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Wehrschach?

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mischa gerloff

unread,
Mar 24, 1999, 3:00:00 AM3/24/99
to
Hallo,

ich hoffe, es ist kein anruechiges Thema: Im Koelner Stadtmuseum habe
ich ein Exemplar vom sog. "Wehrschach" aus dem III.Reich gesehen. Im
Internet und bei dejanews bin ich, was Geschichte und Regeln angeht,
nicht fuendig geworden. Weiss vielleicht jemand was zu dem Spiel?

Vielen Dank im voraus,
mischa.

Pit Schulenburg

unread,
Mar 25, 1999, 3:00:00 AM3/25/99
to

mischa gerloff <10136...@compuserve.com> schrieb in Nachricht
<36f819e8...@news.compuserve.com>...


Hallo, Mischa!

Stefan Bücker, Herausgeber des schwerpunktmäßig u.a. auch
schachhistorisch orientierten Fachmagazins "Kaissiber", verwies auf
mein Befragen zum Thema "Wehrschach" auf die Publikation "Schach
unterm Hakenkreuz" (genaue Quellenangabe siehe unten). Die daraus
zitierten nachfolgenden Textstellen wurden mit einer
Texterkennungs-Software erfaßt und wegen Zeitmangels von ihm nicht
nachbearbeitet. M.E. läßt sich der Text dennoch problemlos lesen,
zumal ich einen Teil des Buchstabensalats in eindeutigen Fällen dann
doch selbst korrigiert habe. Zieht man die Quellenverweise mit ein,
dürfte Erschöpferendes zum Thema "Wehrschach" so schnell nicht zu
finden sein. - Hier der übermittelte, grob korrigierte Text-Scan:

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5.2. Das Wehrschach
Die nationalsozialistische Variante des Schachspiels

Kurz vor Kriegsbeginn brachte der Verlag ,Die Wehrrnacht’ ein
Spielanleitungsbuch für ein Wehrschachspiel heraus 289 Dem Spiel lag
eine Idee aus dem 18. Jahrhundert zu Grunde, nach der den Spielern die
Kriegsmanöver durch ein schachähnliches Spiel beigebracht werden
sollten
290 Die Erfinder des Spiels kritisierten am herkömmlichen Schach, daß
die
Art und Weise der Auseinandersetzung auf dem Schachbrett nichts mit
der
tatsächlichen Kriegsführung gemeinsam hatte und von daher nicht dazu
tauge, zur Wehrerziehung beizutragen:

Seine Herkunft ist jedoch nur unvollständig auf unsere Tage gekommen,
ja,
die Schachwelt der letzten Jahrzehnte hat die ursprüngliche innere
Beziehung zum Wesen dieses königlichen Spiels fast gänzlich verloren.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß das alte Schach vollkommen
vergeistigt
ist. Die Brettsteine sind zu Figuren ohne tieferen Gehalt, ohne
symbolischen Hintergrund herabgesunken und stellen lediglich
Kampf~erte zur Durchführung einer abstrakten Gedankenschlacht dar.
Damit
ist das Schachspiel gewissermaßen zum Selbstzweck geworden." 291

In der Einführung in das Spiel heißt es:

,,Das Wehr-Schach hat vom alten Schach lediglich die Kampfidee und den
Namen übernommen, stellt aber im übrigen ein völlig neues Spiel dar
... Bei
der Schaffung des neuen Wehr-Schach-Spieles ,Tak-Tik’ hatten deshalb
die
Urheber ... das große Ziel im Auge, den militärischen Laien
Kampftaktik und
Einsatzweise neuzeitlicher beweglicher Kampfinittel, wie Artillerie,
Panzerkampfwagen, leichte und schwere Kampfflugzeuge, und ihr

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289 SchmeIßer~ Rudolf OLto, Dz Wehr-Schach Tak-Tlk~, ßerlin, 1938
290 ebd., 5.5
291 ebd., S.4

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Zusammenwirken mit der ,Königin der Schlacht’, der Infanterie,
wirklichkeitsgetreu darzulegen." 292

Das Spiel wurde auf einem elf mal elf Felder großen
,Spielbrett-Geländeplan’ ausgeflilist. Von den herkömmlichen
Schachfiguren blieb nichts mehr übrig; stattdessen mußten Infanterie,
Artillerie, Panzerkampfwagen~ Jagd- und Kampfflieger versuchen, eine
Hauptfigur zu schlagen

Eine große Verbreitung wird das Spiel nicht erfahren haben. Insgesamt
ist
es in einer Stückzahl von rund 25.000 erschienen 294 In den
Schachzeitschriften wurde das Wehr-Schach nicht besprochen. Lediglich
in
der Schachzeitsehrift Caissa beschäftigte sich Carl Otto einmal mit
dem
Wehr-Schach und gelangte zu dem Urteil, daß das Spiel taktische Mängel
besäße und die ,,Sandkastenspiele" der Militarstrategen nun auf ein
Schachbrett übertragen worden seien 295 Eine Durchsicht fast
sämtlicher
Schachzeitschriften aus der Zeit zwischen 1933 und 1944 hat nur eine
einzige Werbung für ein Wehr-296 Schach-Spiel ergeben

Das ,,zeitgemäße Kampf- und Turnierspiel" 297 hat demnach in der
Schachszene keine Rolle gespielt. Es ist anzunehmen, daß die Wehrmacht
das Spiel an die Soldaten verteilen ließ, denn zwischen 1940 und 1941
erlebte das Buch von Rudolf Otto Schmeißer noch vier weitere Auflagen,
die alle im Verlag ,Die Wehrmacht’ erschienen sind 2911 Die zweite
Auflage wurde mit den Worten eingeleitet: ,,Als wichtiges
Hilfsmittel der Wehrerziehung hat sich u.a. der rasch populär
gewordene ~Wehrschachsport’ erwiesen, der die wehrbegeisterte deutsche
Generation mit den Grundlagen des militärischen Denkens vertraut macht
und zudem eine wertvolle Geistesschulung vermittelt." 299

