcatel.de
Aber Michael, wer sagt denn so? Wer hat je so geredet und wann? Kennst
du überhaupt den Unterschied zwischen dem englischen und dem deutschen
Perfekt? Nein? Dann will ich es dir sagen: nur das englische Perfekt hat
immer die Sprechergegenwart als Betrachtzeit. Du weißt nicht, was
Betrachtzeit ist? Und du willst dich über ein so heikles und selbst für
die Forschung so kompliziertes Thema wie den deutschen Tempusgebrauch
auslassen??
> Der korrekte Gebrauch des Imperfekt bzw. Praeteritum gerät leider mehr
> und mehr in Vergessenheit.
Dann sag uns doch, was korrekt ist. In einem Satz. Aber bitte so, daß
mir nicht sofort ein Gegenbeispiel einfällt. Nur Mut, wenn dir das auf
Anhieb gelingt, werd ich dich sofort für eine Professur in der
Sprachwissenschaft vorschlagen ...
> MUSE zuckt mittlerweile zusammen, wenn mal ausnahmsweise jemand die
> Zeiten korrekt anwendet (Deins ja auch).
Betonung auf das "U" in "MUSE".
> Ich habe den Eindruck, daß Beugungen, die sich in einer Abwandlung der
> Stammform ausdrücken (und nicht im phantasievollen Schmücken von
> Partizipien mit Formen von Hilfsverben), mittlerweile schon eo ipso
> als falsch bzw. ungebräuchlich empfunden werden.
>
> Fällt das nur mir so auf, oder verarmt unsere Sprache in ihrer
> praktischen Anwendung wirklich so sehr?
Ach je, in der Linguistik ist noch niemand auf die Idee gekommen, den
wohlbekannten süddeutschen Präteritumschwund und den typologischen
Wandel des Deutschen - weg von synthetischen und hin zu analytischen
Konstruktionen - als "Verarmung" zu bezeichnen. (Die armen Tommies und
Amis.) Warum schreibst du deine Postings nicht gleich in Sanskrit?
Weshalb dich mit dem schon formenärmeren Deutsch begnügen?
Der Kritiker des Kritikers sollte es zumindest etwas besser machen.
Also:
> So ist es möglicherweise meine Schuld, daß Du mich gründlich
> mißverstandest.
Das deutsche Präteritum ist vorwiegend ein narratives Tempus, sieht man
von den hochfrequenten und meist irregulären Verben ab ("war", "hatte",
"wollte" etc.), die sich stärker gegen das Perfekt sperren (selbst im
Süddeutschen). Leider (für dich) gibt es einen großen
Überschneidungsbereich zwischen Perfekt und Präteritum im Deutschen. Nur
Perfekt verwendet man, wenn die Resultatssituation in die Gegenwart
fortdauert (Referenzzeit = Sprechzeit): "Ich habe meinen Schlüssel
verloren." Das Präteritum läßt hier die Möglichkeit offen, daß der
Schlüssel wiedergefunden wurde, weil die Referenzzeit in der
Vergangenheit liegt. Desweiteren ist das Perfekt häufiger in
gesprochener Sprache, das Imperfekt in geschriebener. Es gibt ein
Nord-Süd-Gefälle: der Gebrauch des Imperfekts wird häufiger, je näher
man der dänischen Grenze kommt. Außerdem scheint das Perfekt etwas mit
"Gegenwartsrelevanz" zu tun haben, selbst wenn die Betrachtzeit explizit
in der Vergangenheit liegt: "Weißt du schon? Goethe ist gar nicht 1832
gestorben, sondern erst gestern!" (Im Englischen wäre Perfekt hier nicht
möglich.) Ich könnte dir etliche Aufsätze und Bücher nennen, wenn du
etwas tiefer in die Materie steigen möchtest. (Die deutschen Tempora
gehören übrigens zu meinem eigenen Forschungsgebiet.) Aber eine
befriedigende Lösung ist noch nicht gefunden worden, und wird es auch
nicht geben, wenn man nach einer strikten funktionalen Differenzierung
zwischen Perfekt und Präterium suchen will.
Nochmal zum Beispiel. Warum klingt das "mißverstandest" so schräg? Liegt
es wirklich an der Beugung? Warum klingt aber folgender Satz besser?
"So ist es möglicherweise meine Schuld, daß Du an der Ecke standst."
Ach, jetzt hab ich einfach das "e" verschluckt! Ist es das?
"So ist es möglicherweise meine Schuld, daß Du mich gründlich
mißverstandst."
Naja, so super auch nicht. Und wie wärs damit?
"So ist es möglicherweise meine Schuld, daß Du deine Prüfung nicht
bestand(e)st."
Auch doof. Ganz werd ich auch nicht schlau, selbst wenn ich andre Verben
einsetze oder das Verb durch sämtliche Konjugationen jage (mal besser,
mal schlechter.) Jedenfalls liegt das Unbehagen nicht an einem
angeblichen "Vergessen" der Tempusregeln meinerseits. Noch ein letzter
Versuch der Erklärung: "bestehen", "mißverstehen" sind resultative
Verben, anders als das durative "stehen". Kann es sein, daß in modalen
Kontexten, das heißt, wenn eine Aussage etwa durch ein Modaladverb
modalisiert wird, durch ein Modalverb wie "können" eingeleitet wird oder
in Frageform steht, also kann es sein, daß ein solches Verb dann im
Präteritum schlecht klingt? Weil hier "Gegenwartsrelevanz" zu
konstatieren ist? Vergleiche auch:
"Irrte ich mich damals?"
"Vielleicht täuschte er sich gestern nur."
"Kann es sein, daß du zu spät kamst?"
Für mich klänge Perfekt eindeutig besser. Vielleicht liegt es auch an
der Bedeutung des Verb "mißverstehen" selbst. Ob etwas ein
Mißverständnis war, ist eben auch eine Frage der späteren Bewertung.
Selbst wenn ich als Sprecher sage: "Arnulf hat gestern Michael
mißverstanden." berichte ich kein reines Faktum der Vergangenheit,
sondern treffe ein Urteil über eine (von Arnulf) gemachte Aussage.
Aber nichtsdestotrotz tappe ich weiter im Dunkeln. (Und nicht nur ich.)
Nur Herr Ottenbruch scheint einen exklusiven Zugang zu den Geheimnissen
unsrer Sprache zu besitzen. Wie er den Schlüssel dazu erworben hat, weiß
ich nicht. Er verfügt ja nicht einmal über elementares
sprachtheoretisches Wissen. (Siehe die "Verarmungsthese".) Spricht er
nur deshalb "ex cathedra", weil er an seine eigene Unfehlbarkeit glaubt?
Trotz dem "U" in MUSE(N)? Ein Hochstapler in d.e.s.d?
Ihr andern, entschuldigt meinen heiligen Zorn. Leider ist es so, daß
gerade beim Thema Sprache so viele Dilettanten haarsträubende Theorien
verkünden wollen, die schon lange widerlegt sind. Den Tausendfüßler
würde es nicht stören, wenn ein "Biologiekritiker" dessen
Fortbewegungsweise bemängelt. Dem Universum ist es egal, daß einige
Fundamentalisten meinen, es sei erst etwas über 4.000 Jahre alt. Aber
"Sprachkritiker" sind ein Ärgernis ersten Ranges. Für die Wissenschaft
selbst, natürlich, und für jene, die unter das Kritikermesser geraten.
Nichts ist einfacher, als die Sprache der andern zu kritisieren, wenn
man den eigenen sozialen und intellektuellen Status hervorkehren will.
Aus welchen Gründen auch immer.
Jürgen
Gottseidank! Auch die Astronomen wollen der Sonne ja nicht ihren Lauf
vorschreiben.
> Der Duden schaut den Leuten aufs Maul und schreibt
> unreflektiert auf, was die so von sich geben - die Leute
> wiederum schauen in den Duden, finden ihren Sprachgebrauch
> darin wieder, und sehen sich bestätigt: "Es steht im Duden,
> ergo ist es richtig".
Dann wärs aber doch okay. Viel schlimmer, wenn der DUDEN *nicht* den
Sprachgebrauch wiedergibt. Was meinst du mit "unreflektiert"? a.) "rein
zufällig"? Das wäre unwissenschaftlich. Zur adäquaten Beschreibung
gehört auch, ob ein Wort selten ist, fachsprachlich, regional,
gruppenspezifisch und einiges mehr ... b.) "ohne zu bewerten"?
Hoffentlich. Alles andere wäre vorwissenschaftlich und eine Art Zensur.
> Das muß man schlicht "realisieren" (früher hätte ich
> geschrieben: sich vor Augen führen).
Sobald dieses Wort häufig in dieser Bedeutung benutzt wird:
lexikalischer Bedeutungswandel. Ein Schicksal, das unzählige Wörter des
Deutschen bereits durch"litten" haben. Nur fällts keinem mehr auf.
> Der Konjunktiv hat heute anscheinend die Funktion,
> Unverbindlichkeit zu vermitteln oder die Tatsache, daß
> jemandes Aussagen nicht justiziabel seien oder sein sollen.
> Das Maul halten mag man dennoch nicht.
>
> "Ich würde sagen" impliziert meines Erachtens ein
> unausgesprochenes "aber man fragt mich ja nicht, deswegen
> sage ich ja auch eigentlich nicht". Der Staat wird heute
> regiert von Leuten, die alle nicht sagen, was sie sagen.
Sorry, "ich würde sagen" ist ein hypothetischer Konditional, der wie
folgt weitergeführt werden müßte: "... wenn mich jemand um meine Meinung
bitten würde." Mit dem Konjunktiv der indirekten Rede hat das nichts zu
tun. Ich wüßte auch nicht, wo hier eine neue Funktion zu finden wäre.
Kritikfähig ist natürlich die ganze Floskel. Aber um neue Funktionen zu
entdecken, müßtest du auch viele andere Verben betrachten.
> Hätte ich noch formuliert: "Aus dieser Situation hätte er
> (der Mittelstürmer) einfach ein Tor schießen müssen", so
> heißt das heute: "diese Changße mußte ein Tor sein" oder gar
> "die Changße muß ein Tor sein".
Nein, nur bei Fußballern und Sportreportern heißt das so. Ich seh für
den Konjunktiv keine Gefahr. Jede Sprache hat Mittel, um faktische
Sachverhalte von irrealen ("hätte ich gesagt") und bedingten ("würde ich
sagen") zu unterscheiden. Also, mach dir da man keine unnötigen Sorgen;
solange es noch Deutsche gibt, die Wirklichkeit und Vorstellung
auseinanderhalten können, solange existieren auch die verschiedenen
Konditionalformen.
Grüße,
Jürgen
>
>Aber Michael, wer sagt denn so? Wer hat je so geredet und wann? Kennst
>du überhaupt den Unterschied zwischen dem englischen und dem deutschen
>Perfekt? Nein? (...)
>(Lange Erklärung gesnippt)
>(...) und intellektuellen Status hervorkehren will.
>Aus welchen Gründen auch immer.
>
Ich bekenne freimütig, dass ich da oben nicht alles problemlos
verstehe, verstanden habe, aber keinesfalls verstand.
Für mich war's eigentlich immer ganz einfach. Es gibt auch im
Deutschen sowas wie eine Consecutio temporum:
Das fortlaufende Ereignis, die fortlaufende Handlung können im Präsens
oder im Präteritum referiert werden. Das sind die Verlaufszeiten.
Zeitlich Vorangehendes im Gliedsatz steht im ersten Fall im Perfekt,
im zweiten Fall im Plusquamperfekt:
Ich weiß, dass ich das richtig gemacht habe.
Ich wusste, dass ich das richtig gemacht hatte.
Der Gebrauch der Zeitformen in regional gefärbter Umgangssprache und
in Dialekten ist wieder was Anderes. In den österreichischen Varianten
ist's ganz einfach: Präteritum existiert nicht. (Außer "war")
"Ich wusste, dass ich das richtig machte" würde ich gelten lassen,
wenn ausgedrückt werden soll, dass ich zum Zeitpunkt des Handelns
schon von der Richtigkeit meines Tuns überzeugt war. Ich würde aber
auch in diesem Fall das Plusquamperfwekt vorziehen:
Ich wusste damals schon, dass ich alles richtig gemacht hatte.
Reinhard
Da ist aber ein Bedeutungsunterschied.
Im ersten Satz herrscht Gleichzeitigkeit in der Vergangenheit.
Waehrend die Handlung aufgefuehrt wurde, wusste man schon, dass es richtig war.
Im zweiten Satz herrscht Vorvergangenheit.
Nachdem die Handlung ausgefuehrt war, wusste man, dass es richtig war.
Gruss
Joerg
--
Jörg Schleicher
Email: j...@gpirs2.physik.uni-karlsruhe.de
Vielleicht liegt es daran, dass sich gewisse Verben gegen das Praeteritum
sperren. Also, gerade bei "missverstehen" habe ich so meine Schwierigkeiten,
mir ueberhautp eine Formulierung einfallen zu lassen, bei der das
Praeteritum "gut" klingt.
Paul missverstand Peter.
???
Das geht bei mir so weit, dass ich "korrigierend" das "miss" abtrenne,
("Paul verstand Peter miss")
wenn ich gerade Praeteritum rede (kommt ab und an mal vor).
Intuitiv. Natuerlich wissend, dass das falsch ist. Trotzdem
mache ich diesen "Sprachscherz" eigentlich regelmaessig.
Auch bei "bestehen" muss ich mich anstrengen, um einen Satz mit
Praeteritum zu finden, der nicht holpert.
Vielleicht liegt das daran, dass diese Verben immer auch einen
Einfluss auf die Gegenwart haben.
Oder doch wenigstens so oft, dass die Praeteritumform nie gebraucht
wird und sie darum auch merkwuerdig klingt.
>sperren. Also, gerade bei "missverstehen" habe ich so meine Schwierigkeiten,
>mir ueberhautp eine Formulierung einfallen zu lassen, bei der das
>Praeteritum "gut" klingt.
Das erstaunt mich sehr. Mitte eine Diskussion wird man doch genau
diesen Satz oft brauchen: "Paul mißverstand Peter. Er meinte, daß
..."
Wenn man sagt "Paul hat Peter mißverstanden, aber Klaus hat ihm
die richtige ...", ist die Diskussion schon längst vorbei.
>Oder doch wenigstens so oft, dass die Praeteritumform nie gebraucht
>wird und sie darum auch merkwuerdig klingt.
Noch wieder erstaunlich.
Gruß, Bertel
Lieber Bertel, mich hat es auch erstaunt, daß "mißverstehen" sich so
gegen das Präteritum sperrt, jedenfalls meinem Sprachgefühl nach. (Und
ich bin nicht der Einzige.) Wir sind da auf ein ganz spannendes Feld
gestoßen. Es stimmt nicht, was du oben sagst. Auch in diesem Kontext
heißt es normalerweise: "Paul hat Peter mißverstanden. Er meinte,
daß..." Wie klingt für Dich der folgende Satz?
?? Ich konnte beobachten, wie Arnulf gerade Michael mißverstand.
Wenn wir zu einer Erklärung kommen wollen, müssen wir andre Verben
suchen, die sich ähnlich wie "mißverstehen" verhalten. Und dabei habe
ich entdeckt, daß es sich um eine Gruppe von Verben mit doppeltem Präfix
handelt. Das innere Präfix darf nicht abtrennbar sein, das äußere ist
zwar meist abtrennbar, aber es besteht eine Neigung, es trotzdem am Verb
zu belassen. Konkret sind dies etwa folgende Verben:
an|be|raumen, unter|be|werten, über|er|füllen, auf|er|stehen.
?Der Richter anberaumte einen neuen Termin. (*beraumte ... an)
?Peter unterbewertete seine Leistung. (*bewertete ... unter)
?Stachanow übererfüllte das Plansoll. (*erfüllte ... über)
?Christus auferstand von den Toten. (*erstand ... auf)
Auch hier klingt das Präteritum einigermaßen schräg oder zumindest
stilistisch sehr auffällig. Ich empfinde es sogar als poetisch-erhaben.
Was haltet ihr von meine Erklärung? Findet ihr Gegenbeispiele?
Jürgen
>gestoßen. Es stimmt nicht, was du oben sagst. Auch in diesem Kontext
>heißt es normalerweise: "Paul hat Peter mißverstanden. Er meinte,
>daß..."
Ich spreche natürlich als Däne. Manchmal habe ich dasselbe
Sprachempfinden als ein Deutscher, aber ab und zu setzt sich
meine dänische Sprache durch. Wir verwenden oft das Präterium.
Meinen die anderen Deutschsprechenden wie Du?
>Wie klingt für Dich der folgende Satz?
>Ich konnte beobachten, wie Arnulf gerade Michael mißverstand.
Merkwürdig, weil "mißverstehen" nicht ein Prozeß ist, den man
beobachten kann. Erst nachdem der Misverstehen beendet ist, weiß
man, das es sich davon dreht. Deshalb würde ich in deinem
Beispiel Perfektum anwenden.
>?Der Richter anberaumte einen neuen Termin. (*beraumte ... an)
Was mit: Der Richter raumte einen neuen Termin anbe.
(Ich weiß schon)
>Auch hier klingt das Präteritum einigermaßen schräg oder zumindest
>stilistisch sehr auffällig.
Für mich nicht.
Gruß, Bertel
Fuer mich klingt er komisch. Umformulieren kann ich ihn aber auch
nicht. Ich wuerde das vermutlich umgehen und "falsch verstand"
waehlen.
> Wenn wir zu einer Erklärung kommen wollen, müssen wir andre Verben
> suchen, die sich ähnlich wie "mißverstehen" verhalten. Und dabei habe
> ich entdeckt, daß es sich um eine Gruppe von Verben mit doppeltem Präfix
> handelt. Das innere Präfix darf nicht abtrennbar sein, das äußere ist
> zwar meist abtrennbar, aber es besteht eine Neigung, es trotzdem am Verb
> zu belassen. Konkret sind dies etwa folgende Verben:
>
> an|be|raumen, unter|be|werten, über|er|füllen, auf|er|stehen.
>
> ?Der Richter anberaumte einen neuen Termin. (*beraumte ... an)
> ?Peter unterbewertete seine Leistung. (*bewertete ... unter)
> ?Stachanow übererfüllte das Plansoll. (*erfüllte ... über)
> ?Christus auferstand von den Toten. (*erstand ... auf)
>
> Auch hier klingt das Präteritum einigermaßen schräg oder zumindest
> stilistisch sehr auffällig. Ich empfinde es sogar als poetisch-erhaben.
> Was haltet ihr von meine Erklärung? Findet ihr Gegenbeispiele?
Die Erklaerung finde ich gut. Aber sie trifft nicht alle.
Bei "anberaumen" habe ich kein Problem mit "Er beraumte ... an."
Die anderen drei Beispiele sperren sich auch fuer mich gegen
das Praeteritum.
Uebrigens faellt mir auf, dass ich selbst Praesensbildungen
dieser Verben vermeiden wuerde, weil sowohl zusammen lassen
als auch abtrennen komisch klingt. Nur Infinitiv und Partizip
sind MUSEN in Ordnung.
Andere Beispiele:
vorverurteilen, handvermitteln,
Ah, halt, doch noch ein Gegenbeispiel:
wiederverwenden: Er verwendete es wieder.
Mir scheint es also so zu sein, dass wir gerne die zweite
Vorsilbe abtrennen wollen. Wo das nicht geht, entweder weil es
eine unabtrennbare Vorsilbe ist, oder weil wesentlichen Information
dabei zu spaet kaeme, funktioniert es nicht. In diesem Fall
sperrt sich das Verb dann aber gleich gegen alle konjugierten Formen.
Wieder Gruesse
>In article <36c53ea1...@news.aon.at>, er...@aon.at (Reinhard Gonaus) writes:
>>
>> Ich wusste, dass ich das richtig machte.
>> ... aber lieber ...
>> Ich wusste damals schon, dass ich alles richtig gemacht hatte.
>
>Da ist aber ein Bedeutungsunterschied.
>Im ersten Satz herrscht Gleichzeitigkeit in der Vergangenheit.
>Waehrend die Handlung aufgefuehrt wurde, wusste man schon, dass es richtig war.
>Im zweiten Satz herrscht Vorvergangenheit.
>Nachdem die Handlung ausgefuehrt war, wusste man, dass es richtig war.
>
Ja. Wenn man's ganz pizzelig genau nimmt.
Ich glaube nicht, dass durchschnittliche Sprecher so genau sind. Ich
mit Sicherheit nicht.
Reinhard
>
>>?Der Richter anberaumte einen neuen Termin. (*beraumte ... an)
>
>Was mit: Der Richter raumte einen neuen Termin anbe.
>(Ich weiß schon)
>
Das, denk ich, kommt von den unnötigen Wörtern. Warum muss denn der
Richter einen neuen Termin anberaumen? Kann er ihn nicht einfach
festsetzen?
Und warum müssen so viele Dinge das und jenes beinhalten? Können sie's
nicht enthalten oder zum Inhalt haben?
Reinhard
> Das deutsche Präteritum ist vorwiegend ein narratives Tempus, sieht man
> von den hochfrequenten und meist irregulären Verben ab ("war", "hatte",
> "wollte" etc.),
Ich käme allerdings nie auf die Idee, "war", "hatte" und "wollte" alls
irreguläre Verben zu bezeichnen. Natürlich sind sie sehr unregelmäßig in
der Formenbildung, so daß man sie als /unregelmäßige Verben/ bezeichnen
kann. Aber irregulär? Sind das Deiner Meinung nach etwa gar keine
richtigen Verben?
Karl-Heinz Krause
"Irregulär" ist nur das Fachwort für "unregelmäßig", mehr nicht. Auf
Englisch: "irregular verbs". Ganz unabhängig davon sind außerdem "war",
"hatte", "wollte" etc., wie viele andere sehr häufige Verben, atypische
Verben, nämlich Hilfs- und Modalverben. Also tatsächlich "keine
richtigen Verben". Aber mit "Irregularität" hat das nichts zu tun.
Jürgen
> Michael Ottenbruch schrieb:
> >
> > > >So ist es möglicherweise meine Schuld, daß Du mich gründlich
> > > >mißverstandest.
> > > >
> > > ... missverstanden hast?
> >
> > Arnulf wollte wahrscheinlich zum Ausdruck bringen, daß das
> > Mißverständnis hoffentlich nicht in die Gegenwart fortwirkt.
>
> Aber Michael, wer sagt denn so? Wer hat je so geredet und wann? Kennst
> du überhaupt den Unterschied zwischen dem englischen und dem deutschen
> Perfekt? Nein?
>
> [...]
>
> Nur Herr Ottenbruch scheint einen exklusiven Zugang zu den Geheimnissen
> unsrer Sprache zu besitzen. Wie er den Schlüssel dazu erworben hat, weiß
> ich nicht. Er verfügt ja nicht einmal über elementares
> sprachtheoretisches Wissen. (Siehe die "Verarmungsthese".)
Ich schäme mich!
Ich sehe ein, daß ich Strafe verdient habe, und ich bitte um eine
gehörige solche!
Ich gelobe hiermit feierlich, nie wieder in den ausdrücklich für
Sprachtheoretiker reservierten Gefilden von de.etc.sprache.deutsch mein
unqualifiziertes Unwesen zu treiben.
Insbesondere werde ich nie wieder ein 38-zeiliges Posting absondern, auf
das so kompetente Sprachwissenschaftler wie Jürgen Amrhein aufgrund
meiner Inkompetenz ein bis zwei 134-zeilige Antworten zu erwidern sich
nachgerade gezwungen fühlen müssen.
Ich entschuldige mich ganz besonders dafür, daß ich hier vielleicht eine
Diskussion angestoßen haben könnte...
> Spricht er
> nur deshalb "ex cathedra", weil er an seine eigene Unfehlbarkeit glaubt?
Nein. Nein! NEIN!
Ich hab es nicht gewollt!
Ich nehme alles zurück, insbesondere jedes Wort einzeln, durch das ich
Jürgen Amrhein provoziert haben könnte!
> Trotz dem "U" in MUSE(N)? Ein Hochstapler in d.e.s.d?
Ich bin kein Hochstapler! Ich bin einfach nicht so klug wie Juergen
Amrhein. Aber: Wer ist das schon?
