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Jetzt sind Sie mal bitte still: Imperativ?

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Ralf Joerres

unread,
Apr 7, 2018, 6:35:24 AM4/7/18
to
Zu meiner Überraschung nennt der Duden als einzig echte Imperativformen
lediglich die Imperative zur 2. Person Singular: Komm her! Schon die
Pluralformen wie 'Kommt rein!' seien normale Präsensformen und nicht
mal konjunktivisch, dasselbe gelte für die Höflichkeits-Aufforderung
mit 'Sie' (Kommen Sie!) und den Quasi-Imperativ mit 'wir' (gehen wir!).
Keine Ahnung, woher der Duden das immer wissen will, hat sicher
sprachhistorische Gründe. Es könnten ja zumindest auch Konjunktive sein,
denn die unterscheiden sich im Präsens vom Indikativ nur in der 3. Person,
und das mit dem Erzen (Trete er doch näher, guter Mann!) ist lange vorbei,
heute Siezen wir im Plural.

Also Indikative. Außer allerdings bei 'sein': Da werde bei 'Sie' und bei
'wir' der Konjunktiv genommen.

Aber wohl nicht immer. Man sagt durchaus: Sind Sie so nett und schließen
nach dem Rausgehen die Tür! Oder: Jetzt sind Sie mal bitte still! Da wäre
also auch bei 'sein' - regional oder veraltend? - mit 'Sie' der Indikativ
möglich.

Für mich war sehr überraschend, dass ein feiner Unterschied gemacht wird
zwischen den Du-Imperativen als einzig echten Imperativen mit einer
speziellen Verbform und den anderen Pseudo-Imperativen, die einfache
Präsensformen darstellen sollen und bei denen, außer beim 'ihr', das
Personlapronomen obligatorisch ist (macht (ihr) bitte die Fenster zu;
machen Sie bitte die Fenster zu; machen wir besser die Fenster zu).

An einer Stelle erwähnt der Duden, dass auch die letztgenannten
Pluralformen der "Satzart Imperative" zugeordnet werden. Ich empfinde
sie tatsächlich als vollwertige Imperative. Für den Duden wären also zu
unterscheiden: die Verbform Imperativ (nur 2. Person Sing.), die Satzart
Imperativsatz (mit auch den drei formal pluralischen Möglichkeiten), und
eine Satzart 'Aufforderungssatz' mit vielen weiteren syntaktisch
möglichen Bauweisen.

Die zweite Überraschung war für mich, dass die bei 'sein' normalen
Konjunktive 1 im Plural (seien wir mal nicht so streng mit uns, seien
Sie bitte pünktlich, aber: ?seiet immer hilfsbereit) die Abweichung
für die Bildung einer imperativischen Aufforderung im Plural darstellen
sollen und dass Aufforderungen mit Indikativ da eigentlich 'regulär' im
Sinne von 'bei allen anderen Verben so üblich' sind.

Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?

Gruß Ralf Joerres

Reinhard Zwirner

unread,
Apr 7, 2018, 8:24:14 AM4/7/18
to
Ralf Joerres schrieb:

[...]
> Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
> zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?

Mir ist eher die Form "Jetzt seien Sie doch vernünftig und ..." vertraut.

Ciao

Reinhard

Reinhard Zwirner

unread,
Apr 7, 2018, 8:39:27 AM4/7/18
to
Stefan Ram schrieb:

[...]
> Stillgestanden!
>
> Verbform: Partizip?
> Der Satz erteilt ein Kommando.

Ähnlich:

Setzen!

Verbform: Infinitiv

Das Wort wird als Imperativ genutzt.

Ciao

Reinhard

Helmut Richter

unread,
Apr 7, 2018, 8:44:58 AM4/7/18
to
On Sat, 7 Apr 2018, Stefan Ram wrote:

> r...@zedat.fu-berlin.de (Stefan Ram) writes:

> Ähnlich wie das berühmte Genus-Sexus:
>
> Der Bundeskanzler
>
> Genus: Maskulinum
> Sexus: weiblich

Nein, sondern Sexus: generisch, was eben regelmäßig keinerlei
Zusammenhang mit dem Genus hat, z.B.

Der Mensch
Genus: Maskulinum
Sexus: generisch

Die Person
Genus: Femininum
Sexus: generisch

Das Kind
Genus: Neutrum
Sexus: generisch

Der Hund
Genus: Maskulinum
Sexus: generisch

Die Katze
Genus: Femininum
Sexus: generisch

Das Pferd
Genus: Neutrum
Sexus: generisch

Der Gast
Genus: Maskulinum
Sexus: generisch

Die Koryphäe
Genus: Femininum
Sexus: generisch

Das Mündel
Genus: Neutrum
Sexus: generisch

usw. usw.

Warum um den Fall „G:m S:g“ mehr Aufhebens gemacht wird als um die
anderen, erschließt sich mir nicht.

Ist dagegen der Sexus maskulin oder feminin, also nicht generisch,
richtet sich in der Tat das Genus danach – mit einer Handvoll
Ausnahmen (das Weib, das Gör, Diminutive mit G:n), aber viele sinds
nicht.

--
Helmut Richter

H.-P. Schulz

unread,
Apr 7, 2018, 10:30:49 AM4/7/18
to
Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> schrieb:

>Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
>zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?

Der "imperativische Indikativ" ist ein besonderes Register, nämlich
eines der Arroganz der Macht(fülle), die sich eine quasi kindgemäße
Ansprache des Gegenüber leistet.
Kleinen Kindern ist der Konjunktiv noch nicht geläufig, weshalb ihnen
gegenüber die Aufforderung o.ä. im Indikativ gefasst wird:
"Das lässt Du jetzt mal sein!", "Du gehst jetzt zu Bett!" usw.
Erwachsenen gegenüber ist dieses Register - wie gesagt - schon
ziemlich extrem.

Normal und üblich ist der "imperativische Konjunktiv1", was aber meist
nicht vom Indikativ zu unterscheiden ist. Aber just bei 'sein' *ist*
es unterscheidbar:
"Seien Sie mal vernünftig und gehen zum Arzt!"
vs
"Sie sind vernünftig und gehen zum Arzt!"

Die andere Möglichkeit ist, es durch die Wortstellung zu
differenzieren:

"Machen Sie doch bitte mal Platz da!"
vs
"Sie machen bitte mal Platz da!"

Der Unterschied ist musen deutlich.

Christian Weisgerber

unread,
Apr 7, 2018, 2:30:06 PM4/7/18
to
On 2018-04-07, Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> wrote:

> Zu meiner Überraschung nennt der Duden als einzig echte Imperativformen
> lediglich die Imperative zur 2. Person Singular: Komm her! Schon die
> Pluralformen wie 'Kommt rein!' seien normale Präsensformen und nicht
> mal konjunktivisch, dasselbe gelte für die Höflichkeits-Aufforderung
> mit 'Sie' (Kommen Sie!) und den Quasi-Imperativ mit 'wir' (gehen wir!).
> Keine Ahnung, woher der Duden das immer wissen will, hat sicher
> sprachhistorische Gründe.

Nein, es ist genau umgekehrt: Diese Analyse in der neunten Auflage
des Grammatikdudens lässt die Sprachgeschichte beiseite und betrachtet
allein die gegenwärtige Sprache. Und da gibt es keinen Grund dem
Imperativ in der 2. Person Plural eine eigene Form zuzugestehen –
sie ist immer mit der 2. Person Plural des Präsens identisch.

> Es könnten ja zumindest auch Konjunktive sein,
> denn die unterscheiden sich im Präsens vom Indikativ nur in der 3. Person,
> und das mit dem Erzen (Trete er doch näher, guter Mann!) ist lange vorbei,
> heute Siezen wir im Plural.
>
> Also Indikative. Außer allerdings bei 'sein': Da werde bei 'Sie' und bei
> 'wir' der Konjunktiv genommen.

Ich würde diese Ersatz-Imperative auch als Konjunktivformen einstufen,
weil sich damit alle Varianten auf einen Schlag erfassen lassen:
Gehen Sie nach Hause! Verlasse er die Stube! Seien wir gnädig!

Aber ja, in der Gegenwartssprache wird nicht mehr geerzt und dann
bleibt nur ein einziges abweichendes Verb übrig, so dass man die
Regel „wie Indikativ Präsens mit Ausnahme von _sein_“ als die
einfachere betrachten kann.

Die Frage stellt sich noch viel mehr im Englischen, wo die Formenarmut
der Verben wenig zur traditionellen, von Latein und Altenglisch
geprägten Analyse passt. So hat kein Verb unterschiedliche Formen
für „Infinitiv“, „Konjunktiv I“ und „Imperativ“. Und soll man allein
wegen „if I/he/she/it were“ einen „Konjunktiv II“ veranschlagen?
Soll man Gerundium und Partizip Präsens unterscheiden, wo doch die
Form immer identisch und die Trennung der syntaktischen Funktion
eine Qual ist?

> Aber wohl nicht immer. Man sagt durchaus: Sind Sie so nett und schließen
> nach dem Rausgehen die Tür! Oder: Jetzt sind Sie mal bitte still! Da wäre
> also auch bei 'sein' - regional oder veraltend? - mit 'Sie' der Indikativ
> möglich.

Das ist keine Imperativform, sondern ein mit dem Indikativ gebildeter
Aufforderungssatz.

> eine Satzart 'Aufforderungssatz' mit vielen weiteren syntaktisch
> möglichen Bauweisen.

Eben.

> Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
> zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?

Ist für mich unauffällig.

Man beachte, dass der moderne Ansatz im neuen Grammatikduden keinerlei
Änderungen an den tatsächlich verwendeten Formen bedeutet. Sie
werden nur anders, vielleicht besser oder einfacher erklärt.

--
Christian "naddy" Weisgerber na...@mips.inka.de

Helmut Richter

unread,
Apr 7, 2018, 2:42:51 PM4/7/18
to
On Sat, 7 Apr 2018, Christian Weisgerber wrote:

> Die Frage stellt sich noch viel mehr im Englischen, wo die Formenarmut
> der Verben wenig zur traditionellen, von Latein und Altenglisch
> geprägten Analyse passt. So hat kein Verb unterschiedliche Formen
> für „Infinitiv“, „Konjunktiv I“ und „Imperativ“. Und soll man allein
> wegen „if I/he/she/it were“ einen „Konjunktiv II“ veranschlagen?

It is necessary that he go now lest he come home too late.

Die erste Hälfte recht gestelzt, aber die zweite Hälfte obligatorisch,
wenn man "lest" überhaupt benutzt.

--
Helmut Richter

Ralf Joerres

unread,
Apr 7, 2018, 5:23:04 PM4/7/18
to
Am Samstag, 7. April 2018 16:30:49 UTC+2 schrieb H.-P. Schulz:
> Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> schrieb:
>
> >Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
> >zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?
>
> Der "imperativische Indikativ" ist ein besonderes Register, nämlich
> eines der Arroganz der Macht(fülle), die sich eine quasi kindgemäße
> Ansprache des Gegenüber leistet.

Da hat vielleicht jeder seine eigenen Assoziationen. Ein 'sind Sie doch
so nett und machen bitte die Tür zu' empfinde ich nicht als arrogant,
eher als eine mit einer Prise Altväterlichkeit servierte, etwas
umständliche Ausdrucksweise.

> Kleinen Kindern ist der Konjunktiv noch nicht geläufig, weshalb ihnen
> gegenüber die Aufforderung o.ä. im Indikativ gefasst wird:

... und den Imperativ gibt's auch erst ab sechs?

> "Das lässt Du jetzt mal sein!", "Du gehst jetzt zu Bett!" usw.
> Erwachsenen gegenüber ist dieses Register - wie gesagt - schon
> ziemlich extrem.

Kommt immer auf den Ton an, aber stimmt, kann ziemlich rigide rüberkommen.

> Normal und üblich ist der "imperativische Konjunktiv1",

Den hab ich noch nicht in meiner Sammlung, der Duden nennt diesen
Konjunktiv Indikativ.

> was aber meist
> nicht vom Indikativ zu unterscheiden ist. Aber just bei 'sein' *ist*
> es unterscheidbar:
> "Seien Sie mal vernünftig und gehen zum Arzt!"
> vs
> "Sie sind vernünftig und gehen zum Arzt!"

Für mich gibt es da einen sehr großen Unterschied an Nachdrücklich-
keit zwischen "Jetzt sind Sie vernünftig und gehen zum Arzt!" und "Sie
sind vernünftig und gehen zum Arzt." Den letzten Satz würde ich eher mit
'gefälligst' erweitern, den ersten mit 'doch'. Der letzte Satz ist ein
Aussagesatz, und der davor, ist das ein Imperativ? Das war meine Frage.

> Die andere Möglichkeit ist, es durch die Wortstellung zu
> differenzieren:
>
> "Machen Sie doch bitte mal Platz da!"
> vs
> "Sie machen bitte mal Platz da!"

So ein Wörtchen wie 'doch' schafft gleich eine ganz andere Tonlage, da
ist also nicht nur die Wortstellung eine andere. Aber der letzte Satz
ist für mich - auch wenn man beim anderen das 'doch' weglässt - um
einiges strenger, 'erwartender'.

> Der Unterschied ist musen deutlich.

Wie gesagt, für mich auch.

Gruß: Ralf Joerres

Christian Weisgerber

unread,
Apr 7, 2018, 5:30:06 PM4/7/18
to
On 2018-04-07, Helmut Richter <hr.u...@email.de> wrote:

>> Die Frage stellt sich noch viel mehr im Englischen, wo die Formenarmut
>> der Verben wenig zur traditionellen, von Latein und Altenglisch
>> geprägten Analyse passt. So hat kein Verb unterschiedliche Formen
>> für „Infinitiv“, „Konjunktiv I“ und „Imperativ“. Und soll man allein
>> wegen „if I/he/she/it were“ einen „Konjunktiv II“ veranschlagen?
>
> It is necessary that he go now lest he come home too late.
>
> Die erste Hälfte recht gestelzt, aber die zweite Hälfte obligatorisch,
> wenn man "lest" überhaupt benutzt.

Und du meinst, das rechtfertigt es, sowas aufzuspannen?

