Techno Techno – Sandwell District

0 views
Skip to first unread message

Handicap4free

unread,
Jun 19, 2012, 12:16:35 PM6/19/12
to dance-techno
Techno Techno – Sandwell District
Karl O’Connor schuf als Regis seine eigene extradarke Variante von
Techno, die in der Zusammenarbeit mit Surgeon als British Murder Boys
ihren Höhepunkt erreichte. Zusammen mit Dave Sumner arbeitet er jetzt
mit den Releases auf Sandwell District an der Urform der
Technodefinition: Anonymität.


Von Gabriel Roth (Text) & Johan Delétang (Bild)

Aus dem Special in De:Bug 136: TECHNO TECHNO
Sandwell District ist eigentlich der Name eines Bezirks in Birmingham,
der Heimatstadt von Karl O’Connor alias Regis. Von dort betrieb er
sein legendäres Label “Downwards”, das für harten, darken Techno
stand. Mitverwurstet wurden hier Einflüsse von Industrial, Musique
Concrète und dem, was man laut Regis in den 80ern noch “Trance”
nannte.

“Bevor der Begriff vergewaltigt wurde und verkauft. Eine Musik, die
einen Hypnosezustand hervorrufen kann. Diese Trance-Zustände
interessierten mich. Wir konstruierten Dream-Machines – wie von
William Bourroughs beschrieben -, eine Art von Lichtorgel, die dich
durch ihr flackerndes Licht in Trance versetzt. Das ist noch immer der
Zustand, den wir zu erreichen suchen, wenn wir unsere Tracks
aufnehmen. Wir nennen es das Mantra: ein meditativer Zustand, der
durch hypnotische Loops und Klänge hervorgerufen wird.”


Hat sich Regis also schon vor der Ankunft von Techno mit
elektronischer Musik beschäftigt?
“Techno war nicht meine erste musikalische Entdeckung. Als diese
Geschichte in England so etwa 1989 losging, hatte ich schon einige
Jahre elektronische Musik produziert und fand es sehr schwer, die
beiden miteinander auszusöhnen. Der Club-Aspekt hat mich immer
verwirrt, da geht’s ja bloß ums Tanzen. Wir hingegen schauten immer
über den Rand des Dancefloors hinaus. Was mir an Techno wirklich
revolutionär erschien, war, dass diese Musik die DNA von Rock’n’Roll
aufbricht, wie es früher schon Punk versuchte. Nicht mehr immer nur
Verse-Chorus-Bridge, sondern eben ein einziger hypnotischer Groove.”

Hinter den Tanzflächen

Das Über-den-Dancefloor-hinaus-Schauen wird niemand abstreiten.
Besonders in seinem Projekt Projekt British Murder Boys, das er
zusammen mit dem, auch aus Birmingham stammenden Surgeon betrieb,
lotete Regis die Extreme von Techno aus. Totale Dunkelheit. “Wir
versuchten, Elemente aus der Performance-Kunst mit in die Sets zu
integrieren”, sagt er, “und ich glaube, dass wir diese ganze Sache zu
ihrem natürlichen Ende gebracht haben.

Die tatsächliche Definition von Wahnsinn ist es ja, etwas immer und
immer wieder zu tun, und in diese Richtung ging das. Solche
Geschichten bergen immer die Gefahr, dass du zu einer Parodie deiner
selbst wirst, und diesen Punkt hatten wir wohl erreicht.”

Alte Bekannte



Nun zieht ein neues Projekt von Regis die Aufmerksamkeit auf sich:
Sandwell District, noch in Birmingham als Nebenprojekt zu Downwards
begonnen, scheint erstmals ein Bruch mit der alten Klangästhetik zu
sein – deutlich weniger schroff im Klang, modernisierte, also
heruntergeschraubte Tempi. Hat er keine Lust mehr auf Revolte?

“Sandwell District ist bedeutend geplanter”, sagt Regis. “Was jedoch
immer noch bleibt, ist die Spannung. Wir befinden uns am Rande eines
Abgrunds, das ist der Zustand, den ich mag. In welcher Form diese
Spannung dann stattfindet, ist sekundär, aber sie drückt immer durch”.
Wenn die Musik auf Sandwell District, auf dem neben Regis und Function
noch Silent Servant und Female veröffentlichen, auch weit weniger
tost, so bezieht sie ihre Energie doch aus der gleichen Lebenswelt –
das Abwärts! des Birmingham Sounds schwingt noch mit.

Function

Mit seinen grauen, zurückgekämmten Haaren, dem Bart und der immer
präsenten verspiegelten Fliegerbrille könnte man Dave Sumner auf den
ersten Blick eher für einen passionierten Rock’n’Roll-Sammler halten
als für einen Techno-DJ und Produzenten. Doch fällt einem bald die
Blässe seines Teints auf, die erahnen lässt, dass er seine Zeit in
abgedunkelten Studios verbringt. Auf seinem linken Unterarm prangt
eine tätowierte Feder.

