Salut!
Alice Mï¿œller schrieb:
> Ich stelle mir ganz gut vor, daᅵ es aus der Beamtenbahn kommt, wo
> jeder strikt nach Dienstplan nur seinen Aufgabenbereich hatte und
> sich keiner um des anderen Job geschert hat.
Du musst es ja wissen. Meine Erfahrung ist allerdings eine andere. Zu
Bundesbahnzeiten war die Zusammenarbeit nach meinem Empfinden deutlich
besser, da sich nicht jeder auf "andere Firma, geht mich nichts an"
zurï¿œckziehen konnte und wollte. Ein Betriebseisenbahner sowieso nicht.
Fï¿œr den steht der sichere und pï¿œnktliche Bahnbetrieb im Interesse der
Kunden an erster Stelle.
> Eigenverantwortung gleich Null.
Ah. DB AG und Eigenverantwortung. Schï¿œne Story aus den ganz ganz frï¿œhen
Nach-GB-Traktion- und Handyzeiten (ca '95 oder '96): Ein Lokfï¿œhrer der
ganz jungen DB Regio soll eine Cargo 155 fï¿œr eine spï¿œtere Eilzugleistung
von der Unterflurdrehbank in Plochingen nach Stuttgart holen. Als ich
fï¿œr ihn beim Oberlokdienst eine Zugnummer erfrage, erfahre ich von einem
liegengebliebenen IC in Reichenbach (kaum 5km von Plochingen entfernt).
Ich biete meine Hilfe an, da ich weiᅵ, daᅵ der Lokfᅵhrer in Plochingen
mich wegen einer Zugnummer gleich nochmal anrufen wird. Man bittet mich
zu warten da man damals das noch relativ neue DB-Monopoly
(wer-zahlt-was? mit "Spielgeld") spielen wollen musste.
Als mein Mann in Plochingen sich meldete, bat ich ihn, noch nicht
abzufahren, da er ggf. den liegengebliebenen Zug holen sollte. Vom
mï¿œglichen Geschehen praktisch ein Hauptgewinn: Ein just
liegengebliebener Zug und eine besetzte Hilfslok kaum 5km weg.
Durch einen Zufall (oder auch eine beabsichtigte Verwechslung vor Ort,
keine Ahnung) haben sich der Lokfï¿œhrer und der Fahrdienstleiter ï¿œber den
Ortsfunk ebenfalls abgesprochen und bevor die Oberlokleitung ihr OK
geben konnte hing der IC am Haken der 155. Als das verhaltene und
beschrï¿œnkte ("erstmal nur bis Plochingen") Ok kam war der Zug schon in
Plochingen durch und ehe man sich versah war der Zug in Stuttgart am
Prellbock. Fï¿œr mich schien der Fall gegessen: Der Zug war von der
Strecke, meine Lok und die kaputte Lok waren auf dem Weg ins Bw und die
Reisenden konnten mit minimalen Beeintrï¿œchtigungen weiterreisen, da in
Stuttgart ohnehin Lokwechsel war.
Eine viertel Stunde spï¿œter gab es Chefbesuch: Ich hï¿œtte meine
Kompetenzen ï¿œberschritten, die Entscheidungsreihenfolge ï¿œbergangen und
ï¿œberhaupt "wie sollen wir einen Regiolokfï¿œhrer mit einer Cargolok vor
einem R&T Zug abrechnen?". Der Eisenbahner in mir hat schneller "Was
interessiert mich wie was gerechnet wird, die Reisenden wollen
weiterkommen." gesagt als ich denken konnte. Die Reaktion darauf hat mir
wirklich sehr viel Freude am Eisenbahnerdasein genommen.
> Mir ist sowieso aufgefallen, daᅵ je grᅵᅵer ein Betrieb
> ist, desto weniger Eigenverantwortung zeigen die Arbeiter, weil es
> keiner honoriert und weil es keinen interessiert.
Manglendes Interesse kï¿œnnte ich jetzt noch nicht einmal beklagen. Das
Problem ist vielmehr, daᅵ man bei der Bahnprivatisierung funktionierende
Strukturen zerschlagen hat und im Zuge der Vereinfachung und
Vereinheitlichung sehr viel kompetentes Personal abgebaut hat.
Erschwerend kommt hinzu, daᅵ man, um weniger kompetentes, sprich gerne
auch "billigeres", Personal einsetzen zu kï¿œnnen, die frï¿œher teilweise
recht lockeren Regeln immer enger geschnï¿œrt hat um Eigeninitiative durch
weniger kompetentes Personal zu erschweren. Das dient manchmal der
Sicherheit im Betrieb, aber hï¿œufig auch nur der Absicherung Interessen
der unterschiedlichen Bahnbetriebsteilnehmer untereinander.
Zudem kommt durch die Firmenvielfalt im Konzern immer mehr das
Wettbewerbsrecht zum Tragen, welches ᅵbermᅵᅵiges unentgeltliches
Zusammenarbeiten auch erschwert. Inzwischen sind wir ja soweit, daᅵ per
Netzzugangsbedingungen geregelt ist, wer wem zu welchen Konditionen wie
Hilfe leisten muss.
Diveres Qualitï¿œtsmanagements und andere Managerinstrumente erschweren es
einem zusï¿œtzlich, noch Initiative zu zeigen:
Ich habe keine Ahnung, was heute passierte, wenn man seiner Lok den
dringend benï¿œtigten Sand eigenhï¿œndig reinschaufelt, weil der damit
beauftragte gerade seine Arbeitsschutzpause hat. Wenn allerdings die Lok
wegen dem Auftrag "Sand fassen" ins Werk gefahren ist, darf sie erst
wieder raus, wenn das ganze im SAP korrekt verbucht ist, was der Tf
selbstredend mangels Zugang zu einem geeigneten System nicht erledigen
kann und auch eigentlich nicht will.
Fï¿œhrt man allerdings offiziell nur zum Parken ins Bw und fasst den Sand
selbst, also quasi schwarz, weil man den Betrieb im Blick hat tillen die
SAPler gleich ganz und hetzen mit "wir haben 25t Sand gekauft und nur
18t ausgegeben und trotzdem ist nichts mehr da" allen die "Werkspolizei"
zur Sandprobenentnahme in den heimischen Sandkasten im Garten. Ich
mï¿œchte gar nicht wissen, ob man da dem Tf nicht gar eine Beihilfe zum
"Sanddiebstahl" anhï¿œngen kï¿œnnte, wo der doch eigentlich nur am nï¿œchsten
Signal wieder sicher bremsen kï¿œnnen mï¿œchte ...
Wer jahrelang solche Kaspereien mit anschaut, der klemmt sich irgendwann
beim Betreten des Bahngelï¿œndes 'ne Wï¿œscheklammer ï¿œber die Initiativdrï¿œse
und macht nur noch seinen Job. Ab und an bekommt er etwas Augentinitus,
weil er dort wo es mal richtige Eisenbahner mit Ahnung und Leidenschaft
gab heute nur noch Pfeifen sieht.
Grᅵᅵle, Helmut
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