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Presseschau Kurdistan, 17.01.00 (2)

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Maurice Merlin

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17 Ιαν 2000, 3:00:00 π.μ.17/1/00
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## Betreff: Presse Kurdistan 17.1.
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BRD: Druck auf Justiz wächst: Hungerstreik von Ilhan Yelkuvan; Chef
des Ausländeramtes in Verden soll sich wegen »Kindesentziehung«
verantworten; 30.000 KurdInnen in Hamburg und kein Dolmetscher für
ihre Sprache; Ausstellung "Haymatloz": Fluchtpunkt und
Zwischenstation Türkei;

jw, 17.1.
Druck auf Justiz wächst
Proteste von türkischen und kurdischen Gefangenen fortgesetzt. Behörden
spielen auf Zeit

Der Hungerstreik von türkischen und kurdischen Gefangenen in deutschen
Strafanstalten gegen die Isolationshaft geht weiter. Während sich der
Gesundheitszustand einiger Häftlinge dramatisch verschlechtert hat,
versuchen die Anstaltsleitungen, den Abbruch des Streiks zu erzwingen. Doch
der politische Druck auf Justizbehörden und Gerichte wächst.

Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke stellte sich mit einer
schriftlichen Erklärung demonstrativ hinter die Forderung der Gefangenen
nach Aufhebung der Isolation. In dem Schreiben heißt es, das System der
Isolationshaft werde »zu Recht als >weiße Folter< kritisiert«. Jelpke
appelliert an die Justiz, »die Schikanen gegen die Gefangenen einzustellen
und ihre Haftbedingungen zu verbessern«.

Hans-Eberhard Schultz, Bremer Anwalt des seit 48 Tagen in Hamburg
hungerstreikenden Ilhan Yelkuvan, plant, eine Verfassungsbeschwerde beim
Bundesverfassungsgericht einzureichen. Das Gericht könnte per Einstweiliger
Anordnung die Aufhebung der Isolationshaft durchsetzen.

Die länger als ein Jahr andauernde Isolation des Sympathisanten der
Revolutionären Volksbefreiungspartei - Front (DHKP-C) ist Auslöser für den
bundesweiten Hungerstreik, an dem inzwischen 15 Gefangene beteiligt sind.
Yelkuvan muß sich in der Untersuchungshaftanstalt 23 Stunden am Tag in
einer winzigen, völlig weiß gestrichenen Zelle aufhalten. Jeder Kontakt zu
Mitgefangenen ist ihm verboten. Seinen Hofgang erhält er zwischen vier und
fünf Uhr morgens, weil das Gelände dann noch menschenleer ist. Die
Entscheidung über einen von Rechtsanwalt Schultz gestellten Antrag auf
Verlegung in den sogenannten Normalvollzug einer anderen Haftanstalt wird
vom Gericht hinausgezögert. Mit der Begründung, man müsse erst prüfen, ob
dort die medizinische Versorgung des Hungerstreikenden gewährleistet sei.
»Das hätte man auch schon früher prüfen können« gab der Anwalt gegenüber
junge Welt zu bedenken.

Das Gericht spiele hier ganz offensichtlich auf Zeit. Doch gerade die haben
die hungerstreikenden Gefangenen nicht. Der Gesundheitszustand von
mindestens drei an der Aktion Beteiligten hat bereits ein kritisches
Stadium erreicht. Der seit dem 7. Dezember in der Justizvollzugsanstalt
Aachen hungerstreikende Erdogan Cakir liegt seit vier Tagen auf der
Krankenstation. Nach Angaben aus Solidaritätskreisen, versucht ihn die
Anstaltsleitung mit andauernden Mißhandlungen zum Abbruch des Streiks zu
zwingen. So sollen die Wachen den geschwächten und unter Tuberkulose
leidenden Häftling während einer Fahrt zu einer ärztlichen Untersuchung in
ein Haftkrankenhaus bei Dortmund stundenlang kalter Zugluft ausgesetzt haben.