> "Irregulär" ist nur das Fachwort für "unregelmäßig", mehr nicht.
Ich bezweifle sehr, daß "irregulär" ein unter (deutschsprachigen)
Wissenschaftlern gebräuchliches Fachwort für "unregelmäßig" ist. Ich
habe eher den Verdacht, daß hier jemand ohne viel nachzudenken einen
englischen Ausdruck ins Deutsche übernommen hat (nicht beachtend, daß
"irregulär" im Dt. etwas anderes bedeutet).
> Auf Englisch: "irregular verbs".
eben!
Karl-Heinz Krause
Tu das, und stell dich dabei schön in die Ecke! ;-)
> Ich sehe ein, daß ich Strafe verdient habe, und ich bitte um eine
> gehörige solche!
Nein, nein, ein Sadist bin ich nicht. Mein Artikel war hoffentlich
Prügel genug! ;-)
> Ich gelobe hiermit feierlich, nie wieder in den ausdrücklich für
> Sprachtheoretiker reservierten Gefilden von de.etc.sprache.deutsch
> mein unqualifiziertes Unwesen zu treiben.
Ach nein, ich bin nicht der Erzengel, der das d.e.s.d-Paradies mit
flammendem Schwert bewacht und Unbefugte in die karge Wüste schickt. Du
hast nur ein paar unverzeihliche Statements gemacht, die in jedem
Sprachtheoretiker einen Zorn biblischen Ausmasses entfachen. ;-) Um
einen Fluß zu stauen oder umzuleiten, muß ich Ingenieur sein. Aber um in
den natürlichen Lauf der Sprachgeschichte einzugreifen, glauben sich
viele schon dadurch hinreichend qualifiziert zu sehen, daß sie Liebhaber
alter Wendungen und Formen sind. Was zunächst liebenswürdige sprachliche
Nostalgie ist, kann schnell zum oberlehrerhaften Eiferertum führen. Die
These, daß Sprachen verarmen könnten, ist vom gleichen Kaliber wie die
Ansicht der Alten, daß früher alles besser gewesen sei und die Sitten
heutzutage verrohen.
> Insbesondere werde ich nie wieder ein 38-zeiliges Posting absondern,
> auf das so kompetente Sprachwissenschaftler wie Jürgen Amrhein
> aufgrund meiner Inkompetenz ein bis zwei 134-zeilige Antworten zu
> erwidern sich nachgerade gezwungen fühlen müssen.
Wie anders kann ich denn sonst anscheinend unausrottbare Irrtümer aus
der Welt schaffen? Ich tue das primär meiner Disziplin und der
wissenschaftlichen Aufklärung zuliebe, und nicht, um dich zu deckeln. Du
mußt halt wissen, daß "Sprachkritiker" ein rotes Tuch für jeden
Linguisten sind. Die wissen meist nicht mehr über Sprache als der größte
Teil der Menschheit, wollen es aber partout nicht zugeben. So gut wie
immer ist ihr autoritäter Duktus indirekt proportional zu ihrem
sprachtheoretischen Wissen. Und leider haben sie wie so viele
Hohepriester und Gurus auch eine ziemlich große Gefolgschaft. Wie denkst
du etwa über New-Age-Philosophen, die aus einer nichtverstandenen
Quantenphysik ihre trübe Suppe kochen?
> Ich entschuldige mich ganz besonders dafür, daß ich hier vielleicht
> eine Diskussion angestoßen haben könnte...
Entschuldigung nicht angenommen. :-) Immerhin hat sich doch noch eine
recht spannende Diskussion über das seltsame "beanstandest" herum
entwickelt.
> Ich nehme alles zurück, insbesondere jedes Wort einzeln, durch das ich
> Jürgen Amrhein provoziert haben könnte!
Du mußt doch nur deine "Verarmungsthese" zurücknehmen, und bei allen
Linguisten-Göttern schwören, sie hinfort mit Schwert und Feuer so wie
ich bekämpfen zu wollen!
> > Trotz dem "U" in MUSE(N)? Ein Hochstapler in d.e.s.d?
>
> Ich bin kein Hochstapler! Ich bin einfach nicht so klug wie Juergen
> Amrhein. Aber: Wer ist das schon?
Ich bin auch keine IQ-Bestie, aber einer der ganz raren Fachleute hier,
zumindest auf dem Feld der theoretischen Linguistik. Trau dich mal mit
solchen Statements, die deiner Verarmungsthese vergleichbar sind, in
NGS, in der es wesentlich mehr Leute vom Fach gibt! (Ich würde es dir
nicht wünschen! "Hochstapler" würde sicher noch zu den eher milden
Formulierungen gehören ... ;-))
> 13. Are all languages equally complex, or are some more primitive than others?
> [--M.C. + M.R.]
> In the last century many people believed that so-called "primitive
> peoples" would have primitive languages, and that Latin and Greek--
> or their own languages-- were inherently superior to other tongues.
>
> In fact, however, there is no correlation between type or complexity of
> culture and any measure of language complexity. Peoples of very simple
> material culture, such as the Australian Aborigines, are often found to
> speak very complex languages.
>
> Obviously, the size of the vocabulary and the variety and sophistication of
> literary forms will depend on the culture. The _grammar_ of all languages,
> however, tends to be about equally complex-- although the complexity may
> be found in different places. Latin, for instance, has a much richer
> system of inflections than English, but a less complicated syntax.
>
> As David Crystal puts it, "All languages meet the social and psychological
> needs of their speakers, are equally deserving of scientific study, and can
> provide us with valuable information about human nature and society."
Hallo Karl-Heinz,
"unregelmäßig" ist so ziemlich eine wörtliche Übersetzung von
"irregulär", und bedeutet "nicht den Regeln gemäß". Wo ist das Problem?
Warum sollte ein "irreguläres Verb" kein richtiges Verb sein? Vielleicht
denkst du an "irreguläre Spiele", die im nachhinein annulliert werden.
Das aber nur deshalb, weil sie eben mindestens eine (Spiel)Regel
verletzt haben (so wie Verben Konjugationsregeln verletzten können). Aus
dieser kontextuellen Bedeutung kannst du keinen echten
Bedeutungsunterschied herleiten. "Unregelmäßiges Spiel" täte es auch,
nur hat sich hier das Fremdwort durchgesetzt. Ich weiß nicht, wie oft
deutschsprachige Wissenschaftler zum Fremdwort "irregulär" greifen. Aber
sie tun es ab und an, was bei einem internationalen Terminus Technicus
ja auch nichts Besonderes ist.
Grüße,
Jürgen
immer ist ihr autoritäter Duktus indirekt proportional ihrem
sprachtheoretischen Wissen. Und leider haben sie wie so viele
Hohepriester und Gurus auch eine ziemlich große Gefolgschaft. Wie denkst
du etwa über New-Age-Philosophen, die aus einer nichtverstandenen
Quantenphysik ihre trübe Suppe kochen?
> Ich entschuldige mich ganz besonders dafür, daß ich hier vielleicht
> eine Diskussion angestoßen haben könnte...
Entschuldigung nicht angenommen. :-) Immerhin hat sich doch noch eine
recht spannende Diskussion über das seltsame "beanstandest" herum
entwickelt.
> Ich nehme alles zurück, insbesondere jedes Wort einzeln, durch das ich
> Jürgen Amrhein provoziert haben könnte!
Du mußt doch nur deine "Verarmungsthese" zurücknehmen, und bei allen
Linguisten-Göttern schwören, sie hinfort mit Schwert und Feuer so wie
ich bekämpfen zu wollen!
> > Trotz dem "U" in MUSE(N)? Ein Hochstapler in d.e.s.d?
>
> Ich bin kein Hochstapler! Ich bin einfach nicht so klug wie Juergen
> Amrhein. Aber: Wer ist das schon?
Ich bin auch keine IQ-Bestie, aber einer der ganz raren Fachleute hier,
zumindest auf dem Feld der theoretischen Linguistik. Trau dich mal mit
solchen Statements, die deiner Verarmungsthese vergleichbar sind, in
NGS, in der es wesentlich mehr Leute vom Fach gibt! (Ich würde es dir
nicht wünschen! "Hochstapler" würde sicher noch zu den eher milden
Formulierungen gehören ... ;-))
Nix für ungut,
Jürgen
P.S.: Unten füge ich einen interessanten Ausschnitt aus der FAQL von
sci.lang bei. Sowenig es "primitivere" Sprachen gibt als andere, sowenig
gibt es auch einen grammatischen Komplexitätsunterschied zwischen
verschiedenen Epochen einer Sprache.
---------------------------------------------------------------------
13. Are all languages equally complex, or are some more primitive than
others?
In the last century many people believed that so-called "primitive
peoples" would have primitive languages, and that Latin and Greek-- or
their own languages-- were inherently superior to other tongues.
In fact, however, there is no correlation between type or complexity of
culture and any measure of language complexity. Peoples of very simple
material culture, such as the Australian Aborigines, are often found to
speak very complex languages.
Obviously, the size of the vocabulary and the variety and sophistication
of literary forms will depend on the culture. The _grammar_ of all
languages, however, tends to be about equally complex-- although the
complexity may be found in different places. Latin, for instance, has a
much richer system of inflections than English, but a less complicated
syntax.
As David Crystal puts it, "All languages meet the social and
psychological needs of their speakers, are equally deserving of
scientific study, and can provide us with valuable information about
human nature and society."
http://www.cis.ohio-state.edu/hypertext/faq/usenet/sci-lang-faq/faq.html
>"unregelmäßig" ist so ziemlich eine wörtliche Übersetzung von
>"irregulär",
Zuerst hast Du erklärt, daß es ein Fachwort ist. Jetzt
argumentierst Du als ob es ein solches nicht ist [1]. Was meinst
Du?
[1] Was Fachwörter angeht, braucht man nicht zu argumentieren,
man kann ganz einfach ein Paar Titel einiger Fachschriften
angeben.
Gruß, Bertel
>These, daß Sprachen verarmen könnten, ist vom gleichen Kaliber wie die
>Ansicht der Alten, daß früher alles besser gewesen sei und die Sitten
>heutzutage verrohen.
Wieso ist die Behauptung, dass etwas sein könne vom gleichen
Kaliber wie die Behauptung, dass etwas sei?
--
Gerald Fix
Ich denke, hier geht es um die getroffene Aussage, nicht die Form in der
sie gebracht wurde.
Die These, dass Wasser durch Blasmusik suesser werden koennte, ist
halt[tm] vom gleichen Kaliber, wie die Ansicht, das rote Autos weniger
fehleranfaellig sind, als braune - beides Kaliber 0.0.
--
Heiko
>Lieber Bertel, mich hat es auch erstaunt, daß "mißverstehen" sich so
>gegen das Präteritum sperrt, jedenfalls meinem Sprachgefühl nach. (Und
>ich bin nicht der Einzige.) Wir sind da auf ein ganz spannendes Feld
>gestoßen. Es stimmt nicht, was du oben sagst. Auch in diesem Kontext
>heißt es normalerweise: "Paul hat Peter mißverstanden. Er meinte,
>daß..." Wie klingt für Dich der folgende Satz?
>
>?? Ich konnte beobachten, wie Arnulf gerade Michael mißverstand.
Und was ist mit:
Noch während seiner Ausführungen spürte Michael, wie Arnulf ihn
mißverstand. (oder auch "daß er ihn mißverstand")
Ich finde den Satz in Ordnung und habe kein Problem damit! Du?
CU, Theo
--
Abkürzungen unklar? Dann http://www.t-online.de/service/haupt/newsvh06.htm
Etwas umfangreicher unter http://www.stino.ch/driver/sonstiges/emoticon.htm
>>Wieso ist die Behauptung, dass etwas sein könne vom gleichen
>>Kaliber wie die Behauptung, dass etwas sei?
>
>Beide haben das Kaliber einer Behauptung?!?
Du unterstellst Jürgen Amrhein, er würde Banalitäten von sich
geben?
--
Gerald Fix
> "unregelmäßig" ist so ziemlich eine wörtliche Übersetzung von
> "irregulär", und bedeutet "nicht den Regeln gemäß". Wo ist das Problem?
"unregelmäßig" und "irregulär" sind im Deutschen zwei Wörter mit
unterschiedlicher Bedeutung, unabhängig davon, daß das eine die
wörtliche Übersetzung des anderen ist. Die beiden Wörter sind im Dt.
nicht austauschbar.
Wenn ein Stück Stoff ein Muster hat, das etwas wirr aussieht, dann kann
man sagen, es habe ein unregelmäßiges Muster, aber nicht, es habe ein
irreguläres Muster. Wenn eine Buslinie nicht streng periodisch verkehrt,
dann kann man sagen, sie verkehre unregelmäßig, aber nicht, sie verkehre
irregulär. Wenn jemand bei einem Spiel einen Zug macht, der nicht
erlaubt ist, dann kann man sagen, es sei ein irregulärer Zug, aber
nicht, daß es ein unregelmäßiger Zug sei.
"unregelmäßig" bedeutet im Deutschen "keiner (offensichtlichen) Regel
folgend", wobei "Regel" hier soviel heißt wie "Regelmäßigkeit".
"irregulär" bedeutet dagegen "nicht den Regeln gemäß", wobei "Regel"
hier eher so etwas bedeutet wie "Vorschrift". "irregulär" ist also eine
sehr schwache Form von "nicht erlaubt".
Für Wörter, die nicht den üblichen Regeln der Formenbildung folgen,
kenne ich nur die Bezeichnung "unregelmäßig". "irreguläres Verb"
bedeutet nach meinem (für mich maßgeblichen :-) ) Sprachempfinden sowas
wie "kein richtiges Verb" oder "nicht erlaubtes Verb" o. ä.
Karl-Heinz Krause
> Sowenig es "primitivere" Sprachen gibt als andere, sowenig
> gibt es auch einen grammatischen Komplexitätsunterschied
> zwischen verschiedenen Epochen einer Sprache.
Selbst wenn nach Church und Turing alle Programmiersprachen
gleichermaßen geeignet - oder ungeeignet - sind, ein Problem
grundsätzlich zu lösen, so wird doch nur der hartgesottenste
Programmierer für seine tägliche Arbeit Plankalkül C++
vorziehen - wenngleich wohl niemand glaubhaft bestreiten
wird, daß beide einer Turing-Maschine gleichwertig sind.
In diesem Sinne ist wohl nicht davon auszugehen, daß
Ottenbruch durch Verwendung des Wortes »verarmt« den so
titulierten Sprachen ihren Typ-0-Status absprechen wollte.
Könnte die verzweifelte Suche eines Anlasses zu einer
Revanche für [1] dem »raren Fachmann«, der in [2] an einem
ähnlich[3] gebrauchten »verarmte« gar nichts auszusetzen
hatte, das Denken dermaßen vernebelt haben, daß er plötzlich
im Namen der Linguistik ein Monopol auf die Sinndeutung bzw.
-gebung von Begriffen zu beanspruchen suchte?
(Nein, ich lese Shakespeare dennoch
nicht im klingonischen Original.)
[1] http://www.dejanews.com/getdoc.xp?AN=421826562&fmt=raw
[2] http://www.dejanews.com/getdoc.xp?AN=429547856&fmt=raw
»Sprache verarmte, ebnete man jede begriffliche Nuance auf
den kleinsten gemeinsamen Nenner ein, nur weil sich nicht
jeder (mehr) der dazu notwendigen Wörter zu bedienen weiß.«
- Amrhein: »In dieser Allgemeinheit hast du natürlich recht.«
[3] Ja, der Unterschied zwischen Vokabular und Grammatik
ist mir bekannt; genau deshalb schrieb ich »ähnlich«.
Damit habe ich auch keine Probleme. Ach je, ziemlich kompliziert das
alles. ;-)
Jürgen
Hallo Karl-Heinz, bis dahin finde ich deine Ausführungen sehr
überzeugend! :-)
> Für Wörter, die nicht den üblichen Regeln der Formenbildung folgen,
> kenne ich nur die Bezeichnung "unregelmäßig". "irreguläres Verb"
> bedeutet nach meinem (für mich maßgeblichen :-) ) Sprachempfinden
> sowas wie "kein richtiges Verb" oder "nicht erlaubtes Verb" o. ä.
Dieser Übertragung auf die Formenbildung kann ich allerdings nicht mehr
zustimmen. Wie ich schon gepostet habe, verletzen auch "unregelmäßige"
Verben bestimmte "Regeln" (nämlich die der Wortbildung). Natürlich sind
das keine Vorschriften, insofern sind diese Verben trotzdem "erlaubt".
Es handelt sich hier ja nicht um normative, sondern um deskriptive
Regeln. Nur: deine Beispiele zur Verwendung von "unregelmäßig" lassen
sich noch viel schlechter auf diese Verben übertragen. Das hieße ja, daß
ein "unregelmäßiges Verb" keiner offensichtlichen Regel folgen würde,
also mal so und mal so konjugiert werden könnte. Es ist aber nicht wie
ein wirres Tuchmuster, sondern folgt eben einem anderen "Muster" als dem
Standardmuster der andren Verben. Es hat auch nicht periodisch mal die
oder jene Flexion wie ein Bus, der mal zu früh oder zu spät kommen kann,
sondern immer dieselbe. Wie ein Bus einer bestimmten Fahrlinie, der
konsequent eine genau definierte Zeit vom Fahrplan abweicht. Wenn ich
das "unregelmäßige Verb" so wörtlich nehmen müßte wie du, dann hätte ich
dasselbe komische Gefühl wie beim "unregelmäßigen Zug". Der folgt ja
nicht wechselnden Regeln, sondern verletzt eine ganz bestimmte Regel. Um
es etwas abstrakter zu fassen: "unregelmäßig" bezieht sich auf das
Nichtvorhandensein einer internen Regularität, "irregulär" dagegen auf
das Nichtübereinstimmen mit einer externen Regularität.
Ich denke, daß die Unterscheidung, die du so schön dargelegt hast, eine
recht moderne ist und jedenfalls zu der Zeit, als das "unregelmäßige
Verb" im Deutschen geprägt wurde, nicht in dieser strengen Form
vorhanden sein konnte. Sprich: aus einer ursprünglichen Synonymie haben
per sog. "Synonymenflucht" beide Wörter mehr und mehr ihre Bedeutungen
gegeneinander abgegrenzt, weil die Sprecher des Deutschen eine
semantische Differenzierung offensichtlich als nutzvoll angesehen haben.
Grüße,
Jürgen
Ich hab mich mal vergewissert, und tatsächlich, "unregelmäßiges Verb"
ist so fest eingebürgert im Deutschen, daß "irregulär" zumindest im Dt.
als Fremdwort (oder Anglizismus) und nicht als Fachwort empfunden werden
muß. Dennoch: "irregulär" ist ein internationaler Fachterminus, den m.E.
auch das Dt. problemlos übernehmen könnte, wenn nicht die Tradition dem
entgegenstünde. Also: Fachwort ja, mit Ausnahme des Deutschen.
Fachwörter zeichnen sich durch ihre Internationalität aus.
(Ich könnte wetten, daß "verbes irregulaires"/"irregular verbs" zunächst
eine Übersetzung aus dem Deutschen war, und zwar aus dem Beginn des 19.
Jahrhunderts, wo die deutsche Sprachwissenschaft noch international
führend war. Andererseits: "unregelmäßig" selbst ist ein junges Wort,
als Lehnbildung zu wohl franz. "irregulaire".)
Grüße,
Jürgen
Nein, die gibt es im Dt. leider nicht, auch wenn die Zeitenfolge
natürlich nicht völlig beliebig ist. Tempora haben ihre eigene
Grundbedeutung, die unabhängig vom Vorkommen in Gliedsätzen ist. Ich
versuche, diese Bedeutungen vereinfacht zu skizzieren:
A) Präsens: gegenwärtige oder zukünfige Ereignisse, daneben auch
zeitlose/allgemeingültige.
B) Präteritum: vergangene Ereignisse, die auf eine ebenfalls vergangene
Referenzzeit bezogen sind. Dabei ist wichtig, daß ein Ereignis, das als
Bezugspunkt dient, ebenfalls im Präteritum stehen kann, egal ob es vor-,
gleich-, oder nachzeitig ist:
a.) Paul hustete, als ich das Zimmer betrat.
b.) Paul hustete, nachdem ich das Zimmer betrat.
c.) Paul hustete, bevor ich das Zimmer betrat.
Du hast aber behauptet:
> Das fortlaufende Ereignis, die fortlaufende Handlung können im Präsens
> oder im Präteritum referiert werden. Das sind die Verlaufszeiten.
> Zeitlich Vorangehendes im Gliedsatz steht im ersten Fall im Perfekt,
> im zweiten Fall im Plusquamperfekt:
Nach dir müßten also b. und c. falsch sein und wie folgt korrigiert
werden:
b.)' Paul hustete, nachdem ich das Zimmer betreten hatte.
c.)' Paul hatte gehustet, bevor ich das Zimmer betrat.
Pqpf. ist hier aber nicht notwendig, um die Vorvergangenheit
auszudrücken, das Präteritum wie oben reicht völlig aus.
Anders ist das in folgenden Beispielen:
d.) Paul hatte (schon) gehustet, als ich das Zimmer betrat.
e.) Paul hustete solange, bis alle aus dem Zimmer geflohen waren.
(d.h. während Pauls Husten flieht einer nach dem anderen)
Wenn du hier Perfekt oder Präteritum einsetzst, ergeben sich andere
Interpretationen:
d.)' Paul hustete (noch), während ich eintrat.
e.)' Erst nach Pauls letztem Huster beginnt die gemeinsame Flucht.
Übrigens ist bei e.) oben nicht eigentlich "hustete" der Bezugspunkt,
sondern der imaginäre Zeitpunkt, an dem das Fliehen ein Ende hatte.
f.) Paul hustete solange, bis der Zeitpunkt erreicht war, wo alle
geflohen waren.
> Das fortlaufende Ereignis, die fortlaufende Handlung können im Präsens
> oder im Präteritum referiert werden. Das sind die Verlaufszeiten.
Auch das ist nicht richtig, wenn ich "Verlaufszeit" so verstehe wie etwa
die engl. "continous form" (Progressiv, Imperfektiv):
g.) Peter was playing cards./ Peter spielte Karten.
h.) Eva lived two years ago in Bonn. / Eva lebte vor zwei Jahren in
Bonn.
Das dt. Präteritum übersetzt also sowohl die ordinary als auch die
continuous form. Natürlich ist auch das dt. Präsens keine Verlaufsform,
sondern hat umfassendere Bedeutung (s. oben).
C) Zum Perfekt hab ich schon in meinem letzten Artikel einiges gesagt.
Deshalb gleich zu deinem Beispiel:
> Zeitlich Vorangehendes im Gliedsatz steht im ersten Fall im Perfekt,
> im zweiten Fall im Plusquamperfekt:
>
> Ich weiß, dass ich das richtig gemacht habe.
> Ich wusste, dass ich das richtig gemacht hatte.
i.) Ich weiß, daß der erste Mann 1969 auf den Mond flog.
Präteritum deshalb, weil es um ein völlig abgeschlossenes Ereignis der
Vergangenheit geht.
j.) Ich weiß, daß Peter seinen Schlüssel verloren hat.
Das Präteritum "verlor" kann nicht gewählt werden, wenn Peter seinen
Schlüssel immer noch nicht gefunden hat, ich das ebenfalls weiß und
diese Tatsache für meine Aussage relevant ist:
k.) ??Ich weiß, daß Peter seinen Schlüssel verlor. Deshalb sucht er ihn
ja schon seit Stunden.
Die Schlußfolgerung ist beim Präteritum nicht stringent, oder?
Und um das Maß vollzumachen: auch Plusquamperfekt ist möglich,
allerdings wieder mit einer anderen temporalen Bedeutung:
l.) Ich weiß, daß Peter seinen Schlüssel damals schon verloren hatte (,
als er in den Urlaub fuhr).
Wie du merkst, kommst du mit der Consecutio Temporum im Deutschen nicht
sehr weit. ;-)
> "Ich wusste, dass ich das richtig machte" würde ich gelten lassen,
> wenn ausgedrückt werden soll, dass ich zum Zeitpunkt des Handelns
> schon von der Richtigkeit meines Tuns überzeugt war. Ich würde aber
> auch in diesem Fall das Plusquamperfwekt vorziehen:
>
> Ich wusste damals schon, dass ich alles richtig gemacht hatte.