Präsens Präteritum
Indikativ Konjunkiv Indikativ Konjunkiv Imperativ
Sg 1. go go went went
2. go go went went go
3. goes go went went
Pl 1. go go went went
2. go go went went go
3. go go went went

Infinitiv Partizip Präsens Partizip Perfekt Gerundium
go going gone going


Alternativ kann man sich mit sechs Formen begnügen (Cambridge
Grammar):

primary present tense plain go
" " 3rd sg. goes
" preterite went
secondary plain go
" gerund-participle going
" past participle gone


Dein Beispielsatz hat also je nachdem eine Verwendung entweder der
„3. Person Singular Konjunktiv Präsens“ illustriert oder der
„secondary plain form“.

Ralf Joerres

unread,
Apr 7, 2018, 6:05:59 PM4/7/18
to
Das leuchtet mir ein.

> > Aber wohl nicht immer. Man sagt durchaus: Sind Sie so nett und schließen
> > nach dem Rausgehen die Tür! Oder: Jetzt sind Sie mal bitte still! Da wäre
> > also auch bei 'sein' - regional oder veraltend? - mit 'Sie' der Indikativ
> > möglich.
>
> Das ist keine Imperativform, sondern ein mit dem Indikativ gebildeter
> Aufforderungssatz.

Ist vielleicht ne Definitionsfrage. Du hattest ja weiter oben in Betracht
gezogen, dass man auch alle 'Ersatz-Imperative' über den Leisten
'Konjunktiv' schlagen könnte und hätte dann eine ganz einfache Regel
- falls ich dich da richtig verstanden hatte.

> > eine Satzart 'Aufforderungssatz' mit vielen weiteren syntaktisch
> > möglichen Bauweisen.
>
> Eben.
>
> > Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
> > zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?
>
> Ist für mich unauffällig.
>
> Man beachte, dass der moderne Ansatz im neuen Grammatikduden keinerlei
> Änderungen an den tatsächlich verwendeten Formen bedeutet. Sie
> werden nur anders, vielleicht besser oder einfacher erklärt.

Ja. Trotz und alledem hatte ich diese merkwürdigen 'Sind Sie ...'-Sätze
immer als Imperativsätze empfunden.

Für mich stellt sich auch die Frage, wie der Imperativ im Deutschunterricht praktischerweise vermittelt werden soll. Einfacher wäre es wahrscheinlich,
alle Kurzaufforderungen als 'Imperative' nebeneinander zu stellen
und zu vermitteln, dass bei 'Sie' das Pronomen obligatorisch ist, bei
den anderen fakultativ (komm du mir bloß nach Hause, geht ihr mal bitte
ein bisschen schneller da vorne), und soweit man die wir-Form auch als
'Imperativsatz' sieht, ist da auch das Pronomen mit dabei. Die Sätze
mit 'sind' werden nicht vermittelt.

Noch eins dazu, warum diese 'sind'-Sätze für mich 'Imperative' sind:
Man muss sie nicht mit 'jetzt' beginnen, einerseits, und man kann
andererseits auch 'sei(en)'-Imperative mit 'jetzt' einleiten:
Jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt! Das ist ja nun eindeutig
ein Imperativ. Das 'sind' in 'jetzt sind Sie mal bitte still' soll
dagegen ein normaler Aussagesatz sein. Und was ist mit 'sind Sie so
nett und halten mir mal kurz die Tür auf?' Okay, ließe sich als Frage
auffassen. Und was wäre mit 'sind Sie bitte so vernünftig und bewegen
den Fuß drei Wochen nicht!': ein umgestellter Aussagesatz oder eher
doch sowas wie ein Imperativsatz? Wie würde der und-Anhang mit Pronomen
lauten: '... und Sie bewegen ...' oder '... und bewegen Sie ...'?
Letzteres wäre meine Option, und das wäre doch ein 'Imperativ', oder?

Es ist leider wirklich schwierig auseinanderzuhalten, wann man vom
Imperativ als einer Verbform und wann von einer speziellen imperati-
vischen Wortstellung spricht, die der Wortstellung in Entscheidungsfragen
entspricht. Man sollte das terminologisch trennen.

Gruß Ralf Joerres

Heinz Lohmann

unread,
Apr 7, 2018, 9:27:44 PM4/7/18
to
Am 07.04.2018 um 18:35 schrieb Ralf Joerres:
> Zu meiner Überraschung nennt der Duden als einzig echte Imperativformen
> lediglich die Imperative zur 2. Person Singular: Komm her! Schon die
> Pluralformen wie 'Kommt rein!' seien normale Präsensformen und nicht
> mal konjunktivisch, dasselbe gelte für die Höflichkeits-Aufforderung
> mit 'Sie' (Kommen Sie!) und den Quasi-Imperativ mit 'wir' (gehen wir!).
> Keine Ahnung, woher der Duden das immer wissen will, hat sicher
> sprachhistorische Gründe. Es könnten ja zumindest auch Konjunktive sein,
> denn die unterscheiden sich im Präsens vom Indikativ nur in der 3. Person,
> und das mit dem Erzen (Trete er doch näher, guter Mann!) ist lange vorbei,
> heute Siezen wir im Plural.

Welchen Duden hast du da vorliegen?

Mein Duden 9 (1998) schreibt zum Imperativ zunächst zur Formenbildung
"Die Formen des Imperativs werden mit dem Präsensstamm (1. Stammform)
gebildet."

Dann steht da unter 303 einiges zur Bildung des Imperativ Singular und
unter 304 steht da lediglich:
"Der Imperativ Plural stimmt mit der 2. Pers. Plur. Ind. Präs. Akt.
überein: [...]

Unter 305 kommen Informationen zum Gebrauch, unter 306 eine Menge
anderer sprachlicher Möglichkeiten, eine Aufforderung auszudrücken.

Von "einzig echten Imperativformen" kann ich da nichts finden. Das ist
vielleicht eine Deutung deinerseits?

--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.

H.-P. Schulz

unread,
Apr 8, 2018, 2:43:59 AM4/8/18
to
Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> schrieb:

>Am Samstag, 7. April 2018 16:30:49 UTC+2 schrieb H.-P. Schulz:
>> Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> schrieb:
>>
>> >Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
>> >zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?
>>
>> Der "imperativische Indikativ" ist ein besonderes Register, nämlich
>> eines der Arroganz der Macht(fülle), die sich eine quasi kindgemäße
>> Ansprache des Gegenüber leistet.
>
>Da hat vielleicht jeder seine eigenen Assoziationen. Ein 'sind Sie doch
>so nett und machen bitte die Tür zu' empfinde ich nicht als arrogant,

Nein, aber das ist auch nicht die Normalstellung des Indikativ.
"Sie sind bitte so nett und schließen die Tür" klingt wohl schon
deutlich anders, und zwar Richtung "Widerspruch, gar Nichtbefolgung
ist völlig aus der Welt". Zustimmung?

>Für mich gibt es da einen sehr großen Unterschied an Nachdrücklich-
>keit zwischen "Jetzt sind Sie vernünftig und gehen zum Arzt!" und "Sie
>sind vernünftig und gehen zum Arzt." Den letzten Satz würde ich eher mit
>'gefälligst' erweitern, den ersten mit 'doch'. Der letzte Satz ist ein
>Aussagesatz, und der davor, ist das ein Imperativ? Das war meine Frage.

Richtig. Formal. Aber der letztere Satz kommt als - sagen wir: Keine
Einrede duldendes Anraten rüber.
>
>> Die andere Möglichkeit ist, es durch die Wortstellung zu
>> differenzieren:
>>
>> "Machen Sie doch bitte mal Platz da!"
>> vs
>> "Sie machen bitte mal Platz da!"
>
>So ein Wörtchen wie 'doch' schafft gleich eine ganz andere Tonlage, da
>ist also nicht nur die Wortstellung eine andere.

Völlig richtig beobachtet. Ich habe das 'doch' im zweiten Satz bewusst
weggelassen; als Test sozusagen.
Aber: Mach' den Test, füge in den zweiten Satz ein 'doch' ein (nach
'machen'), und Du wirst merken, dass sich an der rigiden Tonlage kaum
etwas ändert.
Die Wortstellung macht hier eindeutig den "Ton", der ja bekanntlich
die "Musik" macht.

> Aber der letzte Satz
>ist für mich - auch wenn man beim anderen das 'doch' weglässt - um
>einiges strenger, 'erwartender'.

Das wäre der Test "andersrum".

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 3:42:23 AM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 08:43:59 UTC+2 schrieb H.-P. Schulz:
> Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> schrieb:
>
> >Am Samstag, 7. April 2018 16:30:49 UTC+2 schrieb H.-P. Schulz:
> >> Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> schrieb:
> >>
> >> >Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
> >> >zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?
> >>
> >> Der "imperativische Indikativ" ist ein besonderes Register, nämlich
> >> eines der Arroganz der Macht(fülle), die sich eine quasi kindgemäße
> >> Ansprache des Gegenüber leistet.
> >
> >Da hat vielleicht jeder seine eigenen Assoziationen. Ein 'sind Sie doch
> >so nett und machen bitte die Tür zu' empfinde ich nicht als arrogant,
>
> Nein, aber das ist auch nicht die Normalstellung des Indikativ.
> "Sie sind bitte so nett und schließen die Tür" klingt wohl schon
> deutlich anders, und zwar Richtung "Widerspruch, gar Nichtbefolgung
> ist völlig aus der Welt". Zustimmung?

'Völlig aus der Welt' würde ich streichen und durch 'nicht vorgesehen'
ersetzen, ansonsten: Ja.

> >Für mich gibt es da einen sehr großen Unterschied an Nachdrücklich-
> >keit zwischen "Jetzt sind Sie vernünftig und gehen zum Arzt!" und "Sie
> >sind vernünftig und gehen zum Arzt." Den letzten Satz würde ich eher mit
> >'gefälligst' erweitern, den ersten mit 'doch'. Der letzte Satz ist ein
> >Aussagesatz, und der davor, ist das ein Imperativ? Das war meine Frage.
>
> Richtig. Formal. Aber der letztere Satz kommt als - sagen wir: Keine
> Einrede duldendes Anraten rüber.

Ich verstehe, was Du meinst, aber ein Rat, der keinen Einwand zulässt,
ist keine Empfehlung mehr, sondern die Äußerung einer nicht verhandel-
baren Erwartung.

> >> Die andere Möglichkeit ist, es durch die Wortstellung zu
> >> differenzieren:
> >>
> >> "Machen Sie doch bitte mal Platz da!"
> >> vs
> >> "Sie machen bitte mal Platz da!"
> >
> >So ein Wörtchen wie 'doch' schafft gleich eine ganz andere Tonlage, da
> >ist also nicht nur die Wortstellung eine andere.
>
> Völlig richtig beobachtet. Ich habe das 'doch' im zweiten Satz bewusst
> weggelassen; als Test sozusagen.
> Aber: Mach' den Test, füge in den zweiten Satz ein 'doch' ein (nach
> 'machen'), und Du wirst merken, dass sich an der rigiden Tonlage kaum
> etwas ändert.

Solche Dinge sind schwer klar zu fassen. Ich experimentiere auch damit
herum und kann mir bei allen diesen Sätzen einen sanfteren, empathischeren
und eine kasernenhofmäßigeren Sound vorstellen. Ich mache den von Dir
vorgeschlagenen Test:

"Sie machen doch bitte mal Platz da!"

An diesem Satz stört mich etwas, er erscheint mir als ein danebengehender
Versuch, einem Befehlston durch ein um Zustimmung heischendes 'doch' die
Schärfe zu nehmen - so als wollte man eine versalzene Suppe durch Hinzu-
fügen von Zucker retten.

> Die Wortstellung macht hier eindeutig den "Ton", der ja bekanntlich
> die "Musik" macht.

Das ja.

Gruß Ralf Joerres

Helmut Richter

unread,
Apr 8, 2018, 3:43:25 AM4/8/18
to
On Sat, 7 Apr 2018, Christian Weisgerber wrote:

> On 2018-04-07, Helmut Richter <hr.u...@email.de> wrote:
>
> >> Die Frage stellt sich noch viel mehr im Englischen, wo die Formenarmut
> >> der Verben wenig zur traditionellen, von Latein und Altenglisch
> >> geprägten Analyse passt. So hat kein Verb unterschiedliche Formen
> >> für „Infinitiv“, „Konjunktiv I“ und „Imperativ“. Und soll man allein
> >> wegen „if I/he/she/it were“ einen „Konjunktiv II“ veranschlagen?
> >
> > It is necessary that he go now lest he come home too late.
> >
> > Die erste Hälfte recht gestelzt, aber die zweite Hälfte obligatorisch,
> > wenn man "lest" überhaupt benutzt.
>
> Und du meinst, das rechtfertigt es, sowas aufzuspannen?

Nein. Es war nur meine Absicht, darauf hinzuweisen, dass es auch
morphologisch gebildete Konjunktive gibt (was durchaus nicht jedem
Englischlernenden klar ist), nicht aber, den morphologischen Raum um
eine Dimension zu erweitern. Das macht man ja sonst auch nicht, wenn
es nur um wenige Formen geht: Russisch hat nur 6 Kasus trotz des bei
zwei oder drei Wörtern auftretenden Vokativs. Swahili hat keine Kasus
trotz der 3 Lokativkasus, die man dann dann lieber als Genera denn als
Kasus betrachtet, weil es Genera eh schon gibt, Kasus aber nicht. Die
Belebtheit in slawischen Sprachen verhält sich wie zusätzliche Genera,
werden aber bei den Genera nicht mitgezählt. Englisch hat keine Genera
trotz he/she/it. Sicher gibt es viele weitere Beispiele, wo es üblich
ist, eine in einer Sprache nur rudimentär vorhandene grammatische
Kategorie als systematische Ausnahme zu einer Regel zu betrachten oder
unter einer anderen Kategorie zu subsumieren.

--
Helmut Richter

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 8, 2018, 4:49:47 AM4/8/18
to
Moin,

Am Samstag, 7. April 2018 12:35:24 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
> zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?

Auch ohne Höflichkeitsanrede: "Du gehst jetzt bitte!"

"Das läßt Du besser bleinen!."

Gruß, ULF

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 7:04:53 AM4/8/18
to
Sowas ist bei mir immer möglich, ich schau mal nach ...

