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Hasan Sevimli

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Isgard Lechleitner

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Aug 17, 2000, 3:00:00 AM8/17/00
to
Informationsdienst, herausgegeben von:
Berliner Institut für vergleichende Sozialforschung,
Torsten Rückoldt RA, medienbüro für menschenrechte e.V. (mfm),
"Hilfe für Menschen in Abschiebehaft, Büren e.V." 19. August 2000
. Neue Internetadresse: www.mfm-info.de 6. Jahrgang
Nachrichten aus: Türkei, Kurdistan, Naher Osten, Europa, Lateinamerika,
Afrika
Internationale Politik & Befreiungsbewegungen

Sonderausgabe Depeschen
eMail: P2...@aol.com

Von Peter Vogel
Lehrkräfte und Schüler der 9.Klasse der Hauptschule West im
niedersächsischen Delmenhorst wollten keinen Fußbreit nachgeben: "Wir
bestehen darauf, daß unser kurdischer Mitschüler Hasan Sevimli ein
Bleiberecht erhält", erklärten sie den Ratspolitikern und Verwaltungsbeamten
bei einem Treffen im Rathaus. Die wollten
den 18 jährigen Schüler von Anfang an in die Türkei abschieben, weil sein
Asylantrag nicht anerkannt wurde. Inzwischen mußte Hasan untertauchen, um
seinen polizeilichen Verfolgern zu entkommen, seit dem 15. August lebt der
18 jährige in der Illegalität. Das niedersächsische Medienbüro für
Menschenrechte e.V. (mfm), das in Delmenhorst seinen Sitz hat, bezeichnete
die Nacht- und Nebelaktion der Ausländerbehörde als einen "Tiefstand der
politischen Kultur", die sich am Leben und an der Existenz eines 18 jährigen
vergreift.