Nein, wie gesagt, das Plusquamperfekt in diesem Bsp. signalisiert
eindeutig die Vorzeitigkeit der Handlung:
*Während ich das Auto reparierte, wußte ich schon, daß ich alles richtig
gemacht hatte. (falsch bei Gleichzeitigkeit)
Über das Futur (I und II) möchte ich jetzt nichts sagen. Nur auf zwei
weitere (mittlerweile anerkannte) Tempora des Deutschen will ich
hinweisen:
Doppelperfekt:
Ich habe den Schlüssel vergessen gehabt.
Doppelplusquamperfekt:
In dem Augenblick fühlte er sich am linken Arm ergriffen und zugleich
einen sehr heftigen Schmerz. *Mignon hatte sich versteckt gehabt*, hatte
ihn angefaßt und ihn in den Arm gebissen.
(aus GOETHE, Wilhelm Meisters Lehrjahre)
> Der Gebrauch der Zeitformen in regional gefärbter Umgangssprache und
> in Dialekten ist wieder was Anderes. In den österreichischen Varianten
> ist's ganz einfach: Präteritum existiert nicht. (Außer "war")
Es stellt sich allerdings sehr die Frage, ob man wirklich von einem
einheitlichen Tempussystem des Deutschen sprechen kann oder nicht besser
zwei ansetzen soll: nämlich ein nördliches und ein südliches (das etwa
durch fehlendes Präteritum und Plusquamperfekt wie durch das sehr
häufige Doppelperfekt gekennzeichnet ist).
Ich hoffe, du erkennst, wie komplex aber auch interessant das deutsche
Tempussystem tatsächlich ist. Leider helfen einfache Faustregeln nicht
weiter. ;-)
Viele Grüße,
Jürgen
Diesen Einwand verstehe ich nicht. Ich bin kein Informatiker, deshalb
die folgenden Anmerkungen nur unter Vorbehalt: Programmiersprachen
können komplexer und weniger komplex sein, je nach Zahl und Art der
Syntaxregeln dieser Sprache. Manche lernt man sicher schnell, manche
langsamer und vielleicht gibt es Sprachen, die nur wenige Experten
beherrschen. Natürliche Sprachen sind anders: für jedes Kind ist die
Syntax der eigenen Muttersprache nicht leichter oder schwerer zu
erlernen als dies bei den Muttersprachen der anderen Kinder der Fall
ist. Natürliche Sprachen sind außerdem *immer* Alltagssprachen. Ein
Analogon zu C++ gibt es in den Sprachen der Welt nicht. Deshalb haben ja
die Menschen Kunstsprachen erfunden, weil die natürlichen Sprachen oft
nicht bestimmten Anforderungen an Präzision und Eindeutigkeit gerecht
werden.
> In diesem Sinne ist wohl nicht davon auszugehen, daß
> Ottenbruch durch Verwendung des Wortes »verarmt« den so
> titulierten Sprachen ihren Typ-0-Status absprechen wollte
Was ist "Typ-0-Status"? Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du, daß
jede Sprache irgendwie ein Kommunikationsproblem "grundsätzlich lösen"
kann. Das gilt allerdings auch für Pidginsprachen wie das
Gastarbeiterdeutsch, die tatsächlich eine verarmte Grammatik besitzen
und wirklich syntaktisch wesentlich einfacher sind als Muttersprachen.
Für letztere gilt folgendes, was ich jetzt der Bequemlichkeit halber
nochmal aus der sci.lang-FAQL zitiere:
> The _grammar_ of all
> languages, however, tends to be about equally complex-- although the
> complexity may be found in different places.
Ich kenne z.B. keine Sprache, die ein Tempussystem besitzt, das dem
unseren funktional wesentlich über- oder unterlegen wäre. Nur kann es
für uns komplett anders und ungewohnt sein. Und historische Verluste
werden im System bald durch andre, neue Formen ausgeglichen, im Süddt.
z.B. durch das Doppelperfekt ("Ich habe das ganz vergessen gehabt.") In
der Sprachgeschichte kann immer wieder beobachtet werden, wie alte
Formen untergehen und neue Formen auftauchen. Keine Verarmung ohne
Bereicherung. (Und das, ohne daß es dazu bewußter Sprachlenkung
bedürfte.)
> Könnte die verzweifelte Suche eines Anlasses zu einer
> Revanche für [1] dem »raren Fachmann«, der in [2] an einem
> ähnlich[3] gebrauchten »verarmte« gar nichts auszusetzen
> hatte, das Denken dermaßen vernebelt haben, daß er plötzlich
> im Namen der Linguistik ein Monopol auf die Sinndeutung bzw.
> -gebung von Begriffen zu beanspruchen suchte
>
> »Sprache verarmte, ebnete man jede begriffliche Nuance auf
> den kleinsten gemeinsamen Nenner ein, nur weil sich nicht
> jeder (mehr) der dazu notwendigen Wörter zu bedienen weiß.«
> - Amrhein: »In dieser Allgemeinheit hast du natürlich recht.«
>
> [3] Ja, der Unterschied zwischen Vokabular und Grammatik
> ist mir bekannt; genau deshalb schrieb ich »ähnlich«.
Ja, vielleicht ähnlich, zumindest wenn man an den aktiven
Alltagswortschatz denkt, der in allen Sprachen wohl von vergleichbarer
Größe ist. (2.000 bis 5.000 glaube ich, müßte ich aber nachsehen.) Ein
Unterschied jedoch ist wesentlich: Die Größe und Ausgeformtheit eines
Vokabulars ist natürlich kulturabhängig. (Das hängt u.a. mit dem Grad
der sozialen und beruflichen Differenzierung einer Gesellschaft zusammen
sowie dem Stand ihrer Wissenschaft und Technik.) Eine "Verarmung" qua
begrifflicher Einebnung gibt es aber, denke ich trotzdem nicht, erst
recht nicht aufgrund eines angeblichen "Vergessens". Meine Antwort ("in
dieser Allgemeinheit") bezog sich auf den hypothetischen Fall, daß diese
begriffliche Einebnung tatsächlich stattfinden könnte. Sollte das
geschehen, dann nur, wenn kein praktisches Unterscheidungsbedürfnis mehr
besteht. Aber mit der Grammatik ist das anders. Nochmal aus der FAQ:
> In fact, however, there is no correlation between type or complexity
> of culture and any measure of language complexity. Peoples of very
> simple material culture, such as the Australian Aborigines, are often
> found to speak very complex languages.
Ich würde korrigieren: komplex für uns, die wir eine typologisch völlig
verschiedene Sprache sprechen. Aber klar ist, daß diese grammatische
Komplexität keiner Sprachwissenschaft und "Sprachkritik" bedarf, um
nicht zu "verarmen". (Wie gesagt, so etwas gibt es nicht.)
Und hinzufügen will ich noch, daß bislang ebenfalls keine Korrelation
zwischen Sprachtyp und Kulturtyp festgestellt werden konnte. (Theorien,
wonach sich das Weltbild einer Kultur in ihrer Sprachform widerspiegelt,
konnten bislang nicht bewiesen werden.)
Noch kurz zur angeblichen "Revanche". Was mich an Michaels Artikel auf
die Palme gebracht hat, habe ich ja offengelegt. Es hätte auch einen
andern treffen können, nur hat er sich halt als "Opfer" angeboten für
eine weitaus grundsätzlichere und gar nicht so persönlich gemeinte und
(hoffentlich) geführte Polemik.
Dir könnte ich übrigens auch Revanche unterstellen, und zwar für deine
"Niederlage" im "grammatisch"/"grammatikalisch"-Streit. (Zitatfüßchen
deshalb, weil wir uns eigentlich alle als Gewinner fühlen sollten; aber
bei dir bin ich mir da nicht sicher.)
Jürgen
Warum der Wechsel von der Komplexitaet einer Sprache zur Effizienz ihrer
Anwendung?
>
> In diesem Sinne ist wohl nicht davon auszugehen, daß
> Ottenbruch durch Verwendung des Wortes »verarmt« den so
> titulierten Sprachen ihren Typ-0-Status absprechen wollte.
Amuesant. Was hat die Chomsky-Hierarchie einer Grammatik mit dem
allgemeinen Gebrauch des Wortes Komplexitaet zu tun?
Die Komplexitaet, wie sie ausserhalb eines Informatikjargons benutzt
wird, ergibt sich aus der Anzahl von Regeln und nicht daraus, ob diese
kontextsensitiv sind oder nicht. In einer Verarmung der Sprache sehe ich
eine Verringerung der Regelanzahl, nicht einer Verschiebung in der
Chomsky-Hierarchie.
Mit etwa 30 Regeln kannst Du jedes Wort der deutschen Sprache bilden,
mit
etwa 70 Regeln kannst Du jeden erlaubten Satz bilden, inklusive
Gross-/Kleinschreibun, Umlaute und Punktuation.
Vergleich die Zahl 70 mit der Anzahl unregelmaessiger Verben in der
deutschen Sprache - der Unterschied misst sich in Groessenordnungen.
--
Heiko
>Ich denke, daß die Unterscheidung, die du so schön dargelegt hast, eine
>recht moderne ist und jedenfalls zu der Zeit, als das "unregelmäßige
>Verb" im Deutschen geprägt wurde, nicht in dieser strengen Form
>vorhanden sein konnte. Sprich: aus einer ursprünglichen Synonymie haben
>per sog. "Synonymenflucht" beide Wörter mehr und mehr ihre Bedeutungen
>gegeneinander abgegrenzt, weil die Sprecher des Deutschen eine
>semantische Differenzierung offensichtlich als nutzvoll angesehen haben.
Ich sehe jetzt den Unterschied zwischen die alltägliche Sprache
und die (internationale) Fachsprache. Karl-Heinz Krauses und
deine Betrachtungen über die zwei Verben gelten auch für Dänisch.
Gruß, Bertel
>> >"unregelmäßig" ist so ziemlich eine wörtliche Übersetzung von
>> >"irregulär",
>Ich hab mich mal vergewissert, und tatsächlich, "unregelmäßiges Verb"
>ist so fest eingebürgert im Deutschen, daß "irregulär" zumindest im Dt.
>als Fremdwort (oder Anglizismus) und nicht als Fachwort empfunden werden
>muß. Dennoch: "irregulär" ist ein internationaler Fachterminus, den m.E.
>auch das Dt. problemlos übernehmen könnte, wenn nicht die Tradition dem
>entgegenstünde. Also: Fachwort ja, mit Ausnahme des Deutschen.
>Fachwörter zeichnen sich durch ihre Internationalität aus.
Daß "irregulär" an sich "unregelmäßig" bedeutet, ist
unbestritten; unbestritten ist auch, daß der Ausdrucks
"unregelmäßige Verben" in vielen Sprachen das
landessprachliche Äquivalent von "irregular" enthält.
Das rechtfertigt nicht die Verwendung des Begriffs im
Deutschen.
Es ist nämlich genauso unbestritten, daß "ordinaire" im
Französischen "gewöhnlich" bedeutet (in den beiden, auch im
Deutschen üblichen Bedeutungen). Fraglos wäre es dennoch als
Übersetzungsfehler anzustreichen, würde man einen "vin
ordinaire" als "ordinären Wein" übersetzen.
Ich halte es für nur eine kleine Unsauberkeit, wenn Du das
Wort "irregular" als falschen Fachwort-Freund ins Deutsche
übernommen haben solltest. Das ist an sich kein Grund für
eine Auseinandersetzung. Ärgerlich ist allerdings, daß Du
nun Deinen kleinen Fehler verteidigst.
Gib doch einfach eine verläßliche und allgemein zugängliche
Quelle an, in der unregelmäßige Verben als "irreguläre
Verben" vezeichnet werden und nimm damit Deinen Kritikern
den Wind aus den Segeln.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerdes
>Die alte Rechtschreibung ist schwieriger. Wenn man sich ihrer also
>bedient, erntet man mehr Beifall.
Koennen wir dann die von vor 1901 verwenden und kriegen alle Jobs?
kewl ;)
scnr
OG
--
Usenet lebt vom Mitmachen. In de.admin.news.groups wird über neue Gruppen
entschieden. Auf laufende Verfahren weist de.admin.news.announce
(moderiert!) hin. Und in de.newusers.infos gibt es Informationen, wie das
alles funktioniert. IFMDIU (Initiative fuer mehr Demokratie im Usenet)
Da hast du Recht. Ich hab schon selbst korrigierend von einem unnötigen
(wenn auch möglichen) Anglizismus gesprochen. Angestammte deutsche
Fachbegriffe sollte man nicht ohne Not einfach über Bord werfen.
> Ich halte es für nur eine kleine Unsauberkeit, wenn Du das
> Wort "irregular" als falschen Fachwort-Freund ins Deutsche
> übernommen haben solltest. Das ist an sich kein Grund für
> eine Auseinandersetzung. Ärgerlich ist allerdings, daß Du
> nun Deinen kleinen Fehler verteidigst.
Nein, richtig verteidigen will ich mich ja gar nicht, und erst recht
niemandem das Fremdwort empfehlen. Selbst werd ich es in Zukunft auch
vermeiden. ;-) Trotzdem: für einen "falschen Freund" halte ich
"irreguläres Verb" nicht. Ein "irreguläres Verb" hat meiner Ansicht nach
viel mehr mit einem "irregulären Zug" zu tun als mit einem
"unregelmäßigen Muster". (Siehe mein Posting dazu.) Außerdem, denke ich,
sollte man ein internationales Fachwort nie als "falschen Freund" sehen,
sondern der Wissenschaft aus Internationalitätsgründen dieses Privileg
der Abweichung zugestehen. Die "gemeine Landratte" ist ja auch keine
charakterlich verdorbene Ratte. ;-) ("gemein" als Übersetzung von lat.
"communis", wenn ich mich jetzt nicht irre.) Oder denk an den "Kasus":
Was hat der mit dem juristischen Fall zu tun oder gar mit einem Sturz?
Oder "Kopula-Verb": hat ja auch nix mit Sex zu schaffen. ;-)
> Gib doch einfach eine verläßliche und allgemein zugängliche
> Quelle an, in der unregelmäßige Verben als "irreguläre
> Verben" vezeichnet werden und nimm damit Deinen Kritikern
> den Wind aus den Segeln.
Tscha, Fehlanzeige! ;-) Ich hab ein paar Lexika und Einführungen
durchgeblättert, bin aber nirgends auf "irreguläres Verb" gestoßen,
sondern immer auf "unregelmäßiges Verb". ;-) Noch viel häufiger übrigens
auf "starkes Verb". Ich bin überzeugt, daß ich nach langem Suchen auch
auf den Anglizismus stossen würde, aber das wäre eher ein zusätzliches
Argument gegen mich. Ich streich die Segel. ;-)
Grüße,
Jürgen
[...]
>b.) Paul hustete, nachdem ich das Zimmer betrat.
Ist für mich falsch.
>[...]
>Pqpf. ist hier aber nicht notwendig, um die Vorvergangenheit
>auszudrücken, das Präteritum wie oben reicht völlig aus.
Nein. "Nachdem" drückt hier die Abgeschlossenheit eines Vorgangs aus.
Viele Grüße
Christoph
>(allerhand Lehrreiches gesnippt)
>Es stellt sich allerdings sehr die Frage, ob man wirklich von einem
>einheitlichen Tempussystem des Deutschen sprechen kann oder nicht besser
>zwei ansetzen soll: nämlich ein nördliches und ein südliches (das etwa
>durch fehlendes Präteritum und Plusquamperfekt wie durch das sehr
>häufige Doppelperfekt gekennzeichnet ist).
>
>Ich hoffe, du erkennst, wie komplex aber auch interessant das deutsche
>Tempussystem tatsächlich ist. Leider helfen einfache Faustregeln nicht
>weiter. ;-)
>
Spannend. Wenn ich auch bei manchen von deinen Beispielen ein bisschen
verbales Würgen verspüre. Aber du wirst schon recht haben. So ein
Fachmann bin ich nicht.
Nur: Einfache Faustregeln helfen vielleicht nicht viel weiter, aber
ein bissel doch! ;-)
Reinhard
In seinem Posting vom 17. Feb. 1999 versuchte Jürgen Amrhein zuletzt
nachzuweisen, dass die Bezeichnung "unregelmäßige Verben" eigentlich
noch schlechter passt als "irreguläre Verben" - und verstrickte sich
in grammatischer Regelkunde :)
>Karl-Heinz Krause schrieb:
[...]
>>"irreguläres Verb"
>> bedeutet nach meinem (für mich maßgeblichen :-) ) Sprachempfinden
>> sowas wie "kein richtiges Verb" oder "nicht erlaubtes Verb" o. ä.
>
>Dieser Übertragung auf die Formenbildung kann ich allerdings nicht mehr
>zustimmen.
Einerseits:
>Wie ich schon gepostet habe, verletzen auch "unregelmäßige"
>Verben bestimmte "Regeln" (nämlich die der Wortbildung).
[...]
Und andererseits:
>Nur: deine Beispiele zur Verwendung von "unregelmäßig" lassen
>sich noch viel schlechter auf diese Verben übertragen. Das hieße ja, daß
>ein "unregelmäßiges Verb" keiner offensichtlichen Regel folgen würde,
>also mal so und mal so konjugiert werden könnte. Es ist aber nicht wie
>ein wirres Tuchmuster, sondern folgt eben einem anderen "Muster" als dem
>Standardmuster der andren Verben.
[...]
Und jetzt komme ich nicht mehr ganz mit ...
>Um
>es etwas abstrakter zu fassen: "unregelmäßig" bezieht sich auf das
>Nichtvorhandensein einer internen Regularität, "irregulär" dagegen auf
>das Nichtübereinstimmen mit einer externen Regularität.
Ich halte es - wie schon gesagt - für schlicht und einfach
unzweckmäßig, die _Wort-Bedeutung_ der Termini zu betonen. Worum geht
es denn?
a) Es gibt Verben, die die Vergangenheitsformen mit dem
"Dentalelement" -t- bilden und den Stammvokal nicht verändern.
sagen - sagte - gesagt
erklären - erklärte - erklärt
wandern - wanderte - gewandert
...
b) Es gibt Verben, die die Vergangenheitsformen in erster Linie durch
die Veränderung des Stammvokals (Ablaut) bilden. Diese Verben lassen
sich in verschiedene Ablautklassen einteilen, was die Sache aber nicht
viel übersichtlicher macht.
singen - sang - gesungen
beschreiben - beschrieb - beschrieben
gehen - ging - gegangen
...
c) Es gibt Verben, die beides tun.
bringen - brachte - gebracht
...
d) (Alle jene Verben, die mir im Moment nicht einfallen ;)
Die Verben ohne Ablaut nennt man auch "schwache" Verben (weil sie nur
"schwach" gebeugt werden), diejenigen mit Ablaut nennt man auch
"starke" Verben (weil usw.).
Die Stammformen der unter a) genannten Verben lassen sich wunderschön
herunterleiern, die Verbformen werden nach einer ganz klaren
ersichtlichen Regel gebildet. Die anderen Verben folgen dieser Regel
leider nicht: aha! "unregelmäßig"! Die muss man ggf. lernen.
(BTW: Einer meiner allerersten Eindrücke als Referendar:
6. Schuljahr, Realschule, Deutsch, Thema: Bildung von
Vergangenheitsformen,
Es werden Stammformen gebildet [hochspannender Unterricht!].
Allgemeines ungläubiges Erstaunen löst die Mitteilung aus, die
Stammformen von "backen" seien:
backen - buk - gebacken
["buk"???, wirklich nicht "backte"?]
Lehrer: [in seiner Rolle als Verkünder der letzten Geheimnisse der
Sprache]"Wie heißt denn das Präteritum von 'braten'?"
Schüler: [ratlos, würde vermutlich auf "bratete" tippen, aber dann
kommt die Erleuchtung] "Brut!"
Tja, reingefallen. Da denkt man, man habe eine Regel entdeckt [backen
- buk, braten - brut] und nix is'.)
Es geht bei der Vergabe von Fachbegriffen doch nur darum, einem
Phänomen einen (halbwegs sich selbst erklärenden) Begriff aufzupappen.
Und es gibt genug Beispiele, wo man von Glück sagen kann, dass die
Bedeutung der Begriffe im Halbdunkel bleibt.
Nehmen wir das Beispiel der Zeitformen, mit denen der Thread begonnen
hat. Das "Perfekt" als "Erzähltempus" bezeichnet im Lateinischen (wo
der Begriff ja herkommt) etwas in der Vergangenheit Abgeschlossenes im
Gegensatz zum "Imperfekt". Mindestens im Schriftdeutsch ist es aber
umgekehrt: Erzähltempus ist das Präteritum (Imperfekt).
Vermutlich vom englischen "present perfect" beeinflusst, verwenden
manche als Übersetzung von "Perfekt" den Begriff "vollendete
Gegenwart". Und dann gibt es im gesprochenen Deutsch Sätze wie: "Die
Vandalen? Die haben doch Rom zerstört, nicht?" - Vollendete Gegenwart?
"Perfekt" ist die Bezeichnung für eine bestimmte Verbform:
'Hilfsverb + Partizip Präteritum'
dabei steht das Hilfsverb im Präsens - nein: nicht "in der Gegenwart",
denn das "Präsens" kann auch Zukünftiges, Allgemeingültiges und sogar
Vergangenes ausdrücken.
("Ich rufe dich morgen an." - "Montags bekommen wir keine Lieferung."
- "Ich stehe seit einer Stunde im Regen.")
Aber zurück zum Thema "unregelmäßig" vs. "irregulär"!
Eine Debatte, welcher Begriff die Gruppe der bezeichneten Verben
besser beschreibt, bringt m. E. nicht viel. Ich finde, das einzige
Kriterium muss sein, dass Einigkeit darüber herrscht, dass mit dem
Begriff x _eindeutig_ der Sachverhalt y gemeint ist. Und wenn sich
unter der Bezeichnung "unregelmäßig" alle etwas vorstellen können,
während "irregulär" Irritationen auslöst: nun, dann ist "unregelmäßig"
zweckmäßiger. -
Das kann in einer Gruppe, die sich an der Terminologie
englischsprachiger Linguisten orientiert genau umgekehrt sein.
Gruß
Kurt Schacknies
gehen - gih - gegihen?
--Volker
>Kurt Schacknies wrote:
>
>> b) Es gibt Verben, die die Vergangenheitsformen in erster Linie durch
^^^^^^^^^^^^^^^
>> die Veränderung des Stammvokals (Ablaut) bilden.
[...]
>
> gehen - gih - gegihen?
>
lol
Kurt
Auf Schritt und Tritt begegnet mir bei Programmen der
Begriff "regulärer Ausdruck". Ich glaube, dass jeder
Programmierer das so normal findet, dass ihm gar nicht
auffällt wie verwirrend es für einen Laien wie mich klingt.
Inzwischen weiß ich, was es ist, aber als ich es zum ersten
Mal hörte bzw. sah, dachte ich, dass es offenbar "wohlgeformte"
oder "normale" (reguläre) und falsch geformte oder anomale
Ausdrücke gibt, ohne dass mir irgendwo erklärt wurde (es
handelte sich da um mein E-Mail-Programm), wie ein wohlge-
formter, normaler Ausdruck wohl auszusehen hat. Ich habe
mir dann gedacht, dass es unter C-Programmierern und UNIX-
Fachleuten sowieso völlig klar sein wird, wann ein Ausdruck
"wohlgeformt" ist und wann nicht.
Erst mit der Zeit habe ich begriffen, dass es sich bei
"regulärer Ausdruck" um so etwas Schlichtes wie eine
"Regeldefinition" handeln muss. Da hat mich der Anglizismus
nun wirklich total in die Irre geführt. Und da hört für mich
der Spaß auf.
Ciao
Holger
> Erst mit der Zeit habe ich begriffen, dass es sich bei
> "regulärer Ausdruck" um so etwas Schlichtes wie eine
> "Regeldefinition" handeln muss. Da hat mich der Anglizismus
> nun wirklich total in die Irre geführt. Und da hört für mich
> der Spaß auf.