Also, ich habe den 2006er Duden, 7. Auflage - ich spreche hier vom Band
'Grammatik'. Mit der 2005er Auflage war die Duden-Grammatik völlig
umgekrempelt und erheblich erweitert worden, in meinen Augen ein Meilen-
stein. Meine Ausgabe ist ein anscheinend nur in Sachen Rechtschreibung
nachgebesserter Nachdruck der sechsten 2005er Auflage.

Zu den Imperativformen heißt es dort auf S. 445, Rz 609:
"Imperativformen können nur von der 1. Stammform gebildet werden, und
eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...) Im Plural
werden Präsensformen verwendet: Verschwindet! Kommt rein! Lasst mich
in Ruhe! (...)" (kursive Auszeichnungen hier nicht wiedergegeben)

Weiter auf S. 548, Rz 786 unter der Kapitelüberschrift
4.5.1.4 Der Imperativ und andere Formen der direkten Aufforderung:

"(ii) Richtet der Sprecher eine Aufforderung an mehrere Personen, die er duzt, so benutzt er als Pluralform die 2. Pers. Pl. des Ind. Präs.:
Kommt herein, ihr beiden! (...)"

Rz 787:
"(iii) Siezt der Sprecher die Person oder
Personen (...), wird als Höflichkeits- oder Distanzform die auf -(e)n
ausgehende Form der 3. Pers. Pl. Präs. zusammen mit (...) Sie gebraucht: Kommen Sie herein (...)"

(iv) Richtet (...) der Sprecher die Aufforderung
an sich selbst und die angesprochene(n) Person(en) zugleich, wird die
Form der 1. Pers. Pl. Präsens zusammen mit dem entsprechenden Personal-
pronomen (wir) gebraucht. Das Personalpronomen darf in diesem Fall ebenso
wenig wie im Fall (iii) ausgelassen werden." "Gehen wir! Lassen wir
einfach alles liegen."

Rz 788:
"Vom Verb sein, das als einziges Verb auch in
der 1./3. Pers. Pl. zwischen Indikativ und Konjunktiv unterscheidet (...),
wird im Fall (iii) und (iv) aus [Rz] 787 die Konjunktivform des Präsens
verwendet. Ob der Plural des Ind. Präs. anderer Verben in dieser Verwendung
als konjunktivisch "empfunden" wird, scheint jedoch fraglich."
"Seien Sie ruhig! Seien wir vernünftig! - Machen wir uns doch nichts vor!"

Im Kapitel 3. über die Satzarten wird eine Satzart 'Imperativsatz' (Befehls-
satz) als eine Unterart der 'Aufforderungssätze' vorgestellt. Dort heißt
es noch einmal auf S. 907, Rz 1399:
"Die eigentlichen Imperativformen [sic!] weisen die Merkmalkombinationen
2. PersonSingular auf. Ein entsprechendes Subjekt kann tatsächlich
auftreten (...): Nimm (du) den Apfel. Meist fehlt das Subjekt jedoch."

Rz 1400:
"Im Plural gibt es keine eigentlichen Imperativformen; ihre Aufgabe wird
von Indikativformen übernommen. (...) Konstruktionen mit Indefinitpronomen
kommen nicht vor." [bezieht sich auf singularisch mögliche 'Hilf ihm doch
mal irgendjemand...'] "Sonst weisen die entsprechenden Sätze die gleichen syntaktischen und funktionalen Eigenschaften wie die vorangehend gezeigten [= 'Aufforderungs-'] Sätze auf; man ordnet sie daher der Satzart
Imperativsatz zu:
(a) Setzt (ihr) euch auf die andere Seite.
(b) Setzen Sie sich auf die andere Seite.
(c) Setzen wir uns auf die andere Seite."

Unter Rz 1401 findet sich auf derselben Seite noch der Hinweis, dass es
auch "andere Gebrauchsweisen von Imperativsätzen" gibt:
"Fass mich noch einmal an, und ich klebe dir eine!"

Bei den Zitaten wurden alle Auszeichnungen außer acht/Acht gelassen, um die
Lesbarkeit aufrechtzuerhalten. Außerdem wurden Absatzumbrüche und Klammern
verändert.

Gruß Ralf Joerres

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 7:14:03 AM4/8/18
to
Ich mache das ansatzweise ähnlich für den Plural bei deutschen NP, der
sich hinsichtlich Determinanten- (Artikel und Artikelähnliche) und
Adjektivdeklination wie ein viertes Genus verhält - nicht allerdings
hinsichtlich der Plural-Morpheme.

Ralf Joerres

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 8:06:42 AM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 10:49:47 UTC+2 schrieb Ulf.K...@web.de:
> Moin,
>
> Am Samstag, 7. April 2018 12:35:24 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
>
> > Werden solche Sätze wie 'jetzt sind Sie mal vernünftig und gehen besser
> > zum Arzt' tatsächlich oft benutzt? Überall in Deutschland? Egal wie alt?
>
> Auch ohne Höflichkeitsanrede: "Du gehst jetzt bitte!"

Ist ein Standard-Aussagesatz, eingesetzt als Sprechhandlung 'Aufforderung'.
In der du-Form lässt sich das m.E. so nicht nachbilden, oder kann man
auch sagen: 'Gehst du jetzt mal bitte...', ohne dass sich das Gefühl
einstellt, hier handele es sich um einen Fragesatz, der (performativ) zur
Aufforderung umfunktioniert ist? Ich glaube nicht, dann müsste es immer
heißen: 'Geh du jetzt mal bitte.'

> "Das läßt Du besser bleinen!."

Sehe ich analog:
'Lass das mal besser bleiben!' ('normaler' Imperativ)
'Lässt du das wohl bleiben!' (für mich Satzart Frage als Aufforderung,
oder ein Analogon zu diesen 'sind-Sie'-Sätzen, also imperativisch)
'Lass du das mal besser bleiben.' (Imperativ mit kontrastivem Pronomen:
= _dir_ traue ich das nicht zu)
'Das lässt du besser bleiben!' (Aussagesatz als Aufforderung)

Andere Fälle:
'Unterlasse er das bittschön!' (veralteter konjunktivischer Imperativ)
'Wären sie so gut und tragen mir die Tasche hoch?' (Frage mit Höflichkeits-
konjunktiv, Aufforderung als Bitte)
'Sei ein guter Junge und hilf deiner Mutter.' (Imperativ)
'wenn Sie hier bitte mal schauen würden' (höflich-servile Aufforderung
als wenn-Satz mit würde-Konjunktiv)
'Sind Sie bitte so freundlich und füllen diesen Zettel aus.' (für mich
stärker direkt-auffordernd als fragend)
'Soll ich einen Kaffee machen?' - 'Sind Sie so lieb, bitte.' [Hier käme
mit 'du' für mich nur 'Sei so lieb, bitte' in Frage]

Noch ein schönes Beispiel aus dem Online-Pons, ein Zitat aus
ferienwohnung-24-berlin.com :

"Bitte sind Sie so freundlich , darauf zu achten , beim Verlassen der
Wohnung das Licht zu löschen und eventuell die Heizung runter zu drehen."

Für mich ein klarer Fall von Imperativ und kein auffordernder Fragesatz.

Gruß Ralf Joerres

Jakob Achterndiek

unread,
Apr 8, 2018, 8:23:49 AM4/8/18
to
Am 08.04.2018 um 13:04 schrieb Ralf Joerres:

[.. Zitat Duden-Grammatik ..]
> eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
> Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...)

Gibt es da wirklich keinen Hinweis auf Imperativ-Formen wie
"nimm! gib!" usw.? Nicht einmal "sitz! steh!" und andere?

Frage im Anschluß daran: Gibt es noch einen Hochschullehrer
mit eigenem Lehrstuhl, der so etwas als Forschungsergebnis
verantwortet? Oder beruft sich die Duden-Redaktion nur auf
das Leipziger Allerlei?
--
j/\a

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 8, 2018, 8:38:41 AM4/8/18
to
Moin,

Am Sonntag, 8. April 2018 13:04:53 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> Also, ich habe den 2006er Duden, 7. Auflage - ich spreche hier vom Band
> 'Grammatik'. Mit der 2005er Auflage war die Duden-Grammatik völlig
> umgekrempelt und erheblich erweitert worden, in meinen Augen ein Meilen-
> stein. Meine Ausgabe ist ein anscheinend nur in Sachen Rechtschreibung
> nachgebesserter Nachdruck der sechsten 2005er Auflage.
>
> Zu den Imperativformen heißt es dort auf S. 445, Rz 609:
> "Imperativformen können nur von der 1. Stammform gebildet werden, und
> eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
> Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...)

Entweder ist sie identisch, oder sie endet auf -e.

Zum einen hatte ich gelernt, das -e sei im Zweifel
wegzulassen, also 'tanz!' statt 'tanze!'zum anderen möchte
ich Jakobs Gegenbeispielen
ein 'sprich!' hinzufügen.

Gruß, ULF

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 11:32:54 AM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 14:23:49 UTC+2 schrieb Jakob Achterndiek:
> Am 08.04.2018 um 13:04 schrieb Ralf Joerres:
>
> [.. Zitat Duden-Grammatik ..]
> > eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
> > Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...)
>
> Gibt es da wirklich keinen Hinweis auf Imperativ-Formen wie
> "nimm! gib!" usw.? Nicht einmal "sitz! steh!" und andere?

Doch, natürlich, das war aber nicht mein Thema. Also extra für Dich,
noch einmal, und dann weiter, alles von S. 445 Rz 609:

"(...) und eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular."
Jetzt kommt der Teil, den Du überlesen hattest: "Sie ist mit dem Verb-
stamm identisch" und jetzt der Teil, den Du nicht überlesen hattest:
"oder endet auf -e." Nach ein paar Beispielen folgt dann:

"(i) Bei den meisten Verben sind Imperativformen mit und ohne -e möglich:
(...) Die Formen ohne -e sind unter anderem in der gesprochenen Alltags-
sprache verbreitet. Die Formen mit -e sind eher in der Schriftsprache und
im gehobeneren mündlichen Stil üblich. Ob die eine oder die andere Form
gewählt wird, kann auch rhythmisch bedingt sein."

> Frage im Anschluß daran: Gibt es noch einen Hochschullehrer
> mit eigenem Lehrstuhl, der so etwas als Forschungsergebnis
> verantwortet? Oder beruft sich die Duden-Redaktion nur auf
> das Leipziger Allerlei?

Deine zwar humoristisch intendierten, gleichwohl penetranten Herumnör-
geleien an einem Buch, das Du nicht kennst, sind auf die Dauer ziemlich
ermüdend. Das Kapitel über das Verb in dieser Grammatik unterstand der
Verantwortung von Prof. Dr. Cathrine Fabricius-Hansen. Ich kann Dir eine
Autorenliste zukommen lassen (7 promov. Professoren + 1 PD Dr.), so dass
Deine Kritik ihre eigentlichen Adressaten erreicht und in späteren
Auflagen fruchtbringend berücksichtigt werden kann.

Ich kann und möchte Dir wirklich nur raten: Kauf Dir dieses Buch. Es ist
ab 2005 eine echte, wissenschaftliche Grammatik mit einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis. Eine 2005er Ausgabe kriegst Du bei booklooker
'wie neu' ab 8 € + 5 € Versand. Du wirst darin vieles entdecken, das Dir
bis jetzt nicht bewusst geworden ist.

Gruß Ralf Joerres

Heinz Lohmann

unread,
Apr 8, 2018, 12:03:43 PM4/8/18
to
Na, ich weiß nicht. Zwischen "spezifischen Imperativformen" und "einzig
echten Imperativformen" besteht meiner Meinung nach ein Unterschied.
Die zweite Formulierung suggeriert, dass es sich bei den Pluralformen um
"unechte" oder "falsche" Imperative handelt.

Hat es denn sprachgeschichtlich mal andere "echte" Formen eines
Imperativs im Plural gegeben?

Genauso könnte man sagen, dass es im Deutschen nur zwei echte Tempora
gibt (Präsens und Präteritum); die anderen seien lediglich
Konstruktionen mit Hilfsverben und Infinitiven bzw. Partizipien.

Bei der Singularform vermisse ich (wie Jakob) den Hinweis auf Formen wie
"gib!", "lies" oder die schöne Redewendung "Vogel, friss oder stirb!"

Ich weiß nicht, für wen diese Grammatik geschrieben wurde ... Kaufen
muss ich sie mir offensichtlich nicht.

Danke für die ausführliche Antwort.

Gunhild Simon

unread,
Apr 8, 2018, 12:10:52 PM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 14:38:41 UTC+2 schrieb Ulf.K...@web.de:

...
> Zum einen hatte ich gelernt, das -e sei im Zweifel
> wegzulassen, also 'tanz!' statt 'tanze!'zum anderen möchte
> ich Jakobs Gegenbeispielen
> ein 'sprich!' hinzufügen.

Soweit ich mich erinnere, werden die Imperative im
Singular bei den unregelmäßigen Verben, die eine Ablautreihe von e, i, a, o/a bilden,
immer ohne e gebildet. Daneben gibt es solche,
besonders geläufigen, deren Imperativ sing.
ohne Ablautung (Duden-)obligatorisch ohne
Schluß-e gebildet werden:
schreib! komm! laß! geh! steh! lauf! steig!...

Die Regel, das e möglichst wegzulassen,
erscheint mir zu vage.
Denn: Was heißt "möglichst"?

Es geht ja auch nicht immer:
die auf -nen endenden Verben etwa widersetzen sich
(regnen, segnen, rechnen).

Bei anderen klingt es sehr ugs bis verkürzt (lieben, finden, reden, streichen ...). Da müßte man nach
meinem Verständnis einen Apostroph setzen.

Und bei wiederum anderen kommt mir beides geläufig vor:
putz/ putze! küß/ küsse! flieg/fliege! schieb!/schiebe!

Gruß
Gunhild


Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 1:36:29 PM4/8/18
to
Ich hatte unter 'spezifischen Imperativformen' verstanden, dass es Formen
sind, die aussschließlich eine imperativische Funktion tragen. Alle anderen
(pluralischen) Imperativformen kommen auch als andere Präsensformen vor.

