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Die entscheidenden Kapitalkreise (Was: Re:Neue Einheit: Weg mit der Ökosteuer!) - Antwort an N. Dudda

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Verlag Neue Einheit

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Sep 22, 2000, 3:00:00 AM9/22/00
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Werter Nils Dudda,

So eine kleine Frage ist das nicht, sondern eine ganz zentrale.

"Die entscheidenden Kapitalkreise" sind die Kreise des internationalen
Kapitals, bei denen die weltweiten Einflußlinien des Kapitals
zusammenlaufen. Dieses Kapital reicht auch nach Deutschland hinein, und
ein Teil des deutschen Kapitals ist Teil von diesem Kapital. Das ist eine
ziemlich komplexe Frage, und ich werde mich bemühen, das für die
Redaktion Neue Einheit zusammengefaßt zu beantworten.

Diese Hauptknotenpunkte liegen seit langem bei dem internationalen
Finanzkapital, zu denen man auch die Allianz-Deutsche Bank-Gruppierung
rechnen kann, um die größte und einflußreichste in Deutschland zu nennen,
die bis vor kurzem sich auch als Unterstützer der gegenwärtigen Regierung
hervorgetan hat. Man kann davon ausgehen, daß dieses einflußreiche
Kapital sich weltweit heute auf einige wenige Hundert Familien
konzentriert. Von der Zeit etwa Anfang dieses Jahrhunderts bis in die
fünfziger Jahre waren die Kapitalgruppen mit dem größten Einfluß relativ
übersichtlich und bekannt: die Morgan Gruppe, die Rockefeller Gruppe, eine
weitere die Mellon Gruppe. Seitdem hat sich dieses Kapital teilweise
aufgesplittert und ist im Zuge der industriellen Umwandlung neue
Verbindungen eingegangen. Diese Gruppierungen sind dadurch
undurchsichtig geworden, aber ihre Handschrift ist immer noch spürbar. Die
Politik der Demokratischen Partei der USA, die Partei Clintons, ist bis
heute der unmittelbarste Ausdruck der finanzoligarchischen Interessen, der
USA.

Bezüglich Deutschland spricht man spöttisch von der "Deutschland AG",
damit meint man, daß das deutsche Kapital sich in einem gewissen Grad
gegen den Zugriff von ausländischem Kapital abzuschirmen suchte.
Obwohl die USA und Großbritannien natürlich seit dem zweiten Weltkrieg
ihre Positionen in Deutschland hatten, versuchte die "Deutschland AG",
sich gegen ein weiteres Eindringen einzuigeln. Die Kohl-Regierung und
überhaupt die CDU/CSU entsprachen in der Tendenz dieser Richtung in
vergangenen Jahrzehnten, nach dem Prinzip: Bündnis ja, aber eine gewisse
Position wollen wir noch behaupten. Die SPD ist schon immer hinter ihrer
sozialen Attitüde, bis auf Ausnahmefälle viel stärker angepaßt an die
Finanzoligarchie der USA und Großbritanniens. Vor der Hand soziales und
demokratisches Gerede, in der konkreten Praxis dann eine knallharte Politik
im Interesse des internationalen Kapitals, eine Beobachtung, die nicht erst
seit Schröder und Blair ihre Gültigkeit hat.

Die Einigelung ist nicht mehr haltbar, sie bricht unweigerlich im
Zusammenhang mit der Globalisierung auf. Und das ist gut so. Das sagen
fast alle, selbst die proletarische Partei unterstützt diese Umwandlung,
weil Formen der Erstarrung nun mal der Entwicklung entgegenstehen. Natürlich
versucht auch das deutsche Kapital sich zu internationalisieren und tritt
dabei erneut in Konkurrenz zu anderem ausländischen Kapital.
International haben sich in den neunziger Jahren weitere Änderungen
ergeben. Es kommt zu einer Vernetzung des internationalen Kapitals, die
einzelnen nationalen Kapitale lösen sich in der Tendenz auf. Der
Schwerpunkt in den USA aber ist geblieben.
In Asien sind neue Finanzgruppen entstanden, "Tycoons", die zu den
angelsächsischen in deutlichen Widerspruch getreten sind. Manche
glaubten, wie zum Beispiel der Buchautor John Naisbitt ("Megatrends
Asien"), sie hätten die Zukunft in der Tasche. Die Krise von 98 hat aber
gezeigt, daß die "Alten" aus den USA plus London und den Ablegern in
Europa immer noch an der Spitze stehen. Die USA bilden heute die Macht,
die fast alles, das größte Kapital, die größten Verbindungen und die bei
weitem größte Militärmacht repräsentieren.