Dein erster Eindruck (wohlgeformt) gefällt mir aber besser. Ich zitiere mal:
"Sei Sigma ein Alphabet. Die regulären Ausdrücke über Sigma und die von
ihnen beschriebenen Mengen werden werden wie folgt rekursiv definiert:
1) 0 ist ein regulärer Ausdruck und bezeichnet die leere Menge.
2) epsilon ist ein regulärer Ausdruck und bezeichnet die Menge {epsilon}.
3) Für jedes a aus Sigma ist 'a' ein regulärer Ausdruck und bezeichnet
die Menge {a}.
4) Wenn r und s reguläre Ausdrücke sind, die die Sprachen R und S
bezeichnen, so sind (r + s), (rs) und (r*) ebenfalls reguläre Ausdrücke
und bezeichnen die Mengen R u S, RS bzw. R*."
(Hopcroft/Ullman: Einführung in die Automatentheorie,
formale Sprachen, und Komplexitätstheorie)
Erläuterungen: epsilon bezeichnet das leere Wort (ein Wort ohne
Buchstaben). Sigma ist der verwendete Zeichensatz, also meist die
ASCII-Zeichen. + wird wesentlich häufiger | geschrieben
(Alternative). Einfaches Hintereinanderschreiben bezeichnet die Verkettung,
* die beliebige (auch null-malige) Wiederholung.
Fürs Programmieren werden diese Ausdrücke oft noch durch Abkürzungen
erweitert, z.B. '.' für ein beliebiges Zeichen aus Sigma. Die Beliebtheit
rührt daher, daß es effiziente Algorithmen gibt, um zu entscheiden, ob ein
Wort in der Menge, die ein regulärer Ausdruck bezeichnet, enthalten ist.
Reguläre Ausdrücke bezeichnen genau die Sprachen, die durch
Typ-3-Grammatiken der Chomsky-Hierarchie gebildet werden können.
Wieso diese Ausdrücke *reguläre* Ausdrücke sind, weiß ich nicht. Soweit ich
gesehen habe, wird der Begriff immer nur definiert, aber für den gewählten
Namen wird keine Erklärung abgegeben. Die älteste Referenz ist
Kleene: Representation of events in nerve nets and finite automata,
Automatic Studies (1956), S. 3-42, Princeton Univ. Press, Princeton, N.J.
an die ich leider nicht (auf die Schnelle) herankomme. Vielleicht kann jemand
anders nachsehen?
MfG
Klaus
> Karl-Heinz' Gegenüberstellung der Wortbedeutung von "unregelmäßig" und
> "irregulär" fand ich völlig einleuchtend.
Zustimmung.
Ebenso zu diesem Deinem Beitrag.
Obzwar ich ahne, was Du meinst, komme ich mit diesem Satz nicht so ganz
zu Rande:
> Ich halte es aber nicht für
> "zweckmäßig", bei grammatischen Fachbegriffen auf die Wortbedeutung
> ein allzu großes Gewicht auf die _Bedeutung_ des Begriffs zu legen.
Manfred
Gebongt. ;-) Meine Argumentation lief unter Prämisse, daß grammatische
Termini die alltagssprachliche Bedeutung so weit es geht wiedergeben
sollten. Das heißt nicht, daß ich die Prämisse uneingeschränkt teile.
> Es geht bei der Vergabe von Fachbegriffen doch nur darum, einem
> Phänomen einen (halbwegs sich selbst erklärenden) Begriff aufzupappen.
> Und es gibt genug Beispiele, wo man von Glück sagen kann, dass die
> Bedeutung der Begriffe im Halbdunkel bleibt.
Ja, auch da kann ich dir nur zustimmen!
> Nehmen wir das Beispiel der Zeitformen, mit denen der Thread begonnen
> hat. Das "Perfekt" als "Erzähltempus" bezeichnet im Lateinischen (wo
> der Begriff ja herkommt) etwas in der Vergangenheit Abgeschlossenes im
> Gegensatz zum "Imperfekt". Mindestens im Schriftdeutsch ist es aber
> umgekehrt: Erzähltempus ist das Präteritum (Imperfekt).
>
> Vermutlich vom englischen "present perfect" beeinflusst, verwenden
> manche als Übersetzung von "Perfekt" den Begriff "vollendete
> Gegenwart". Und dann gibt es im gesprochenen Deutsch Sätze wie: "Die
> Vandalen? Die haben doch Rom zerstört, nicht?" - Vollendete Gegenwart?
Das ist ein wesentlicher und hochinteressanter Punkt. Die Ursache liegt
darin, daß Zeitformen im Laufe der Sprachgeschichte zwar ihre Form
behalten, aber ihre Funktion verändern (können). Wenn dieser Wandel nur
in einer Richtung erfolgt und unabhängig in verschiedenenSprachen
beobachtet werden kann, spricht man von "Grammatikalisierung". So ist es
regelmäßig beim Perfekt. Es ist z.B. im Deutschen gut zu beobachten, daß
diese Form seit dem ahd. von einer speziellen Vergangenheitsform mit
Resultatsbedeutung immer mehr zu einer simplen Vergangenheit
"herabsinkt.":
"Ich habe einen Baum gepflanzt." (urspr. resultativ: "Ich habe einen
Baum, der jetzt gepflanzt ist.")
"Ich habe gestern lange geschlafen." (nicht resultativ)
Natürlich ist es unzweckmäßig, eine identische Form umzubenennen, nur
weil sich ihre Funktion gewandelt hat, selbst wenn die Bezeichnung dann
immer undurchsichtiger wird.
Übrigens war das Präteritum der starken Verben im Dt. ebenfalls
ursprünglich ein "Perfekt" (der Funktion nach)!
> Aber zurück zum Thema "unregelmäßig" vs. "irregulär"!
> Eine Debatte, welcher Begriff die Gruppe der bezeichneten Verben
> besser beschreibt, bringt m. E. nicht viel. Ich finde, das einzige
> Kriterium muss sein, dass Einigkeit darüber herrscht, dass mit dem
> Begriff x _eindeutig_ der Sachverhalt y gemeint ist. Und wenn sich
> unter der Bezeichnung "unregelmäßig" alle etwas vorstellen können,
> während "irregulär" Irritationen auslöst: nun, dann ist "unregelmäßig"
> zweckmäßiger. -
Einverstanden. Ich wollte nur zeigen, daß die Irritation eher der
Verletzung einer Gewohnheit entspringt als den wörtlichen Bedeutungen
von "unregelmäßig" und "irregulär".
So long,
Jürgen
Hallo Heiko,
schön, daß es Informatiker gibt, die um den Unterschied zwischen
formalen und natürlichen Sprachen wissen. :-) An dieser Stelle meinen
nachträglichen und herzlichen Dank für deine und Michael Beckenkamps
sehr lehrreichen Ausführungen zum Chomsky der Informatiker im Thread
"Präfix?". :-) Damals hast du folgendes geschrieben:
> Sprachklassen in der theoretischen Informatik werden in die so
> genannte Chomsky-Hierarchie unterteilt.
> Hier gibt es Typ-0 bis Typ-3 Grammatiken, die jeweils eine
> Verfeinerung in aufsteigender Folge darstellen. (Sollte dies
> interessant sein, kann ich es erlaeutern, aber das ist wirklich > ziemlich trocken.)
Gilt dein Angebot noch? Mich interessiert der formale Sprachbegriff der
Informatiker immer mehr, und ich möchte auch endlich erkennen, mit
welchem Denkraster Ralph Babel an das Thema Sprache herantritt. *Daß* es
sehr beschränkt ist, weiß ich ja mittlerweile. ;-)
Grüße,
Jürgen
> IG...@BIGFOOT.COM (Holger Hermannsen) writes:
>
> > Erst mit der Zeit habe ich begriffen, dass es sich bei
> > "regulärer Ausdruck" um so etwas Schlichtes wie eine
> > "Regeldefinition" handeln muss. Da hat mich der Anglizismus
> > nun wirklich total in die Irre geführt. Und da hört für mich
> > der Spaß auf.
>
> Dein erster Eindruck (wohlgeformt) gefällt mir aber besser. Ich zitiere mal:
>
[...]
Hm, dann habe ich möglicherweise doch nicht ganz falsch gelegen?
Meine Frage war eigentlich, ob es sich bei einem regulären Ausdruck
um einen Ausdruck handelt, der _entsprechend einer Regel_ gebildet
wird, oder ob er selbst eine solche darstellt und dann vielleicht
besser "Regelausdruck" heißen sollte.
Ciao
Holgr
> Grüße,
> Jürgen
Grüße zurück,
Heiko.
Das ist so einfach, daß Du vermutlich den Wald vor lauter Bäumen nicht
siehst ;-)
Es heißt regulärer Ausdruck, weil die Bestandteile des Asudruckes sich
aus (Ableitungs-)Regeln zusammen setzen.
Ein Ausdruck "(ha )+(du )*(Witzbold)" ist aus den Regeln "(ha )+", "(du
)*" und "(Witzbold)" zusammengesetzt.
Das "+" im ersten Teilausdruck bedeutet, die Unterregel "(ha)" kann
beliebig oft, aber mindestens einmal angewendet werden. "*" im zweiten
Teilausdruck bedeutet, "(du)" kann beliebig oft angewendet werden, auch
keinmal, und "(Witzbold)" ohne Zusatz bedeutet, "(Witzbold)" wird genau
einmal angewendet.
Die Teilausdrücke stehen in "(" und ")" und werden dadurch
zusammengefaßt.
"ha*" ware Regel für h, ha, haa, haaa, nicht für ha, ha ha ...
Obiger regulärer Ausdruck erzeugt also folgende Ableitungen:
ha Witzbold
ha ha Witzbold
...
ha du Witzbold
ha ha du Witzbold
...
ha du du Witzbold
ha ha du du Witzbold
...
usw.
Ein Anwender kommt mit diesen regulären Ausdrücken hauptsächlich bei der
Texterkennung in Berührung.
Hier geht es darum, Textabschnitte zu erkennen und diese eventuell zu
ersetzen.
Die "Wildcards" innerhalb von MS-DOS sind eine peinliche Implementierung
von Suchmustern. Entweder hatte der Programmierer keine Ahnung von
regulären Ausdrücken oder er wußte zumindest nicht, wie man sie
implementiert.
Ein "del ab*.*" ist ein pervertierter regulaerer Asudruck, der korrekt
"del ab.*\..*" lauten wuerde.
Ein "." steht für ein beliebiges Zeichen. "\." gibt den Punkt selbst als
Zeichen an (eine sogenannte Escapenotation). Die Regel lautet also:
lösche alles, was mit "ab" anfaengt, dann beliebig oft ein beliebiges
Zeichen, ein Punkt und wieder beliebig oft ein beliebiges Zeichen.
--
Heiko.
> Programmiersprachen können komplexer und weniger komplex
> sein, je nach Zahl und Art der Syntaxregeln dieser Sprache.
Das hinge von der Definition für "komplex"
ab. Details in meiner Antwort auf Leberer.
> Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du, daß jede
> Sprache irgendwie ein Kommunikationsproblem "grundsätzlich
> lösen" kann. Das gilt allerdings auch für Pidginsprachen
> wie das Gastarbeiterdeutsch,
Dem mag wohl so sein.
> die tatsächlich eine verarmte Grammatik besitzen und
> wirklich syntaktisch wesentlich einfacher sind als
> Muttersprachen.
Und jetzt stell Dir einfach vor, ein Kind
lernte eine solche als Muttersprache:
> für jedes Kind ist die Syntax der eigenen Muttersprache
> nicht leichter oder schwerer zu erlernen als dies bei
> den Muttersprachen der anderen Kinder der Fall ist.
Lernte es sie aufgrund der "verarmten Grammatik" leichter,
so widerspräche dies Deiner obigen Aussage. Lernte es sie
_nicht_ leichter, entzöge es Deiner Aussage die Relevanz,
hast Du doch selbst eingeräumt, daß sie "verarmt" sei. Wofür
entscheidest Du Dich? Sogar Esperanto ist in seltenen Fällen
schon Muttersprache geworden. Ist Esperanto in "Zahl und Art
der Syntaxregeln" "komplexer", "weniger komplex" oder
"genausokomplex" wie beispielsweise Deutsch?
> Keine Verarmung ohne Bereicherung.
Das scheint mir arg pauschal.
> Dir könnte ich übrigens auch Revanche
> unterstellen, und zwar für deine "Niederlage" im
> "grammatisch"/"grammatikalisch"-Streit. (Zitatfüßchen
> deshalb, weil wir uns eigentlich alle als Gewinner fühlen
> sollten; aber bei dir bin ich mir da nicht sicher.)
Da Du <573...@babylon.pfm-mainz.de> und
die dort aufgeworfenen Punkte ignoriert und in
<36AB7A82...@uni-koeln.de> Deine These trotz der von
Dir selbst genannten Gegenbeispiele aufrechterhalten hast,
könnte ich eine "Niederlage" - so es mir um Personen ginge
und nicht um die Sache - nur auf Deiner und Meyer von
Gagerns Seite sehen.
> Die Komplexitaet, wie sie ausserhalb eines
> Informatikjargons benutzt wird, ergibt sich
> aus der Anzahl von Regeln und nicht daraus,
> ob diese kontextsensitiv sind oder nicht.
Auch Du scheinst eine einzige seligmachende Definition
von "Komplexität" vorauszusetzen. Solange diese jedoch
von Amrhein nicht explizit genannt wird, ist die
Diskussion über "Verarmung" eine Geisterdebatte und Kritik
an Ottenbruchs Gebrauch des Wortes unangemessen, da eben
die eine Seite es mit "Effizienz ihrer Anwendung" (wie Du
für Programmiersprachen so passend formuliertest) und die
andere mit grundsätzlicher Leistungsfähigkeit im Sinne von
Ausdrucksstärke und -möglichkeiten zu assoziieren scheint
bzw. der anderen Seite letztere Interpretation aufgrund
mangelnder Definitionen und anderenfalls auftretender
Widersprüche (siehe unten) unterstellt werden muß.
> In einer Verarmung der Sprache sehe ich eine
> Verringerung der Regelanzahl, nicht einer
> Verschiebung in der Chomsky-Hierarchie.
Dieser Definition könnte ich mich wohl anschließen.
> Mit etwa 30 Regeln kannst Du jedes Wort der deutschen
> Sprache bilden, mit etwa 70 Regeln kannst Du jeden
> erlaubten Satz bilden, inklusive Gross-/Kleinschreibun,
> Umlaute und Punktuation.
Und Du siehst darin wirklich keinen Widerspruch zu Amrheins
These, alle (Mutter-)Sprachen seien gleichkomplex? Wenn
doch, dann sind wir uns ja einig. Wenn nicht, warum dann
die Beschränkung auf die deutsche Sprache, oder kannst Du
obige Zahlen auf _alle_ Sprachen _aller_ Zeiten übertragen?
Einerseits scheint Amrhein mit Dir (und Ottenbruch und mir)
übereinzustimmen, assoziiert er doch "Komplexität" im Falle
von Programmiersprachen mit "Zahl und Art der Syntaxregeln",
nicht mit Einordnung innerhalb der Chomsky-Hierarchie.
Andererseits schließt er quantitative Unterschiede dieser
Art zwischen natürlichen Sprachen kategorisch aus, was
er durch fehlende Unterschiede in ihrer Erlernbarkeit
als Muttersprache und durch seine These "Keine Verarmung
ohne Bereicherung" zu "begründen" versucht. Thesen und
Definitionen sind aber keine Beweise. Da es aber sehr
wohl Unterschiede in Zahl und Art der Syntaxregeln zu
geben scheint (Argumentation siehe vorvorigen Absatz),
kann "gleichkomplex" wohl nur dieselbe Stufe der
Chomsky-Hierarchie bezeichnen. Wenn nicht, was sonst?
Beide Thesen Amrheins halte ich in der dargebotenen Form für
nicht stichhaltig bzw. unnütz im Rahmen dieser Diskussion
über "Verarmung". Aus ersterer ließe sich bestenfalls eine
obere Komplexitätgrenze ableiten, woraus sich dann die
Binsenweisheit "natürliche Sprachen übersteigen in ihrer
Komplexität typischerweise nicht die durchschnittliche
Lernfähigkeit eines Menschen" ergäbe. Ach, wer hätte das
gedacht! Letzteres, die "Bereicherungsthese", klingt nach
einer Variante von "any given program will expand to fill
all available memory", was ich nicht für auf einzelne
Sprecher anwendbar halte. Sofern sich die These auf
hinreichend große Sprechergruppen beziehen soll, ließe sich
daraus ableiten, daß sich die Komplexität einer Sprache im
Wechselspiel zwischen leichter Beherrschbarkeit, effizientem
Ausdruck und wahrscheinlich anderen Kriterien üblicherweise
auf ein lokales Optimum einpendeln wird. Ach. Daß es aber
nur _ein_ Optimum - und somit nur _einen_ universellen
Komplexitätgrad für alle natürlichen Sprachen - geben
soll, halte ich nicht für schlüssig dargelegt.
> Mit ... etwa 70 Regeln kannst Du jeden erlaubten Satz bilden, inklusive
> Gross-/Kleinschreibun, Umlaute und Punktuation.
Wie kommst Du auf diese Zahl?
Und was meinst Du in diesem Zusammenhang mit "Regel"? Eine Regel im streng
formalen Sinn, also z.B. eine Produktionsregel einer formalen Grammatik?
Oder eine "Regel" in natürlicher Sprache, z. B. a la Duden oder
Grammatiklehrbuch?
Gruß und schönes Wochenende
Michael Beckenkamp
Oh, aber ganz im Gegenteil. Ich schließe lediglich eine
einzige Form der Komplexität aus - die Typenhierarchie
nach Chomsky, ansonsten mache ich keine Aussage über die
Art der Regeln.
> Solange diese jedoch
> von Amrhein nicht explizit genannt wird, ist die
> Diskussion über "Verarmung" eine Geisterdebatte und Kritik
> an Ottenbruchs Gebrauch des Wortes unangemessen, ...
Wenn wir uns darauf einigen können, daß "komplex" und
"vielfältig" Synonyme sind, dann brauchen wir in einer
Sprache nur überprüfen,was "vielfältig" ist. Hierzu gehören
bestimmt die Anzahl der Deklinationsfälle, dass es diese
stark, schwach und gemischt gibt, die Regeln, nach denen
konjugiert wird, die Regeln, wie ein Relativsatz gebildet wird.
Zu den Regeln einer Sprache gehört jedoch auch, wie
Ironie funktioniert, Wortspiele, idiomatische Konstrukte und
anderes.
Wenn jetzt aus diesem Konglomerat einfach der Konjunktiv des
Plusquamperfektes als mögliche Konjugation gestrichen wird,
weil sich die Menschen unsicher sind, wie er angewendet wird,
was ist das, eine Bereicherung? Natürlich nicht!
Man könnte folglich sagen es handelt sich hier um eine
Verarmung.
Es ging Jürgen nicht darum, daß hier nicht ein echter Verlust
aufgetreten wäre - dieser ist schließlich feststellbar.
Es geht darum, daß auch geistige Kapazität der Menschen frei
wird (bzw. vorher anderweitig bereits belegt wurde), die dazu
benutzt wird, die Sprache an anderer Stelle wieder komplexer
zu machen. Durch zusätzliche Worte, (du hast schon wieder
ge-xgepostet), durch eine Unzahl von Abkürzungen, welche man
kennen muß, um "richtig Tschätten" zu können ( CU2>ow, T4U ).
Ob es uns gefällt oder nicht, ob wir es im Wahrig finden oder
nicht, es gehört dazu, wie Deutsche miteinander kommunizieren.
Quantifizieren läßt sich sowas natürlich nicht. Wie auch?
263 unregelmäßige Verben wiegen einen Konjunktiv des
Plusq. auf?
Ich denke, damit muß Jürgen (und ich ebenfalls) leben, daß er es
niemals beweisen kann.
- siehe auch weiter unten im Beispiel Computer-Hochsprache.
> ... da eben
> die eine Seite es mit "Effizienz ihrer Anwendung" (wie Du
> für Programmiersprachen so passend formuliertest) und die
> andere mit grundsätzlicher Leistungsfähigkeit im Sinne von
> Ausdrucksstärke und -möglichkeiten zu assoziieren scheint
> bzw. der anderen Seite letztere Interpretation aufgrund
> mangelnder Definitionen und anderenfalls auftretender
> Widersprüche (siehe unten) unterstellt werden muß.
Wenn ich es mir recht überlege, ist dies das Beispiel
schlechthin, um einen Ausgleich der Komplexität zu
plakatieren.
In den Anfängen der Computerei wurde in Maschinenbefehlen von
Hand kodiert. Ein Program damit zu formulieren war umständlich,
da eine Vielzahl von Maschinenbefehlen nötig waren, um
einzelne logische Schritte eines Algorithmus auszudrücken.
Entsprechend "einfach", waren die entworfenen Programme.
Als man modernere Computersprachen entwarf, hat man damit die
Programmier-Orthografie erleichtert.
Der Mensch nutzt die freiwerdende Zeit nicht dazu, früher nach
Hause zu gehen, sondern verschiebt die Komplexität in die zu
lösenden Probleme.
Es hat ein Ausgleich, eine Verschiebeung der Komplexität,
stattgefunden.
Die Kombination von Problem und Formulierung (das Anwenden der
Computersprache) ist für Hochsprache und Maschinensprache gleich
komplex. Bloss weil ich in den 80er Jahren studiert habe, faellt
es mir nicht leichter, in der Maschinensprache zu formulieren.
Als Analogie:
Es wird kaum jemand auf die Idee kommen, in Rilke-Versen, die
allgemeine Relativitätstheorie zu erklären.
> > In einer Verarmung der Sprache sehe ich eine
> > Verringerung der Regelanzahl, nicht einer
> > Verschiebung in der Chomsky-Hierarchie.
>
> Dieser Definition könnte ich mich wohl anschließen.
Dann sind wir uns ja einig. Ich denke es gibt hier höchstens
eine unterschiedliche Auffassung, was als Regel gilt und was
nicht.
>
> > Mit etwa 30 Regeln kannst Du jedes Wort der deutschen
> > Sprache bilden, mit etwa 70 Regeln kannst Du jeden
> > erlaubten Satz bilden, inklusive Gross-/Kleinschreibun,
> > Umlaute und Punktuation.
>
> Und Du siehst darin wirklich keinen Widerspruch zu Amrheins
> These, alle (Mutter-)Sprachen seien gleichkomplex?
Jein, ich denke hier habe ich eine von Jürgen leicht abweichende
Meinung.
Der Mensch hat eine gewisse geistige Kapazität, die er
bereit ist (bewußt/unbewußt), in die Sprache zu investieren.
An den Stellen, wo eine fremdgesteuerte Einschränkung der Kapazität
herrscht (verwildert aufwachsende Kinder, Menschengruppen, die
täglich um das nackte Überleben kämpfen müssen), bildet sich eine
weniger komplexe Sprache heraus (alles IMO).
Aus diesem Grund glaube ich, daß sich Sprachen von gleicher
Komplexität da bilden, wo die Menschen einen ähnlichen Zeitaufwand
in das Lernen der Sprache investieren können.
Andernfalls bleibt nicht genug Zeit, die Komplexität zu
entwickeln. Hier reicht es jedoch, daß einige Menschen einer
Gruppe diese Zeit haben, es müssen nicht alle sein.
-> Lesen und Schreiben nur für die religiöse Kaste etc.
Die Lebensumstände in der westlichen Welt sind jedoch ziemlich
einheitlich. Sie haben eine vergleichbare Menge an Zeit
zu kommunizieren. Wie dies bei Indianern im Regenwald aussieht,
vermag ich nicht zu sagen. Nach einigen gelesenen GEO-Artikeln
scheint mir der kommunikative Anteil an der zur Verfügung stehenden
Zeit jedoch nicht geringer als bei uns zu sein, eher höher.
> Wenn
> doch, dann sind wir uns ja einig. Wenn nicht, warum dann
> die Beschränkung auf die deutsche Sprache, oder kannst Du
> obige Zahlen auf _alle_ Sprachen _aller_ Zeiten übertragen?
> Einerseits scheint Amrhein mit Dir (und Ottenbruch und mir)
> übereinzustimmen, assoziiert er doch "Komplexität" im Falle
> von Programmiersprachen mit "Zahl und Art der Syntaxregeln",
> nicht mit Einordnung innerhalb der Chomsky-Hierarchie.