Die in Hamburg am Hungerstreik beteiligten Nihat Durmus und Ali Ekti leiden
unter schweren Kreislaufstörungen und können kaum noch ohne fremde Hilfe
gehen. Ekti erbricht alle zu sich genommene Flüssigkeit. Durmus droht die
Anstaltsleitung mit der baldigen Zwangsernährung. Es ist zu befürchten, daß
einige der Hungerstreikenden schon in den nächsten Tagen einen
lebensbedrohlichen Zustand erreichen.

Jörg Hilbert, Hamburg

* Veranstaltung zum Hungerstreik mit den Rechtsanwälten Hans-Eberhard
Schultz und Dr. Heinz-Jürgen Schneider sowie der Vertreterin der
Prozeßgruppen zu den DHKP-C- Verfahren Elif Saglam: Hamburg, Donnerstag,
20. Januar, 19.30 Uhr, Hochschule für Wirtschaft, Von-Melle-Park 9.

taz Hamburg, 15.1.2000 Seite 22 Hamburg
Hungerstreik zeigt Wirkung
Haftbedingungen für türkischen Funktionär leicht gelockert

Der Hungerstreik des linken türkischen DHKP-C-Funktionärs Ilhan Yelkuvan
gegen seine Isolationshaft im Hamburger Untersuchungsgefängnis (UG) zeigt
offenbar Wirkung. Auf Antrag von Verteidiger Eberhard Schultz lockerte das
Hanseatische Oberlandesgericht gestern die Haftbedingungen ein wenig:
Danach darf Yelkuvan ab sofort seinen Besuch "nach anstaltsüblichen
Bedingungen" ohne Überwachung empfangen. Das eigentliche "Haftstatut" der
strengen Isolation bleibt aber vorerst erhalten.

Da aber gleichzeitig der Antrag auf Verlegung in die Vollzugsanstalt
Vierlande nur "zurückgestellt" worden ist, könnte es für Yelkuvan einen
Funken Hoffnung auf Aufhebung der Isohaft geben. "Das Gericht muss erst von
der Anstalt eine Stellungnahme einholen, ob überhaupt die medizinische
Versorgung gewährleistet ist", begründet Gerichtssprecherin Sabine
Westphalen die "Zurückstellung". Der Knast Vierlanden kann nach
taz-Informationen Yelkuvan nur aufnehmen, wenn das Haftstatut aufgehoben wird.

Trotz dieses Lichtblickes wird Verteidiger Schultz "sehr wahrscheinlich"
Montag das Bundesverfassungsgericht anrufen, da die Zeit knapp wird. Denn
seit Donnerstag befindet sich Yelkuvan nach 46 Tagen Hungerstreik in der
Phase des "Todesfasten". Diesem Todesfasten hat sich aus Solidarität auch
der wegen Unterstützung der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im UG
inhaftierte Nihat Durmus angeschlossen. Da beim "Todesfasten" neben Nahrung
auch Flüssigkeit verweigert wird, droht die Anstaltsleitung schon jetzt mit
Zwangsernährung, teilten Durmus' Anwälte Jürgen Schneider und Cornelia
Lange mit.

kva

jw, 17.1.
Behördenleiter angezeigt
Chef des Ausländeramtes in Verden soll sich wegen »Kindesentziehung«
verantworten

Das Ausländeramt des Landkreises Verden hat sich nach Auffassung von
Flüchtlingsinitiativen der Kindesentziehung von Amts wegen schuldig
gemacht. Ohne Absprache mit dem Vormund und dem Rechtsbeistand habe der
Leiter der Behörde, Gerd Depke, ein 15jähriges kurdisches Mädchen alleine
in die Türkei geschickt, erklärten jetzt der Niedersächsische
Flüchtlingsrat und Pro Asyl. Die Organisationen unterstützen deshalb eine
Strafanzeige des Bruders der Jugendlichen gegen den Behördenchef.

Depke hatte nach eigenen Angaben noch »keine Kenntnis« von der Anzeige.
Seine Behörde werde auch »keine weitere Stellungnahme« zu den Vorgängen
abgeben, sagte der Amtsleiter auf Anfrage von junge Welt.

