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"Vom Verschwinden der Taeter"

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Klaus Rindfrey

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May 27, 2004, 6:00:19 PM5/27/04
to
Interview mit Hannes Heer:
"Vom Verschwinden der Täter"

Das Interview führte Andreas Speit


*Auf 1.433 Fotos konfrontierte die Ausstellung "Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" die Besucher mit den Tätern in
Wehrmachtsgrau. Knapp vier Jahre später, 1999, zog das "Hamburger
Institut für Sozialforschung" (HIS) die Ausstellung, welche die
Legende von der "sauberen Wehrmacht" zerstörte, zurück. Etwa 20 Bilder
hatten die Historiker um Hannes Heer falsch zugeordnet. Als Leiter des
HIS untersagte Jan Philipp Reemtsma den Autoren "jede öffentliche
Stellungnahme". In seinem neuen Buch kritisiert Heer das Konzept der
neuen Ausstellung, weil sie sich in den momentanen Geschichtsdiskurs
"Taten ohne Täter", einbetten würde und reflektiert den
geschichtspolitischen Rollback der Entschuldung der Deutschen.*


*DRR: Das Bildgenre der privaten Landserfotos fehlt in der
Ausstellung, nicht aber die Bilder von Hinrichtungen. Dennoch, betonen
Sie, seien durch dieses "nicht mehr Zeigen" die Täter verschwunden.*

H.H.: Das Erscheinen dieses Genre der Privatfotos bezeichnet in der
Erinnerungskultur eine Zäsur. Neben dem Holocaust in den
Vernichtungslagern, der seltsam bildlos wie ein metaphysisches
Geschehen begriffen wurde, taucht jetzt der Holocaust auf freiem Feld
auf, in den besetzten Gebieten der Sowjetunion - mit den Fotos von
Tätern und Opfern. Indem die neue Ausstellung diese Fotos, von denen
Millionen in den privaten Fotoalben der Soldaten aufbewahrt wurden,
als unsichere Quelle aussortiert, kehrt sie zu einer Geschichte der
Wehrmacht und der darin verantwortlichen Eliten zurück.

*DRR: Die Brisanz der von Ihnen konzipierten Ausstellung lag in der
Darstellung der potenziellen Verbrechen des jedermanns Mann, Vater,
Bruder oder Onkel...*

H.H.: Das ist ja eine sehr zutreffende Formulierung von Herrn Reemtsma
gewesen, als er noch hinter dieser Ausstellung stand: Mit den
Verbrechen des Jedermann sind die Taten oder Millionen ganz normaler
Deutscher gemeint. In der neuen Ausstellung tauchen stattdessen als
Verantwortliche nur ein paar hundert Generäle auf, deren Porträts an
jedem Verbrechenskomplex erscheinen. Die bewaffnete Volksgemeinschaft
verschwindet so aus der Nähe des Völkermords.

*DRR: Sie betonen, dass die "Fusion von Volk und Führer" ausgeblendet
würde.*

H.H.: Dass die Wehrmacht an den genozidalen Verbrechen beteiligt war,
hatten schon die Nürnberger Prozesse und später exakter die kritische
Militärgeschichte gezeigt. Das Provokante an unserer Ausstellung war
erstens die These, dass die Stunde Eins des Holocaust in den besetzten
Gebieten begonnen hatte und dass die Wehrmacht in arbeitsteiliger
Weise an diesem Mord beteiligt war. Und zweitens der Nachweis, dass
sich nicht nur fanatische Nazioffiziere, sondern auch die Truppe an
dem massenhaften Mord beteiligte. Insofern warfen wir die Frage nach
der Mentalität der Soldaten auf. Die Antwort war, die mittlerweile von
der Forschung erhärtete und differenzierte, dass Antisemitismus und
Antibolschewismus - also ein sehr rabiater Rassismus - den Völkermord
möglich gemacht habe.

*DRR: "Die These steht", betont Reemtsma.*

H.H.: Die These, dass die Wehrmacht Verbrechen begangen hat, ja. Aber
die eben erwähnten weitergehenden Thesen sind nicht mehr zu finden.
Offensichtlich ging es dem HIS nur darum die nationalkonservative
Kritikermeute, um Horst Möller, Peter Gauweiler und so weiter, still
zu stellen. Da geht es nicht mehr um Wissenschaft, da geht es um
Politik.

