Das Problem bei den Bugs mit systemd ist, dass viele im Debian-Umfeld
noch nicht bekannt sind, aus unter anderem folgenden Gründen:
systemd wurde sehr sehr spät als Default-Init-System in Sid integriert
und kam daher auch sehr sehr spät nach Testing. Deswegen hat es bisher
keine umfassenden Tests erhalten. Desweiteren zeigte sich schon in der
Vergangenheit, dass die Menge der Leute, die Testing auch wirklich
testen eher gering ist. Zu gering, um viele Use-Cases abzudecken und
abzuklopfen. Zusätzlich gab und gibt es eine deutliche FUD-Bewegung, die
den Leuten schon fast aktiv ausredet, systemd auch nur anzusehen. Das
konnte man in der englischen Debian-Users-ML sehr schön beobachten, wie
beim puren Erwähnen von systemd schon wieder die Grabenkämpfe ausbrachen
und oftmals als erste Hilfe kam "hier, so stellst du wieder auf
SysV-Init um" anstelle systemd eine Chance zu geben und es zu testen.
Deswegen fürchte ich, dass Jessie ein Desaster wird, weil viele Bugs,
die die Entwickler nicht sehen konnten (weil sie einen bestimmten
Use-Case nicht haben), erst nach dem Release auftauchen werden, wenn die
Breite Masse Jessie einsetzt.
Und noch härter wird es die Leute treffen, die ihre Installation von
Wheezy auf Jessie updaten, vor allem, wenn bisher gemachte Änderungen an
z.B. der Startreihenfolge nicht komplett oder korrekt übernommen werden.
Ich persönlich habe keine Probleme (mehr) mit systemd, alle meine
privaten Systeme laufen damit, vom Laptop über den Home-Server und den
Arbeitsplatz-PC hin zum Cubietruck als Router.
Für die beruflichen Server, die ich betreue werde ich aber mit
ziemlicher Sicherheit erst einmal via puppet auf allen Systemen ein
Pinning einrichten, welches beim Upgrade die Installation von systemd
verhindert, bis sich gezeigt hat, wie sicher und stabil die Geschichte
ist.
Meiner Meinung nach hat die komplette Entscheidungsfindung bei Debian zu
lange gedauert und kam dann zum schlechtest möglichen Zeitpunkt. Ich
hätte es für sinnvoll gefunden, Jessie noch ohne systemd zu releasen und
dann _direkt_ nach dem Release Sid umzustellen, damit ein kompletter
Entwicklungszyklus schon mit dem neuen Standard läuft.
Allerdings hätte das vermutlich dazu geführt, dass Projekte wie Gnome3
aus Debian geflogen (oder stark verstümmelt gewesen) wären, da sich die
Entwickler bei einigen Core-Komponenten (Sitzungs-Verwaltung) recht
drastisch an systemd angekoppelt haben.
So oder so muss aber die weitere Entwicklung zeigen, was passiert.
Und eines ist auch mal klar: Selbst wenn man absolut gegen systemd ist,
testen und Bugs reporten sollte man die Sache dennoch, um sicher zu
gehen das a) auch nicht-systemd-Systeme korrekt funktionieren und b)
Systeme mit systemd sich nicht daneben benehmen.
Grüße,
Sven.