>
> Andererseits schließt er quantitative Unterschiede dieser
> Art zwischen natürlichen Sprachen kategorisch aus, was
> er durch fehlende Unterschiede in ihrer Erlernbarkeit
> als Muttersprache und durch seine These "Keine Verarmung
> ohne Bereicherung" zu "begründen" versucht. Thesen und
> Definitionen sind aber keine Beweise.
Da gebe ich Dir recht. Es ist nicht bewiesen, weil es sich
nicht beweisen läßt - also eine Glaubensfrage.
Die These ist zumindest einleuchtender als die Annahme des
Gegenteils.
Ich neige dazu, mich eher an Einleuchtendes zu halten, wenn
ich es nicht beweisen kann, man kann natürlich trotzdem
falsch liegen.
> Da es aber sehr
> wohl Unterschiede in Zahl und Art der Syntaxregeln zu
> geben scheint (Argumentation siehe vorvorigen Absatz),
> kann "gleichkomplex" wohl nur dieselbe Stufe der
> Chomsky-Hierarchie bezeichnen. Wenn nicht, was sonst?
>
> Beide Thesen Amrheins halte ich in der dargebotenen Form für
> nicht stichhaltig bzw. unnütz im Rahmen dieser Diskussion
> über "Verarmung". Aus ersterer ließe sich bestenfalls eine
> obere Komplexitätgrenze ableiten, woraus sich dann die
> Binsenweisheit "natürliche Sprachen übersteigen in ihrer
> Komplexität typischerweise nicht die durchschnittliche
> Lernfähigkeit eines Menschen" ergäbe. Ach, wer hätte das
> gedacht! Letzteres, die "Bereicherungsthese", klingt nach
> einer Variante von "any given program will expand to fill
> all available memory", was ich nicht für auf einzelne
> Sprecher anwendbar halte. Sofern sich die These auf
> hinreichend große Sprechergruppen beziehen soll, ließe sich
> daraus ableiten, daß sich die Komplexität einer Sprache im
> Wechselspiel zwischen leichter Beherrschbarkeit, effizientem
> Ausdruck und wahrscheinlich anderen Kriterien üblicherweise
> auf ein lokales Optimum einpendeln wird. Ach. Daß es aber
> nur _ein_ Optimum - und somit nur _einen_ universellen
> Komplexitätgrad für alle natürlichen Sprachen - geben
> soll, halte ich nicht für schlüssig dargelegt.
Es reichen bereits wenige, die Zeit haben sich ganz der
Sprache zu widmen (Schriftsteller, Priester, Medizinmänner)
und die Komplexität wächst entsprechend der Kapazität desjenigen.
Man kann hier natürlich argumentieren, ein einzelner James Joyce
bereichert nicht die Sprache, er verhunzt sie nur.
Sobald dies jedoch eine Gruppe ist, oder ein einzelner, hinreichend
akzeptierter Proponent, fließt es auch in die Sprache ein.
Hier tritt auch gegenteiliges ein: jemand der sich isoliert, nicht
kommuniziert und sich in seiner Isolation nicht mit Sprache beschäftigt,
der verliert, ohne daß er an anderer Stelle hinzugewinnt.
Zur Rekapitulation:
Ich _glaube_ daran, daß sich die Sprachen in Gesellschaften, die
einen gleichwertigen Zeitaufwand in die Kommunikation ihrer
Mitbuerger investiert, zu gleicher Komplexitaet heranwachsen.
Kommt ein zeitlicher Faktor (menschliche Frühgeschichte)
hinzu, würde ich weiter einschränken: hier gilt bei gleichem
Zeitaufwand und gleicher geistiger Kapazität.
Ich glaube nicht, daß die die Kommunikation eines Australopithecus
afarensis eine vergleichbare Komplexität mit der deutschen Sprache
hat.
Ich glaube sehr wohl, daß heute noch lebendige Sprachen wie
Englisch, Französisch, Deutsch, sowie alte Sprachen, von Kulturen,
die ihren Mitgliedern ein ähnlich Zeitrahmen für die Kommunikation
bieten konnten, wie heutige Kulturen, (Römer, Griechen, Hebräer
oder evtl. die Aborigines[1],) eine gleichwertige Komplexität
aufweisen ("identisch" gefällt mir in diesem Zusammenhang überhaupt
nicht).
[1] hier kenne ich die Lebensumstände zu wenig.
Ein Beispiel für uns heutige Menschen (also gleiche geistige
Kapazität) zum Abschluss:
Versuchsreihe mit zwei Gruppen und zwei zu erlernenden Sprachen
-------------------------------------------------------
Sprache 1:
Grammatik G= (V, T, P, S)
V= { S, X, Y }
T= { a, b }
P= { S-> XXYY, aX-> aab, X->ba, Y->a }
S= S
Das ist eine Typ-0 Grammatik, aber sie ist nicht komplex ;-).
(Die Sprache über die Grammatik ist übrigens Typ-3, nicht Typ-0,
da sie endlichen Umfang hat)
Innerhalb von spätestens 10 Minuten kennt man die Regeln
auswendig, innerhalb von 1 Stunde hat man genug Übung um
entscheiden zu können,ob ein Wort zur Sprache über G gehört
oder nicht, man hat vermutlich sogar alle Wörter der Sprache
bis dahin auswendig gelernt.
(Also nichts, womit man ein allgemein akzeptiertes komplex
verbinden würde.)
Sprache 2:
Programmiersprache C
Die Programmiersprache C ist ebenfalls eine Typ-3 Sprache, es gibt
also eine Typ-3 Grammatik dazu. Laut Definition ist diese Grammatik
(nicht die darüberliegende Sprache) eingeschränkter als obige
Grammatik. C ist für einen Neuling jedoch komplex.
(Am Rande: laut Chomsky-Hierarchie ist eine Typ-3 Grammatik zu C
weniger komplex, als obige Grammatik zu Sprache 1.)
Nehmen wir jetzt weiter an, man gibt zwei Versuchsgruppen eine
gewisse Zeit, jeweils eine der Sprachen zu lernen. Sagen wir 4 Wochen.
Die eine Gruppe benötigt die 4 Wochen um die Orthografie von "C" zu
lernen.
Nach 1 Stunde ist die andere Gruppe mit der Orthografie der obigen
Sprache durch. Was geschieht jetzt? Die Mitglieder der Gruppe
könnten 3 Wochen, 6 Tage und 23 Stunden Däumchen drehen und die
Sache wäre erledigt.
Für wahrscheinlicher halte ich, daß die Gruppe anfängt, mit
den Worten der Sprache zu spielen. "Schau, wenn ich es so betone,
meine ich es lustig, wenn ich es so betone ist es ironisch.".
Das sind Nuancen, zu denen die C lernende Gruppe keine Zeit hat.
Nach kurzer Zeit gehört das zur Sprache dazu.
Es sind neue Regeln entstanden, die ein Außenstehender jetzt auch
lernen muß, um auf den gleichen Kenntnisstand, wie die anderen, zu
kommen.
Diese Regeln lassen sich mit Chomsky leider nicht mehr
erfassen, gehören jedoch zur *erneuerten* Sprache dazu.
Heiko.
PS: Nicht ganz ernstzunehmender Anhang:
Wenn davon ausgegangen wird, daß Sprachen, für deren Entwicklung
gleich viel Zeit zur Verfügung steht, unterschiedlich komplex sind,
müßte dies nachzuweisen sein, da die Anwender der Sprachen eine
massive Zeitlücke oder einen entsprechendn Überschuß and Zeit
vorweisen müßten. Die Anwender müßten eine gewisse Zeit mit
abgeschaltetem Verstand die Überschußzeit absitzen oder sich ihrer
anderweitig entledigen.
(Aha! 30 Tage Urlaub, Deutsch muß einfacher sein als andere
Sprachen!)
S->a Startregel: 1
a->aa Verlängerungsregel: 1
a-> 'a' .. 'z' 'ä' 'ö' 'ü'
a-> 'A' .. 'Z'
Gross-/Kleinbuchstaben + Umlaute: 58
a-> 'ß' Eszet: 1
a-> ,;.:-"'?! 9
a-> Leerzeichen 1
---
71
that's it!
Passt doch ganz gut, oder?
>
> Und was meinst Du in diesem Zusammenhang mit "Regel"? Eine Regel im streng
> formalen Sinn, also z.B. eine Produktionsregel einer formalen Grammatik?
Ja.
> Oder eine "Regel" in natürlicher Sprache, z. B. a la Duden oder
> Grammatiklehrbuch?
Nein.
>
> Gruß und schönes Wochenende
Ja, Dir auch.
Heiko.
> Es ging Jürgen nicht darum, daß hier nicht ein echter Verlust
> aufgetreten wäre - dieser ist schließlich feststellbar.
Jetzt sind wir wenigstens schon zwei, die ihn nicht verstanden haben...
--
...und tschuess!
Michael
E-mail: M.Otte...@sailor.ping.de
> Das ist so einfach, daß Du vermutlich den Wald vor lauter Bäumen nicht
> siehst ;-)
> Es heißt regulärer Ausdruck, weil die Bestandteile des Asudruckes sich
> aus (Ableitungs-)Regeln zusammen setzen.
Das überzeugt mich nicht. So, wie die Definition formuliert ist, definieren
reguläre Ausdrücke *Mengen* und haben zunächst mal nichts mit
Ableitungsregeln zu tun. Die Äquivalenz zu Typ-3-Grammatiken war m.E. nicht
von vornherein offensichtlich - das schließe ich daraus, daß diese
Äquivalenz in älteren Lehrbüchern den Autoren noch eigene Theoreme wert ist.
Mein English-Wörterbuch nennt zwar einige Erläuterungen für regular, aber
nur in einer steht irgendwas von Regeln - und die paßt nicht:
"(old use, and in the Church) bound by, living under, religious rule
(opposite of secular)"
MfG
Klaus
Ein Beispiel:
regulärer Ausdruck a* (eine beliebig lange Kette von 'a')
läßt sich schreiben als
A-> <leer>
A-> aA
Ableitung vom Typ-3, a* ist folglich regulär
(ab)* läßt sich schreiben als Typ-2 Ableitung
A-> <leer>
A-> abA
und als Typ-3 Ableitung
A-> <leer>
A-> aB
B-> bA
also Klammerausdruecke sind ebenfalls regulär.
Ebenso fuer die Schreibweise a+, [0-9] ..., sie alle lassen sich
durch Typ-3 Regeln darstellen.
Es sind Regeln einer Typ-3 Grammatik, folglich ist die erzeugte Sprache
(oder Menge) regulär.
Vielleicht war dies zu undeutlich oder schwammig formuliert.
Die Ausdrücke heißen regulär wegen der Art der Regeln (es sind reguläre
Typ-3 Regeln) und nicht einfach weil es Regeln gibt. (Sonst wäre Deutsch
ein reguläre Sprache, schließlich gibt es da auch Regeln.)
Man kann es auch intuitiv sehen: in der Infixnotation eines regulären
Ausdruckes kann kein Bezug zum Kontext hergestellt werden, nur zum
Teilausdruck. Daraus folgt, daß die erzeugte Sprache zumindest vom Typ-2
ist.
Typ-3 Nachweis dann wie oben angeführt.
So, ich hoffe jetzt war es eineindeutig.
Gruß,
Heiko.
Regular \Reg"u*lar\ (-l?r), a. [L. regularis, fr. regula a rule, fr.
regere to guide, to rule: cf. F. r['e]gulier. See {Rule}.] 1. Conformed
to a rule; agreeable to an established rule, law, principle, or type, or
to established customary forms; normal; symmetrical; as, a regular verse
in poetry; a regular piece of music; a regular verb; regular practice of
law or medicine; a regular building.
2. Governed by rule or rules; steady or uniform in course, practice, or
occurence; not subject to unexplained or irrational variation; returning
at stated intervals; steadily pursued; orderlly; methodical; as, the
regular succession of day and night; regular habits.
3. Constituted, selected, or conducted in conformity with established
usages, rules, or discipline; duly authorized; permanently organized;
as, a regular meeting; a regular physican; a regular nomination; regular
troops.
...
http://work.ucsd.edu:5141/cgi-bin/http_webster?isindex=regular&method=exact
--Volker
> S->a Startregel: 1
> a->aa Verlängerungsregel: 1
> a-> 'a' .. 'z' 'ä' 'ö' 'ü'
> a-> 'A' .. 'Z'
> Gross-/Kleinbuchstaben + Umlaute: 58
> a-> 'ß' Eszet: 1
> a-> ,;.:-"'?! 9
> a-> Leerzeichen 1
> ---
> 71
> that's it!
>
> Passt doch ganz gut, oder?
Hä? Pardon, das liefert Dir alle möglichen Zeichenfolgen; z. B. auch so etwas
wie "brrdlW!?mpf". Natürlich sind die erlaubt deutschen Sätze da mit drunter,
aber der Sinn einer Grammatik ist doch, "grammatisch erlaubt" von "grammatisch
verboten" zu unterscheiden?
Eine Chomsky-Grammatik, die alle *deutschen* Sätze (und nur die) liefert, ist
das beileibe nicht. M. W. ist sogar strittig, ob das überhaupt geht. Und wenn,
dann besteht die bestimmt aus weitaus mehr als 70 Regeln. Ich weiß nicht, wie
weit es ernsthafte Versuche in dieser Richtung gegeben hat und von welchem
Erfolg die gekrönt waren; gibt es hier Linguisten, die mehr darüber wissen?
Ein kritischer Punkt bei der Geschichte ist wohl die Dynamik der Sprache; eine
Grammatik friert gewissermaßen Regeln zu einem gegebenen Zeitpunkt ein, während
die Sprache selbst sich mit der Zeit weiterentwickelt. Ein weiterer kritischer
Punkt ist der Graubereich zwischen "richtig" und "falsch": originelle Wendungen,
Sprachschöpfungen, kreativer Sprachgebrauch.
Schönen Gruß
Michael Beckenkamp
Wenn obiges eine Grammatik für Deutsch wäre, hättest Du recht. Es ging
darum, eine möglichst einfache Grammatik anzugeben, die (auch) alle
möglkichen Worte und Sätze der deutschen Sprache erzeugt.
Obiges Beispiel scheint mir die einfachste Grammatik zu sein, welche das
bewerkstelligt.
Ich bin in einem anderen Thread auf die Chomsky-Hierarchie von Sprachen
eingegangen. Da habe ich deutlich Stellung bezogen, daß eine Grammatik
für Deutsch, wohl nicht einfach machbar ist.
An ""brrdlW!?mpf" sieht man, daß die Grammatik zusätzlich in der Lage
ist, die Sprechblasen für Comics zu erzeugen ;-)
>
> Eine Chomsky-Grammatik, die alle *deutschen* Sätze (und nur die) liefert, ist
> das beileibe nicht.
Genau.
> M. W. ist sogar strittig, ob das überhaupt geht.
Ganz Deiner Meinung.
> Und wenn,
> dann besteht die bestimmt aus weitaus mehr als 70 Regeln. Ich weiß nicht, wie
> weit es ernsthafte Versuche in dieser Richtung gegeben hat und von welchem
> Erfolg die gekrönt waren; gibt es hier Linguisten, die mehr darüber wissen?
Mich würde nicht wundern, wenn mehr Regeln als Atome im Universum nötig
wären, ernsthaft.
>
> Ein kritischer Punkt bei der Geschichte ist wohl die Dynamik der Sprache; eine
> Grammatik friert gewissermaßen Regeln zu einem gegebenen Zeitpunkt ein, während
> die Sprache selbst sich mit der Zeit weiterentwickelt. Ein weiterer kritischer
> Punkt ist der Graubereich zwischen "richtig" und "falsch": originelle Wendungen,
> Sprachschöpfungen, kreativer Sprachgebrauch.
Du sprichst mir aus der Seele.
Grüße zurück,
Heiko.
> Eine Chomsky-Grammatik, die alle *deutschen* Sätze (und nur die)
> liefert, ist das beileibe nicht. M. W. ist sogar strittig, ob das
> überhaupt geht. Und wenn, dann besteht die bestimmt aus weitaus mehr
> als 70 Regeln. Ich weiß nicht, wieweit es ernsthafte Versuche in
> dieser Richtung gegeben hat und von welchem
> Erfolg die gekrönt waren; gibt es hier Linguisten, die mehr darüber
> wissen?
Für Chomsky gibt es seit den 80er Jahren überhaupt keine Regeln mehr,
sondern nur mehr allgemeine Prinzipien, die jede Sprache besitzen muß
und Parameter, die in den einzelnen Sprachen verschieden belegt sind.
(Etwa: steht das Verb vor dem Objekt oder hinter dem Objekt? Müssen
Sprachen immer ein formales Subjekt besitzen, oder reicht - wie im
Latein. und Ital. auch die Personalmarkierung am Verb aus?)
Erzeugungsgrammatiken vom Typ der Phrasenstrukturgrammatiken (als Teil
der "Chomsky-Grammatiken") sind seit mittlerweile ca. 2 Jahrzehnten nur
mehr Geschichte. Sie scheitern aus prinzipiellen Gründen: a.)
tatsächlich kam es in der Endphase zu einer "Regelexplosion" und b.)
sind sie "übergenerativ", d.h. sie liefern zuviele ungrammatische Sätze.
Das Einzige, was einen formalen Linguisten mit einem
Informatiker noch verbindet, ist der gemeinsame Ausgangspunkt Chomsky
1975. Seufz. Chomskys Häutungen sind so zahlreich, daß viele der
"minderbegabten" Linguisten (d.h. die meisten ;-)), seine neuesten
Theoriefassungen erst mit mehrjährigem Abstand langsam begreifen, wenn
sie überhaupt noch mitkommen ... (siehe mein Posting zu
"Chomsky-Hierarchien").
> Ein kritischer Punkt bei der Geschichte ist wohl die Dynamik der
> Sprache; eine Grammatik friert gewissermaßen Regeln zu einem gegebenen
> Zeitpunkt ein, während die Sprache selbst sich mit der Zeit
> weiterentwickelt. Ein weiterer kritischer Punkt ist der Graubereich
> zwischen "richtig" und "falsch": originelle Wendungen,
> Sprachschöpfungen, kreativer Sprachgebrauch.
Das genau ist es. Der Punkt, auf den sich vor allem die Kritik an
Chomsky fokussiert, ist seine These von der Autonomie der Syntax als
eingekapseltes, kognitives System. "Funktionalisten" dagegen betrachten
die Syntax als "Auskristallisierung" und Formwerdung von semantischen
Unterscheidungen. Wie es in der Architektur heißen würde: "Form follows
function". Leider muß man Chomsky erst verstehen, um ihn kritisieren zu
können ... (ich kann das von mir nur in kleinen Ansätzen behaupten ;-(
<--> ;-)).
Grüße zurück,
Jürgen
Sorry, es müßte 1957 heißen. ;-)
Jürgen
[Achtung: Polemik! ;-)]
> > für jedes Kind ist die Syntax der eigenen Muttersprache
> > nicht leichter oder schwerer zu erlernen als dies bei
> > den Muttersprachen der anderen Kinder der Fall ist.
>
> Lernte es sie aufgrund der "verarmten Grammatik" leichter,
> so widerspräche dies Deiner obigen Aussage. Lernte es sie
> _nicht_ leichter, entzöge es Deiner Aussage die Relevanz,
> hast Du doch selbst eingeräumt, daß sie "verarmt" sei. Wofür
> entscheidest Du Dich? Sogar Esperanto ist in seltenen Fällen
> schon Muttersprache geworden. Ist Esperanto in "Zahl und Art
> der Syntaxregeln" "komplexer", "weniger komplex" oder
> "genausokomplex" wie beispielsweise Deutsch?
Alle Kinder erwerben die syntaktischen Grundmuster ihrer Sprache während
der sog. "grammatischen Explosion" im Alter von ca. 3-6 Jahren. Es ist
bislang kein Fall einer Sprache bekannt, die signifikant mehr bzw.
weniger Zeit für den Erstspracherwerb benötigt. Darüberhinaus konnten
einige Fälle beobachtet werden, in denen Kinder, die nur mit
Pidgin-Sprachen aufwuchsen (Plantagen mit Sklaven aus aller Herren
Länder), untereinander eine ausgeformte Grammatik entwickelten, mit
Stellungsregeln und Hilfsverben, die das Pidgin nicht besaß. Daraus
entwickelten sich die heute existierenden Kreolsprachen. Kreolisierung
ist ein Vorgang, bei dem in nuce der Prozeß der "Grammatikalisierung"
beobachtet werden kann. Offensichtlich besitzt jeder Mensch einen
angeborenen Sprachserwerbmechanismus, der selbst aus einem äußerst
unvollkommenen Input (dem, was es an Sprache hört) einen Output erzeugt
(die Grammatik), der an Komplexität anderen natürlichen Sprachen nicht
nachzustehen scheint. Ein Maß für Komplexität, mit dem wir natürliche
Sprachen unterscheiden könnten, existiert allerdings nicht. Dazu
verstehen wir noch viel zu wenig. Wohlgemerkt: Pidgin-Sprachen sind
keine natürlichen Sprachen, sondern Hilfssprachen für Menschen, die eine
andere Muttersprache besitzen. Kreolsprachen dagegen sind natürliche
Sprachen. (Den Fall, daß ein Kind oder eine kleine Gruppe von Kindern
eine "Privatsprache" erwirbt, die niemand verstehen kann, klammere ich
aus. In diesem Fall kann es so aussehen, als hätte das Kind nur eine
"verarmte" Grammatik erworben. Es hat aber das Pech, daß es sich in
seiner, vielleicht ähnlichen Sprache nicht verständlich machen kann.)
Daß eine Kreolsprache in der ersten Generation weniger komplex sein kann
als andere Sprachen, ist möglich. Aber Kreolisierung ist die große
Ausnahme, und wie gesagt, uns fehlt das Komplexitätsmaß.
Esperanto ist ein anderer Sonderfall. Würde man die Esperantokinder sich
selbst überlassen, dann entwickelte es sich mit Sicherheit zu einer
ebenso lebendigen und komplexen Sprache wie andere auch. Aber ich kann
kein Esperanto und kenne auch die Fallstudien nicht. Schlimm wäre es,
wenn ihnen die "Esperantopäpste" (d.h. die Hüter der
Esperanto-Grammatik) vorschreiben würden, wie sie zu sprechen haben und
sie so zeitlebens auf die niedergeschriebene Grammatik verpflichten
würden. Das wäre tatsächlich ein Fall von "armer Sprache" und meiner
Ansicht nach ein Fall von Körperverletzung. (Es ist so, wie ein Kind
zeitlebens vor dem Sonnenlicht zu verstecken.) Die Frage, ob Esperanto
komplexer oder weniger komplex sei als das Deutsche, ist falsch
gestellt, solange du nicht zwischen Esperanto als Hilfs- und Esperanto
als Muttersprache unterscheidest.
>
> > Keine Verarmung ohne Bereicherung.
>
> Das scheint mir arg pauschal.
Das ist eine empirische Beobachtung bei allen Sprachen, deren Geschichte
wir eine hinreichende Zeit lang zurückverfolgen können. Aktuell muß man
natürlich die Bereicherung auch als solche erkennen können (z.B. das
Doppelperfekt im Süddeutschen) und darf es nicht als "Sprachverhunzung"
brandmarken, wie es leider viele Sprachkritiker nur zu gerne tun. Wenn
solche Leute den Rotstift zücken und behaupten: "So darf man nicht
sagen!", dann erwidere ich: "Aha, so sagt man also heute!" (Abgesehen
davon hat noch keine Sprachkritik dem Sprachwandel in die Speichen
greifen können.)
> Da Du <573...@babylon.pfm-mainz.de> und
> die dort aufgeworfenen Punkte ignoriert und in
> <36AB7A82...@uni-koeln.de> Deine These trotz der von
> Dir selbst genannten Gegenbeispiele aufrechterhalten hast,
> könnte ich eine "Niederlage" - so es mir um Personen ginge
> und nicht um die Sache - nur auf Deiner und Meyer von
> Gagerns Seite sehen.