Nach Angaben der beiden Flüchtlingsinitiativen hatte sich Sevim Demir Mitte
1998 bei den Landkreisbehörden beklagt, sie werde von ihrem Bruder
»schlecht behandelt« und wolle deshalb zu ihren Eltern in die Türkei
zurückkehren. Anstatt das Jugendamt zu verständigen, habe Depke das Mädchen
eine rechtsungültige Verzichtserklärung für ihr weiteres Asylverfahren
unterschreiben lassen und »hinter dem Rücken« des sorgeberechtigten Bruders
und des Rechtsanwaltes die »freiwillige Ausreise« von Sevim organisiert.

In Begleitung von zwei Beamten sei die Jugendliche dann im Januar
vergangenen Jahres nach Ankara geflogen worden. Von dort habe sie sich
»über Hunderte von Kilometern« alleine mit dem Bus in ihre kurdische
Heimatgemeinde Nusaybin durchschlagen müssen. Ihre Eltern habe Sevim aber
nicht angetroffen, weil sie in der Zwischenzeit von der Polizei
festgenommen worden seien. Der Vater sei wegen »Separatismus« zu einer
lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.

In einem im November in Deutschland eingegangenen Brief beklagt sich das
Mädchen über ihre Situation und entschuldigt sich bei ihrem Bruder für
»falsche Vorwürfe«. »Ich bin zur Türkei gekommen, aber ich wußte nicht, daß
es hier nicht schön ist«, heißt es in dem junge Welt vorliegenden Brief.
»Ich habe keine Verwandten, aber ich habe nur eine alte Oma, die ist sehr
krank und ich arbeite alleine hier. Wir haben kein Haus, kein Essen, keine
Sachen und wir sind sehr unglücklich«.

Auch für den Bremer Rechtsanwalt, der die 15jährige vertritt, erfüllt das
Handeln Depkes »objektiv den Tatbestand des Entzugs der elterlichen Sorge«,
die das Amtsgericht Verden auf Sevims Bruder übertragen habe. Pro-Asyl-
Sprecher Heiko Kauffmann bezeichnete es als »dreist, daß im Fall von Sevim
Demir Einzelvormund und vermutlich das Jugendamt zugleich hintergangen
wurden«.

Norbert Grehl-Schmitt vom Vorstand des Niedersächsischen Flüchtlingsrates
wies darauf hin, daß die Ausländerbehörde auch dann rechtswidrig gehandelt
hätte, wenn der Bruder nicht Vormund gewesen wäre. Depke wäre »verpflichtet
gewesen, vor der Organisation einer Ausreise das Jugendamt zu verständigen
und entsprechend den Vorgaben aus dem niedersächsischen Innenministerium
eine Auffangstruktur für Sevim Demir in der Türkei nachzuweisen«.
Grehl-Schmitt forderte den Landkreis Verden auf, Sevim Demir umgehend nach
Niedersachsen zurückzuholen.

Reimar Paul

taz Hamburg, 17.1.2000 Seite 21
Dolmetscher darf nicht übersetzen
Fast 30.000 KurdInnen in Hamburg und kein Dolmetscher für ihre Sprache:
Hüseyin Dozen klagt auf Zulassung

Von Elke Spanner

Als Dolmetscher arbeitet Hüseyin Dozen seit 15 Jahren. Unzählige Male hat
er bei Gericht und Behörden übersetzt. Doch vor jedem Prozess muss er
erneut einen Eid sprechen, manchmal vier Mal die Woche. Denn Dozen
übersetzt auf Kurdisch - und das wird von der Innenbehörde nicht als
amtliche Sprache anerkannt. In Hamburg gibt es zwischen 25.000 und 30.000
kurdischsprachige MigrantInnen und Flüchtlinge - und nicht einen
vereidigten Dolmetscher für ihre Sprache. Um das zu ändern, ist Dozen nun
vors Verwaltungsgericht gezogen. Dort klagt er auf allgemeine Vereidigung
zum Dolmetscher und Übersetzer.