> Die zweite Formulierung suggeriert, dass es sich bei den Pluralformen um
> "unechte" oder "falsche" Imperative handelt.

Das kann man so verstehen, dann war es ungeschickt formuliert, sorry.

> Hat es denn sprachgeschichtlich mal andere "echte" Formen eines
> Imperativs im Plural gegeben?

Weiß ich nicht. Früher scheint der Konjunktiv Präsens häufig gewesen
zu sein, jedenfalls in der 'erzen'-Phase

> Genauso könnte man sagen, dass es im Deutschen nur zwei echte Tempora
> gibt (Präsens und Präteritum); die anderen seien lediglich
> Konstruktionen mit Hilfsverben und Infinitiven bzw. Partizipien.

So ist es ja auch.

> Bei der Singularform vermisse ich (wie Jakob) den Hinweis auf Formen wie
> "gib!", "lies" oder die schöne Redewendung "Vogel, friss oder stirb!"
>
> Ich weiß nicht, für wen diese Grammatik geschrieben wurde ... Kaufen
> muss ich sie mir offensichtlich nicht.

Darauf habe ich Jakob inzwischen geantwortet. Auch zu den Verben mit e-i-
Wechsel gibt es dort einen Absatz, und noch einiges mehr. Ich finde die
Annahme, dass, solange ich nicht alles, was in dieser Grammatik zum
Imperativ steht, auch aufführe, dieses andere dort nicht existiert,
unangemessen. Ich kann unmöglich das alles abtippen, und eine solche
Erwartung an einen desd-Kollegen finde ich überzogen.

Auch ist es nicht möglich, in eine Grammatik alle populären Redewendungen
und Beispiele für ein bestimmtes grammatisches Phänomen aufzunehmen.
Andererseits sind dort alle aufgeführten 'Regeln' (im Sinne von Regel-
mäßigkeiten) mit Beispielen unterfüttert, die kurz, prägnant und vor allem
authentisch sind - sie haben einen hohen Wiedererkennungswert.

> Danke für die ausführliche Antwort.

Offensichtlich dem einen oder anderen noch nicht ausführlich genug.

Grüße von: Ralf Joerres

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 8, 2018, 1:45:29 PM4/8/18
to
Moin,

Am Sonntag, 8. April 2018 17:32:54 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> "(...) und eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular."
> Jetzt kommt der Teil, den Du überlesen hattest: "Sie ist mit dem Verb-
> stamm identisch" und jetzt der Teil, den Du nicht überlesen hattest:
> "oder endet auf -e." Nach ein paar Beispielen folgt dann:

Was in Deiner Wiedergabe so nicht stand, oder?

Am Sonntag, 8. April 2018 13:04:53 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> Zu den Imperativformen heißt es dort auf S. 445, Rz 609:
> "Imperativformen können nur von der 1. Stammform gebildet werden, und
> eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
> Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...)

Gruß, ULF

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 8, 2018, 1:48:00 PM4/8/18
to
Moin nochmal,

Am Sonntag, 8. April 2018 19:36:29 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> Darauf habe ich Jakob inzwischen geantwortet. Auch zu den Verben mit e-i-
> Wechsel gibt es dort einen Absatz, und noch einiges mehr. Ich finde die
> Annahme, dass, solange ich nicht alles, was in dieser Grammatik zum
> Imperativ steht, auch aufführe, dieses andere dort nicht existiert,
> unangemessen. Ich kann unmöglich das alles abtippen

Nein. Andererseits sind Verkürzungen natürlich nicht nur
in der Wiedergabe, sondern auch im Buch denkbar.

Ein Stein des Anstoßes ist ja mittlerweile zerbröselt.

Gruß, ULF

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 1:51:39 PM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 18:03:43 UTC+2 schrieb Heinz Lohmann:
> Am 08.04.2018 um 19:04 schrieb Ralf Joerres:
> > Am Sonntag, 8. April 2018 03:27:44 UTC+2 schrieb Heinz Lohmann:
> >> Am 07.04.2018 um 18:35 schrieb Ralf Joerres:

> > Also, ich habe den 2006er Duden, 7. Auflage - ich spreche hier vom Band
> > 'Grammatik'. Mit der 2005er Auflage war die Duden-Grammatik völlig
> > umgekrempelt und erheblich erweitert worden, in meinen Augen ein Meilen-
> > stein. Meine Ausgabe ist ein anscheinend nur in Sachen Rechtschreibung
> > nachgebesserter Nachdruck der sechsten 2005er Auflage.
> >
> > Zu den Imperativformen heißt es dort auf S. 445, Rz 609:
> > "Imperativformen können nur von der 1. Stammform gebildet werden, und
> > eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
> > Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...) Im Plural
> > werden Präsensformen verwendet: Verschwindet! Kommt rein! Lasst mich
> > in Ruhe! (...)" (kursive Auszeichnungen hier nicht wiedergegeben)
>
> Na, ich weiß nicht. Zwischen "spezifischen Imperativformen" und "einzig
> echten Imperativformen" besteht meiner Meinung nach ein Unterschied.
> Die zweite Formulierung suggeriert, dass es sich bei den Pluralformen um
> "unechte" oder "falsche" Imperative handelt.

Um das noch einmal klarzustellen:
Die Schwierigkeiten bei der Kommunikation über den 'Imperativ' basieren
auf der Doppeldeutigkeit des Begriffs: _Morphologisch_ eindeutig als
Imperative identifizierbare Formen gibt es ausschließlich im Singular.
Die pluralischen Imperative fallen morphologisch mit normalen Präsens-
formen in eins. Insofern sind es morphologische 'falsche' Imperative,
nämlich überhaupt keine, sondern gewöhnliche Präsensformen.

Der Imperativ als Satzart hat bestimmte typologische Merkmale wie
die Erststellung des Verbs. Dieses Merkmal wird auch von den pluralischen
Imperativen erfüllt. Satzarttypologisch sind die Pluralformen also
Imperativ(sätz)e wie die singularischen auch, außer dass bei 'Sie' und
'wir' die Pronomen obligatorisch sind, bei 'du' und 'ihr' sind diese
fakultativ.

Gruß Ralf Joerres

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 8, 2018, 2:01:09 PM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 19:51:39 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
> Satzarttypologisch sind die Pluralformen also
> Imperativ(sätz)e wie die singularischen auch, außer dass bei 'Sie' und
> 'wir' die Pronomen obligatorisch sind,

Wahrscheinlich auch deswegen, weil sie bei den
allermeisten Verben wie der Infinitiv
und darüber hinaus gleich klingen.

> bei 'du' und 'ihr' sind diese
> fakultativ.

Gruß, ULF


Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 2:13:11 PM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 19:45:29 UTC+2 schrieb Ulf.K...@web.de:
> Moin,
>
> Am Sonntag, 8. April 2018 17:32:54 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
>
> > "(...) und eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular."
> > Jetzt kommt der Teil, den Du überlesen hattest: "Sie ist mit dem Verb-
> > stamm identisch" und jetzt der Teil, den Du nicht überlesen hattest:
> > "oder endet auf -e." Nach ein paar Beispielen folgt dann:
>
> Was in Deiner Wiedergabe so nicht stand, oder?

Doch, das stand da, es sind aber nur 6 kurze Wörter, die überliest man
schnell. Ich darf hinzufügen, dass ich das selbst beim Zitieren auch
überlesen hatte, und das, obwohl ich mir bei langsamerem Lesen im Original
vorher bereits einmal klargemacht hatte, dass damit die endungslosen
Imperative gemeint waren. Man kann das ohne weiteres überlesen, klar.

Dumm ist nur, dass Jakob auch auf die Imperative der Verben mit e-i-
Wechsel verweist, mir das nicht klargeworden war und ich das lediglich
als Hinweis auf (als fehlend unterstellte) Nur-Verbstamm-Imperative
verstanden hatte, weswegen jetzt eigentlich auch noch ein Nachtrag zu
den Imperativen der e-i-Verben fällig wäre, ich aber über die Langwierig-
keit der Verständigung bis zu diesem Punkt schon so angesäuert bin,
dass ich denke, es wäre vielleicht auch eine Möglichkeit, sich dieses
im Verhältnis zur angebotenen Leistung wirklich nicht teure Buch zuzulegen,
das über die alten Duden-Grammatiken von Grebe, Drosdowski u.a. in vielen
Punkten weit hinausgeht, ganz zu schweigen von dem Geschwurbel eines Glinz,
der ja hier auch nie zitiert wird, und das aus gutem Grund.

> Am Sonntag, 8. April 2018 13:04:53 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
>
> > Zu den Imperativformen heißt es dort auf S. 445, Rz 609:
> > "Imperativformen können nur von der 1. Stammform gebildet werden, und
> > eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
> > Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...)

Das stand da auch, fürwahr.

Gruß Ralf Joerres

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 2:40:33 PM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 20:01:09 UTC+2 schrieb Ulf.K...@web.de:
> Am Sonntag, 8. April 2018 19:51:39 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
> > Satzarttypologisch sind die Pluralformen also
> > Imperativ(sätz)e wie die singularischen auch, außer dass bei 'Sie' und
> > 'wir' die Pronomen obligatorisch sind,
>
> Wahrscheinlich auch deswegen, weil sie bei den
> allermeisten Verben wie der Infinitiv
> und darüber hinaus gleich klingen.

Echt interessante Idee, ja, das muss wohl mit ein Grund sein.
Auch in der 'erzen'-Zeit wurde das Pronomen mitgenannt, die zugehörige
Verbform war die 3. Pers. Konj. Präs.:
Mein Herr, behalte er doch Platz.

Ob es da unseren du-Imperativ aus Verbstamm (+ e) parallel gegeben hat?
Lt. Wikipedia muss das der Fall gewesen sein:

https://de.wikipedia.org/wiki/Pronominale_Anredeform#Neuzeit_(1500_bis_1800)

Eine (gute) Grammatik über ältere Sprachstände fehlt mir noch.

Gruß Ralf Joerres

Ralf Joerres

unread,
Apr 8, 2018, 2:53:58 PM4/8/18
to
Am Sonntag, 8. April 2018 19:48:00 UTC+2 schrieb Ulf.K...@web.de:
> Moin nochmal,
>
> Am Sonntag, 8. April 2018 19:36:29 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
>
> > Darauf habe ich Jakob inzwischen geantwortet. Auch zu den Verben mit e-i-
> > Wechsel gibt es dort einen Absatz, und noch einiges mehr. Ich finde die
> > Annahme, dass, solange ich nicht alles, was in dieser Grammatik zum
> > Imperativ steht, auch aufführe, dieses andere dort nicht existiert,
> > unangemessen. Ich kann unmöglich das alles abtippen
>
> Nein. Andererseits sind Verkürzungen natürlich nicht nur
> in der Wiedergabe, sondern auch im Buch denkbar.

Nicht wirklich, bei einem Buch von über 1300 Seiten darf man die Basics
erwarten - man muss sie allerdings auch finden. Aber die Verschlagwor-
tung ist extensiv, und die Auffindbarkeit über die (farbig hervorgehobenen)
Randziffern ebenfalls.

Ralf Joerres

Jakob Achterndiek

unread,
Apr 8, 2018, 6:52:13 PM4/8/18
to
Am 08.04.2018 um 20:13 schrieb Ralf Joerres:
>
> [..], ganz zu schweigen von dem Geschwurbel eines Glinz,
> der ja hier auch nie zitiert wird, und das aus gutem Grund.
>

Wenn du Resignation für einen guten Grund hältst ...
Aber leg dich nicht mit einem an, der den Glinz wirklich noch
erlebt hat! ;)

Ich hatte nach 1962 als Studienassessor Auftrag und Genehmigung,
den damals neuen "Sprachspiegel" nach Glinz/Weisgerber aus dem
Schroedel-Verlag bei uns einzuführen und damit das grüne Elend
der Westermann-Sprachlehre abzulösen. Danach bin ich für ein
paar Jahre als Lehrer an eine deutsche Auslandsschule gegangen;
da wurde allerdings in den deutsch-muttersprachlichen Klassen
Grammatik gar nicht und in den Klassen der Eingeborenen nach
unausrottbaren Schwarten aus dem Hueber-Verlag betrieben. Und
als ich zurückkam, das war 1974, da war gerade die große Mode
der generativen Transformationsgrammatik angerollt. "Die innere
Form des Deutschen" war dann tabu. Heute darf man sowas ja gar
nicht mehr in den Mund nehmen: "Die innere Form des Deutschen".
Pfui aber auch! Das ist ja noch schlimmer als Volk und Heimat!
--
:( j/\a

Gunhild Simon

unread,
Apr 9, 2018, 1:32:32 AM4/9/18
to
Ich (als bekennender Fan von j/\a und von
Grammatik an sich) bin seiner Empfehlung
gefolgt und habe mir den Glinz besorgt.
Mir gibt diese Grammatik deutlich mehr als
all die beliebigen Beschreibungen, dokumentiert
per Internetbelege, wie DuGra 6 sie mir
seitenweise andient - immer unter der
Überschrift "Sprache entwickelt sich."

Da wird jedes Gestammel per Deskription
als gesprochene Sprache zur Nachahmung
freigegeben, während Präzision als Mittel
der Verständigung modischer Zufälligkeit
geopfert wird und auf der Strecke bleibt.

Gruß
Gunhild



Ralf Joerres

unread,
Apr 9, 2018, 3:42:42 AM4/9/18
to
Am Montag, 9. April 2018 00:52:13 UTC+2 schrieb Jakob Achterndiek:
Dass das Transformationieren von einem damals bereits ausgebildeten
Deutschlehrer nicht liebend empfangen wurde, ist klar. Ich kann auch
nur hoffen, dass davon möglichst wenig in die damaligen Sprachlehre-
Bücher übernommen wurde, denn Aufwand und Ertrag für einen Sprach-
unterricht dürften sich in groteskem Missverhältnis befinden, schlimmer:
Wenn es das Ziel von Sprachunterricht wäre, den Schülern das Nachdenken
über Sprache zu verleiden, dann ware dazu die Transformationsgrammatik
ideal geeignet. Was Glinz angeht, hatte ich mir auf Deine Empfehlung
hin ein Exemplar der 'Inneren Form' zugelegt und musste feststellen,
dass er seine eigene, nicht selbsterklärende Terminologie aufgebaut hat,
die nicht ohne weiteres zugänglich ist. Ich kann nicht einschätzen, wie
lohnend es wäre, sich eingehender damit auseinanderzusetzen. Irgendwann
muss ich mir wenigstens die ausklappbaren Satzanalysen einmal in Ruhe
ansehen, schon allein buchbinderisch und satztechnisch sind diese bemerkenswert (das meine ich ernst). Bis jetzt waren meine Kurzausflüge
in die Glinzsche Gedankenwelt nicht ertragreich, aber ich bin da eher
offen.