"Einflußreiche Wirtschaftsvertreter" meinten wir?. Das ist schon richtig.
Fragt sich nur was man darunter versteht. Die meisten verbinden nämlich
Leute wie v. Pierer (Siemens), Olaf Henkel oder Stiehl damit. Nur der
erstere davon hat internationale Bedeutung. Und ob er aber zu den Kräften
gehört, die ich hier beschreiben habe? Ich würde sagen, allenfalls am Rande.

Früher waren detaillierte Darstellungen des Kapitals erschienen, vor allem
in der DDR. So etwas fehlt hier. Das ist heute ein Tabuthema. Und die
bürgerliche Soziologe ist viel zu lakaienhaft, um sich an das Thema
heranzuwagen. Das fehlt heute, und ich richte meine Frage selbst an das
Net, ob eine moderne detailliertere Darstellung bekannt ist.

>Nur welches Interesse haben die an einer Drosselung der wirtschaftlichen
>Entwicklung?

Die Bourgeoisie hat *eine ambivalente Stellung* zur Entwicklung der
Produktivkräfte. Das stellten schon Marx und Engels seit dem
Kommunistischen Manifest dar. Das ist nicht neu. Auf der einen Seite muß
die Bourgeoisie die Entwicklung der Produktivkräfte fürchten, auf der
anderen Seite ist sie auf eben dieselbe Entwicklung angewiesen. Sie müssen
fürchten, daß letztlich aus der Entwicklung der Produktivkräfte unterstützt
von großen Verschmelzungen der vergesellschafteten Produktion auch die
Kräfte erwachsen, die sie überwinden. Und für die Spitzen der Bourgeoisie,
von denen ich vorher sprach, gilt das in einer besonderen Weise. Schon
Ende der sechziger Jahre traten die Überlegungen der Bourgeoisie, die diese
Aspekte verkörpern, in einer besonderen Weise hervor. Ein Sprachrohr
davon war der sogenannte "Club of Rome". Er legte 1972 einen sogenannten
Bericht vor, in dem er mit einem ominösen Zahlenwerk zu beweisen suchte,
daß bis 1975 unbedingt ein Wachstumsstop erreicht werden sollte. Auch
weiterhin geisterten bei verschiedenen Presseerzeugnissen der Bourgeoisie
die Ideen von "Nullwachstum" und "gebremstem Wachstum" in allen
möglichen Variationen herum. Später korrigierte sich der Club of Rome,
mußte seine unhaltbaren Thesen abändern.

Was Deutschland direkt angeht, so setzte ziemlich genau mit dem
Regierungsantritt des Bundeskanzlers Schmidt eine öffentliche Kampagne
ein, die auf Demontage der Kernenergie hinauslief und auf Angriffe auf
andere moderne Produktionszweige. Sie diente von Anfang an als
Katalysator bei der Hinausverlagerung von Industrie aus Deutschland in
andere Regionen. Natürlich hat es keinen weltweiten Wachstumsstop
gegeben, dazu sind sie garnicht fähig, aber in Deutschland selbst ist die
Produktion zum Teil beträchtlich eingeschränkt worden. Der relativ enge
innere Markt ist ein Phänomen bei uns, gemessen an dem ständig sich
erweiternden Exportvolumen, das durch die internationale Produktion des
deutschen Kapitals erzeugt wurde.

Als diese Entwicklung Mitte der siebziger Jahre in Gang gesetzt wurde,
wurde auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Deutschland
nicht nur gedrosselt, sondern auch "verbogen", wie es in dem Extrablatt
hieß. Damit wollte der Verfasser Walter Grobe ausdrücken, daß die
Verunglimpfung der eigenen Industrie und die Verunglimpfung der eigenen
technischen Potenzen, wie sie in der Anti-AKW-Kampagne und in anderen
"alternativen" Ideologien hervortrat, eine Liquidation ganzer
Produktionszweige und die Liquidation bestimmter Wissenschaften, eine
regelrechte Verbiegung der ökonomischen und auch der kulturellen
Landschaft beinhaltete.
Es ist noch einmal daran zu erinnern, daß die sogenannten grünen Ideen
der Drosselung der Entwicklung, ja sogar der Propagierung des Stillstandes,
wie sie bei ihnen in den achtziger Jahren durchweg vertreten wurden, nicht
etwa aus der Studentenbewegung oder aus der linken Bewegung gekommen
sind, sondern daß diese Ideen aus Kapitalskreisen gekommen sind.
Sogenannte "Linke" und solche, die die eigene revolutionäre Existenz
aufgegeben haben, haben diese Ideen aufgegriffen und nachgeredet. Wir
sind übrigens gerne bereit, an anderer Stelle einmal ausführlich zu
zitieren, wie diese Ideen schon in früheren Jahrzehnten vor den siebziger
Jahren aus Kapitals- und rechten Kreisen geboren wurden, dort gepflegt
wurden, längere Zeit ein wenig ein Mauerblümchendasein führten, und später
von der sogenannten "linken Bewegung" als "ihre Thesen" ausgegeben wurden.