Was nicht das gleiche und in diesem Fall sogar ein wesentlicher Unterschied
ist. Denn gedolmetscht wird mündlich, übersetzt schriftlich. Die
Innenbehörde sagt, die kurdische Sprache sei ausschließlich gesprochen,
folglich zum Dolmetschen, nicht aber zum Übersetzen geeignet. "Auf Kurdisch
gibt es keine amtlichen Rechtstexte und Urkunden", begründet Sprecherin
Susanne Fischer. Somit darf auch Dozen etwa bei Gericht mündlich von der
einen in die andere Sprache vermitteln, "Übersetzer" nennen darf er sich
hingegen nicht. Und eine allgemeine Vereidigung sieht das Hamburgische
Dolmetschergesetz nur in der Kombination Dolmetscher und Übersetzer vor.

Doch ohne die wird Dozens Name nicht in die offizielle Liste der
Sprachmittler aufgenommen, die bei Gerichten und Behörden vorliegt. Die
dort aufgelisteten Dolmetscher werden bei Bedarf beauftragt. Er hingegen
muss jedes Mal von neuem schwören, dass er übersetzen kann und das auch
gewissenhaft tut.

Andere Bundesländer kennen ein solches Problem nicht. In Hessen und
Niedersachsen etwa werden Dolmetscher für die kurdische Sprache allgemein
vereidigt. Dozen selbst hat zwar keine Zulassung in Hamburg - in Lüneburg
und Stade aber doch.

Seine Rechtsanwältin Cornelia Ganten-Lange hat dem Verwaltungsgericht
dargelegt, dass Kurdisch sehr wohl auch eine Schriftsprache ist.
Zeitschriften und Zeitungen erschienen in kurdischer Sprache. An der Uni
Hamburg wird Kurdisch gelehrt. In Teilen des Irak werde in Schulen auf
Kurdisch unterrichtet. Die dortige regionale Regierung habe im übrigen
bereits über 100 Gesetze auf Kurdisch erlassen. Weltweit, so Ganten-Lange,
würden 25 Millionen Menschen diese Sprache sprechen. Allein die Tatsache,
dass sie keinen eigenen Staat haben, könne "wohl nicht dazu führen, dass 25
Millionen Menschen von der Benutzung ihrer Sprache über einen Sprachmittler
ausgeschlossen sein sollen".

Ein aus Syrien stammender Freund von Dozen beispielsweise spricht außer
Kurdisch keine weitere Sprache. Deshalb bat er Dozen vor kurzem, ihn zur
Führerscheinprüfung zu begleiten. Der Freund mußte ohne Fahrerlaubnis
wieder nach Hause gehen. Die Prüfung wurde ihm verwehrt. Weil er den
falschen Dolmetscher an seiner Seite hatte. Der nämlich, stellte das
zuständige Amt fest, stehe nicht auf der Liste der allgemein vereidigten
Übersetzer.

taz, 17.1.2000 Seite 18
Fluchtpunkt und Zwischenstation Türkei
Deutschsprachige Emigranten in der Türkei: Eine Ausstellung in der
Berliner Akademie der Künste informiert über das Leben im türkischen
Exil 1933-1945. Von den Privilegien der Bildungselite und den Tücken
des ganz normalen Alltags

Von Semiran Kaya

"Wird ein Türke Berlins Oberbürgermeister?", so lautete die im
Boulevardstil dick herausgehobene diskriminierende Schlagzeile des
kommunistischen Vorwärts am 19. November 1946. Damit leitete das von der
SED kontrollierte "Berliner Volksblatt" die Kampagne gegen den Magdeburger
Politiker Ernst Reuter ein, der von 1948 bis zu seinem Tode 1953 Erster
Regierender Bürgermeister Westberlins war. Wohl wissend, dass die deutsche
Bevölkerung so gut wie nichts über die Hintergründe des Exillebens in der
Türkei wusste, versuchten deutsche Kommunisten und die russisische
Stadtverwaltung, Reuters Kandidatur zu torpedieren, und denunzierten ihn
wegen seines türkischen Exils als "Türke".