Was den Buchtitel 'Innere Form' angeht, muss ich zugeben, dass sich bei
mir Konnotationen in der von Dir genannten Richtung einstellen,
allerdings eher vor dem Hintergrund der sprachkritischen Polemik Adornos
im 'Jargon der Eigentlichkeit'. Mit diesem Jargon wurde ich als 50er- und
60er-Jahre-Schüler nach Kräften traktiert und war heilfroh, in den 70ern
und 80ern zu erfahren, dass man es sich nicht wehrlos gefallen lassen
muss, in einer Sprache angesprochen zu werden, die ständig nach Höherem
klingt, als ihre Worte bedeuten (sinngemäßes Adorno-Zitat). Vielleicht
unterstelle ich Glinz damit geistige Verbindungslinien, die nicht existieren, er schrieb seine Grammatik ja in den 40ern in der Schweiz
unabhängig vom deutschen Nachkriegsgeraune unter Gebildeten und Bildungs-
beflissenen. Jedenfalls begegne ich allen Versuchen, einen begrifflichen
Ursinn aus den Wörtern selbst abzuleiten (und diese in ihrer Bedeutung
pathetisch zu überhöhen), mit großer Skepsis, und Glinz zeigt gegenüber
solchen Ansätzen mit seiner eigenen Begriffswelt eine gewisse Aufgeschlossenheit.

Wie gesagt, das sind vielleicht Fehleinschätzungen. In der Sache, nämlich
in der Grammatik, erwarte ich von einem Grammatiker klare und harte
Analysen. Manchmal erschließen die sich erst, wenn man das Gesamtwerk
überblickt, so erging es mir mit der deutsch-französischen Doppelgramma-
tik von Zemb. Wenn Glinz nur leichter lesbar wäre, das würde es mir
erleichtern, Zugang zu finden. Er schreibt recht dröge, ich vermisse
Humor und Leichtigkeit im Argumentieren. Wir können ja weiterhin den
Versuch wagen, ihn hier und da beizuziehen, aber viel an Erkenntnisgewinn
verspreche ich mir dabei nicht.

Er scheint übrigens bald acht Jahre ganz in meiner Nähe gewirkt zu haben,
an der Pädagogischen Akademie Kettwig, nachmals eine (für Gunhild: einer)
PH. Aber da schlug ich mich selbst mit den 'Sprachbüchern' von Rahn-Pflei-
derer herum und verstand nicht im Mindesten, wozu diese Bücher gut sein
sollten.

Gruß Ralf Joerres

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 9, 2018, 4:15:02 AM4/9/18
to
Moin,

Am Montag, 9. April 2018 09:42:42 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> Er scheint übrigens bald acht Jahre ganz in meiner Nähe gewirkt zu haben,
> an der Pädagogischen Akademie Kettwig, nachmals eine (für Gunhild: einer)
> PH.

Ich biete: nachmals PH.

Gruß, ULF

Ralf Joerres

unread,
Apr 9, 2018, 4:22:37 AM4/9/18
to
Das ist jetzt wiederum so undifferenziert, dass mir die Worte fehlen.
Vielleicht kannst Du ja mal für das hier in Rede stehende Problem,
nämlich die Frage, ob 'sind Sie so freundlich und schließen die Tür'
ein Imperativ ist oder nicht, vorführen, was Glinz' Grammatik Dir
dafür an hilfreichem Beistand gibt. Aber das ist unfair, warten wir
besser auf eine andere Gelegenheit.

Deine letzte Behauptung weise ich aus vielen Gründen zurück. Es gibt
auch in den Augen der Duden-Grammatik falsches Deutsch, damit erweist
sich Dein Satz mit 'jedes Gestammel' als unsachlich. Darüber hinaus
hat die These, dass eine Grammatik 'gutes Deutsch' vermitteln solle,
sich als dem Wesen von Grammatik im Sinne einer Beschreibung der in
einer Sprache vorhandenen Strukturen fremd und als sachunangemssen
herausgestellt. Wenn es Dir darum zu tun ist, halte dich an Stil-Rat-
geber, Briefsteller und andere Ratgeberliteratur, die ihre wohlfeilen
Empfehlungen jenseits jeder Nachprüfbarkeit unters Volk bringen. Das
tut jedoch ein Glinz nicht. Er bezieht seine Beispiele aus 'guter
Literatur' und lässt damit den überwiegenden Teil der Sprach-
produktion auch seiner Zeit völlig außer Acht. Nun, das Buch stammt
aus einer anderen Zeit, Glinz selbst nannte bereits die 73er Auflage
in manchen Punkten überholt (S. 3), das dürfte heute umso mehr
zutreffen. Das ist aber nicht der Punkt und sicherlich nicht die
entscheidende Leistung dieses Werkes - die ich bis jetzt leider nicht richtig einschätzen kann.

Übrigens zeigt sich für mich der Respekt gegenüber einer Leistung und
einer Person nicht in einer affirmativen Grundeinstellung dem anderen
gegenüber, sondern in kritischer Auseinandersetzung mit ihm. Ich hatte
mir erlaubt, darauf hinzuweisen, Jakobs notorische Abfälligkeiten
gegenüber allem, was mit Duden zu tun hat, an dem inzwischen wissen-
schaftlichen Anspruch der Duden-Leute vollkommen vorbeigehen und von
qualitativen Anforderungen an ernst zu nehmende Auseinandersetzungen
weit entfernt sind.

Gruß Ralf Joerres

Ralf Joerres

unread,
Apr 9, 2018, 4:30:45 AM4/9/18
to
Ja, besser so. Aber soll man die Widersprüche nicht eher 'zum Tanzen
zwingen', in Abwandlung eines alten Studi-Spruchs auf Basis vom ollen
Marx?

Gruß Ralf Joerres

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 9, 2018, 4:46:55 AM4/9/18
to
Moin,

Am Montag, 9. April 2018 10:22:37 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
> Darüber hinaus
> hat die These, dass eine Grammatik 'gutes Deutsch' vermitteln solle,
> sich als dem Wesen von Grammatik im Sinne einer Beschreibung der in
> einer Sprache vorhandenen Strukturen fremd und als sachunangemssen
> herausgestellt.

Hmm. Wenn ich eine Sprache gut lernen oder
gut lehren will, ist Grammatik, auch eine gebundene,
neben anderen Arbeitsmitteln durchaus hilfreich.

Es gibt Sachen, die ich im Deutschen im Gefühl habe,
wofür ich die Regeln aber besser nachschlage als
mein schlecht kopierbares Bauchgefühl zum Maßstab
für DaF zu erheben.

Gruß, ULF

Jakob Achterndiek

unread,
Apr 9, 2018, 8:47:56 AM4/9/18
to
Am 09.04.2018 um 09:42 schrieb Ralf Joerres:

> Wenn Glinz nur leichter lesbar wäre, das würde es mir erleichtern,
> Zugang zu finden. Er schreibt recht dröge, ich vermisse Humor und
> Leichtigkeit im Argumentieren.

Ich bitte um Nachsicht, wenn ich nur diese beiden Sätze herauspicke,
zu denen mir die respektlose Parallele einfällt: Das haben die Sozial-
demokraten an ihrer Andrea Nahles so gern: Daß die am Rednerpult des
Deutschen Bundestages auch mal ein Liedchen trällert.


Zur Sache selbst: Grammatik ist eine ideologie-fixierte Wissenschaft.
Alle ihre Klassifizierungen verlangen eine Vor-Entscheidung - oder
wenigstens eine Reflexion - über die Maßstäbe, nach denen das zu
geschehen habe. Zwei einander entgegenstehende Maßstäbe sind dabei
die Berufung entweder auf die Masse der "Sprach-User" oder auf die
Texte namhafter Schriftsteller. Welchem der Maßstäbe ich folgen will,
ist eine Geschmacks- und Gewissensentscheidung.

Dabei können sich unter den Grammatikern wie unter den Nur-Sprechern
sozusagen Sprachparteien bilden. Innerhalb jeder dieser Parteien lassen
sich die vorweg getroffenen Setzungen als Gesetze formulieren. Für die
Vertreter der jeweiligen Gegenpartei sind diese jedoch unverbindlich.
Wenn die Parteien also gegeneinander streiten, dann haben sie keine
gemeinsam verbindlichen Maßstäbe, also keine gemeinsame vernünftige
Argumentationsbasis, und also können sie sich nur sach- und fachfremd
beschimpfen.

Es sei denn, jemand dränge als Agent Provokateur in die Gegenpartei
ein und zersetze deren Regelsystem von innen. Da behaupte ich nun,
das sei bei den Linguistikern einfacher: Deren Methoden bieten so
viele Angriffsflächen, die halten ihre eigenen Flanken so weit offen
und sind so sehr mit eigenen inneren Querelen beschäftigt, daß wir
Konservativen uns ruhig in den Hölderlin-Sessel zurücklehnen können:
"Was bleibet aber stiften die Dichter." Unsere Satz-Modeln haben die
Weihe des Inhalts in sich - und für sich.

Und wenn nicht? Nun, Minnesangs Frühling und Artus-Epik mußten auch
erst von den Romantikern wiederentdeckt werden, nachdem das Land ein
paar hundert Jahre nur mit Hans Sachsens und etlicher anderer Harle-
kinaden hatte auskommen müssen. Bis es wieder soweit ist, haben
vielleicht sogar die Chomskynesen ihre Weltgrammatik fertig.


Um auf besagten Hammel zurückzukommen: (Woher kommt dieser Schnack?)
Bei den Verbformen unterscheidet Glinz die "feststellenden" von den
"fordernden" Formen. Letztere sind die Imperative, und deren gibt es
je einen für die Einzahl und einen für die Mehrzahl. "Sind Sie bitte
mal ..." und ähnliches Abrakadabra wäre nach Glinz kein Imperativ,
sondern ein verdruckster Zwitter zwischen Wunsch und Aussage: Von
beiden etwas, aber nix ganz richtig. Mit sowas gibt der sich gar nicht
ab. :(
--
j/\a

Ralf Joerres

unread,
Apr 9, 2018, 9:16:21 AM4/9/18
to
Wenn ich nach 'trotz' und 'wegen' den Genitiv unterrichte und die
TN dann ankommen und berichten, sie hätten das aber mit dem Dativ
gehört, dann sollte ich darauf eine tragfähige Antwort haben.
Das einerseits. Eine 'gute Grammatik' wird erwähnen, dass der
Dativ zumindest in der gesprochenen Sprache gängig ist. Es macht
wenig Sinn, auf grammatischen Regularitäten zu bestehen, an die
sich keiner hält. Eine Grammatik ist keine Straßenverkehrsordnung,
und 'Bußgelder' für Regelverstöße werden nur im Schulbetrieb in Form
von nicht erteilten Zugangsberechtigungen erhoben, wobei aber auch
andere Fächer als Deutsch ein Wörtchen mitreden. Für Bewerbungs-
anschreiben, durch die sich ebenfalls Türen öffnen oder schließen
können, gibt's Lohnschreiber und Ratgeber und weitere Dienstleister.
Und wer in einem ausgesprochenen Schreibberuf seine Brötchen verdient,
oder wer öffentlich das Wort ergreift, sollte sein Handwerk beherrschen.

Beim Sprachen-Unterrichten wird entsprechend dem erreichten Level wie je didaktisch reduziert. Es werden bei weitem nicht alle Regularitäten vorge-
führt, auf keiner Stufe. Für den Sprachunterricht sind Lernergrammatiken
ein unverzichtbares Werkzeug, und die sind auf der jeweiligen Stufe erst
einmal der Maßstab für richtig oder falsch. Aber jede Lernergrammatik
bildet ein Durchgangsstadium, außer bei denen, die über ein bestimmtes
Level an Spachfertigkeit nicht hinausgelangen.

Was das Nachschlagen angeht: Ich bin inzwischen altersbedingt in vielem
wesentlich unsicherer als noch vor 10 Jahren. Die Frage ist, was ich
beim Nachschlagen erfahren will: Will ich wissen, was bei einem
bestimmten Formulierungsproblem sprachüblich ist, und zusätzlich eine
stilistische Einordnung nach Standard- oder Umgangssprache (oder noch
weiter oben oder unten), aufgrund von erhobenen Belegen oder will ich
getreu einer normativen Betrachtungsweise eine Empfehlung von
'Experten', denen ich aufgrund ihrer anerkannten Autorität vertraue?
Das schließt sich nicht gegenseitig aus, und wenn beide Seiten ihren
Job gut erledigen, werden sie zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Die
Duden-Grammatik mit ihrem deskriptiven Selbstverständnis verweist immer
darauf, was nach ihren Befunden als standardsprachlich einzuordnen wäre.
Diese Ergebnisse kann ich im DaF-Unterricht zur Norm machen, und das tue
ich auch. Manche verunsichert jedoch der Verweis auf andere, vor allem
'niedriger' bewertete stilistische Möglichkeiten, oder sie lehnen sie
emotional ab und sowas wollen sie in einer Beschreibung der deutschen
Sprache am liebsten gar nicht haben. Für die muss man dann vielleicht
eine um alle Anstößigkeiten, Jargons, Umgangssprache und Regionalismen
bereinigte Form von Grammatik als jugendfreien Auszug aus dem Gesamttext
anbieten, so wie in der amerikanischen Popmusik als 'non-explicit' bei
den 'lyrics' üblich.