Die Drosselung der Industrie im eigenen imperialistischen Land und die
Verlagerung der Produktion in andere Länder ist nicht völlig neu, nicht
etwa erst im letzten Quartal des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden. Lenin
berichtet schon über die Politik des Cecil Rhodes in Großbritannien, der
schon gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts verkündet hat, daß die
"Arbeiterfrage" so brennend geworden ist, daß man die Industrie aus den
entwickelten kapitalistischen Ländern wie England herausverlagern solle,
die Klassenwidersprüche an der Entfaltung im eigenen Land hindern solle,
und zur Ausbeutung der unterdrückten Völker und Nationen in den
damaligen kolonialen Ländern übergehen sollte. Heute sind es nicht mehr
die direkten kolonialen Länder, sondern die wirtschaftlich abhängigen
Länder, die diese Rolle spielen.


> "Seit Mitte der siebziger Jahre" beinhaltet aber im Wesentlichen 16 Jahre
> Kohl.

Ja, das ist nicht falsch, aber davor liegen acht Jahre der Regierung
Schmidt, in der diese Entwicklung schon eingeleitet wurde, die von der
Regierung Kohl in der Hauptsache auch so fortgesetzt wurde. Allerdings hat
es die Regierung Kohl unter den konkreten Bedingungen Ende der achtziger
Jahre erreicht, die deutsche Einheit durchzusetzen, was von der
Sozialdemokratie und auch von den mit ihr verbündeten Presseorganen lange
Zeit als eine völlige Abwegigkeit, als Wunschdenken oder gar als "Lebenslüge
der deutschen Nation" bezeichnet wurde.
Auch während der Regierung Kohl waren die SPD und die Grünen immer
die "Ultras", die diese Entwicklung forciert haben, die die
antiindustriellen Ideen in die Bevölkerung getragen haben und sich auch in
Länderregierungen in einer besonderen Weise hervorgetan haben.

Ich möchte jetzt hier auf mein Memorandum zum sogenannten "Ausstieg
aus der Kernenergie" und zu dem "Konsens" verweisen. (siehe,
http://www.neue-einheit.com/memo/is2000-17.htm)
Die Gruppe Neue Einheit hat übrigens als einzige linke Organisation diese
Frage der Produktionsverlagerungen und der Veränderung der industriellen
Zusammensetzung seit Ende der siebziger Jahre zu einem Zentralpunkt all
ihrer Betrachtungen gemacht, wie es angesichts der objektiven Rolle, die
dies spielt, auch sein muß.

Dies ist natürlich eine kurzgefaßte Antwort, weil ich jetzt auf Ihre Anfrage
kein ganzes Buch schreiben kann, aber es ist ein Thema für ein ganzes
Buch, die soziale Entwicklung etwa seit 1968 zu behandeln. Dazu gehört
auch die Bevölkerungsentwicklung, die Gastarbeiterfrage zwischen 1968
und 1973, die Entwicklung der Verlagerung und die neue Entwicklung der
internationalen Verschmelzung und schließlich die Veränderung durch die
neuen Techniken.

Salut
Hartmut Dicke 21.September 2000


C 2000 Hartmut Dicke


----- Original Message -----
From: Nils Dudda <ni...@duddi.de>
Newsgroups: de.talk.tagesgeschehen
Sent: Monday, September 18, 2000 11:49 AM
Subject: Re: Neue Einheit: Weg mit der Ökosteuer !


ver...@neue.einheit.com teilte uns mit:
> Die Rentenversicherung wie auch die anderen Sozialversicherungen
> sind vor allem deswegen so teuer, weil durch die Politik des Staates
> und der entscheidenden Kapitalkreise schon seit Mitte der siebziger
> Jahre die wirtschaftliche und soziale Entwicklung gedrosselt und
> verbogen wurde, weil das Land bereits in starkem Maße
> desindustrialisiert worden ist und noch viel weiter werden soll,
> insbesondere wenn es nach den Grünen und der SPD geht.

"Seit Mitte der siebziger Jahre" beinhaltet aber im Wesentlichen 16 Jahre
Kohl.

Und mal so 'ne Frage: Wer sind "die entscheidenden Kapitalkreise"? Ich
vermute, damit sind einflußreiche Wirtschaftsvertreter gemeint. Nur
welches Interesse haben die an einer Drosselung der wirtschaftlichen
Entwicklung? Vielleicht bin ich zu blöd, aber das verstehe ich nicht.

MfG
Nils Dudda

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