Christine Fischer-Defoy, Vorsitzende des Vereins Aktives Museum, das die
Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste mit dem Titel: "Haymatloz -
Exil in der Türkei 1933-1945" organisierte, spricht von einem "gezielten
Wissenschaftler-Transfer". Sie nennt einige Fakten: "Wir haben etwa 1.000
Lebensgeschichten dokumentiert. Es sind ungefähr 700 jüdische und etwa 120
Emigranten, die aus politischen Gründen oder weil sie ihre Kunst nicht mehr
ausüben konnten, weggegangen sind." Als am 1. August die Universität
"Istanbul" eröffnet wurde, gab es 27 türkische und 38 ausländische
Ordinarien. Dabei erhielten die türkischen Professoren meist nur die Hälfte
oder ein Viertel vom Gehalt ihrer ausländischen Kollegen. Bis in die
Vierzigerjahre belegten Emigranten die Hälfte der Lehrstühle an der
Istanbuler Universität.

Ein kurzer Rückblick auf Deutschland, April 1933: Seit Einführung des
"Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", das nur "Ariern"
die Beschäftigung im Staatsdienst erlaubte, verlieren tausende aus
rassistischen oder politischen Gründen ihre Stellung: Beamte - Juden,
Sozialdemokraten und Kommunisten -, später auch Angestellte - unter ihnen
viele Wissenschaftler an deutschen Universitäten. So auch der
SPD-Abgeordnete des Deutschen Reichstags, Ernst Reuter. Ihm und vielen
anderen blieb nur die Flucht ins Ausland als Überlebenschance.

Die Türkei, im Ersten Weltkrieg noch mit Deutschland alliiert, nahm während
der NS-Zeit etwa tausend deutschsprachige Emigranten auf, darunter
zahlreiche Wissenschaftler und Künstler. Gemessen an Exilländern wie der
Tschechoslowakei, England, Frankreich und den Vereinigten Staaten, eine
kleine Zahl. Dass aber gerade die Türkei diesen Berufsgruppen ideale
Bedingungen für einen Neuanfang schuf, von denen nicht nur Flüchtlinge
träumen konnten, hatte seinen Grund: Die zu dieser Zeit junge Türkische
Republik, 1923 gegründet, brauchte beim Aufbau und der radikalen
Modernisierung des Landes Unterstützung.

Eine Serie von Maßnahmen - nach westlichem Vorbild konzipiert - war darauf
gerichtet, die politischen, wirtschaftlichen, sozialen, aber insbesondere
auch die geistig-kulturellen Grundlagen für einen modernen Staat zu
schaffen, der vor allem auf den Prinzipien des Säkularismus und des
türkischen Nationalismus beruhen sollte. Nachdem schon einige Reformen wie
die des Frauenstimmrechts und der Einehe (1926) und die Übernahme des
lateinischen Alphabets (1928) abgeschlossen waren, sollte als nächstes die
Hochschulreform folgen. Als die türkische Regierung 1932 dann den Genfer
Pädagogikprofessor Albert Malche mit der großen Reform des Hochschulwesens
beauftragte, sollte dies maßgebend die Geschichte vieler deutschsprachiger
Emigranten in der Türkei prägen: Anders als in anderen Exilländern waren
sie hier als Ratgeber, Reformer und Gutachter willkommen.

In Zürich hatte sich im März 1933 unter der Leitung von Philipp Schwartz,
der in die Schweiz ausgewandert war, eine "Notgemeinschaft deutscher
Wissenschaftler im Ausland" gegründet. Diese wurde von Albert Malche über
die Suche der türkischen Regierung nach westeuropäischen Wissenschaftlern
informiert. Bis 1937 konnten mit Hilfe der Notgemeinschaft rund 1.700
Wissenschaftler aus den verschiedensten Bereichen an ausländische
Universitäten vermittelt werden: "Ich wusste, dass die schmachvolle
Vertreibung aus Deutschland in diesen Stunden einen schöpferischen Sinn
erhielt. Ich entdeckte ein wunderbares, von der westlichen Pest unberührtes
Land!", schrieb Philipp Schwartz. Bereits drei Monate nach der Gründung der
Notgemeinschaft, im Juli 1933, wurden von türkischer Seite die ersten 30
Anstellungsverträge mit deutschen Wissenschaftlern unterzeichnet. Eine
historische Paradoxie: vom gejagten zum gefragten Menschen.