Dein alter Trick: du vertraust darauf, daß der geneigte Leser unsere
alten Postings nicht nachliest. Ein Hinweis: das betreffende Posting von
mir war die große Wörterbuchrecherche, auf die ich bislang kein
kritisches Reply bekommen habe. Es ist sehr schofel von dir, daß du als
Kontrahent meine wirklich große Mühe nicht einmal der Beachtung für wert
gefunden hast. Auf meinen neuen FAQ-Vorschlag bist du mit keinem Wort
eingegangen, weder lobend, noch vernichtend, noch korrigierend. Das ist
nur der Stil von schlechten Verlierern.
Jürgen
Alle Kinder erwerben die syntaktischen Grundmuster ihrer Sprache während
der sog. "grammatischen Explosion" im Alter von ca. 3-6 Jahren. Es ist
bislang kein Fall einer Sprache bekannt, die signifikant mehr bzw.
weniger Zeit für den Erstspracherwerb benötigt. Darüberhinaus konnten
einige Fälle beobachtet werden, in denen Kinder, die nur mit
Pidgin-Sprachen aufwuchsen (Plantagen mit Sklaven aus aller Herren
Länder), untereinander eine ausgeformte Grammatik entwickelten, mit
Stellungsregeln und Hilfsverben, die das Pidgin nicht besaß. So
entstanden die heute existierenden Kreolsprachen. Kreolisierung
ist ein Vorgang, bei dem in nuce der Prozeß der "Grammatikalisierung"
beobachtet werden kann. Offensichtlich besitzt jeder Mensch einen
angeborenen Sprachserwerbmechanismus, der selbst aus einem äußerst
unvollkommenen Input (dem, was es an Sprache hört) einen Output erzeugt
(die Grammatik), der an Komplexität anderen natürlichen Sprachen nicht
wesentlich nachzustehen scheint. Ein Maß für Komplexität, mit dem wir
natürliche Sprachen unterscheiden könnten, existiert allerdings nicht.
Dazu verstehen wir noch viel zu wenig. (Siehe mein Posting zu
"Chomsky-Hierarchien.) Wohlgemerkt: Pidgin-Sprachen sind keine
natürlichen Sprachen, sondern Hilfssprachen für Menschen, die eine
andere Muttersprache besitzen. Kreolsprachen dagegen sind natürliche
Sprachen. Daß eine Kreolsprache in der ersten Generation weniger komplex
sein kann als andere Sprachen, ist möglich. Aber Kreolisierung ist eine
Ausnahme, und, wie gesagt, uns fehlt das Komplexitätsmaß.
Esperanto ist ein anderer Sonderfall. Würde man die Esperantokinder sich
selbst überlassen, dann entwickelte es sich mit Sicherheit zu einer
ebenso lebendigen und komplexen Sprache wie andere auch. Aber ich kann
kein Esperanto und kenne auch die Fallstudien nicht. Schlimm wäre es,
wenn ihnen die "Esperantopäpste" (d.h. die Hüter der
Esperanto-Grammatik) vorschreiben würden, wie sie zu sprechen haben und
sie so zeitlebens auf die niedergeschriebene Grammatik verpflichten
würden. Die Frage, ob Esperanto komplexer oder weniger komplex sei als
eingegangen, weder anerkennend, noch vernichtend, noch korrigierend. Das
ist der Stil von schlechten Verlierern, die sich wegducken, wenn es
kritisch für sie wird.
Jürgen
Unsinn. Ottenbruch hätte explizieren müssen, an welchem Maßstab er
"Verarmung" mißt. Ich habe lediglich auf den allgemeinen Konsens
innerhalb der Sprachwissenschaft hingewiesen, daß bislang keine
Komplexitätsunterschiede zwischen Sprachen festgestellt werden konnten.
Wie eigentlich deutlich hätte sein sollen, habe ich unter "Komplexität"
recht informell die "grammatischen Formen" einer Sprache verstanden.
(Wortbildungsmittel, Flexionsformen, Hilfsverben, Artikel etc.) Nur
Obskuranten oder Ignoranten können auf die Idee kommen, plötzlich völlig
sachfremde Aspekte wie die Typenhierarchie der Automatentheorie in die
Diskussion zu werfen. Du bist allerdings beides: Obskurant *und*
Ignorant.
> Einerseits scheint Amrhein mit Dir (und Ottenbruch und mir)
> übereinzustimmen, assoziiert er doch "Komplexität" im Falle
> von Programmiersprachen mit "Zahl und Art der Syntaxregeln",
> nicht mit Einordnung innerhalb der Chomsky-Hierarchie.
Aus Unkenntnis, deshalb bat ich ja Heiko um Aufklärung. Du vergißt, daß
mein Thema ja nicht Programmiersprachen waren.
> Andererseits schließt er quantitative Unterschiede dieser
> Art zwischen natürlichen Sprachen kategorisch aus, was
> er durch fehlende Unterschiede in ihrer Erlernbarkeit
> als Muttersprache und durch seine These "Keine Verarmung
> ohne Bereicherung" zu "begründen" versucht. Thesen und
> Definitionen sind aber keine Beweise.
Du kaprizierst dich auf einzelne grammatische Formen. Ich verstehe unter
Komplexitätsunterschied im obigen Sinne einen qualitativen Sprung. Ich
bin doch ja auch nicht schon "verarmt", wenn mir ein 1-Mark-Stück aus
der Tasche gefallen ist. "Gleiche Komplexität" heißt für mich hier "eine
vergleichbare Menge an grammatischen Formen". Meine angebliche These ist
eine empirisch bislang nicht falsifizierte wissenschaftliche Tatsache.
Sprachen sind in stetem Wandel, alte Formen verschwinden und neue
entstehen. Es gibt hier zwei Ansichten: die eine ist, daß jüngere,
"expressivere" Formen die alten verdrängen ("push chain"); die andere,
daß die jüngeren Formen durch das Verschwinden der alten in den leer
gewordenen Platz stoßen ("push chain".) Hat z.B. im Süddeutschen das
Perfekt das Präteritum verdrängt, oder stieß es nur auf einen
freigewordenen Platz vor? Wie man an einer Form wie dem Doppelperfekt
sehen kann, setzt eine punktuelle Veränderung eine ganze Verschiebung im
Kategoriengefüge in Gang. So sehen die von Sprachkritikern konstatierten
"Verarmungen" aus.
> Da es aber sehr
> wohl Unterschiede in Zahl und Art der Syntaxregeln zu
> geben scheint (Argumentation siehe vorvorigen Absatz),
> kann "gleichkomplex" wohl nur dieselbe Stufe der
> Chomsky-Hierarchie bezeichnen. Wenn nicht, was sonst?
Das ist eine Unterstellung, aus Ignoranz und/oder Bosheit. Fühlst du
dich etwa unwohl, wenn du nicht auf dem sicheren Boden deiner Informatik
argumentieren kannst?
> Beide Thesen Amrheins halte ich in der dargebotenen Form für
> nicht stichhaltig bzw. unnütz im Rahmen dieser Diskussion
> über "Verarmung". Aus ersterer ließe sich bestenfalls eine
> obere Komplexitätgrenze ableiten, woraus sich dann die
> Binsenweisheit "natürliche Sprachen übersteigen in ihrer
> Komplexität typischerweise nicht die durchschnittliche
> Lernfähigkeit eines Menschen" ergäbe. Ach, wer hätte das
> gedacht!
Hier trivialisierst du aus Unkenntnis. Die Fähigkeit, eine Sprache zu
erlernen, ist *nicht* identisch mit einer allgemeinen durchschnittlichen
Lernfähigkeit". Allgemeine Intelligenz und Sprachvermögen sind zwei
getrennte Dinge. Es gibt Menschen mit weit unterdurchschittlichem IQ,
aber normaler Beherrschung der Syntax. Und es gibt durchschnittlich
intelligente Leute, die aufgrund einer Läsion der Sprachzentren im
Gehirn nur eine rudimentäre Grammatik erlernen konnten. Die Art von
Grammatik, die wir als Menschen erwerben können, ist durch unsere
genetische Ausstattung bestimmt. Es ist keine Sprache bekannt, die die
uns mitgegebenen sprachlichen Möglichkeiten nur unzureichend ausschöpfen
würde.
> Letzteres, die "Bereicherungsthese", klingt nach
> einer Variante von "any given program will expand to fill
> all available memory", was ich nicht für auf einzelne
> Sprecher anwendbar halte.
Du magst im Bereich des Vokabulars recht haben und in der stilistischen
Meisterschaft. Aber für die Grammatik trifft das erwiesenermassen
*nicht* zu. Cicero und ein einfacher römischer Soldat haben die
lateinische Grammatik in gleichem Maße beherrscht. Cicero konnte
vielleicht kunstvollere Perioden bilden und mithilfe der grammatischen
Formen eindrucksvollere rhetorische Effekte erzielen. So what? Dieser
Unterschied ist so oberflächlich wie die IQ-Unterschiede zwischen den
Menschen. Für ein intelligenteres und sprachmächtigeres Wesen als wir
wären wir alle gleichdumm und sprachlich gleich arm. Wo ist der
entscheidende Unterschied zwischen einem Programm, daß 9,95 Megabyte
belegt und einem, daß 10,05 Megabyte belegt?
> Sofern sich die These auf
> hinreichend große Sprechergruppen beziehen soll, ließe sich
> daraus ableiten, daß sich die Komplexität einer Sprache im
> Wechselspiel zwischen leichter Beherrschbarkeit, effizientem
> Ausdruck und wahrscheinlich anderen Kriterien üblicherweise
> auf ein lokales Optimum einpendeln wird. Ach. Daß es aber
> nur _ein_ Optimum - und somit nur _einen_ universellen
> Komplexitätgrad für alle natürlichen Sprachen - geben
> soll, halte ich nicht für schlüssig dargelegt.
Ich denke schon. Du mußt nur den Standpunkt ändern und statt den
Unterschieden die unzähligen Gemeinsamkeiten zwischen den Sprachen
suchen. Und natürlich zwischen den Sprechern einer Sprache. Mir scheint
es leider so zu sein, daß dich das Ergebnis nicht glücklich machen
würde. Wo kämst du plötzlich mit deinem Sprachdünkel hin, wenn du
plötzlich nicht mehr der Experte für "gutes Deutsch" wärst, der andere
auf ihre grammatische Minderbemitteltheit und verarmte
Ausdrucksfähigkeit aufmerksam machen könnte?
Jürgen
Sorry, zuletzt müßte es "drag chain" heißen.
Jürgen
> Wenn jetzt aus diesem Konglomerat einfach der Konjunktiv des
> Plusquamperfektes als mögliche Konjugation gestrichen wird,
> weil sich die Menschen unsicher sind, wie er angewendet wird,
> was ist das, eine Bereicherung? Natürlich nicht!
> Man könnte folglich sagen es handelt sich hier um eine
> Verarmung.
>
> Es ging Jürgen nicht darum, daß hier nicht ein echter Verlust
> aufgetreten wäre - dieser ist schließlich feststellbar.
Was ich meinte, war, daß der Verlust einer Form noch lange keine
Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten darstellt.
> Es geht darum, daß auch geistige Kapazität der Menschen frei
> wird (bzw. vorher anderweitig bereits belegt wurde), die dazu
> benutzt wird, die Sprache an anderer Stelle wieder komplexer
> zu machen. Durch zusätzliche Worte, (du hast schon wieder
> ge-xgepostet), durch eine Unzahl von Abkürzungen, welche man
> kennen muß, um "richtig Tschätten" zu können ( CU2>ow, T4U ).
Naja, so ganz ist es nicht. Das Lexikon ist eine eigene Sprachkomponente
neben der Syntax. Das Gehirn ist keine unspezifische Festplatte, wo
beliebiger Austausch von Speicherplatz möglich wäre. Ich meinte
vielmehr, daß mit dem Verschwinden einer Form (etwa einer alten
Kasusendung) nicht notwendigerweise die Sprache um eine
Ausdrucksmöglichkeit ärmer wird, sondern an andrer Stelle Ersatz findet
(z.B. durch den Gebrauch von Präpositionen zum Ausdruck dieser sehr
abstrakten Kasusfunktionen: vgl. etwa das engl. "to", das als Zeichen
für das indirekte Objekt dem deutschen Dativ äquivalent ist.)
> > Und Du siehst darin wirklich keinen Widerspruch zu Amrheins
> > These, alle (Mutter-)Sprachen seien gleichkomplex?
>
> Jein, ich denke hier habe ich eine von Jürgen leicht abweichende
> Meinung.
>
> Der Mensch hat eine gewisse geistige Kapazität, die er
> bereit ist (bewußt/unbewußt), in die Sprache zu investieren.
Nein, der Mensch investiert nichts in seine Sprache, erst recht nicht
bewußt. ;-) Es handelt sich hier um eine sprachspezifische geistige
Kapazität, die außerdem noch unter die Teilkomponenten der Grammatik
aufgeteilt werden müßte. Z.B. sind Flexionsformen und lexikalische
Wörter (Funktionswörter) separat vom übrigen Wortschatz gespeichert.
D.h., die Zahl der möglichen regulären Flexionsformen einer Sprache ist
durchaus begrenzt. Allerdings auch nicht aus Speichergründen, sondern
weil es für die menschliche Sprachverarbeitung schlicht unmöglich ist,
einen Satz mit 100 verschiedenen grammatischen Kategorien zu erzeugen
oder zu verstehen. (Grammatische Kategorien sind obligatorisch; ich muß
z.B. bei jedem Adjektiv Numerus, Kasus und Genus ausdrücken. Oder:
Welche Tempora ich verwende bleibt mir überlassen. Aber ein Satz ohne
Tempus wäre in den meisten Fällen ungrammatisch.)
> An den Stellen, wo eine fremdgesteuerte Einschränkung der Kapazität
> herrscht (verwildert aufwachsende Kinder, Menschengruppen, die
> täglich um das nackte Überleben kämpfen müssen), bildet sich eine
> weniger komplexe Sprache heraus (alles IMO).
Jein. Was meinst du mit "verwildert aufwachsend"? Allein unter Tieren?
Dann hättest du recht. Aber der Lebenskampf ist keine
Kapazitätsbeschränkung. Warum auch? Egal, wie dreckig es Menschen geht:
Sie sind Wesen, die ständig am Quasseln sind. ;-) Wobei übrigens die
Sprache ein äußerst entscheidendes Mittel beim Lebenskampf ist!
> Aus diesem Grund glaube ich, daß sich Sprachen von gleicher
> Komplexität da bilden, wo die Menschen einen ähnlichen Zeitaufwand
> in das Lernen der Sprache investieren können.
Das ist eine weitverbreitete, aber grundfalsche Auffassung. Man lernt
seine Muttersprache nicht wie etwa das Schachspiel oder C++, sondern
"wächst in sie hinein". Eine Sprache lernen ist wie ein Instinkt, der
sich nicht willentlich kontrollieren oder von außen manipulieren läßt,
sondern nach einem biologisch gesteuerten Plan abläuft. Sowenig die
Kinder spüren, daß sie wachsen, genauso wenig merken sie, daß sie ihre
Sprache erwerben. Sie tun es einfach, wenn ihr Gehirn dafür bereit ist
und um "Nahrung" in Form von sprachlichem Input bettelt. Zeit, die
Sprache der Mutter und andrer zu beobachten, und aus den externen Daten
die Grammatik dieser Sprache zu rekonstruieren, haben alle Kinder in
jeder uns bekannten Gesellschaft in genügendem Maße.
> Andernfalls bleibt nicht genug Zeit, die Komplexität zu
> entwickeln. Hier reicht es jedoch, daß einige Menschen einer
> Gruppe diese Zeit haben, es müssen nicht alle sein.
>
> -> Lesen und Schreiben nur für die religiöse Kaste etc.
Jetzt sehe ich das Mißverständnis: du verwechselt den Erwerb der
Kulturtechniken des Lesens und Schreibens (und der mündlichen Rhetorik)
mit dem Erwerb der Muttersprache. (Der bei der Einschulung in den
Grundzügen - nicht im Wortschatz natürlich - abgeschlossen ist.)
Heiliges Blechle! ;-)
> Die Lebensumstände in der westlichen Welt sind jedoch ziemlich
> einheitlich. Sie haben eine vergleichbare Menge an Zeit
> zu kommunizieren. Wie dies bei Indianern im Regenwald aussieht,
> vermag ich nicht zu sagen. Nach einigen gelesenen GEO-Artikeln
> scheint mir der kommunikative Anteil an der zur Verfügung stehenden
> Zeit jedoch nicht geringer als bei uns zu sein, eher höher.
Bingo! ;-)
> Es reichen bereits wenige, die Zeit haben sich ganz der
> Sprache zu widmen (Schriftsteller, Priester, Medizinmänner)
> und die Komplexität wächst entsprechend der Kapazität desjenigen.
> Man kann hier natürlich argumentieren, ein einzelner James Joyce
> bereichert nicht die Sprache, er verhunzt sie nur.
Die Komplexität wächst dadurch aber nicht, höchstens der einer
Sprachgemeinschaft zur Verfügung stehende Wortschatz. Aber grammatische
Formen werden nicht von Einzelpersonen erfunden oder weiterentwickelt,
sondern folgen dem aus der Wirtschaftswissenschaft bekannten "Gesetz der
unsichtbaren Hand".
> Kommt ein zeitlicher Faktor (menschliche Frühgeschichte)
> hinzu, würde ich weiter einschränken: hier gilt bei gleichem
> Zeitaufwand und gleicher geistiger Kapazität.
> Ich glaube nicht, daß die die Kommunikation eines Australopithecus
> afarensis eine vergleichbare Komplexität mit der deutschen Sprache
> hat.
Ich auch nicht. Das liegt aber eher daran, daß die Sprachfähigkeit ein
sehr junges Produkt der Evolutionsgeschichte ist und auf dieser
Menschheitsstufe noch nicht bzw. nur in Ansätzen herausgebildet war.
Nicht an der allgemeinen Gehirnkapazität!
> Ich glaube sehr wohl, daß heute noch lebendige Sprachen wie
> Englisch, Französisch, Deutsch, sowie alte Sprachen, von Kulturen,
> die ihren Mitgliedern ein ähnlich Zeitrahmen für die Kommunikation
> bieten konnten, wie heutige Kulturen, (Römer, Griechen, Hebräer
> oder evtl. die Aborigines[1],) eine gleichwertige Komplexität
> aufweisen ("identisch" gefällt mir in diesem Zusammenhang überhaupt
> nicht).
Das ist eindeutig falsch. Die Sprache der Eskimos haben z.B. ein
hochausgebildetes Flexionssystem, mit dem sie ebenso hochabstrakte
Unterscheidungen ausdrücken können. Es war für die früheren
Sprachforscher eine große Überraschung, als sie entdecken mußten, daß
die Sprachen von "Buschvölkern" und anderen "Wilden" in ihrem
grammatischen Formenreichtum ohne weiteres mit den "Kultursprachen"
konkurrieren können. Übrigens sind uns gerade diese Völker im aktiven
Wortschatz für die Flora und Fauna ihrer Umgebung weit überlegen ...
Grüße,
Jürgen
>Am Thu, 18 Feb 1999 22:57:16 GMT schrieb Kurt Schacknies:
>Obzwar ich ahne, was Du meinst, komme ich mit diesem Satz nicht so ganz
>zu Rande:
>
>> Ich halte es aber nicht für
>> "zweckmäßig", bei grammatischen Fachbegriffen auf die Wortbedeutung
>> ein allzu großes Gewicht auf die _Bedeutung_ des Begriffs zu legen.
>
Ich auch nicht :)
Richtig muss es heißen:
Ich halte es aber nicht für "zweckmäßig", bei grammatischen
Fachbegriffen ein allzu großes Gewicht auf die _Bedeutung_
des Begriffs zu legen.
Gruß
Kurt Schacknies
--
Die große Regel: Wenn dein bißchen an sich nichts Sonderbares ist,
so sage es wenigstens ein bißchen sonderbar.
(Georg Christoph Lichtenberg)
> Eine Chomsky-Grammatik, die alle *deutschen* Sätze (und nur die) liefert, ist
> das beileibe nicht. M. W. ist sogar strittig, ob das überhaupt geht. Und wenn,
> dann besteht die bestimmt aus weitaus mehr als 70 Regeln. Ich weiß nicht, wie
> weit es ernsthafte Versuche in dieser Richtung gegeben hat und von welchem
> Erfolg die gekrönt waren; gibt es hier Linguisten, die mehr darüber wissen?
Ich habe hier ein schönes Beispiel, wie schnell man damit auf die Nase
fallen kann:
Seit einigen Wochen gibt es von Langenscheidt ein elektronisches
Englisch-Deutsch-Taschenwörterbuch namens LanguageMan. Der Wortschatz
ist umfangreich (insgesamt 450000), Ausspracheregeln sind dabei und
die Worterklärungen sind auch nicht weniger ausführlich als in einem
großen Wörterbuch.
Und wenn man bei einem beliebigen Wort die Taste FORM drückt, bekommt
man eine Liste der Beugungsformen angezeigt. Offensichtlich haben sich
die Entwickler bei den deutschen Verben einen Algorithmus ausgedacht,
der die Konjugationen berechnet anstatt sie aus einer Liste zu nehmen.
Das funktioniert weitgehend ganz eindrucksvoll, aber bei einigen
Wörtern sind die Regeln wohl noch nicht differenziert genug. Zuerst
aufgefallen ist es mir bei "stehen", dort liefert Imperfekt zweite
Person Plural "ihr standt". Dann habe ich gezielt nach
ähnlichen Wörtern gesucht und noch ein paar gefunden, die in diese
Gruppe gehören (binden, finden, laden; abfinden, empfinden, beladen
usw.).
Leider hat Langenscheidt auf meinen Brief nicht geantwortet. Ob solche
Fehler eventuell ein Reklamationsgrund sind?
Ralf
--
--------------------------...@t-online.de---
Unglücklich ist nicht der Dumme, sondern derjenige, der ihm zuhört.
(Sudanesisches Sprichwort)
-------------------------------------------------------------------
> Wenn obiges eine Grammatik für Deutsch wäre, hättest Du recht. Es ging
> darum, eine möglichst einfache Grammatik anzugeben, die (auch) alle
> möglkichen Worte und Sätze der deutschen Sprache erzeugt.
> Obiges Beispiel scheint mir die einfachste Grammatik zu sein, welche das
> bewerkstelligt.
Ja, so ist es. Wir saßen die ganze Zeit auf zwei verschiedenen Dampfern. :-)
Schönen verregneten Sonntagsgruß
Michael Beckenkamp
Hatte ich auch so verstanden. Es bilden sich an anderer Stelle neue
Ausdrucksmöglichkeiten, bzw. der umgekehrte zeitliche Ablauf: durch
Bilden neuer Möglichkeiten fallen andere weg.
>
> > Es geht darum, daß auch geistige Kapazität der Menschen frei
> > wird (bzw. vorher anderweitig bereits belegt wurde), die dazu
> > benutzt wird, die Sprache an anderer Stelle wieder komplexer
> > zu machen. Durch zusätzliche Worte, (du hast schon wieder
> > ge-xgepostet), durch eine Unzahl von Abkürzungen, welche man
> > kennen muß, um "richtig Tschätten" zu können ( CU2>ow, T4U ).
>
> Naja, so ganz ist es nicht. Das Lexikon ist eine eigene Sprachkomponente
> neben der Syntax.
Gehört aber zur Sprache dazu - das Lexikon. Gehört es auch zur
Muttersprache?
> Das Gehirn ist keine unspezifische Festplatte, wo
> beliebiger Austausch von Speicherplatz möglich wäre.
> Ich meinte
> vielmehr, daß mit dem Verschwinden einer Form (etwa einer alten
> Kasusendung) nicht notwendigerweise die Sprache um eine
> Ausdrucksmöglichkeit ärmer wird, sondern an andrer Stelle Ersatz findet
> (z.B. durch den Gebrauch von Präpositionen zum Ausdruck dieser sehr
> abstrakten Kasusfunktionen: vgl. etwa das engl. "to", das als Zeichen
> für das indirekte Objekt dem deutschen Dativ äquivalent ist.)
>
> > > Und Du siehst darin wirklich keinen Widerspruch zu Amrheins
> > > These, alle (Mutter-)Sprachen seien gleichkomplex?