*DRR: Die Wortwahl klingt nach persönlicher Abrechnung.*

H.H.: In meinem Buch geht es nicht um eine Abrechnung mit Herrn
Reemstma, der taucht gerade mal in einem Kapitel auf. Es geht vielmehr
darum zu zeigen, wie sich durch die ganze Geschichte der
Bundesrepublik das Bemühen hindurchzieht, statt die wirkliche
Vergangenheit zu akzeptieren, sich eine passende Vergangenheit zu
konstruieren. Dazu gehört, die Täter zum Verschwinden zu bringen. In
der Literatur bemühten sich schon in den 50er Jahren alte Nazi-Eliten
und neue Kalte Krieger diesem Zusammenhang in den Werken von Heinrich
Böll und Erich Maria Remarque keinen öffentlichen Raum zu geben. Bölls
"Kreuz ohne Liebe" wurde erst Jahrzehnte später, im Jahre 2002,
veröffentlicht, Remarques Buch "Zeit zu leben und Zeit zu sterben"
umlektoriert, damit die Wehrmacht entlastet wird und die Täter nicht
als Täter erscheinen. Ohne direkte Eingriffe der Verlage gehen indes
gerade in den jüngst erscheinenden Familienromanen Töchter und Enkel
einen fiktiven Dialog mit ihrem Vater oder Großvater ein, um eine
Versöhnung herzustellen, die von dem Wunsch ausgeht das Geschehene
ungeschehen zu machen.

*DRR: Uwe Timms "Am Beispiel meines Bruder" läuft diesem Rollback
entgegen. In ihrem neuen Buch beschreiben sie genau diese
gegensätzliche und ineinandergreifenden Debatten...*

H.H.: Natürlich gibt es Gegenbeispiele: Uwe Timm gehört dazu. Dass die
Täter verschwinden, wieder zu geschätzten Familienangehörigen werden,
ist natürlich ein komplexer Prozeß. Wahrscheinlich ist der neue
Familienroman auch nur eine Gegenreaktion auf die erste
Wehrmachtsausstellung. Diese hatte die Millionen Soldaten der
Wehrmacht, als wirkliche oder potentielle Täter, ja erst so scharf
ausgeleuchtet. Das verlief parallel zu anderen Projekten. Schon der
Film Schindlers Liste machte deutlich, dass ein im Grunde
unsympathischer Abenteurer und Geschäftemacher Handlungsspielräume
hatte, Juden zu retten. Diese ganzen Geschichten von Befehlsnotstand -
"man konnte nichts machen" oder "man wurde gleich an die Wand
gestellt" - erscheinen alle als Schutzbehauptungen. Dann kommt die
Veröffentlichung von Victor Klemperers Tagebüchern, in denen die
Volksgemeinschaft in Aktion gezeigt wird. Klemperer zeigt auch, was
ein von allen Informationen ausgeschlossener, verfolgter und vom Tod
bedrohter jüdischer Professor alles in Erfahrung bringen konnte. Der
berichtet über Auschwitz, kaum dass Auschwitz angefangen hat mit
seiner Vernichtungsarbeit; der ist informiert über die Verbrechen;
über die Verluste; über die Rückmärsche an der Ostfront. Christopher
Browning hat am Beispiel des Hamburger Polizeibataillons 101 gezeigt,
wozu einfache Polizeibeamte, ganz normale Männer, fähig waren. Und
Daniel Goldhagens Buch mit einer im Detail oft ungenauen und
mechanischen Beweisführung, aber mit der richtigen Fragestellung: wie
breit war eigentlich der Nationalsozialismus verankert in diesem Volk?
Das ist die entscheidende Frage. In diesem Klima kommt die
Wehrmachtsausstellung mit einer ähnlichen These. Diese mediale
Vehemenz erschütterte das bis dahin positive Selbstbild der
Kriegsgeneration und vieler Nachgeborener.