Auch wenn dem Spiel eine Idee aus dem 18. Jahrhundert zu Grunde
gelegen
haben mag, darf auf Grund der Tatsache, daß es kurz vor Kriegsbeginn
im

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292 ebd., S.5f
293 Die weiteren Rqeln interessieren hier nicht. Es soll hier
lediglich
eine Vorstellung vennittelt werden, wz dz Crundsät’liche des
Wehr-Schachspiess ausrnachte.
294 Dies geht aus einer Zuschrift von Hermann Hipp an den Verfzser
hervor (August 1 993). Hipp beschäftIgt sich seit mehreren ]ahren mit
der
Erfor’schung von Kriegs- und Wehrschachspielen.
295 Caissa-Neue Folge 1, 1 938, Nr.3, 5.1; mehr zu Car1 Otto und
seinen
Publikationen in Kapitel 8. 296 Schach, Organ der DSG der
NS-Gerneinschaft KdF~, 1938, März, 5.48
297 Schmei8er, Rudolf OttO, Dz Wehr-Schach ,Tak-Tik~, Titelseite
298 ,,g1. Melssenburg, Egbert, Die deutsche Schachliteratur
während des
Zweiten WeltkrIeges, S.27f 299 ebd.
89

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Deutschen Reich erschienen ist, behauptet werden, daß es sich hierbei
um
eine nationalsozialistische Abart des Schachspiels gehandelt hat.
Offensichtlich war es ein kleiner Baustein in der
nationalsozialistischen
Kriegspropaganda, der dem deutschen Volk den Krieg auf spielerische
Art
nahe bringen wollte. Zu Recht ist es von der deutschen Schachszene
nicht
angenommen worden 300 Hipp dagegen behauptet, daß das Wehrschach gut
angekornmen wäre und nur der Krieg Schuld gewesen sei, daß es sich
nicht rIchtig durchgesetzt habe. Diese seltsame LogIk soole
offensichtlich falsche Aussagen (,Es gab vel Werbung fü das Wehrschach
’, ,Es gab an der Front keine Turniere’) machen Hlpp eher zu einer
fragwürdigen Quelle. Offensichtlich kt Hipp dem Fehler unterlegen,
sein ,Steckenpferd’ zu überlnterpretleren.

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Aus: Ralf Woelk: Schach unterm Hakenkreuz. UT: Politische Einflüsse
auf das
Schachspiel im Dritten Reich. (Band 3 der "Tübinger Beiträge zum Thema
Schach", herausgegeben 1996 von Dr. Hans Ellinger. ISBN 3-88502-017-3,

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Wir hoffen geholfen zu haben (Das Thema hat mich auch interessiert).
Da ich mit dem Umfang des hier Wiedergegeben außerdem an die Grenzen
des guten "Zitier"-Geschmacks stoße, hoffe ich, daß mir Autor bzw.
Herausgeber der o.g. Publikation im Falle ihrer Zufallsentdeckung
dieses Postings verzeihen werden, daß ich nicht um Erlaubnis gebeten
habe...

+!
Pit Schulenburg


Alfred Pfeiffer

unread,
Mar 25, 1999, 3:00:00 AM3/25/99
to mischa gerloff
Vorschlaege, wie man beim Schach beide Seiten mit "zeitgemaesserem"
(d.h. den aktuellen militaerischen Mitteln entlehnten) Material
ausstatten koennte, gab es in der Geschichte schon viele, und
vermutlich werden auch weiterhin solche Erfindungen auftauchen.
Deshalb halte ich die Frage nach den Regeln solcher Varianten
nicht fuer anruechig.

Die deutschsprachigen Quellen fuer diese Schachvariante kenne ich
nicht, doch die Regeln dafuer befinden sich u.a. auch in dem Buch

David B. Pritchard: "The Encyclopedia of Chess Variants",
Games and Puzzles Publications, 1994, ISBN 0-9524142-0-1.

Ueber deren Richtigkeit und/oder Vollstaendigkeit kann ich mangels
Vergleichsmoeglichkeiten aber nichts aussagen.


Beste Gruesse,
Alfred Pfeiffer


--
Alfred Pfeiffer, TU Chemnitz, Fak. Informatik/DVS, D-09107 Chemnitz
Tel.: +49 (0)371 531-1322 | eMail: a...@informatik.tu-chemnitz.de
Fax : +49 (0)371 531-1530 | WWW: http://www.tu-chemnitz.de/~apf/

mischa gerloff

unread,
Mar 30, 1999, 3:00:00 AM3/30/99
to
Na, da kann ich nur sagen:

Danke!!!

Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde, hatte viel um die Ohren.
Da werde ich mal schauen, ob sich dieses Wehrschachbuch vielleicht
noch in irgendeiner Bibliothek findet.

Bei dem namen "Tak Tik" machte es bei mir Klik Klak, dafuer habe ich
beim Durchsehen der Zeitschrift "Wehrmacht" mal Anzeigen gesehen.

Nochmals Danke fuer die Muehe.

mischa

fell...@googlemail.com

unread,
Apr 3, 2015, 6:43:00 AM4/3/15
to
Moin. Mittlerweile gibt es Wehrschach auch als Android App. ;)

Burkart Venzke

unread,
Apr 4, 2015, 5:37:43 AM4/4/15
to
Am 03.04.2015 um 12:42 schrieb fell...@googlemail.com:
> Moin. Mittlerweile gibt es Wehrschach auch als Android App. ;)

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