Natürlich arbeite ich auf der Grundlage von gedruckten Grammatiken,
warum sonst zitiere ich sie immer wieder. Sie sind mein tägliches Brot.
Ich lerne ihre Einsatzmöglichkeiten kennen. Ich bin dabei, mir ein
Urteil über sie zu bilden. Es gibt besser und schlechter einsetzbare.
Meinen Kollegen beim Unterrichten ist das egal, sie unterrichten, was
sie im Lehrbuch finden und sind an sprachlichen Problemen wenig interessiert. Im Unterricht selbst muss ich auftretende Fragen oft
spontan beantworten, nicht immer weiß ich sofort die 'gute' Antwort.
Aber ich trainiere, auch hier in desd, und ich werde langsam besser.
Beim Nachlesen zu Hause sehe ich vielleicht, dass meine Erklärung falsch
war. Wenn es wichtig ist, stelle ich das am nächsten Tag richtig.

Es gibt ein paar neuralgische Punkte, bei denen ich an der sprachlichen
Realität der Lebensumwelt vorbei unterrichte. Praktisch alle sagen hier
im Alltag immer wieder 'ich geh nach Aldi', der Standard verlangt aber
'ich gehe zu Aldi', also eine andere Präposition und die vollständige
Verbendung. Die TN haben bereits ein Gefühl dafür, dass alltagssprachlich
ein paar Dinge anders laufen, als sie im Unterricht lernen. Bei den
Ortsangaben ist es besonders schwer, auf korrekten Lösungen zu bestehen:
ich gehe/fahre zu Klaus, zu Lidl, zur Polizei, zum Jobcenter, nach
Bottrop, in die Türkei, in die Stadt, nach Polen, zur Schule, in die
xyz-Schule, aufs Gymnasium, auf den Markt, zum Anwalt, ins Krankenhaus,
zum Krankenhaus, zur Post (auf die Post), auf den Zug usw. Da kommen
drei Probleme zusammen: Genus des Nomens, mit oder ohne Artikel, welche Präposition (mit ggf. welcher Nebenbedeutung)? Nimmt man dann noch die
statischen Ortsergänzungen mit 'ich bin da und da' hinzu, hat man wieder
andere Präpositionen und einen anderen Kasus. Das ist für die TN
frustrierend. Einzige Hoffnung: Durch vieles Hören und Nachplappern
schleift sich das irgendwann ein. Nur wann? Die TN haben zu wenig authentische Sprachkontakte, und wenn sie ihr Dschungeldeutsch auf die
Menschheit loslassen, werden sie nicht korrigiert. Das sind etwa ganz
praktische Probleme, stattdessen unterhalten wir uns hier über Gender-
Fragen (muss man nicht sagen 'zum Arzt oder zur Ärztin oder in die
allgemeinmedizinische Praxis gehen?') und über sich heftig aufrollende
wenn nicht sogar wie Popcorn wegploppende Fußnägel beim hier tagtäglich
zu hörenden Ruhrgebiets-OT 'ich geh nach Karstadt'.

Gruß Ralf Joerres

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 9, 2018, 9:36:39 AM4/9/18
to
Moin,

Am Montag, 9. April 2018 15:16:21 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> > > Darüber hinaus
> > > hat die These, dass eine Grammatik 'gutes Deutsch' vermitteln solle,
> > > sich als dem Wesen von Grammatik im Sinne einer Beschreibung der in
> > > einer Sprache vorhandenen Strukturen fremd und als sachunangemssen
> > > herausgestellt.
> >
> > Hmm. Wenn ich eine Sprache gut lernen oder
> > gut lehren will, ist Grammatik, auch eine gebundene,
> > neben anderen Arbeitsmitteln durchaus hilfreich.
> >
> > Es gibt Sachen, die ich im Deutschen im Gefühl habe,
> > wofür ich die Regeln aber besser nachschlage als
> > mein schlecht kopierbares Bauchgefühl zum Maßstab
> > für DaF zu erheben.
>
> Wenn ich nach 'trotz' und 'wegen' den Genitiv unterrichte und die
> TN dann ankommen und berichten, sie hätten das aber mit dem Dativ
> gehört, dann sollte ich darauf eine tragfähige Antwort haben.
> Das einerseits.

Es gibt noch viel schlimmere Sachen wo ich sagen müßte:
- "Das ist Müll!"
TN: "Das ist die Festrede des Staatssekretärs!"
- "Das macht es leider auch nicht besser!

> Eine 'gute Grammatik' wird erwähnen, dass der
> Dativ zumindest in der gesprochenen Sprache gängig ist. Es macht
> wenig Sinn, auf grammatischen Regularitäten zu bestehen, an die
> sich keiner hält. Eine Grammatik ist keine Straßenverkehrsordnung,
> und 'Bußgelder' für Regelverstöße werden nur im Schulbetrieb in Form
> von nicht erteilten Zugangsberechtigungen erhoben,

Wofür bekommt man noch gleich die Sprachstandszertifikate?

Wegen Dativs bei 'wegen' wird man aber zumindest B1
nicht verwehren.

Gruß, ULF

Diedrich Ehlerding

unread,
Apr 9, 2018, 10:16:03 AM4/9/18
to
Ralf Joerres meinte:

> Wenn ich nach 'trotz' und 'wegen' den Genitiv unterrichte

Nach 'trotz' ist jedenfalls auch der Dativ gängig. Vgl. "trotzdem", noch
"trotzdessen". Auch das Verb "trotzen" regiert den Dativ

--
pgp-Key (RSA) 1024/09B8C0BD
fingerprint = 2C 49 FF B2 C4 66 2D 93 6F A1 FF 10 16 59 96 F3
HTML-Mail wird ungeleſen entſorgt.

Ralf Joerres

unread,
Apr 9, 2018, 11:21:04 AM4/9/18
to
Am Montag, 9. April 2018 14:47:56 UTC+2 schrieb Jakob Achterndiek:
> Am 09.04.2018 um 09:42 schrieb Ralf Joerres:
>
> > Wenn Glinz nur leichter lesbar wäre, das würde es mir erleichtern,
> > Zugang zu finden. Er schreibt recht dröge, ich vermisse Humor und
> > Leichtigkeit im Argumentieren.
>
> Ich bitte um Nachsicht, wenn ich nur diese beiden Sätze herauspicke,
> zu denen mir die respektlose Parallele einfällt: Das haben die Sozial-
> demokraten an ihrer Andrea Nahles so gern: Daß die am Rednerpult des
> Deutschen Bundestages auch mal ein Liedchen trällert.

Ich schrieb von Humor und Esprit, nicht von karnevalistischem Klamauk.

> Zur Sache selbst: Grammatik ist eine ideologie-fixierte Wissenschaft.
> Alle ihre Klassifizierungen verlangen eine Vor-Entscheidung - oder
> wenigstens eine Reflexion - über die Maßstäbe, nach denen das zu
> geschehen habe. Zwei einander entgegenstehende Maßstäbe sind dabei
> die Berufung entweder auf die Masse der "Sprach-User" oder auf die
> Texte namhafter Schriftsteller. Welchem der Maßstäbe ich folgen will,
> ist eine Geschmacks- und Gewissensentscheidung.
>
> Dabei können sich unter den Grammatikern wie unter den Nur-Sprechern
> sozusagen Sprachparteien bilden. Innerhalb jeder dieser Parteien lassen
> sich die vorweg getroffenen Setzungen als Gesetze formulieren. Für die
> Vertreter der jeweiligen Gegenpartei sind diese jedoch unverbindlich.
> Wenn die Parteien also gegeneinander streiten, dann haben sie keine
> gemeinsam verbindlichen Maßstäbe, also keine gemeinsame vernünftige
> Argumentationsbasis, und also können sie sich nur sach- und fachfremd
> beschimpfen.
>
> Es sei denn, jemand dränge als Agent Provokateur in die Gegenpartei
> ein und zersetze deren Regelsystem von innen. Da behaupte ich nun,
> das sei bei den Linguistikern einfacher: Deren Methoden bieten so
> viele Angriffsflächen, die halten ihre eigenen Flanken so weit offen
> und sind so sehr mit eigenen inneren Querelen beschäftigt, daß wir
> Konservativen uns ruhig in den Hölderlin-Sessel zurücklehnen können:
> "Was bleibet aber stiften die Dichter." Unsere Satz-Modeln haben die
> Weihe des Inhalts in sich - und für sich.

Wobei eine gewisse Realitätsferne als Kollateralschaden in Kauf
genommen werden darf. Leider vollzieht sich das sprachliche Getümmel
nach Regeln, die in der Komfortzone Eurer zirkulären Selbstbestätigung
nicht vorgesehen sind.

Von welchen offenen Flanken Du hier sprichst, das wird sich mir vielleicht
im Lauf der Zeit erschließen.

> Und wenn nicht? Nun, Minnesangs Frühling und Artus-Epik mußten auch
> erst von den Romantikern wiederentdeckt werden, nachdem das Land ein
> paar hundert Jahre nur mit Hans Sachsens und etlicher anderer Harle-
> kinaden hatte auskommen müssen. Bis es wieder soweit ist, haben
> vielleicht sogar die Chomskynesen ihre Weltgrammatik fertig.

Das hört sich nun für mich resignativ an: Im Dornröschenschlaf des
Bewusstseins der eigenen Höherwertigkeit sind die wahren Meister des
Wortes allen Widrigkeiten der Zeit mit ihrem Werterelativismus und dem
Ergötzen an niederer Sprache enthoben, es gilt nur, in dieser Zeitkapsel
auszuharren, bis wieder die wahre Sprachqualität gefragt ist. 'Gute'
Bücher gibt es ja genug, um sich bis dahin die Zeit zu vertreiben.

Nebenbei: Duden, Eisenberg und Gallmann sind nicht Chomsky.

Bei aller Gegensätzlichkeit der Standpunkte genieße Ich Deine geschliffene
Schreibe. Wärest Du doch Co-Autor bei Glinz gewesen!

> Um auf besagten Hammel zurückzukommen: (Woher kommt dieser Schnack?)

Hammel? Besagt?

> Bei den Verbformen unterscheidet Glinz die "feststellenden" von den
> "fordernden" Formen. Letztere sind die Imperative, und deren gibt es
> je einen für die Einzahl und einen für die Mehrzahl. "Sind Sie bitte
> mal ..." und ähnliches Abrakadabra wäre nach Glinz kein Imperativ,
> sondern ein verdruckster Zwitter zwischen Wunsch und Aussage: Von
> beiden etwas, aber nix ganz richtig. Mit sowas gibt der sich gar nicht
> ab. :(

Daraus schließen wir messerscharf ...
Und hej!, da haben wir ja die Lösung für die nächsten mindestens tausend
Jahre!
Danke, dass Du es nachgeschlagen hast, aber schade, dass Du für das
eigentliche Problem keine Antenne hast, obwohl wir uns genau darüber
immer wieder streiten, nämlich über so etwas wie die vor- oder halb-
bewusste Herausbildung grammatischer Kategorien in Fällen, bei denen die
Grammatikmeister mal grade nicht ihren Senf dazu geben, womit auch nur
wieder Denk-Trampelpfade angelegt wären, die oft genug Holzwege sind,
denen ihre Jünger aber mangels eigener Denktätigkeit und aus Anlehnungs-
bedürfnis folgen.

Für mich liegt die behauptete Andersartigkeit der beiden von Glinz postu-
lierten Imperative gegenüber den anderen Imperativen nicht auf der Hand.
'Heischend' sind auch die Sie- und die wir-Imperative, die auf der
folgenden Seite verschämt nachgetragen werden. Sie werden als Beleg für
eine 'Behelfsnatur der Sprache' zugleich in Klammern dazu- als auch
wertend an den Katzentisch der Imperative gesetzt, wobei ich den Sinn
dessen nicht erfasse. Dazu fehlt mir der Gesamtüberblick. Es ist erkennbar,
dass Glinz sich auf einen weiter gespannten Argumentationszusammenhang
bezieht, wenn er von einem 'parolehaften Ursprung' dieser Formen spricht,
den er nur widerstrebend und nur 'wahrscheinlich' als der Grammatik
zugehörig einordnet.

Für DaF ware es unpraktisch, diese Unterscheidung in den Unterricht zu
übernehmen.

Gruß Ralf Joerres

Ralf Joerres

unread,
Apr 9, 2018, 11:48:31 AM4/9/18
to
Um (angeblich) eine Ausbildung beginnen zu dürfen, die man aber auch ohne
Zertifikat starten kann. Und als Teil einer Hochschulzugangsberechtigung,
richtig, die aber meines Wissens erst einmal nur zur Teilnahme an Sprach-
kursen auf höherem Level berechtigt. Ohne die entsprechenden Sprachzerti-
fikate kommt man wohl nicht an die Hochschule. Sollte man für Deutsche
übrigens auch einführen, dann könnte man sich den Numerus clausus
wohl schenken (nicht ernst gemeint).

> Wegen Dativs bei 'wegen' wird man aber zumindest B1
> nicht verwehren.

Auch B2 nicht. Darum geht es aber nicht, sondern darum, dass Leute sich
hinstellen können und behaupten, der Dativ nach 'wegen' sei _falsch_.
Der Duden wird dazu vermutlich sagen, das sei nicht standardsprachlich,
und eine solche Aussage hat eine andere Qualität. Nachgesehen: Da steht
ein längerer Sermon, recht differenziert, grundsätzlich dazu: 'Manche
dieser Präpositionen regieren, gerade in der gesprochenen Sprache, auch
den Dativ.' Dumm wird es, wenn ein Chef von seiner Schreibkraft den
Genitiv erwartet, ohne das vorher klar gemacht zu haben, und dann bei
nächstbester Gelegenheit den Chef raushängen lässt und so tut, als sei
jedem in Deutschland in jeder Situation immer klar, dass da überhaupt
nur der Genitiv in Frage kommt, und die arme Person damit zur Schnecke
macht. Wenn auf dem Spielfeld der Grammatik- und Rechtschreibungs-
fragen Machtspielchen ausgetragen werden, bzw. diese mit sachlich unzu-
treffenden Argumenten zu Angriffen auf die Menschenwürde missbraucht
werden, ist das dann richtig ungemütlich, und inhuman auch.
Kommt leider vor.