Die Deutschen haben ja schon im Krieg angefangen, sich als Opfer zu
sehen: Sie waren Opfer der Nazis, einer kriminellen Bande, die
irgendwo hinten im Haus eingestiegen ist, sich dann dort breit gemacht
hat, die Bewohner bedroht hat mit Gestapo, Gefängnis oder KZ. Dann
waren die Deutschen auch noch Opfer der anglo-amerikanischen
Terrorangriffe, der vormarschierenden Russen und später, nach 1945 die
Opfer der Siegerjustiz. Von Tätern weit und breit nichts zu
sehen. Hitler war es, so lautete die neue Dolchstosslegende. Und weil
der Führer nicht alleine diese gigantischen Verbrechen begehen konnte,
war es die SS, die ihm half. Das waren die Täter, da war die
bundesrepublikanische Öffentlichkeit sich einig. Alle anderen waren
gute, tapfere Deutsche gewesen, die nur ihre Pflicht erfüllt
hatten. Die Prozesse gegen Eichmann und einige Auschwitzmörder in den
60er Jahren wurden wie eine Bestätigung dieser Konstruktion
verstanden. Die oben genannten Filme und Bücher, vor allem die erste
Wehrmachtsausstellung, haben einen anderen Blick möglich gemacht: Dass
Millionen ganz normaler Deutscher an dem Verbrechen beteiligt waren
oder zumindest davon gewusst haben. Genau diesen Blick, der die Chance
eröffnet hat, sich der wirklichen, statt einer passenden Vergangenheit
zu konfrontieren, versuchen Bücher wie "Der Brand" von Jörg Friedrich
zu annullieren. In diesem Buch existieren die Deutschen nur als
Opfer. Dass in den Städten der nationalsozialistische Terrorapparat
weiter existiert, dass es dort Kasernen, Soldaten, Polizisten,
Rüstungsfabriken mit deutschen Facharbeitern gibt, die Tausende von
Zwangsarbeiter und KZ Häftlinge dirigieren, das alles leugnete
Friedrich. Dass der Autor dann auch noch den Bombenkrieg gegen die
Deutschen mit dem Holocaust an den jüdischen Mitbürgern gleichsetzt,
ist ebenso alarmierend, wie die Tatsache, dass die Feuilletons der
großen Zeitungen diesen Tabubruch nur als sprachliche Entgleisung
kritisieren. Nicht minder alarmierend ist, dass Bogdan Musial ohne
großen Widerspruch den Konsens der Forschung aufkündigt, wenn er in
seinem Buch "Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen", unter
Mißachtung aller historischen Fakten, erklärt, dass die Juden in der
Ukraine ein Tätervolk waren, weil sie angeblich nach 1939
überproportional dem sowjetischen Geheimdienstes angehörten und im
Sommer 1941 an der Ermordung von Häftlingen beteiligt gewesen seien.
Dass sie dann bei Einmarsch der deutschen Wehrmacht zu Zehntausenden
auf offener Strasse totgeschlagen wurden, sei als Ausfluss des
Volkszorns nur zu verständlich gewesen.

*DRR: Musial sprach anfänglich auch davon, dass 90 Prozent der Bilder
der ersten Ausstellung falsch seien...*

H.H.: Wie die internationale Historikerkommission festgestellt hat,
waren bei zwei von 1.433 Fotos falsche Bildlegenden aus den Archiven
übernommen wurden. Insgesamt hätten, so die Kommission, 20 Fotos wegen
ähnlicher Ungenauigkeiten bei den Bildlegenden nicht in die
Ausstellung übernommen werden können. Massive Bildfälschungen, wie es
die Historiker Musial und Ungvary behauptet hatten, lägen nicht
vor. Was zunächst wie eine wissenschaftlich berechtigte Bildkritik
erschienen war, erwies sich nach diesem Urteil als Teil einer
großangelegten Kampagne, der es nur um die Beendigung der Ausstellung
ging. Dass die Bildkritik zudem antisemitisch grundiert war, hat das
nachfolgende, oben erwähnte Buch von Musial bewiesen.

*DRR: Alles Revisionisten, außer Hannes Heer! So fassen Kritiker ihre
Position zusammen.*

H.H.: Das ist der Versuch mich in eine bestimmte rechthaberische Ecke
zu schieben. In meinem Buch gehe ich mit dem Vorwurf des Revisionismus
vorsichtig um: Jörg Friedrich allerdings bezeichne ich als
Revisionisten.

*Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Aufbau-Verlag, 2004, 395 S.,
22,90 Euro.*

*Internetversion - Abweichungen von der Printausgabe sind möglich!*

(http://www.nadir.org/nadir/periodika/drr/aktuelles.htm)

Aktuelle Ausgabe
No. 88
Mai / Juni 04

Schwerpunkt:

Neuer deutscher Opferdiskurs

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