> >
> > Jein, ich denke hier habe ich eine von Jürgen leicht abweichende
> > Meinung.
> >
> > Der Mensch hat eine gewisse geistige Kapazität, die er
> > bereit ist (bewußt/unbewußt), in die Sprache zu investieren.
>
> Nein, der Mensch investiert nichts in seine Sprache, erst recht nicht
> bewußt. ;-)
Investieren ist vielleicht zu sehr mit Absicht verknüpft, etwas zu
vermehren. Vom Grundtenor gefällt es mir trotzdem, weil der Mensch einen
Gewinn aus der Kommunikation zieht.
Gefällt Dir folgendes besser:
"Der Mensch verbringt einen großen Teil seiner Zeit mit Kommunikation."
> Es handelt sich hier um eine sprachspezifische geistige
> Kapazität, die außerdem noch unter die Teilkomponenten der Grammatik
> aufgeteilt werden müßte. Z.B. sind Flexionsformen und lexikalische
> Wörter (Funktionswörter) separat vom übrigen Wortschatz gespeichert.
> D.h., die Zahl der möglichen regulären Flexionsformen einer Sprache ist
> durchaus begrenzt. Allerdings auch nicht aus Speichergründen, sondern
> weil es für die menschliche Sprachverarbeitung schlicht unmöglich ist,
> einen Satz mit 100 verschiedenen grammatischen Kategorien zu erzeugen
> oder zu verstehen. (Grammatische Kategorien sind obligatorisch; ich muß
> z.B. bei jedem Adjektiv Numerus, Kasus und Genus ausdrücken. Oder:
> Welche Tempora ich verwende bleibt mir überlassen. Aber ein Satz ohne
> Tempus wäre in den meisten Fällen ungrammatisch.)
>
> > An den Stellen, wo eine fremdgesteuerte Einschränkung der Kapazität
> > herrscht (verwildert aufwachsende Kinder, Menschengruppen, die
> > täglich um das nackte Überleben kämpfen müssen), bildet sich eine
> > weniger komplexe Sprache heraus (alles IMO).
>
> Jein. Was meinst du mit "verwildert aufwachsend"? Allein unter Tieren?
Ja.
> Dann hättest du recht. Aber der Lebenskampf ist keine
> Kapazitätsbeschränkung.
> Warum auch? Egal, wie dreckig es Menschen geht:
> Sie sind Wesen, die ständig am Quasseln sind. ;-) Wobei übrigens die
> Sprache ein äußerst entscheidendes Mittel beim Lebenskampf ist!
Die Menschen, die bereits am quasseln sind, für die gilt das wohl. Wenn
durch den Überlebenskampf die Kommunikationsschiene Eltern <-> Kind
wegfällt, entfallen Teile der Lernphase. Die Kinder würden, unter sich
gelassen, auch kommunizieren. Hier bildete sich aber eine "neue"
Muttersprache heran.
>
> > Aus diesem Grund glaube ich, daß sich Sprachen von gleicher
> > Komplexität da bilden, wo die Menschen einen ähnlichen Zeitaufwand
> > in das Lernen der Sprache investieren können.
>
> Das ist eine weitverbreitete, aber grundfalsche Auffassung. Man lernt
> seine Muttersprache nicht wie etwa das Schachspiel oder C++, sondern
> "wächst in sie hinein". Eine Sprache lernen ist wie ein Instinkt, der
> sich nicht willentlich kontrollieren oder von außen manipulieren läßt,
> sondern nach einem biologisch gesteuerten Plan abläuft. Sowenig die
> Kinder spüren, daß sie wachsen, genauso wenig merken sie, daß sie ihre
> Sprache erwerben. Sie tun es einfach, wenn ihr Gehirn dafür bereit ist
> und um "Nahrung" in Form von sprachlichem Input bettelt. Zeit, die
> Sprache der Mutter und andrer zu beobachten, und aus den externen Daten
> die Grammatik dieser Sprache zu rekonstruieren, haben alle Kinder in
> jeder uns bekannten Gesellschaft in genügendem Maße.
Trotzdem kann dies durch gesellschaftliche Zwänge unterbunden werden. Wo
die Möglichkeit zur Kommunikation eingeschränkt ist, wird das
"hineinwachsen" unterbunden.
-> Schweigegelübde in manchen Klostern - Kinder die hier aufwachsen
müßten wären eingeschränkt.
siehe auch weiter unten: kulturelle Zwänge
> > Andernfalls bleibt nicht genug Zeit, die Komplexität zu
> > entwickeln. Hier reicht es jedoch, daß einige Menschen einer
> > Gruppe diese Zeit haben, es müssen nicht alle sein.
> >
> > -> Lesen und Schreiben nur für die religiöse Kaste etc.
>
> Jetzt sehe ich das Mißverständnis: du verwechselt den Erwerb der
> Kulturtechniken des Lesens und Schreibens (und der mündlichen Rhetorik)
> mit dem Erwerb der Muttersprache. (Der bei der Einschulung in den
> Grundzügen - nicht im Wortschatz natürlich - abgeschlossen ist.)
> Heiliges Blechle! ;-)
Ja, dem scheint dann wohl so zu sein. Ich habe dies als Bestandteile der
Muttersprache gesehen. Ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist,
Basisdefinitionen auszutauschen. Deinem Kommentar entnehme ich, daß dies
der Muttersprache nicht hinzugerechnet wird, es bei ihr also um die rein
mündlich "verabreichte" Kommunikationsform handelt. Das andere sind dann
wohl Variationen über dem Thema.
>
> > Die Lebensumstände in der westlichen Welt sind jedoch ziemlich
> > einheitlich. Sie haben eine vergleichbare Menge an Zeit
> > zu kommunizieren. Wie dies bei Indianern im Regenwald aussieht,
> > vermag ich nicht zu sagen. Nach einigen gelesenen GEO-Artikeln
> > scheint mir der kommunikative Anteil an der zur Verfügung stehenden
> > Zeit jedoch nicht geringer als bei uns zu sein, eher höher.
>
> Bingo! ;-)
>
...
> > Man kann hier natürlich argumentieren, ein einzelner James Joyce
> > bereichert nicht die Sprache, er verhunzt sie nur.
>
> Die Komplexität wächst dadurch aber nicht, höchstens der einer
> Sprachgemeinschaft zur Verfügung stehende Wortschatz. Aber grammatische
> Formen werden nicht von Einzelpersonen erfunden oder weiterentwickelt,
> sondern folgen dem aus der Wirtschaftswissenschaft bekannten "Gesetz der
> unsichtbaren Hand".
Hier neigt man (neige ich) dazu, individuelle Beschränkung oder Vielfalt
auf die Gruppe zu übertragen.
Es gibt natürlich einzelne Personen - eben auch Jugendliche - die einer
Verarmung der Sprachmöglichkeiten unterliegen (unter anderem geistige
Behinderung), nur der Schluß auf die Gruppe ist da nicht gegeben.
> > Kommt ein zeitlicher Faktor (menschliche Frühgeschichte)
> > hinzu, würde ich weiter einschränken: hier gilt bei gleichem
> > Zeitaufwand und gleicher geistiger Kapazität.
>
> > Ich glaube nicht, daß die die Kommunikation eines Australopithecus
> > afarensis eine vergleichbare Komplexität mit der deutschen Sprache
> > hat.
>
> Ich auch nicht. Das liegt aber eher daran, daß die Sprachfähigkeit ein
> sehr junges Produkt der Evolutionsgeschichte ist und auf dieser
> Menschheitsstufe noch nicht bzw. nur in Ansätzen herausgebildet war.
> Nicht an der allgemeinen Gehirnkapazität!
Achtung Glatteis 8-)
Der Mensch bildet sich auf seine geistige Kapazität eine Menge ein, ich
weiß.
Dies mündet so lange in eine Glaubensfrage, bis es einem Menschen
gelingt, die Kommunikationsformen einer anderen Spezies zu lernen, um
darüber Auskunft zu geben, wie komplex diese ist.
In der Menschenaffenforschung ist deutlich geworden, daß zumindest die
grundsätzliche Abstraktionsfähigkeit vorhanden ist. Man hat hier schon
viele Abstriche an der Einzigartigkeit des Menschen machen müssen.
Ich bin jedoch noch nicht bereit, darauf zu Verzichten, mögliche
Komplexität mit geistiger Kapazität in Relation zu setzen. Das
Gehirnvolumen hat nur bedingt damit zu tun, die Kombination aus einem
Koeffizient (durchschn. Gehirnvolumen)/(Normalgewicht) und einem
Mindestvolumen jedoch schon.
Bienen haben definitiv nicht die Kapazität. Sie beherrschen ein geringes
Vokabular in Form von Tänzen, ob sie eine Grammatik dazu benutzen weiß
ich nicht. Bei einer derart kleinen Anzahl von Kombinationen, ist diese
nicht nötig.
>
> > Ich glaube sehr wohl, daß heute noch lebendige Sprachen wie
> > Englisch, Französisch, Deutsch, sowie alte Sprachen, von Kulturen,
> > die ihren Mitgliedern ein ähnlich Zeitrahmen für die Kommunikation
> > bieten konnten, wie heutige Kulturen, (Römer, Griechen, Hebräer
> > oder evtl. die Aborigines[1],) eine gleichwertige Komplexität
> > aufweisen ("identisch" gefällt mir in diesem Zusammenhang überhaupt
> > nicht).
>
> Das ist eindeutig falsch. Die Sprache der Eskimos haben z.B. ein
> hochausgebildetes Flexionssystem, mit dem sie ebenso hochabstrakte
> Unterscheidungen ausdrücken können.
Wie aus dem Regenwaldbeispiel zu entnehmen ist, bin ich nicht generell
der Auffassung, daß sich eine geringere Komplexität herausbildet.
Ich halte es jedoch für genauso verfehlt, den Menschen dahingehend zu
unterschätzen, daß er nicht dazu in der Lage wäre, durch kulturelle
Zwänge, das Ausbilden der Sprache zu behindern.
Es gibt Menschen, die verzichten bewußt auf das Essen, obwohl sie Hunger
haben und etwas eßbares in der Nähe liegt. Und es soll sogar Männer
gegeben haben, die in gewissen Momenten, Lustgefühle unterdrücken
konnten.
> Es war für die früheren
> Sprachforscher eine große Überraschung, als sie entdecken mußten, daß
> die Sprachen von "Buschvölkern" und anderen "Wilden" in ihrem
> grammatischen Formenreichtum ohne weiteres mit den "Kultursprachen"
> konkurrieren können. Übrigens sind uns gerade diese Völker im aktiven
> Wortschatz für die Flora und Fauna ihrer Umgebung weit überlegen ...
Wieviel unterschiedliche Worte gab es bei den Inuits für Schnee doch
gleich? Ich kann mich zumindest daran erinnern, daß es eine dreistellige
Zahl war.
Nachdem ich unzureichend über das Konzept "Muttersprache" informiert
bin, interessiert mich auch noch folgendes:
Der Mensch kommuniziert bekannterweise auf verschiedenen Ebenen
gleichzeitig (Objektebene, Beziehungsebene,...).
Wird die Art und Weise, wie dies kommuniziert wird, noch der
Muttersprache zugeordnet, ist dies der Kultur zuzurechnen, oder ist es
gar kulturübergreifend?
Meine Vermutung ist mittleres, da sich für beide Ebenen ein und der
selben Basissprache bedient wird. Ich bin mir jedoch nicht sicher, da
beim Wechsel von der Objekt- zur Beziehungsebene eine semantische
Bedeutungsverschiebung des Gesagten stattfinden kann.
Frei nach Watzlawick:
"War das Essen gut?" - "War nicht schlecht."
Übersetzung:
"War das Essen gut?" - "Nein, aber ich weiß es zu schätzen, daß du
dir Mühe gegeben hast."
Grüße, Heiko.
> Seit einigen Wochen gibt es von Langenscheidt ein elektronisches
> Englisch-Deutsch-Taschenwörterbuch <schnipp>
> Und wenn man bei einem beliebigen Wort die Taste FORM drückt, bekommt
> man eine Liste der Beugungsformen angezeigt. Offensichtlich haben sich
> die Entwickler bei den deutschen Verben einen Algorithmus ausgedacht,
> der die Konjugationen berechnet anstatt sie aus einer Liste zu nehmen.
> Das funktioniert weitgehend ganz eindrucksvoll, aber bei einigen
> Wörtern sind die Regeln wohl noch nicht differenziert genug. Zuerst
> aufgefallen ist es mir bei "stehen", dort liefert Imperfekt zweite
> Person Plural "ihr standt". Dann habe ich gezielt nach
> ähnlichen Wörtern gesucht und noch ein paar gefunden, die in diese
> Gruppe gehören (binden, finden, laden; abfinden, empfinden, beladen
> usw.).
> Leider hat Langenscheidt auf meinen Brief nicht geantwortet.
Seltsam. Normalerweise versuchen die Fachverlage, "kundennah" zu sein. Ich arbeite
selbst in einem solchen (nicht bei Langenscheidt). Unser Leserdienst hält sich viel
darauf zu Gute, möglichst alle Kundenanfragen freundlich und sachlich zu
beantworten.
> Ob solche Fehler eventuell ein Reklamationsgrund sind?
Kommt darauf an. Wenn der Verlag in der Produktbeschreibung oder in einem Prospekt
zusichert, dass das Programm immer korrekt konjugiert, dann hast Du bei
entsprechender Hartnäckigkeit mit Sicherheit Erfolg - Du kannst eine "zugesicherte
Eigenschaft" reklamieren, und das ist rechtlich gesehen ein Selbstgänger.
Wahrscheinlich wird sich Langenscheidt vor solch kühnen Behauptungen gehütet haben.
Dann ist die Frage, ob Du "nach dem vorausgesetzten Gebrauch" des Produktes erwarten
darfst, dass richtig konjugiert wird. Das ist eine eher zähe Angelegenheit.
Was willst Du bei Langenscheidt erreichen? Rechtlich gesehen hast Du bei einem
erheblichen Mangel des Produktes - nach eigener Wahl - drei Möglichkeiten:
- "Wandelung" des Kaufvertrages; d. h. der Kauf wird rückgängig gemacht. Du musst
das Wörterbuch zurückschicken und bekommst den Kaufpreis wieder. Ist aber
wahrscheinlich nicht in Deinem Sinne, ich nehme an, Du willst das Produkt weiter
benutzen?
- Nachbesserung. Langenscheidt korrigiert den Fehler und schickt Dir eine
korrigierte Programmversion. Es wird bei einem derart tief sitzenden systematischen
Fehler für Langenscheidt unmöglich sein, das in für Dich akzeptabler Frist zu
erledigen.
- Minderung. Du bekommst eine angemessene Rückerstattung eines Teils des
Kaufpreises. Lässt Spielraum für Interpretationen, was "angemessen" ist.
Wenn Du hartnäckig bist und den Leuten bei Langenscheidt auf die Nerven fällst, ist
wohl eine Gutschrift drin. Vielleicht werden sie Dir eine Büchergutschrift anbieten.
Die Frage für Dich ist, ob es Dir den Aufwand wert ist.
Schönen Gruß
Michael Beckenkamp
>> Das Einzige, was einen formalen Linguisten mit einem
>> Informatiker noch verbindet, ist der gemeinsame Ausgangspunkt Chomsky
>> 1975.
> Sorry, es müßte 1957 heißen. ;-)
War das "Aspekte der Syntaxtheorie"? Du hast mich richtig neugierig gemacht
auf das, was danach kam. Deinen Ausführungen zufolge ...
>> Chomskys Häutungen sind so zahlreich, daß viele der
>> "minderbegabten" Linguisten (d.h. die meisten ;-)), seine neuesten
>> Theoriefassungen erst mit mehrjährigem Abstand langsam begreifen, wenn
>> sie überhaupt noch mitkommen ...
ist das aber *noch* schwieriger??
Schönen Gruß
Michael Beckenkamp
> War das "Aspekte der Syntaxtheorie"? Du hast mich richtig neugierig gemacht
> auf das, was danach kam. Deinen Ausführungen zufolge ...
Habe jetzt erst Dein Posting zu "Chomsky-Hierarchien" von heute Nacht entdeckt.
Tolle Fundgrube, vielen Dank! :-)
Schönen Gruß
Michael
> Investieren ist vielleicht zu sehr mit Absicht verknüpft, etwas zu
> vermehren. Vom Grundtenor gefällt es mir trotzdem, weil der Mensch
> einen Gewinn aus der Kommunikation zieht.
> Gefällt Dir folgendes besser:
> "Der Mensch verbringt einen großen Teil seiner Zeit mit
> Kommunikation."
Auch nicht. ;-) Der Mensch ist essentiell ein "sprechendes (und
hörendes) Wesen". Wenn du fragst, worin sich unsere Gattung in der
Hauptsache von anderen unterscheidet, dann heißt die richtige Antwort:
es ist unsere angeborene Sprachfähigkeit. Kommunizieren können auch
andere Tiere (sogar Pflanzen). Aber keine Tierart hat eine vergleichbare
komplexe Sprache. Die Sprachfähigkeit ist Teil unserer biologischen
Ausstattung. Kein Kind kann sich freiwillig entscheiden, ob es "Sprache
lernen" will oder nicht. Es lernt sie mit der gleichen Notwendigkeit wie
die Bienen ihren Tanz.
> Trotzdem kann dies durch gesellschaftliche Zwänge unterbunden werden.
> Wo die Möglichkeit zur Kommunikation eingeschränkt ist, wird das
> "hineinwachsen" unterbunden.
>
> -> Schweigegelübde in manchen Klostern - Kinder die hier aufwachsen
> müßten wären eingeschränkt.
Was du als "gesellschaftliche Zwänge" siehst, sind eigentlich gröbste
Verstöße gegen die "artgerechte Haltung". Ich brauche wohl nicht zu
betonen, daß eine Gesellschaft, die alles daran setzt, den Erwerb der
Muttersprache bei ihren Kindern unmöglich zu machen, dem baldigen
Untergang geweiht ist.
> > Die Komplexität wächst dadurch aber nicht, höchstens der einer
> > Sprachgemeinschaft zur Verfügung stehende Wortschatz. Aber
> > grammatische Formen werden nicht von Einzelpersonen erfunden oder
> > weiterentwickelt, sondern folgen dem aus der Wirtschaftswissenschaft > > bekannten "Gesetz der unsichtbaren Hand".
>
> Hier neigt man (neige ich) dazu, individuelle Beschränkung oder
> Vielfalt auf die Gruppe zu übertragen.
Natürlich gibt es auch unter den grammatischen Formen innerhalb einer
Sprache große Varianz, vor allem regional und auch zwischen den
Generationen. Eigentlich gibt es nicht die "deutsche Sprache", sondern
etwa 80 Millionen individuelle Sprachen, die soviele Gemeinsamkeiten
untereinander aufweisen, daß ich daraus eine idelle Standardsprache
rekonstruieren kann. Insofern bin ich natürlich beschränkt, weil ich
nicht so rede wie ein Norddeutscher oder ein Sachse. Neue grammatische
Formen entstehen zunächst in kleinen Gruppen und können dann mit der
Zeit immer weitere Sprecherkreise erfassen.
> Es gibt natürlich einzelne Personen - eben auch Jugendliche - die
> einer Verarmung der Sprachmöglichkeiten unterliegen (unter anderem
> geistige Behinderung), nur der Schluß auf die Gruppe ist da nicht
> gegeben.
Das ist problematisch. Natürlich kann ich den ganzen Tag "Boah ey, cool"
sagen und eine differenziertere Kommunikation verweigern. Du kannst aber
nicht daraus schließen, daß ein solcher Barbar deshalb nicht die
grammatischen Formen der anderen versteht. Die Grammatik besitzt er
wohl, er macht nur einen rudimentären Gebrauch von ihr. Übrigens:
geistige Behinderung ist nicht notwendig mit sprachlicher Behinderung
verbunden. Meist ist es nur so, daß sprachliche Defizite Teil des
Syndroms sind. Eine "Verarmung" in deinem Sinn liegt *nur* bei einer
solchen organischen Sprachbehinderung vor.
> Ich bin jedoch noch nicht bereit, darauf zu Verzichten, mögliche
> Komplexität mit geistiger Kapazität in Relation zu setzen. Das
> Gehirnvolumen hat nur bedingt damit zu tun, die Kombination aus einem
> Koeffizient (durchschn. Gehirnvolumen)/(Normalgewicht) und einem
> Mindestvolumen jedoch schon.
> Bienen haben definitiv nicht die Kapazität. Sie beherrschen ein
> geringes Vokabular in Form von Tänzen, ob sie eine Grammatik dazu
> benutzen weiß ich nicht. Bei einer derart kleinen Anzahl von
> Kombinationen, ist diese
> nicht nötig.
Muß ich dir schon wieder widersprechen. Das ist zu einfach. Überlege dir
mal, was zur Sprachfähigkeit alles dazugehört. Es wird im Gehirn so
etwas wie eine Schnittstelle benötigt zwischen dem allgemeinen
kognitiven System (Denken, Erinnern, Schließen), dem auditiven
Sprachzentrum (Segmentierung eines kontinuierlichen Geräusches in eine
Abfolge von distinktiven Lauten) und dem artikulatorischen Sprachzentrum
(motorische Anweisungen an die Sprachwerkzeuge im Mund). Ich kann mir
genausogut ein hochkomplexes Gehirn vorstellen, indem die Evolution es
nicht geschafft hat, diese getrennten Fähigkeiten miteinander zu
verdrahten. Was wäre, wenn unsre Mundmuskeln z.B. nicht zur
differenzierten Aussprach fähig wäre? Oder wenn es im Gehirn keine
Brücke zwischen Denken und Sprechen gäbe, sodaß wir z.B. nur emotionale
Laute von uns geben könnten? (Übrigens gibt es eine Krankheit, bei der
die Betroffenen zwanghaft Schimpfwörtervon sich geben, ich habe einen
solchen Menschen schon erlebt! ;-) Hier gibt es einen Kurzschluß
zwischen Emotion und Sprache.)
> Wie aus dem Regenwaldbeispiel zu entnehmen ist, bin ich nicht generell
> der Auffassung, daß sich eine geringere Komplexität herausbildet.
> Ich halte es jedoch für genauso verfehlt, den Menschen dahingehend zu
> unterschätzen, daß er nicht dazu in der Lage wäre, durch kulturelle
> Zwänge, das Ausbilden der Sprache zu behindern.
Deine Ansicht ist verfehlt, siehe oben. Natürlich können Menschen
einander sich die Augen ausstechen, die Kinder bis zum Erwachwenwerden
in dunkle Kellerräume sperren, die Zungen herausschneiden, das
Trommelfell durchstechen etc. Das wirst du aber unter "kulturellen
Zwängen" wohl nicht gemeint haben. ;-)
> Es gibt Menschen, die verzichten bewußt auf das Essen, obwohl sie
> Hunger haben und etwas eßbares in der Nähe liegt. Und es soll sogar
> Männer gegeben haben, die in gewissen Momenten, Lustgefühle
> unterdrücken konnten.
*Grins* Aber du sprichst hier von Erwachsenen. Such mal nach einem Kind,
das sich freiwillig zur Askese verpflichtet. ;-)
> Wieviel unterschiedliche Worte gab es bei den Inuits für Schnee doch
> gleich? Ich kann mich zumindest daran erinnern, daß es eine
> dreistellige Zahl war.
Ach, das ist eine typische Ente. ;-) Der Linguist Geoffrey Pullum hat
diesen Mythos 1991 in seinem Essay "The Great Escimo Vocabulary Hoax"
eindrucksvoll widerlegt. Franz Boas hat 1911 beiläufig erwähnt, daß die
Inuit vier Wörter für Schnee besitzen. Whorf erweiterte die Zahl
eigenmächtig (ohne diese Sprache zu kennen) auf 7 und ließ anklingen,
daß es durchaus noch mehr gab. Ab dann kannte die Klatschgeschichte kein
Halten und über Schulbücher, Zeitungsartikel und
populärwissenschaftliche Werken kam es zu einer wahren numerischen
Explosion. Die Zahl an Schneesorten paßt halt so schön zu den exotischen
Eskimos, die nur rohes Fleisch essen und ihre Frauen mit ihren Gästen
schlafen lassen. ;-) Wir sind jetzt also schon bei einer 3-stelligen
Zahl? ;-)
> Nachdem ich unzureichend über das Konzept "Muttersprache" informiert
> bin, interessiert mich auch noch folgendes:
> Der Mensch kommuniziert bekannterweise auf verschiedenen Ebenen
> gleichzeitig (Objektebene, Beziehungsebene,...).
