Hergen Lehmann schrieb am Dienstag, 21. November 2023 um 23:30:03 UTC+1:
> Wie Rolf schon schrieb: Es gibt zumindest einige Fraktionen, welche
> bekanntermaßen eher in Richtung "weniger Geld für die Eisenbahn, mehr
> für die Autobahn" drängen. Diese kann man also ausschließen.
Mit "Pro Bahn" gewinnt man keine Wahlen, weil die meisten eh nicht mit der Bahn
fahren (wollen). Das Netz wird halt nie die Redundanz erhalten, die es bräuchte,
um mit dem Autoverkehr zu konkurrieren. Einen Stau kann ich umfahren, einen
liegengebliebenen Zug kann man bestenfalls großräumig umfahren und da hat
man dann schnell eine ganze Stunde Verspätung.
Eine einzige Person in der Nähe des Gleisbettes bringt den Verkehr auf dieser
Strecke praktisch zum Erliegen. Beispiel aus HH: Kein S-Bahn-Verkehr zwischen
Hbf und Bergedorf. Da packen sich einfach viele an den Kopf, weil sie denken
"mit dem Auto wäre das kein Problem, da laufen ständig Leute neben der Strecke
rum" - ja, das ist was anderes, aber das interessiert die Leute nicht. Die sehen
nur die enormen Auswirkungen, die eine kleine Störung hat.
Wenn ich (von HH) nach Schermbeck am Niederrhein will, fahre ich über Dortmund nach
Duisburg, steige in einen Zug nach Wesel und fahre von dort aus nach Schermbeck.
Mit einem Bus, der hin und wieder fährt.
Allein nach Duisburg fahre ich dann vier Stunden. Der Umweg ist enorm. Und die
vier Stunden schaffe ich nur, wenn alles bei der DB klappt. Mein Sohn (aus Mülheim)
hat neulich über acht gebraucht, bis er in HH war. Da packt man sich an den Kopf.
Vergleich: Wenn es schlecht läuft, fahre ich mit dem Auto vier Stunden. Dann
stehe ich aber bei meiner Mutter vor der Tür und nicht an einem zugigen Bahnhof.
Ich fahre gern zu Tagesrandzeiten, da brauche ich eigentlich nie länger als 2.5h.
Ich entscheide selbst, wann ich fahre, wann ich Pause mache (ich bin Raucher,
für mich ist eine Pause etwas anderes als Zeit nutzen in der Bahn -- gerade auf so
langen Strecken, weil ich nämlich eine rauchen kann -- früher hab ich Umsteigeverbindungen
aus genau diesem Grunde bevorzugt, inzwischen ist das Risiko des verpassten
Anschlusses einfach zu hoch).
Und für mich ist das nur teuer, weil ich Mietwagen fahre (ein eigenes Auto lohnt
sich einfach nicht), hätte ich ein eigenes Auto, wäre es deutlich billiger - insbesondere
billiger als die Bahnfahrt.
> Ich habe bis heute nicht begriffen, warum die Grünen sich ausgerechnet
> das nicht recht ins Parteiprogramm passende Außenministerium geschnappt
> haben und das umweltpolitisch wichtige Thema "Verkehr" der Autolobby
> überlassen haben. Anders herum wäre produktiver gewesen...
Das ist doch einfach: Frau Baerbock kommt aus dem Völkerrecht, nicht aus
dem Verkehrsrecht ;) (wer Ironie findet....)
> Ich fürchte mit "Ausländer raus, Grenzen zu" als zentralem Thema wird
> man die Probleme der Bahn, insbesondere deren Personalengpässe, nicht
> lösen können.
Wenn man die Probleme der Bahn lösen will, muss man da viel, sehr viel
Geld reinstecken. Das ist umso schwerer vor dem Hintergrund des Urteils
des BVerfG, das zur Folge hat, dass in Summe viel weniger Geld da ist
als geplant. Gerade die Gelder für die Bahn sollten aus diesen Töpfen kommen.
Das ist in Deutschland nicht mehrheitsfähig. Die fahren ohnehin lieber mit
dem Auto (nicht alle, das ist jetzt verkürzt dargestellt, aber im Grunde richtig).
Das ist wie mit den Nachtzügen: Für Bahn-Nerds ist das nett, aber man
wird keinen Geschäftsmann dazu bringen, aus seiner S-Klasse auszusteigen
(irgendwie muss er ja zum Bahnhof kommen), in einen Zug zu steigen, der
ihm eine Übernachtung auf Campingniveau bietet und das auch nur, wenn
er zum Fahrplanwechsel auch gleich fest bucht. Der steigt in den Flieger
und übernachtet im Vier-Sterne-Hotel, wo das Klo nicht auf dem Gang ist
bzw. er das Klo auch dann auf dem Zimmer hat, wenn er nicht Monate
im Voraus bucht (das können die meisten Geschäftsleute nämlich nicht).
Dem ist auch nicht zu erklären, dass er nach Dortmund doppelt so lange
fährt wie nach Berlin, obwohl Berlin kaum näher ist (beides von HH aus
gerechnet). Oder dass er auf einmal eine ganze Stunden länger fahren muss
(und das über viele Monate hinweg), weil die Strecke saniert wird (obwohl
die vor zwei Jahren schon monatelang gesperrt war - aus dem gleichen Grund).
Da war selbst die Komplettsperrung der A40 im Ruhrgebiet problemloser.
> Ich fürchte ja, übersteigerter Nationalismus und Hassparolen sind
> international gerade im Trend.
Die AfD gewinnt keine Wahlen mit Nationalismus und Hassparolen. Das
ist viel zu kurz gedacht und genau dieses zu kurze Denken führt dazu, dass
sie immer stärker wird. Die AfD gewinnt Wahlen, weil Probleme nicht gelöst
werden. Nehmen wir die Flüchtlingskrise von 2015, die ist fast 10 Jahre her
und ein Großteil der damals aufgenommenen Flüchtlinge sind noch immer
nicht in Arbeit. Auch von den Flüchtlingen aus der Ukraine arbeiten in Deutschland
anteilsmäßig so wenige wie in keinem anderen Land, das welche aufgenommen hat.
Das sind keine Hassparolen. Das sind leider Fakten. Und dass solche Themen
wie Bürgergeld- und Mindestlohnerhöhungen gravierende Auswirkungen haben
auf die Frage, ob sich Arbeit noch lohnt bzw. ob wir sie noch bezahlen können,
dazu muss ich ja wohl nix sagen. Gerade heute habe ich eine Umfrage in einem
der als seriös geltenden Presseorgane gelesen, dass die Mehrheit befürchtet,
dass sich Arbeit für viele nicht mehr lohnt.
Und nein, ich wähle die AfD nicht, ich mag sie nicht, aber damit, sie zu ignorieren
oder deren Themen zu verteufeln, werden wir sie nicht los. Ignoranz hat nicht
gegen die Linke geholfen und auch nicht gegen die Grünen. Gegen beide hat man
das erfolglos versucht und bei der AfD scheitert das auch.
Ralf