On 2018-05-18, Manfred Haertel <
Manfred...@rz-online.de> wrote:
> Bei einer Suche nach Urlaubsfilmen auf youtube bin ich auf einen uralten
> digitalisierten Super-8-Film gestoßen und habe mich darüber amüsiert,
> dass dort französische Ortsnamen deutsch ausgesprochen wurden. Das wirkt
> heute so, als würde sich jemand nicht richtig auskennen.
Fällt dir auch auf, dass z.B. deutsche Fußballreporter portugiesisch-
sprachige Namen grundsätzlich falsch aussprechen, als so eine Art
eingedeutschtes Spanisch? Selbst Béla Réthy, der selbst Portugiesisch
spricht und es besser wissen muss, macht das so.
Demnächst ist Fußball-Weltmeisterschaft, da kannst du dir das Drama
wieder anhören. Ich erwarte auch verhackstückte Leseaussprachen für
Russisch, Dänisch, Isländisch, Schwedisch; spannend wird Polnisch;
usw.
> Dann habe ich mich aber wieder entsonnen, dass das in meiner Kindheit in
> den 60er und 70 Jahren eigentlich ziemlich normal war. Nicht nur für
> Ortsnamen, sondern auch für (manche?) Namen ausländischer Personen wie
> z.B. der damalige belgische König Baudouin, der "Bau-du-ihn"
> ausgesprochen wurde und eben nicht französisch (obwohl die korrekte
> Namens-Übersetzung wohl "Balduin" gewesen wäre...).
Meiner fehlbaren Kindheitserinnerung nach haben in den 1970-80er
Jahren Rundfunksprecher, Fernsehmoderatoren u.ä. französische Namen
sicher und französisch ausgesprochen. Heute merkt man vielen an,
dass sie nie Französisch gelernt haben.
Die Aussprache fremder Namen ist eine mehrstufige Angelegenheit,
die ich mit Wissen-Können-Wollen umreißen möchte.
1. WISSEN: Zuerst muss man den Zusammenhang zwischen Schreibung und
Lautung kennen. Ein Musterbeispiel dafür ist Polnisch, das eine
sehr übersichtliche Laut-Buchstaben-Zuordnung hat, die aber andernorts
meist unbekannt ist. Der Deutsche sieht „Szczecin“ und verfällt,
wie es jemand hier mal so schön formuliert hat, in Konsonantenpanik,
statt einfach Sz-cz-e-c(i)-i-n [ˈʃt͡ʃɛt͡ɕin] zu lesen.
2. KÖNNEN: Auch wenn man prinzipiell weiß, wie etwas auszusprechen
ist, dann muss man das erst einmal hervorbringen können. Ich kann
z.B. noch nicht einmal ein gerolltes r artikulieren – von tschechischem
ř, dänischem Stød oder chinesischen Tönen ganz zu schweigen.
3. WOLLEN: Kann man einen ausländischen Namen aussprechen, dann
stellt sich die Frage, ob man wirklich ständig zwischen Deutsch und
fremdsprachlicher Lautung hin- und herschalten will, was für Sprecher
wie Zuhörer arg ermüdend ist, oder ob man der Einfachheit halber
den Namen nicht in eine erweiterte deutsche Lautung quetscht. Das
ist hier in der Gruppe auch immer wieder Thema: Spricht man etwas
ausländisch aus, dann ist das sofort angeberisch und affektiert.
Deutscht man es ein, dann ist man ungebildet. Ja was nun?
Bei Ortsnamen kommt eine erschwerte Wissen-Stufe hinzu, da die
Aussprache oft unregelmäßig oder uneindeutig ist. Dass sich Arkansas
und Kansas nicht reimen, kann man nicht erschließen. Bei französischen
Ortsnamen auf -s ist es ein bitteres Ratespiel, ob das s gesprochen
wird oder stumm bleibt.
Gleiches gilt für Personennamen. Die bewahren gerne auch veraltete
Rechtschreibnormen – was macht man z.B. mit einem eigentlich
unmöglichen „cz“ in einem ungarischen Namen? Die maximale Härtestufe
sind Namen, die aus einer Drittsprache übernommen wurden und damit
schon eine Runde Wissen-Können-Wollen mit ungewissem Ausgang hinter
sich haben. Dem Nachnamen des kanadischen Schauspielers Steve Bacic
liegt sicherlich serbokroatisch Bačić zugrunde, also spricht man
das wie... „It’s pronounced like the word basic“, schreibt er auf
seiner Homepage.
Allgemein kann man beobachten: Je bekannter eine Fremdsprache ist,
also in Deutschland aktuell Englisch und einigermaßen Französisch,
desto mehr wird eine an das Original angelehnte Aussprache erwartet.
Für alle anderen ist eine mehr oder weniger brachial eingedeutschte
Aussprache akzeptabel, wenn nicht sogar gefordert.
--
Christian "naddy" Weisgerber
na...@mips.inka.de