In der Erklärung des damaligen türkischen Unterrichtsministers Resid Galip
vom 6. 7. 1933 heißt es: "Dies ist ein außergewöhnlicher Tag, an welchem
wir eine beispiellose Tat verbringen durften. Als vor 500 Jahren
Konstantinopel fiel, beschlossen die byzantinischen Gelehrten, das Land zu
verlassen - man konnte sie nicht zurückhalten. Heute haben wir uns
vorbereitet, von Europa eine Gegengabe zu empfangen. Wir erhoffen eine
Bereicherung - ja, eine Erneuerung unserer Nation."

Der Status der Wissenschaftler - ob im Exil oder im Gefängnis - spielte für
die türkische Regierung keine Rolle; sie mussten sich lediglich
verpflichten, ihre Vorlesungen auf Türkisch abzuhalten und türkische
Lehrbücher in ihrem Fach zu publizieren.

So galt das Exil Türkei zunächst als Wartesaal erster Klasse: Die türkische
Regierung bezahlte den Umzug, bot eine feste Anstellung bis zu fünf Jahren
und gab bis 1938 rund 5 Millionen Reichsmark für die prominenten Emigranten
aus. Allerdings war es ihnen untersagt, sich politisch zu betätigen (dies
gilt bis heute für Lehrkräfte und Studenten in der Türkei).

Doch die Gemeinde der deutschsprachigen Emigranten, verteilt auf Ankara,
Istanbul und eine kleine Zahl in Izmir, bestand nicht nur aus Akademikern
und Künstlern. Auch Auswanderer, die nicht so prominent waren, sich um
Arbeit selbst kümmern mussten und nach Ausbruch des Krieges ständig Gefahr
liefen, ausgewiesen zu werden, gehörten zu den in der Türkei Exilierten. So
kamen auch Gewerbetreibende und Handwerker wie zum Beispiel Eduard Bischoff
auf eigene Faust in die Türkei. Bischoffs Sohn, Cornelius Bischoff, war,
wie viele andere Emigranten oder deren Nachkommen, anlässlich der
Ausstellungseröffnung "Haymatloz" zum Zeitzeugengespräch nach Berlin gekommen.

Sein Vater reiste schon in den Zwanzigerjahren als wandernder
Zimmermannsgeselle nach Istanbul, Zonguldak und Ankara. Auf seiner
Wanderschaft in der Türkei lernte er auch seine spätere Frau - eine
spanische Jüdin - kennen, die er in Istanbul heiratete. Kurz vor
Kriegsausbruch 1939 bekam Bischoff von den Nazis eine offizielle
Ausreiseerlaubnis, weil er angegeben hatte, eine Erbschaftsangelegenheit
seiner Frau in Istanbul regeln zu müssen. 1939 ging er von Hamburg nach
Istanbul und holte ein Jahr später seine Familie nach: "Und da der Führer
so kurz vor dem Krieg Devisen brauchte, sind meine Mutter, meine Schwester
und ich von Hamburg über Paris, wo meine Großmutter lebte, über Marseille
nach Istanbul gekommen. Allerdings hatten wir kein Visum für die Türkei.
Dafür aber einen Pass von 1936", so Cornelius Bischoff, Übersetzer des
Schriftstellers Yasar Kemal, in der Akademie der Künste. Jahrelang
arbeitete Eduard Bischoff als Bauführer bei einer schweizerisch-englischen
Baugemeinschaft, die Öltanks konstruierte. Cornelius Bischoff war damals
gerade 11 Jahre alt. Mit 20 Jahren kehrte er mit seiner Familie nach
Deutschland zurück. "Die Jahre in der Türkei möchte ich nicht missen", sagt
er heute. "Ich hatte viele einheimische Freunde - nicht nur Türken, sondern
auch Griechen, Armenier und Juden. Minderheiten, die damals für eine
internationale Stadt wie Istanbul normal waren. Gemeinsam mit ihnen habe
ich dann später die Sankt-Georg-Schule in Istanbul besucht. Auch das war
das reinste Völkergemisch."

Als Deutschland 1944 der Türkei den Krieg erklärte, wurden die Bischoffs im
anatolischen Çorum interniert, weil sie sich weigerten, nach Deutschland
zurückzukehren. Die Internierung betraf in erster Linie Juden, Staatenlose
und solche, die keine staatliche Anstellung hatten.