> Wird die Art und Weise, wie dies kommuniziert wird, noch der
> Muttersprache zugeordnet, ist dies der Kultur zuzurechnen, oder ist es
> gar kulturübergreifend?
> Meine Vermutung ist mittleres, da sich für beide Ebenen ein und der
> selben Basissprache bedient wird. Ich bin mir jedoch nicht sicher, da
> beim Wechsel von der Objekt- zur Beziehungsebene eine semantische
> Bedeutungsverschiebung des Gesagten stattfinden kann.
>
> Frei nach Watzlawick:
> "War das Essen gut?" - "War nicht schlecht."
>
> Übersetzung:
> "War das Essen gut?" - "Nein, aber ich weiß es zu schätzen, daß du
> dir Mühe gegeben hast."
Hier sprichst du über allgemeine pragmatische Mechanismen.
(Anspielungen, Ironie, Euphemismus, metaphorische Rede etc.) Die
Mechanismen selbst sind in der Tat kulturunabhängig.
Grüße,
Jürgen
Hallo Michael,
Dieses Buch, in dem Chomsky sein sog. "Standardmodell" formuliert hat,
ist von 1965. Von 1957 sind die "Syntactic Structures". Hier befindet
sich auch der Ausflug in die Automatentheorie. Übrigens hab ich ein
interessantes Zitat von Chomsky aufgetrieben (aus einem Interview mit
Günther Grewendorf 1995):
"Der erste Versuch einer allgemeinen Darstellung generativer Grammatiken
findet sich in meinem Buch /Logical Structure of Linguistic Theory/
(/LSLT/, 1955; eine Revision aus dem Jahre 1956 wurde in Auszügen 1975
publiziert). Die von Ihnen erwähnten /Syntactic Structures/ bildeten
eine Bearbeitung von LSLT für einen "undergraduate"-Kurs am MIT, wobei
Ergänzungen vorgenommen wurden, die für diesen Kursus von speziellem
Interesse waren (z.B. über Automatentheorie)."
Schöne Grüße,
Jürgen
> Die Sprachfähigkeit ist Teil unserer biologischen
> Ausstattung. Kein Kind kann sich freiwillig entscheiden, ob es "Sprache
> lernen" will oder nicht. Es lernt sie mit der gleichen Notwendigkeit wie
> die Bienen ihren Tanz.
Von dem Standpunkt des Individuums gesehen wie auch weiter unten [1],
gebe ich Dir recht. Wenn das Kind Moeglichkeit zur Kommunikation hat,
wird es die Sprache lernen. Durch Einschraenkungen kann es dazu kommen,
dass dies eine eigene Muttersprache ist (die von Dir in einem anderen
Thread angesprochene Kreolisierung).
Aus Gruppensicht, kann dieses Kind die (die der Gruppe inherente)
Muttersprache jedoch nur mangelhaft erwerben.
<..>
>
> Was du als "gesellschaftliche Zwänge" siehst, sind eigentlich gröbste
> Verstöße gegen die "artgerechte Haltung".
Ja, da hat die Menschheit leider bereits traurige Rekorde aufgestellt.
> Ich brauche wohl nicht zu
> betonen, daß eine Gesellschaft, die alles daran setzt, den Erwerb der
> Muttersprache bei ihren Kindern unmöglich zu machen, dem baldigen
> Untergang geweiht ist.
<..>
[1]
> Natürlich gibt es auch unter den grammatischen Formen innerhalb einer
> Sprache große Varianz, vor allem regional und auch zwischen den
> Generationen. Eigentlich gibt es nicht die "deutsche Sprache", sondern
> etwa 80 Millionen individuelle Sprachen, die soviele Gemeinsamkeiten
> untereinander aufweisen, daß ich daraus eine idelle Standardsprache
> rekonstruieren kann. Insofern bin ich natürlich beschränkt, weil ich
> nicht so rede wie ein Norddeutscher oder ein Sachse. Neue grammatische
> Formen entstehen zunächst in kleinen Gruppen und können dann mit der
> Zeit immer weitere Sprecherkreise erfassen.
>
<..>
>
> > Ich bin jedoch noch nicht bereit, darauf zu Verzichten, mögliche
> > Komplexität mit geistiger Kapazität in Relation zu setzen. Das
> > Gehirnvolumen hat nur bedingt damit zu tun, die Kombination aus einem
> > Koeffizient (durchschn. Gehirnvolumen)/(Normalgewicht) und einem
> > Mindestvolumen jedoch schon.
> > Bienen haben definitiv nicht die Kapazität. Sie beherrschen ein
> > geringes Vokabular in Form von Tänzen, ob sie eine Grammatik dazu
> > benutzen weiß ich nicht. Bei einer derart kleinen Anzahl von
> > Kombinationen, ist diese
> > nicht nötig.
>
> Muß ich dir schon wieder widersprechen.
Machst Du nicht, siehe unten.
> Das ist zu einfach. Überlege dir
> mal, was zur Sprachfähigkeit alles dazugehört. Es wird im Gehirn so
> etwas wie eine Schnittstelle benötigt zwischen dem allgemeinen
> kognitiven System (Denken, Erinnern, Schließen), dem auditiven
> Sprachzentrum (Segmentierung eines kontinuierlichen Geräusches in eine
> Abfolge von distinktiven Lauten) und dem artikulatorischen Sprachzentrum
> (motorische Anweisungen an die Sprachwerkzeuge im Mund). Ich kann mir
> genausogut ein hochkomplexes Gehirn vorstellen, indem die Evolution es
> nicht geschafft hat, diese getrennten Fähigkeiten miteinander zu
> verdrahten.
Wenn ich ausdruecke, dass ich zum Transport von 5 Litern Wein ein
Gefaess mit 5 Litern brauche und Du sagst, dass in einem solchen Gefaess
auch 5 Liter Wasser sein koennten, ist dies kein echter Widerspruch.
Ich mache nur die Einschraenkung, dass es mit einem 1 Litergefaess nicht
getan ist.
> Was wäre, wenn unsre Mundmuskeln z.B. nicht zur
> differenzierten Aussprach fähig wäre? Oder wenn es im Gehirn keine
> Brücke zwischen Denken und Sprechen gäbe, sodaß wir z.B. nur emotionale
> Laute von uns geben könnten? (Übrigens gibt es eine Krankheit, bei der
> die Betroffenen zwanghaft Schimpfwörtervon sich geben, ich habe einen
> solchen Menschen schon erlebt! ;-)
Ich kann mich an eine TV-Serie erinnern (war etwas mit Anwaelten,
LA-Law?), wo ein solcher Fall behandelt wurde. Es war zwar amuesant
anzusehen, die Vorstellung selbst in dieser Situtation zu sein ist
allerdings ziemlich betrueblich. Es wird wirklich schwierig sich Freunde
zu machen, wenn man anderen immer wieder zwanghaft Beschimpfungen an den
Kopf wirft.
> Hier gibt es einen Kurzschluß
> zwischen Emotion und Sprache.)
>
> > Wie aus dem Regenwaldbeispiel zu entnehmen ist, bin ich nicht generell
> > der Auffassung, daß sich eine geringere Komplexität herausbildet.
> > Ich halte es jedoch für genauso verfehlt, den Menschen dahingehend zu
> > unterschätzen, daß er nicht dazu in der Lage wäre, durch kulturelle
> > Zwänge, das Ausbilden der Sprache zu behindern.
>
> Deine Ansicht ist verfehlt, siehe oben. Natürlich können Menschen
> einander sich die Augen ausstechen, die Kinder bis zum Erwachwenwerden
> in dunkle Kellerräume sperren, die Zungen herausschneiden, das
> Trommelfell durchstechen etc. Das wirst du aber unter "kulturellen
> Zwängen" wohl nicht gemeint haben. ;-)
Nein. Unter dem Gesichtspunkt, dass sich hier nach spaetestens einer
Generation eine eigene, geaenderte Muttersprache gebildet hat, bin ich
denn auch endlich von Deinen Argumenten ueberzeugt. Man kann diesen
Zwang hoechstens eine Generation aufrechterhalten - zu kurz um einen
rituellen Akt daraus zu machen.
>
> > Wieviel unterschiedliche Worte gab es bei den Inuits für Schnee doch
> > gleich? Ich kann mich zumindest daran erinnern, daß es eine
> > dreistellige Zahl war.
>
> Ach, das ist eine typische Ente. ;-) Der Linguist Geoffrey Pullum hat
> diesen Mythos 1991 in seinem Essay "The Great Escimo Vocabulary Hoax"
> eindrucksvoll widerlegt. Franz Boas hat 1911 beiläufig erwähnt, daß die
> Inuit vier Wörter für Schnee besitzen. Whorf erweiterte die Zahl
> eigenmächtig (ohne diese Sprache zu kennen) auf 7 und ließ anklingen,
> daß es durchaus noch mehr gab. Ab dann kannte die Klatschgeschichte kein
> Halten und über Schulbücher, Zeitungsartikel und
> populärwissenschaftliche Werken kam es zu einer wahren numerischen
> Explosion. Die Zahl an Schneesorten paßt halt so schön zu den exotischen
> Eskimos, die nur rohes Fleisch essen und ihre Frauen mit ihren Gästen
> schlafen lassen. ;-) Wir sind jetzt also schon bei einer 3-stelligen
> Zahl? ;-)
Haette ich wohl erst afu konsultieren sollen.
Gehoert habe ich es wohl schon frueher, zuletzt gelesen hatte ich es in
"Fraeulein Smillas Gespuer fuer Schnee". Ich weiss nicht mehr ob es
explizit oder andeutungsweise angefuehrt war, auf jeden Fall schoen
aufgesessen.
Gruesse,
Heiko.
So, das habe ich nachgeholt. In afu waren es 50 Woerter (die dort
uebrgiens aufgefuehrt werden). Ich habe mich also zumindest eine
Verdopplung schuldig gemacht.
Es sind uebrigens vier Basiswoerter fuer Schnee, die aehnlich der
Wortzusammenschreibung im Deutschen, durch Anhaenge ergaenzt werden
koennen.
Vermutlich durch Formen wie "Schneeeinbisschennass",
"Harschbesonderseisig".
Hinzu kommt, dass Kombinationen wie "mein Schnee", "dein Schnee" in
Inuit eigene Woerter sind.
Kurz: Es ist kein Wunder, dass es Hobby-Sprachforschern wie Whorf nicht
moeglich war, die Wortstaemme fuer Schnee herauszufinden.
B.L. Whorf scheint Verursacher einiger weiterer Legenden ueber Sprachen
zu sein.
Gruesse,
Heiko.
Allerdings wirfst Du hier Form und Bedeutung durcheinander.
So ist eine Typ-3 Grammatik kein regulaerer Ausdruck, genausowenig
wie z.B. eine Rechenaufgabe ("zehn plus zwanzig")
ein arithmetischer Ausdruck ist. Natuerlich kann man letzere auch
durch den gleichbedeutenden arithmetischen Ausdruck "10+20"
ausdruecken.
Korrekter muesste Deine Aussage heissen:
Der regulaere Ausdruck a^* und die Grammatik A->epsilon | aA beschreiben
dasselbe (dieselbe Sprache) sind aber nicht dasselbe.
Das man von regulaeren Ausdruecken spricht ist wohl reine Konvention.
Von manchen Theoretikern wird der Begriff "rationaler Ausdruck"
bevorzugt. Warum das so heisst, weiss ich auch nicht.
Gruss,
Jochen
Bitte umformulieren oder einen direkten Bezug geben, wo ich das gemacht
habe.
> So ist eine Typ-3 Grammatik kein regulaerer Ausdruck, genausowenig
> wie z.B. eine Rechenaufgabe ("zehn plus zwanzig")
> ein arithmetischer Ausdruck ist. Natuerlich kann man letzere auch
> durch den gleichbedeutenden arithmetischen Ausdruck "10+20"
> ausdruecken.
Wo habe ich gesagt, dass eine Typ-3 Grammatik ein regulaerer Ausruck
ist?
Ich schrieb: "regulaerer Ausdruck a*"
und weiter: "Ableitung vom Typ-3, a* ist folglich regulaer"
Ich habe fuer einen Teil der moeglichen Teilausdruecke nachgewiesen, des
es eine _direkte_ Entsprechung als Ableitung einer regulaeren Grammatik
gibt, weswegen diese Teilausdruecke regulaer sind und habe es der Uebung
des Lesers ueberlassen, dies fuer die restlichen Teilausdruecke
nachzuweisen oder mein Wort dafuer zu nehmen.
Was Du herausgelesen hast, finde ich nicht.
>
> Korrekter muesste Deine Aussage heissen:
> Der regulaere Ausdruck a^* und die Grammatik A->epsilon | aA beschreiben
> dasselbe (dieselbe Sprache) sind aber nicht dasselbe.
Das ist Deine Aussage und sie ist falsch.
"A->epsilon | aA" sind Ableitungsregeln oder Produktionen und keine
Grammatik.
Meine Aussage waere "Der regulaere Ausdruck 'a^*' und die
Ableitungsreglen 'A->epsilon | aA' sind aequivalent, da inneinander
ueberfuehrbar."
Nochmals zur Widerholung: durch die moegliche Umsetzung der
Teilausdruecke in Ableitungen gelingt der Nachweis, dass die
Teilausdruecke eine regulaere Sprache erzeugen.
Man kann den regulaeren Ausdruck selbst als Buendel von Ableitungsregel
auffassen, welche die geforderte Form einer Typ-2 Ableitung aufweisen,
sich aber durch Typ-3 Ableitungen ersetzen lassen.
Es ist einfach eine andere Notation. Wenn Du Dich daran aufhaengen
moechtest - metaphorisch, rein metaphorisch - dann steht es Dir frei,
ich finde es muessig.
Gleich wie, als Ableitungsbuendel waere der Ausdruck ein Bestandteil
einer Grammatik aber keine Grammatik selbst.
>
> Das man von regulaeren Ausdruecken spricht ist wohl reine Konvention.
Eigenartiger Zufall, dass die regulaeren Ausdruecke eine regulaere
Sprache beschreiben oder erzeugen, das "regulaer" aber aus Konvention
benutzt wird, oder?
Gruesse,
Heiko
> So, das habe ich nachgeholt. In afu waren es 50 Woerter (die dort
> uebrgiens aufgefuehrt werden). Ich habe mich also zumindest eine
> Verdopplung schuldig gemacht.
hallo leute,
was ist "afu"?
michael meschter
> Das man von regulaeren Ausdruecken spricht ist wohl reine Konvention.
> Von manchen Theoretikern wird der Begriff "rationaler Ausdruck"
> bevorzugt. Warum das so heisst, weiss ich auch nicht.
Da bin ich inzwischen fündig geworden:
D. Perrin, Finite Automata
in J. van Leeuwen (Ed.), Handbook of Theoretical Computer Science Vol. B
"The adjective rational emphasizes the analogy between rational expressions
and rational power series or fractions as used in classical algebra. [ ... ]
This analogy can be made extrem precise at the cost of [ ... ]"
Der erwähnt zwar, dass andere Leute "regular" sagen, schreibt aber leider
auch nicht, warum.
MfG
Klaus
> Was willst Du bei Langenscheidt erreichen? Rechtlich gesehen hast Du bei einem
> erheblichen Mangel des Produktes - nach eigener Wahl - drei Möglichkeiten:
> [...]
Danke für die Anmerkungen (hoffentlich fallen wir nicht zu schnell
wegen off-topic-Diskussionen auf).
Natürlich will ich das Gerät weiterbenutzen, der Wörterbuchteil
funktioniert schließlich ganz gut. Es ist vermutlich bei einem so
kleinen Computer im Taschenrechnerformat nicht sinnvoll, die ROMs zum
Auswechseln oder Neuprogrammieren vorzusehen; das wäre jedenfalls die
Variante, die mir am besten gefiele.
Die Fehler bei der Konjugation stören mich eigentlich auch nur aus
Prinzip, da ich ein perfektes Gerät haben möchte. Ernsthaft nachsehen
wird ein deutscher Anwender ja schließlich nur im englischen Teil.
Lediglich mein Vertrauen in die Zuverlässigkeit der angebotenen
Information hat etwas gelitten...
Wenn wir in einigen Jahren auch den Duden oder etwas Vergleichbares
in Form eines Minicomputers haben werden (vielleicht gleich noch mit
Synonymwörterbuch, Fremdwörterbuch usw.), dann dürfte aber die
Möglichkeit, den Datenbestand aktualisieren zu können, durchaus
sinnvoll sein.
Gruß, Ralf
> Und wenn man bei einem beliebigen Wort die Taste FORM drückt, bekommt
> man eine Liste der Beugungsformen angezeigt. Offensichtlich haben sich
> die Entwickler bei den deutschen Verben einen Algorithmus ausgedacht,
> der die Konjugationen berechnet anstatt sie aus einer Liste zu nehmen.
> Das funktioniert weitgehend ganz eindrucksvoll, aber bei einigen
> Wörtern sind die Regeln wohl noch nicht differenziert genug. Zuerst
> aufgefallen ist es mir bei "stehen", dort liefert Imperfekt zweite
> Person Plural "ihr standt". Dann habe ich gezielt nach
> ähnlichen Wörtern gesucht und noch ein paar gefunden, die in diese
> Gruppe gehören (binden, finden, laden; abfinden, empfinden, beladen
> usw.).
> Leider hat Langenscheidt auf meinen Brief nicht geantwortet. Ob solche
> Fehler eventuell ein Reklamationsgrund sind?
War Langenscheidt wirklich so naiv, auch die Konjugation der
unregelmäßigen Verben dem Algorithmus anzuvertrauen? Dabei ist die Zahl
dieser Verben im Deutschen recht überschaulich ...
Jürgen
newsgroup:alt.folklore.urban
und die dazugehoerige Seite
Hier werden Legenden mit unglaublichem Eifer auseinandergenommen.
Auf der angegeben Seite findet man die gebraechlichsten Legenden - man
macht sich ziemlich unbeliebt, wenn man bekanntes in die Gruppe
plaziert, ohne auf dieser Seite nachgesehen zu haben.
Heiko
Sorry, evtl. habe ich Dich falsch verstanden.
> > Korrekter muesste Deine Aussage heissen:
> > Der regulaere Ausdruck a^* und die Grammatik A->epsilon | aA beschreiben
> > dasselbe (dieselbe Sprache) sind aber nicht dasselbe.
>
> Das ist Deine Aussage und sie ist falsch.
> "A->epsilon | aA" sind Ableitungsregeln oder Produktionen und keine
> Grammatik.
>
> Meine Aussage waere "Der regulaere Ausdruck 'a^*' und die
> Ableitungsreglen 'A->epsilon | aA' sind aequivalent, da inneinander
> ueberfuehrbar."
Klar, ich wollte nicht zu spitzfindig sein.
>
> Nochmals zur Widerholung: durch die moegliche Umsetzung der
> Teilausdruecke in Ableitungen gelingt der Nachweis, dass die
> Teilausdruecke eine regulaere Sprache erzeugen.
> Man kann den regulaeren Ausdruck selbst als Buendel von Ableitungsregel
> auffassen, welche die geforderte Form einer Typ-2 Ableitung aufweisen,
> sich aber durch Typ-3 Ableitungen ersetzen lassen.
> Es ist einfach eine andere Notation. Wenn Du Dich daran aufhaengen
> moechtest - metaphorisch, rein metaphorisch - dann steht es Dir frei,
> ich finde es muessig.
>
Es kommt mir wieder so vor, als ob Du Syntax und Semantik von regulaeren
Ausdruecken durcheinanderwirfst. Was meinst Du mit "Buendel von
Ableitungsregeln" und wie kann man regulaere Ausdruecke als solche
auffassen?
> >
> > Das man von regulaeren Ausdruecken spricht ist wohl reine Konvention.
>
> Eigenartiger Zufall, dass die regulaeren Ausdruecke eine regulaere
> Sprache beschreiben oder erzeugen, das "regulaer" aber aus Konvention
> benutzt wird, oder?
>
Nein, denn es ist auch Konvention, dass ein Sprache die von einem
regulaeren Ausdrueck beschrieben wird regulaer genannt wird. Dies ist
selbstverstaendlich kein Zufall.
Gruss
Jochen
ich denke wenn wir es mit einer weiteren Runde nicht klaeren koennen,
sollten wir uns ueber E-Mail austauschen. Ich kann mir vorstellen, dass
das allgemeine Interesse an diesem Gespraechsfaden erlahmt ist oder
demnaechst erlahmen wird.
Jochen Messner wrote:
>
> Heiko Leberer wrote:
> >
> >
> > Nochmals zur Widerholung: durch die moegliche Umsetzung der
> > Teilausdruecke in Ableitungen gelingt der Nachweis, dass die
> > Teilausdruecke eine regulaere Sprache erzeugen.
> > Man kann den regulaeren Ausdruck selbst als Buendel von Ableitungsregel
> > auffassen, welche die geforderte Form einer Typ-2 Ableitung aufweisen,
> > sich aber durch Typ-3 Ableitungen ersetzen lassen.
> > Es ist einfach eine andere Notation. Wenn Du Dich daran aufhaengen
> > moechtest - metaphorisch, rein metaphorisch - dann steht es Dir frei,
> > ich finde es muessig.
> >
>
> Es kommt mir wieder so vor, als ob Du Syntax und Semantik von regulaeren
> Ausdruecken durcheinanderwirfst.
Jetzt stehe ich auf dem Schlauch.
Wir reden doch die ganze Zeit ueber die Semantik von regulaeren
Ausdruecken und von Ableitungen und nicht von ihrer Repraesentation?
Es geht ja bei einer Ableitung "S->a" nicht darum, dass sie auch "S|-a"
geschrieben werden kann, sondern was sie als Ableitung bedeutet.
Hier sehe ich nicht, was durcheinandergeworfen sein koennte.
Dass die Syntax eines regulaeren Ausdruckes sich von der Syntax einer
Ableitung unterscheidet ist selbstredend, sonst waeren sie ja identisch
in ihrer textuellen Darstellung.
Es ging die _immer_ um die Bedeutung von "a*", nie um den Buchstaben "a"
und das Zeichen "*" als solches.
> Was meinst Du mit "Buendel von
> Ableitungsregeln" und wie kann man regulaere Ausdruecke als solche
> auffassen?
"Buendel" sollte signalisieren, dass es mehr als eine Ableitungsregel
ist.
Menge, Reihe oder Anzahl waere genauso passend gewesen.
Wie ich bereits dargelegt hatte, erzeugen
"a*" sowie "S -> A, A -> <leer> | aA" die gleiche Sprache, wenn man das
gleiche Alphabet unterstellt (In einer Grammatik wird das Alphabet
explizit angegeben, bei regulaeren Ausdruecken geht man implizit von
ASCII oder einem anderen Code aus).
Ich kann folglich bei gegebenem Alphabet nachweisen: "a*" ist
aequivalent zu "S -> A, A -> <leer> | aA".
"a+" entspricht "S -> A, A -> a | aA"
Ich kann fuer jeden erlaubten Teilausdruck und Kombinationen davon
nachweisen, dass sie durch eine gewisse Anzahl von Ableitungsreglen
ersetzbar sind.
- amuesanterweise sind obiges Regeln fuer die Regelumsetzung
Dies ist ebenfalls nachweisbar fuer Kombinationen von Teilausdruecken
wie Klammerung, Hintereinanderschreibung ...
Eine Aussage, der regulaere Ausdruck x und die Menge der Ableitungen y
sind aequivalent, scheint mir nach obigem Schema zulaessig.
Es handelt sich um unterschiedliche Notationen, die zum gleichen
Ergebnis fuehren, zu einer identischen, regulaeren Menge von Woertern.
Ein regulaerer Ausruck entspricht folglich einer Menge von
Ableitungsreglen bzw:
> > Man kann den regulaeren Ausdruck selbst als Buendel von Ableitungsregeln
> > auffassen, ...
['n' schamhaft an Ableitungsregel angehaengt]
Gruss,
Heiko