Sumner ist der neue Labelpartner von Regis. Unter dem Alias Function
veröffentlicht er seit den Mittneunzigern bleepigen Techno. Und der
gebürtige New Yorker ist der Produzent der zwei Platten auf Sandwell
District, die bislang die größte Aufmerksamkeit bekommen haben. Die
Tracks auf “Isolation” und “Anticipation” bestehen aus elegant
arrangierten Bleeps mit Anleihen bei Sleeparchive, die jeweils auf ein
großen Euphoriemoment aufbauen: Das Abtauchen des 808-Rimshots im
Kavernenhall. Musik, die sehr gut den State of the Art von Techno
beschreibt. Von unnötiger Hast befreit, die Härte vergangener
Technohochtage sublimierend.

In der Tat besteht auch eine Verbindung zu Sleeparchive: Nachdem
Function ihn für eine Party in New York gebucht hatte, gab er gleich
den ersten Remix der Berliner Produzenten für “Infrastructure” in
Auftrag.
Der Erfolg von “Isolation” und “Anticipation” übertraf alle
Erwartungen, wie Function sagt: “Wir bekommen im Moment sehr viel
Aufmerksamkeit, viel mehr, als wir uns je erhofft oder gewollt haben.
Die Anerkennung tut gut, aber im Moment fühlen wir uns, als ob wir die
Sache nicht mehr steuern können.

Wir überlegen sogar, das Label zu stoppen. Wir wollten einfach nur
undergroundige Technoplatten veröffentlichen. Deswegen steht auf
meinen neuen Releases auch nicht mehr mein Name. Der Hype quält mich.
Plötzlich waren da all diese Menschen, die auf meine nächstes Release
warteten. Deswegen laufen die Platten nun unter N/A.”

N/A bedeutet Not Applicable, nicht zutreffend, nicht anwendbar. Man
reiht sich also in eine lange Techno-Tradition ein, die den Fokus weg
vom Künstler und hin zum bloßen Produkt lenkt. “Weißt du”, sagt
Function, und ein rares Lächeln spielt um seine Lippen, “aus Techno
wurde in den letzten Jahren diese seltsame, schamlose Selfpromotion-
Maschine. Die Leute kümmert nichts. Hauptsache, sie sind on top. Ich
glaube, das ist ein Grund, weshalb Sandwell District so gut läuft, aus
dem gleichen Grund, weshalb Hardwax und die Labels in seinem
Dunstkreis so gut funktionieren.

Wohin nun?



“Seit einer Weile betreiben wir einen Blog, und um diesen, uns nun
umgebenden Widerständen Ausdruck zu geben, haben wir ihn “where next?”
genannt. Zuerst war Sandwell District bloß eine Möglichkeit, Tracks zu
veröffentlichen, die herumlagen, ein weiteres kleines, zielloses
Kunstprojekt, aber nun haben wir plötzlich das Gefühl, unter einem
Mikroskop zu liegen und beobachtet zu werden.

Wir könnten sehr einfach eine Menge mehr an Musik veröffentlichen,
aber wir versuchen, die Anzahl der Veröffentlichungen knapp zu halten,
damit die Sache sich nicht in etwas entwickelt, was wir nicht mehr
handhaben können. Wir folgen keinem Businessplan, wir arbeiten an der
Peripherie der Technoindustrie und wollen explizit einen gewissen
Abstand zu ihr wahren. Die ganze Promotion hilft gar nicht, mehr
Platten zu verkaufen, sie hilft bloß, mehr Hype zu generieren.”

Flucht aus New York

Function hatte in New York mehrere Partyreihen laufen. Weshalb hat er
der Stadt den Rücken gekehrt?
“Ich zog zuerst vorübergehend nach Berlin, aber einmal hier, merkte
ich, dass sich in meinem Leben etwas verändern musste. Hier in Berlin
habe ich erreicht, was ich in zehn oder zwölf Jahren in New York nicht
erreichen konnte. Vieles davon hat damit zu tun, mit Regis in der
gleichen Stadt zu leben, mit ihm so eng zusammenzuarbeiten.

Die ganze Zeit über, als ich in New York Partys veranstaltete, fühlte
ich mich nie wohl in der Rolle des Promoters. Aber die Musik, die mich
interessierte, wurde in New York nicht repräsentiert. 91 bis 93 war
die Szene in New York toll, wir hatten das ‘Limelight’, viele Clubs
mit Techno-Nächten, das New Music Seminar, etwas Ähnliches wie die
Winter Music Conference. Da spielten dann Kevin Saunderson, Juan
Atkins, Jeff Mills, Dan Bell und Richie Hawtin, alle an einem
Wochenende.

Der einzige Grund, weshalb ich dann Partys veranstaltete, war ein
Gefühl der Verpflichtung: Wenn ich es nicht tat, tat es niemand. Aber
jetzt, wo ich in Berlin wohne, ist das eine ganz andere Geschichte.
Ich habe meine Party, die im New Yorker “Bunker” mit 300 Leuten pro
Woche stattfand, mit Berlin ausgetauscht: jede Nacht zehn verschiedene
Partys”.



Aus dem Special in De:Bug 136: TECHNO TECHNO
www.theprodigy.com
Reply all
Reply to author
Forward
0 new messages