Gruß Ralf Joerres

Ralf Joerres

unread,
Apr 9, 2018, 11:51:40 AM4/9/18
to
Am Montag, 9. April 2018 16:16:03 UTC+2 schrieb Diedrich Ehlerding:
> Ralf Joerres meinte:
>
> > Wenn ich nach 'trotz' und 'wegen' den Genitiv unterrichte
>
> Nach 'trotz' ist jedenfalls auch der Dativ gängig.

Wie wahr! Dem trotzen aber die alten Knasterbärte mit ihrem eingebauten
Rechtsanspruch auf Pachtzinsen für Sprachrichtigkeit.

Ralf Joerres

Jakob Achterndiek

unread,
Apr 9, 2018, 1:47:22 PM4/9/18
to
Am 09.04.2018 um 17:21 schrieb Ralf Joerres:

Pars pro toto:

> [..] Es ist erkennbar,
> dass Glinz sich auf einen weiter gespannten Argumentationszusammenhang
> bezieht, wenn er von einem 'parolehaften Ursprung' dieser Formen spricht,
> den er nur widerstrebend und nur 'wahrscheinlich' als der Grammatik
> zugehörig einordnet.

Dir ist sicher bewußt, daß sich Glinz dabei auf seinen Landsmann de
Saussure bezieht, in dessen Rezeption allerdings lange nach Glinzens
"Innerer Form .." einige Bewegung gekommen ist.

> Für DaF ware es unpraktisch, diese Unterscheidung in den Unterricht
> zu übernehmen.

Ich hielte es im Gegenteil für praktisch, wenn auch die Didaktiker des
DfA da strenger unterschieden und sich weniger von den Statistiken der
"parole" verwirren ließen.
--
j/\a

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 9, 2018, 3:15:30 PM4/9/18
to
Moin,

Am Montag, 9. April 2018 17:48:31 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> > > Eine 'gute Grammatik' wird erwähnen, dass der
> > > Dativ zumindest in der gesprochenen Sprache gängig ist. Es macht
> > > wenig Sinn, auf grammatischen Regularitäten zu bestehen, an die
> > > sich keiner hält. Eine Grammatik ist keine Straßenverkehrsordnung,
> > > und 'Bußgelder' für Regelverstöße werden nur im Schulbetrieb in Form
> > > von nicht erteilten Zugangsberechtigungen erhoben,
> >
> > Wofür bekommt man noch gleich die Sprachstandszertifikate?
>
> Um (angeblich) eine Ausbildung beginnen zu dürfen,

Um zum Ehepartner ziehen zu dürfen.

> die man aber auch ohne
> Zertifikat starten kann. Und als Teil einer Hochschulzugangsberechtigung,
> richtig, die aber meines Wissens erst einmal nur zur Teilnahme an Sprach-
> kursen auf höherem Level berechtigt. Ohne die entsprechenden Sprachzerti-
> fikate kommt man wohl nicht an die Hochschule.

Und mit geeignet hochwertigem Zertifikat darf man gleich
ins Fachstudium.

Gruß, ULF

Christian Weisgerber

unread,
Apr 9, 2018, 6:30:06 PM4/9/18
to
On 2018-04-08, Heinz Lohmann <go...@sofort-mail.de> wrote:

>> Zu den Imperativformen heißt es dort auf S. 445, Rz 609:
>> "Imperativformen können nur von der 1. Stammform gebildet werden, und
>> eine spezifische Imperativform gibt es lediglich im Singular. (...)
>> Sie ist mit dem Verbstamm identisch und endet auf -e. (...) Im Plural
>> werden Präsensformen verwendet: Verschwindet! Kommt rein! Lasst mich
>> in Ruhe! (...)" (kursive Auszeichnungen hier nicht wiedergegeben)
>
> Hat es denn sprachgeschichtlich mal andere "echte" Formen eines
> Imperativs im Plural gegeben?

Schon im Althochdeutschen waren 2. Person Plural Imperativ und
Indikativ Präsens identisch. (Joseph Wright, _An Old High German
primer_.)

Je nach Rekonstruktion wird dieser Synkretismus auch schon fürs
Urindogermanische angenommen (z.B. Don Ringe, _From Proto-Indo-European
to Proto-Germanic_).

--
Christian "naddy" Weisgerber na...@mips.inka.de

Ralf Joerres

unread,
Apr 10, 2018, 6:25:33 AM4/10/18
to
Danke Dir, ein wertvoller Hinweis.

RJ

Manfred Russ

unread,
Apr 12, 2018, 9:24:04 PM4/12/18
to
Am 07.04.2018 um 18:53 schrieb Martin Gerdes:
> Für mich gibt es drei echte Imperative, nämlich 2. Pers. Sing, 2. Pers.
> Plural und 3. Person Plural.
>
> "Komm!" "Kommt!" "Kommen Sie!"

So weit, so gut.

>> und den Quasi-Imperativ mit 'wir' (gehen wir!).
> Das ist strenggenommen Hortativ: "Wir wollen beten."

Kannte ich bisher nicht.
Das läuft bei mir unter Optativ. Auch nach einem Versuch, mich schlau zu
machen, kann ich den wesentlichen Unterschied nicht erkennen.



Manfred
--
X-Face:
JcJ:\f#?{j.-]0Zk4H8+}l)L%"sJTGQIy;J*)"I=2CR6*@;ZmBdqh-1s{'DU4mP^j([~GtqxDThUEL#zA&:lF\n(0Ql(1EO,BY<=R/M/jX==1O{/*U03iLv^;jW=w2@S0h$tzG^B2#H(@ak/JAY^3*%q&-OIfoZR}M.B,KtA9J)(B74(L,^AC_\D/#Teh+IF#Wsb</.i\9M{e

Christian Weisgerber

unread,
Apr 14, 2018, 2:30:07 PM4/14/18
to
On 2018-04-07, Ralf Joerres <rjoe...@gmail.com> wrote:

> Noch eins dazu, warum diese 'sind'-Sätze für mich 'Imperative' sind:
> Man muss sie nicht mit 'jetzt' beginnen, einerseits, und man kann
> andererseits auch 'sei(en)'-Imperative mit 'jetzt' einleiten:
> Jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt! Das ist ja nun eindeutig
> ein Imperativ. Das 'sind' in 'jetzt sind Sie mal bitte still' soll
> dagegen ein normaler Aussagesatz sein.

Du nimmst mir das Wort geradezu aus dem Mund. Ich rolle das jetzt
trotzdem nochmal auf.

Ein Aufforderungssatz, der unstrittig im Indikativ steht:
(1) Sie sind jetzt mal bitte still!

Der gleiche Satz, damit immer noch Indikativ, nur mit geänderter
Wortstellung:
(2) Jetzt sind Sie mal bitte still!

Ein Aufforderungssatz, der unstrittig im Imperativ steht:
(3) Seien Sie jetzt mal bitte still!

Die Verb-Erststellung gilt im Imperativ offenbar nicht absolut, man
kann auch so formulieren:
(4) Jetzt seien Sie mal bitte still!

Und nun schlägst du einen Satz wie folgt vor und stellst die
berechtigte Frage, ob das Indikativ oder Imperativ ist:
(5) Sind Sie jetzt mal bitte still!

Die Antwort, laut Zweifelsfallduden, ist das (5) _falsch_ ist. Es
muss richtig (3) heißen. (5) ist ein Imperativsatz, aber mit falscher
Verbform (vgl. „lese!“/„lies!“). Ich zitiere:

Einer Person oder mehreren Personen gegenüber, die man siezt,
verwendet man die Höflichkeitsform, d.h. die dritte Person Plural
des Konjunktivs Präsens [...].
Da sich die Formen der dritten Person Plural - außer bei _sein_ -
nicht von den entsprechenden Formen des Indikativs Präsens
unterscheiden, sieht man sie hier nicht mehr unbedingt als
Konjunktive an. Dies führt dazu, dass bei dem Verb _sein_
gelegentlich nicht die Form des Konjunktivs (_seien_), sondern
die des Indikativs Präsens (_sind_) gebraucht wird. Dies gilt
jedoch nicht als korrekt.
Nicht korrekt:
Bitte[,] sind Sie so freundlich und schreiben Sie uns...
Richtig:
Bitte[,] seien Sie so freundlich und schreiben Sie uns...

Für mich persönlich sind die „sind Sie“-Imperative aber so unauffällig,
dass ich sie schwer als „falsch“ brandmarken kann. Und wenn man (5)
akzeptiert, dann ist nicht mehr entscheidbar, ob (2) jetzt aus (1)
oder aus (5) abgeleitet ist.

Ralf Joerres

unread,
Apr 14, 2018, 5:59:10 PM4/14/18
to
Am Samstag, 14. April 2018 20:30:07 UTC+2 schrieb Christian Weisgerber:

> Ein Aufforderungssatz, der unstrittig im Indikativ steht:
> (1) Sie sind jetzt mal bitte still!
>
> Der gleiche Satz, damit immer noch Indikativ, nur mit geänderter
> Wortstellung:
> (2) Jetzt sind Sie mal bitte still!
>
> Ein Aufforderungssatz, der unstrittig im Imperativ steht:
> (3) Seien Sie jetzt mal bitte still!
>
> Die Verb-Erststellung gilt im Imperativ offenbar nicht absolut, man
> kann auch so formulieren:
> (4) Jetzt seien Sie mal bitte still!
>
> Und nun schlägst du einen Satz wie folgt vor und stellst die
> berechtigte Frage, ob das Indikativ oder Imperativ ist:
> (5) Sind Sie jetzt mal bitte still!
>
> Die Antwort, laut Zweifelsfallduden, ist das (5) _falsch_ ist. Es
> muss richtig (3) heißen. (5) ist ein Imperativsatz, aber mit falscher
> Verbform (vgl. „lese!“/„lies!“). Ich zitiere:
>
> Für mich persönlich sind die „sind Sie“-Imperative aber so unauffällig,
> dass ich sie schwer als „falsch“ brandmarken kann. Und wenn man (5)
> akzeptiert, dann ist nicht mehr entscheidbar, ob (2) jetzt aus (1)
> oder aus (5) abgeleitet ist.

Das war, was ich hatte sagen wollen, Du hast es noch um einiges klarer
dargestellt, danke.

Gruß Ralf Joerres

Heinz Lohmann

unread,
Apr 14, 2018, 10:15:16 PM4/14/18
to
Am 15.04.2018 um 02:12 schrieb Christian Weisgerber:
> Und nun schlägst du einen Satz wie folgt vor und stellst die
> berechtigte Frage, ob das Indikativ oder Imperativ ist:
> (5) Sind Sie jetzt mal bitte still!
>
> Die Antwort, laut Zweifelsfallduden, ist das (5)_falsch_ ist. Es
> muss richtig (3) heißen. (5) ist ein Imperativsatz, aber mit falscher
> Verbform (vgl. „lese!“/„lies!“).

Wie findest du den Satz mit Fragezeichen?

(5) Sind Sie jetzt mal bitte still?

Das ist MUSEN eine Aufforderung, wie auch:
"Kommen Sie bitte mal her?"

PS: Wo im Duden 9 steht den die Information dazu?

--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.

Ulf.K...@web.de

unread,
Apr 14, 2018, 10:52:38 PM4/14/18
to
Moin,

Am Sonntag, 15. April 2018 04:15:16 UTC+2 schrieb Heinz Lohmann:
> Am 15.04.2018 um 02:12 schrieb Christian Weisgerber:
> > Und nun schlägst du einen Satz wie folgt vor und stellst die
> > berechtigte Frage, ob das Indikativ oder Imperativ ist:
> > (5) Sind Sie jetzt mal bitte still!
> >
> > Die Antwort, laut Zweifelsfallduden, ist das (5)_falsch_ ist. Es
> > muss richtig (3) heißen. (5) ist ein Imperativsatz, aber mit falscher
> > Verbform (vgl. „lese!“/„lies!“).
>
> Wie findest du den Satz mit Fragezeichen?
>
> (5) Sind Sie jetzt mal bitte still?
>
> Das ist MUSEN eine Aufforderung, wie auch:
> "Kommen Sie bitte mal her?"

Ich erweitere:

"Bist du wohl still(!/?)"

Für ungebräuchlich würde ich halten:

*"Sei (du) wohl still(!/?)"

Gruß, ULF

Heinz Lohmann

unread,
Apr 15, 2018, 3:45:10 AM4/15/18
to
Am 15.04.2018 um 12:27 schrieb Christina Kunze:
> Und noch was:
>
> "Wollen wir jetzt mal das Apfelmus essen?"

Warum muss ich da an Krankenschwestern denken?

xylo...@gmail.com

unread,
Apr 15, 2018, 6:28:24 AM4/15/18
to
Am Sonntag, 15. April 2018 04:15:16 UTC+2 schrieb Heinz Lohmann:

>> Die Antwort, laut Zweifelsfallduden, ist das (5)_falsch_ ist. Es
>> muss richtig (3) heißen. (5) ist ein Imperativsatz, aber mit falscher
>> Verbform (vgl. „lese!“/„lies!“).

> Wie findest du den Satz mit Fragezeichen?
>
> (5) Sind Sie jetzt mal bitte still?
>
> Das ist MUSEN eine Aufforderung, wie auch:
> "Kommen Sie bitte mal her?"

Auf einer evangelischen Veranstaltung, der ich als Oberschüler
auf der Insel Hiddensee beiwohnte, wollte sich zum Gebet keine
Ruhe einstellen, was einen Thüringer von athletischem Format
(sein Vater war im Kriege U-Bootkommandant gewest) veranlaßte,
mit erzener Stimme in den Raum zu schallen:
Ruhe im Puff, die Nutten woll'n schlafen!"
Der gewünschte Effekt trat zwar augenblicklich ein, auf
pastoraler Seite war man jedoch etwas pikiert.
Nun ja, allen Leuten recht getan..., wir wissen es - FR

Nachsatz: Jener Rufer kündigte Jahre später sein Erscheinen
in Ostberlin an - brieflich, das Telefonnetz der DDR
befand sich auf antediluvianischem Niveau - und ich
lud zum Essen ins Hotel "Unter den Linden", Ecke Friedrichstr.
Er erschien mit einem elfischen Wesen, das mir als Verlobte
vorgestellt wurde. Als das Essen serviert wurde, begann dieses
Kind des Herzogtums Altenburg mit erstaunlich robuster Stimme
ein etwas sehr längliches Tischgebet zu sprechen - immerhin
rückten wir dadurch in den Fokus des Interesses aller Gäste.