Insgesamt gab es für die deutschen Flüchtlinge in Anatolien drei
Internierungslager: Kirsehir, Yozgat und Çorum. Die aus der Internierung
nach Ankara oder Istanbul zurückgekehrten Flüchtlinge erhielten keine
Arbeitserlaubnis mehr. Bis zu ihrer Weiterwanderung lebten sie meist von
Hilfsgeldern internationaler Flüchtlingsorganisationen.

An Bischoffs und anderen Biografien wie der von Traugott Fuchs (1911-1997),
der als einer der wenigen in der Türkei blieb und auch dort starb, wird
deutlich, wie viel schwieriger das Überleben in der Türkei für diejenigen
war, die nicht zu den so genannten Prominenten gehörten. Während die
Bildungselite abgesichert war, es für sie Sonderkonditionen für
Aufenthaltsgenehmigung und damit die Passverlängerung gab, waren die
kleinen Leute dem Wechselbad der deutsch-türkischen Politik ausgeliefert.
Ihnen drohte - sofern sie jüdisch waren - zeitweilig eine "individuelle"
Ausweisung oder aber die Internierung.

Die Emigranten nannten sich ironisch "Deutsche Kolonie B", weil sie in der
Türkei auf die "Deutsche Kolonie A", zirka 250 Reichs- und Volksdeutsche,
darunter 50 Parteigenossen, trafen. Die Deutsche Botschaft sorgte dafür,
dass diese vom neuen Brauchtum der Volksgemeinschaft nicht ausgeschlossen
blieben. Regelmäßig lud sie - wie im Reich üblich - zum "Eintopfessen" ein.
Auch vergaß man nicht, eine Liste der für Volksgenossen verbotenen Lokale
und Geschäfte zu erstellen. Emigranten wurden bespitzelt: Mit dem Hinweis
auf "kommunistische Überzeugungen" versuchte man ihre Entlassung und
Ausweisung zu erreichen.

So versuchte der lange Arm der Nazis, der bis zum Bosporus und einer
Hitlerjugend in Istanbul reichte, zudem von manchen Emigranten wie Erich
Auerbach und Bruno Traut eine "Reichsfluchtsteuer" zu bekommen. Ihre
Lebensbedingungen hingen von der Stelle ab, die sie gefunden hatten,
verschlechterten sich aber Ende der Dreißigerjahre. Ab 1938 verlangten die
türkischen Behörden von Reichsangehörigen, die einreisen wollten, einen
"Ariernachweis". Ein Jahr später wurde ein neues Aufenthaltsgesetz
beschlossen, das Staatenlosen die Einreise und den Aufenthalt in der Türkei
untersagte und ihre Abschiebung ermöglichte. Im Februar 1942 schleppte die
türkische Marine das überfüllte Schiff "Struma" aus dem Hafen von Istanbul
auf die offene See. Die jüdischen Flüchtlinge an Bord hatten kein
Einreisevisum für Palästina erhalten und ihr Glück in Istanbul versucht.
Das Schiff sank, und die mehr als 700 Passagiere ertranken. Ismet Inönü,
der damalige Nachfolger von Atatürk: "Wir können nicht all denen Asyl
geben, die kein anderes Land haben will."

Insgesamt blieben nach dem Krieg von den 1.000 Auswanderern nur 28 in der
Türkei und lediglich 10 der 1.000 stellten einen Einbürgerungsantrag -
darunter vier jüdische Emigranten. Sechs von ihnen wurden samt Familie
eingebürgert. Acht Personen konvertierten zum Islam. Die Mehrzahl wanderte
weiter in die USA und England oder kehrte in die beiden Teile Deutschlands
zurück. Das Exilland Türkei war für die Mehrzahl lediglich eine
Zwischenstation.

Das Leben deutschsprachiger Emigranten von 1933 bis 1945 in der Türkei ist
Thema einer Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste mit dem Titel
"Haymatloz". Die Ausstellung läuft bis zum Februar. Der Katalog kostet 38
Mark.
Info: (0 30) 2 81 51 98

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