D.O.

xylo...@gmail.com

unread,
Apr 15, 2018, 6:31:31 AM4/15/18
to
Am Sonntag, 15. April 2018 04:52:38 UTC+2 schrieb Ulf.K...@web.de:

>> Das ist MUSEN eine Aufforderung, wie auch:
>> "Kommen Sie bitte mal her?"

> Ich erweitere:
>
> "Bist du wohl still(!/?)"
>
> Für ungebräuchlich würde ich halten:
>
> *"Sei (du) wohl still(!/?)"

Icke, als Kind des schaffenden Volkes, sare eenfach:
Schnauze!
Ihr werd't et vielleicht nüsch gloo'm, aber dis wirkt - FR

xylo...@gmail.com

unread,
Apr 15, 2018, 6:35:21 AM4/15/18
to
Am Sonntag, 15. April 2018 09:45:10 UTC+2 schrieb Heinz Lohmann:

>> "Wollen wir jetzt mal das Apfelmus essen?"

> Warum muss ich da an Krankenschwestern denken?

Solches kann psychoanal ganz eindeutig als frühkindliche
Traumatisierung diagnostiziert werden - FR

Matthias Opatz

unread,
Apr 15, 2018, 7:05:26 AM4/15/18
to
Dies schrieb xylo...@gmail.com:

> Icke, als Kind des schaffenden Volkes, sare eenfach:
> Schnauze!
> Ihr werd't et vielleicht nüsch gloo'm, aber dis wirkt

Je nach Gegenüber.

Wie gewünscht oder eher andersrum (man bekommt auf selbige).

Matthias

Christian Weisgerber

unread,
Apr 15, 2018, 10:30:07 AM4/15/18
to
On 2018-04-15, Heinz Lohmann <go...@sofort-mail.de> wrote:

> PS: Wo im Duden 9 steht den die Information dazu?

Bei folgenden Einträgen:

Seien Sie so gut ...: Es heißt richtig: Seien Sie so gut...
(nicht: Sind Sie so gut...). -> Imperativ (3)

Sind / Seien Sie so gut: -> Seien Sie so gut ...

Imperativ
3 Imperativ in der Höflichkeitsform. Seien Sie / Sind Sie so nett
[...]

Stefan Schmitz

unread,
Apr 15, 2018, 11:51:50 AM4/15/18
to
Am Samstag, 14. April 2018 20:30:07 UTC+2 schrieb Christian Weisgerber:

> Da sich die Formen der dritten Person Plural - außer bei _sein_ -
> nicht von den entsprechenden Formen des Indikativs Präsens
> unterscheiden, sieht man sie hier nicht mehr unbedingt als
> Konjunktive an. Dies führt dazu, dass bei dem Verb _sein_
> gelegentlich nicht die Form des Konjunktivs (_seien_), sondern
> die des Indikativs Präsens (_sind_) gebraucht wird. Dies gilt
> jedoch nicht als korrekt.
> Nicht korrekt:
> Bitte[,] sind Sie so freundlich und schreiben Sie uns...
> Richtig:
> Bitte[,] seien Sie so freundlich und schreiben Sie uns...
>
> Für mich persönlich sind die „sind Sie“-Imperative aber so unauffällig,
> dass ich sie schwer als „falsch“ brandmarken kann. Und wenn man (5)
> akzeptiert, dann ist nicht mehr entscheidbar, ob (2) jetzt aus (1)
> oder aus (5) abgeleitet ist.

Das Argument mit der nicht erkannten Konjunktiv zieht nicht, denn statt
"sind Sie" kann man im gleichen Sinne "bist du" verwenden.

Eine Erklärung des Dudens, warum das nicht korrekt sein soll, wäre schön.

Heinz Lohmann

unread,
Apr 15, 2018, 11:54:29 AM4/15/18
to
<loriot>Ach, was!</loriot>

H.

Reinhard Zwirner

unread,
Apr 15, 2018, 12:07:53 PM4/15/18
to
Christian Weisgerber schrieb:
> On 2018-04-15, Heinz Lohmann <go...@sofort-mail.de> wrote:
>
>> PS: Wo im Duden 9 steht den die Information dazu?
>
> Bei folgenden Einträgen:
>
> Seien Sie so gut ...: Es heißt richtig: Seien Sie so gut...
> (nicht: Sind Sie so gut...). -> Imperativ (3)
>
> Sind / Seien Sie so gut: -> Seien Sie so gut ...
>
> Imperativ
> 3 Imperativ in der Höflichkeitsform. Seien Sie / Sind Sie so nett
> [...]

_Ich_ würde das als freundliche Bitte empfinden.

Ciao

Reinhard

Ralf Joerres

unread,
Apr 15, 2018, 2:28:22 PM4/15/18
to
... oder "sei du ..." Für mich liegt auf der Hand, dass man die ganze Staffel von Christians Beispielen vom 14.04.2018 20:30:07 in vollendeter
Analogie auch in der du- und der ihr-Form aufstellen kann, mit Einschränkungen wohl auch in der von Heinz erwähnten Krankenschwester-
wir-Form. Es geht hier nicht um Nicht-Erkennen, sondern um ein 'Abweichen'
von erwartbaren Quasi-Konjunktivformen auf Indikativformen, analog zu
den (Quasi-)Imperativen bei allen anderen Verben außer 'sein'.

Der 'ihr'-Imperativ von 'sein' lehnt sich allerdings nicht an den
Konjunktiv an, der wäre nämlich 'sei(e)t'. Hier ist die Indikativform
'seid' - vermutlich schon sehr lange - Standard. Man darf annehmen, dass
ein 'ihr seiet' und auch ein Imperativ 'seiet frohgemut' heute als
antiquiert empfunden würde, vielleicht findet man so etwas noch gelegent-
lich in der Schriftsprache.

https://books.google.com/ngrams/graph?content=ihr+seid%2Cihr+seiet%2Cihr+seit&case_insensitive=on&year_start=1800&year_end=2018&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t4%3B%2Cihr%20seid%3B%2Cc0%3B%2Cs0%3B%3BIhr%20seid%3B%2Cc0%3B%3Bihr%20seid%3B%2Cc0%3B.t4%3B%2Cihr%20seiet%3B%2Cc0%3B%2Cs0%3B%3Bihr%20seiet%3B%2Cc0%3B%3BIhr%20seiet%3B%2Cc0%3B.t4%3B%2Cihr%20seit%3B%2Cc0%3B%2Cs0%3B%3Bihr%20seit%3B%2Cc0%3B%3BIhr%20seit%3B%2Cc0

Bei dieser Ngram-Grafik weiß man nicht, wie viele Falschschreibungen mit-
gezählt wurden; außerdem wird hier die Präposition 'seit' hinter dem
Pronomen 'ihr'/'Ihr' miterfasst, sie ist also nicht sehr aussagekraäftig.

> Eine Erklärung des Dudens, warum das nicht korrekt sein soll, wäre schön.

Man kann sich das denken: Es ist nicht standardsprachlich, "nur"
umgangssprachlich, also minderer Güte; vgl. Jakobs Kommentierung von
hoher Warte herab: "nach Glinz kein Imperativ, sondern ein verdruckster
Zwitter zwischen Wunsch und Aussage: Von beiden etwas, aber nix ganz
richtig." Als Sachaussage nicht gänzlich unzutreffend, es überwiegt
jedoch der wertende Charakter.

Gruß Ralf Joerres

Helmut Richter

unread,
Apr 15, 2018, 5:36:17 PM4/15/18
to
On Sun, 15 Apr 2018, Christina Kunze wrote:

> Ich wär damit nicht durchgekommen, meine Kinder hätten wahrscheinlich einfach
> nein gesagt. Aber ich habe auch von Anfang an darauf geachtet, Aufforderungen
> nicht in Fragen zu verpacken.
> Genau genommen transportiert man nämlich damit: Ich frage, aber Deine Antwort
> schert mich nicht, ich entscheide doch allein.

Gibts auch bei "Erwachsenen": Der Chef sagt "wir hatten vereinbart" und
meint "ich hatte angeordnet".

--
Helmut Richter

Ralf Joerres

unread,
Apr 24, 2018, 9:16:46 AM4/24/18
to
Am Montag, 9. April 2018 17:21:04 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:
> Am Montag, 9. April 2018 14:47:56 UTC+2 schrieb Jakob Achterndiek:
> > Am 09.04.2018 um 09:42 schrieb Ralf Joerres:

> > Um auf besagten Hammel zurückzukommen: (Woher kommt dieser Schnack?)
>
> Hammel? Besagt?

Ts ts, alles muss man wieder selber machen:

"Um wieder auf besagten Hammel zu kommen: um nach einer Abschweifung wieder
auf den eigentlichen Gegenstand der Unterhaltung zurückzukommen. Die Redens-
art ist eine Übersetzung von französisch ›Revenons à nos moutons!‹ und geht
über die altfranzösische Farce ›Maître Pathelin‹ eines unbekannten Verfas-
sers (15. Jahrhundert) auf den römischen Dichter Martial (1. Jahrhundert
n. Chr.) zurück (›Epigramme‹ VI, 19): In einem Prozeß wegen veruntreuter
Hammel (bei Martial sind es Ziegen) sucht der Richter den abschweifenden
Kläger mit dem genannten Zuruf zur Sache zu bringen. Fischart übersetzt 1575
in seiner ›Geschichtklitterung‹ (Neudruck S. 37) das Rabelaissche »Retour-
nons à nos moutons!« durch: »Aber laßt vns wieder auf vnsere Hämmel kommen!«
Wir wenden die Redensart heute in der Form an, die ihr Kotzebue 1803 in den
›Deutschen Kleinstädtern‹ (III, 7) gegeben hat: »Wiederum auf besagten
Hammel zu kommen«. Heinrich Heine: »doch, um wieder auf besagten Hammel
zurückzukommen, im Collegium des Herrn geheimen Rates Schmalz hörte ich das
Völkerrecht«. Oder bei Castelli (im ›Musicalischen Anzeiger‹ [Wien 1831]):
»besagten Hammel anlangend, hat uns die Solostimme recht freundlich
angelächelt«. Auch im Englischen findet sich das Wort. Es heißt in ›German
Home Life‹ (London 1876, 17): »But to return to our sheep«. Eigentlich
volkstümlich ist die Redensart nicht geworden."
( http://idiome.deacademic.com/1120/Hammel )

Ich kannte den französischen Spruch, nicht aber die Bedeutung 'jetzt aber
zurück zum Thema'; auf deutsch hatte er bis jetzt nicht meine Wahrnehmungs-
schwelle überschritten, gehört hatte ich ihn wohl schon. Erst beim Noch-
einmal-Überfliegen verstand ich, dass es sich um eine Redewendung handeln
muss. Der Rest war dann mit Google einfach.

Dieses deacademic.com ist eine halbseidene Kompilation aller möglichen
Wissens-Versatzstücke und Enzyklopädie-Artikel. Besagte Information zu
'Hammel' verweist auf 'Das Wörterbuch der Idiome' (?) mit Jahreszahl
2013. Der Artikel selbst nennt eine Reihe von Quellen.

Ein Abriss der Szene, in der dieser Satz mehrmals fällt, findet sich im
'Gmunder Wochenblattblatt' von 1864 (?), seinerseits verweisend auf die
'Wiener Wochenschau':
https://books.google.de/books?id=pV6GpgUWEGYC&pg=PA245&lpg=PA245&dq=%22um+auf+besagten+hammel+zur%C3%BCckzukommen%22&source=bl&ots=aiky-OkRYr&sig=VFTuMX35-4rvnIOnsUZSKFhjHkY&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwino-K39dLaAhUHiIMKHXuaBM8Q6AEIVjAJ#v=onepage&q=%22um%20auf%20besagten%20hammel%20zur%C3%BCckzukommen%22&f=false

Dann hätten wir das soweit.

Gruß Ralf Joerres

Jakob Achterndiek

unread,
Apr 25, 2018, 2:34:45 PM4/25/18
to
Am 24.04.2018 um 15:16 schrieb Ralf Joerres:
>> Am Montag, 9. April 2018 14:47:56 UTC+2 schrieb Jakob Achterndiek:
>
>>> Um auf besagten Hammel zurückzukommen: (Woher kommt dieser Schnack?)
>
> "[..] Eigentlich volkstümlich ist die Redensart nicht geworden."
> ( http://idiome.deacademic.com/1120/Hammel ) [..]
>

Für das Ergebnis Deiner Recherche einen verspäteten verbindlichen Dank!
--
j/\a

Ulf Kutzner

unread,
Dec 20, 2022, 2:25:43 AM12/20/22
to
rjoe...@gmail.com schrieb am Sonntag, 8. April 2018 um 20:40:33 UTC+2:
> Am Sonntag, 8. April 2018 20:01:09 UTC+2 schrieb Ulf.K...@web.de:
> > Am Sonntag, 8. April 2018 19:51:39 UTC+2 schrieb Ralf Joerres:

> > > Satzarttypologisch sind die Pluralformen also
> > > Imperativ(sätz)e wie die singularischen auch, außer dass bei 'Sie' und
> > > 'wir' die Pronomen obligatorisch sind,
> >
> > Wahrscheinlich auch deswegen, weil sie bei den
> > allermeisten Verben wie der Infinitiv
> > und darüber hinaus gleich klingen.

> Echt interessante Idee, ja, das muss wohl mit ein Grund sein.
> Auch in der 'erzen'-Zeit wurde das Pronomen mitgenannt, die zugehörige
> Verbform war die 3. Pers. Konj. Präs.:
> Mein Herr, behalte er doch Platz.

Da fehlt mir Gefühl wie auch spontan auffindbarer
Lesestoff zur statthabenden oder auch fehlenden
Unterordnung.

Außerdem kann es ja auch eine (w) treffen,
das Verb 'siezen' ist anderweitig belegt. Ein
Sprachdilemma...

"Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?"
https://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%A4ulein#%C3%84ra_%E2%80%9EMann/Weib_%E2%80%93_Herr/Frau%E2%80%9C
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