Der Fall Hasan Sevimli: Morgens um 5 Uhr kam die Polizei
Ab in den türkischen Folterkeller!
Delmenhorst: Der ausländerfeindliche Rechts-Populismus hat gesiegt
Die Solidaritätsaktion für Hasan, die bereits im April gestartet wurde,
hatte zu einem breiten Bündnis geführt: Lehrkräfte, Schulleitung und Schüler
sammelten bereits mehrere hundert Unterschriften für den Verbleib des
Schülers, ein SPD-Ortsverein und die evangelische Kirche in Delmenhorst
richteten Petitionen an der Niedersächsischen Landtag - vergeblich!
Rede vor dem Stadtrat Ratspolitiker, führende Verwaltungsbeamte und die
Ausländerbehörde hielten an der Ausweisung für Ende August fest. Auch eine
bewegende Rede von Hasan Sevimli in der Bürgerfragestunde des Delmenhorster
Stadtrates, konnte die Betonfraktion von CDU und SPD nicht aufbrechen,
obwohl der Schüler deutlich gemacht hatte, daß er in der Türkei gezwungen
werde, im Rahmen des Militärdienstes auf seine eigenen Landleute zu
schießen - was er ablehnt. Lediglich aus den Reihen von Bündnis 90/Die
Grünen gab es Beifall für Hasans Rede. Der 18 jährige Schüler war 1996 aus
dem kurdischen Bürgerkriegsgebiet zu seinem Onkel nach Delmenhorst
geflüchtet, nachdem mehrere seiner Verwandten verhaftet und wegen
Separatismus zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren. Schon damals
hatte er angekündigt, den Militärdienst verweigern zu wollen, weil er nicht
bereit sei, auf kurdische Landsleute zu schießen - in der Türkei ein
schwerwiegendes Vergehen, das mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft werden
kann. Allerdings: Die Bundeszentrale für die Anerkennung von Flüchtlingen
hat weder die Verfolgung in der Türkei noch die Verweigerung des
Militärdienstes als Fluchtgrund anerkannt. Daß die Stadt dem Schüler trotz
negativem Gerichtsurteil ein Bleiberecht einräumen könnte, hat das
niedersächsische Medienbüro für Menschenrechte (mfm) in einem juristischen
Gutachten ermittelt. Ein mfm-Sprecher: "Es muß von der Stadt Delmenhorst
politisch nur gewollt sein". Doch das war von Anfang an nicht der Fall. So
ignorierte der Delmenhorster Ausländerdezernent Bernd-Müller Eberstein (CDU)
beharrlich jeden Handlungsspielraum. Er sieht nach wie vor keinen Grund,
Humanität vor Härte gelten zu lassen und bestätigte schon vor Wochen den
restriktiven Kurs seiner Behörde mit den Worten: "Wir sind an Recht und
Gesetz gebunden. Das Verwaltungsgericht hat den Asylantrag abgelehnt, also
muss Hasan Sevimli das Land verlassen". Auch sein Vorgesetzter, der
Delmenhorster Oberstadtdirektor Norbert Boese (SPD), seit Jahren stolzes
Mitglied der deutsch-jüdischen Gesellschaft und nach eigenem Bekunden stets
offen für das Leid von Verfolgten, bestätigte vor dem versammelten Stadtrat
die knallharte Ausweisungslinie: "Uns sind die Hände gebunden". In
Leserbriefen und Zeitungsartikel ging daraufhin ein Sturm der Entrüstung
durch die Öffentlichkeit. Inzwischen sind die Fronten verhärtet. Jüngster
Vorwurf der Ausweisungsgegner an die Adresse der Stadt: Sie besorge das
Geschäft der Neonazis, denn die hätten schließlich die Parole "Ausländer
raus" auf die Tagesordnung gesetzt - und Boese folge ihr.
Am Morgen des 15. August, kurz nach 5 Uhr, läutete - wie einst die Gestapo
zur besten Nachtzeit des menschlichen Tiefschlafes - die Polizei an der
Haustür von Hasans Onkel, um den 19jährigen festzunehmen und noch am
gleichen Tag in die Türkei abzuschieben. mfm kommentierte die nächtliche
Aktion mit den Worten:
"Die Ausländerpolitik des Delmenhorster Oberstadtdirektors Dr. Norbert Boese
(SPD), seines Dezernenten Bernd Müller-Eberstein (CDU) und der
Ausländerbehörde im Zusammenhang mit der geplanten Abschiebung des
18jährigen kurdischen Jugendlichen Hasan Sevimli markiert einen bisher nie
dagewesenen Tiefstand der politischen Kultur in Delmenhorst. Die Tatsache,
daß der Jugendliche am Dienstagmorgen um 5 Uhr im Haus seines Onkels zur
Abschiebung in die Türkei festgenommen werden sollte, läßt erahnen, welche
tageszeitliche "Traditionspflege" im Delmenhorster Rathaus in Zusammenarbeit
mit der hiesigen Polizei betrieben wird. Damit erweisen sich führende Beamte
der Delmenhorster Stadtverwaltung entgegen allen Beteuerungen in der
Vergangenheit einmal mehr als unfähig, Mitmenschlichkeit walten zu lassen,
bürokratisch sanktionierte Ausländerfeindlichkeit inklusive."
Die Regionalausgabe des "Weser Kurier" notierte empört: "Im Fall Hasan
Sevimli tun alle nur ihre Pflicht", und "Hinter dieser Fassade offenbart
sich ein Mangel an Mitmenschlichkeit".
Unterdessen ist für den 18jährigen Hauptschüler, der bereits am Ende des
letzten Schuljahres in die nächst höhere Klasse versetzt wurde, eine
Patenschaftsaktion angelaufen, der sich Künstler, Journalisten,
Gewerkschafter, Betriebsräte und der Verleges des "Delmenhorster
Kriesblatt", der größten Zeitung am Ort, angeschlossen haben.
Ob Hasan damit noch geholfen werden kann, ist ungewiß. Er hält sich an einem
unbekannten Ort versteckt. Eine Rückkehr in die Türkei, so erklärten
Vertreter seiner Familie, komme für ihr wegen der Gefährdungslage auf keinen
Fall infrage. "Man wirft ein Leben nicht einfach so weg", hieß es.
Für den Delmenhorster Oberstadtdirektor Dr. Norbert Boese könnte der Fall
Hasan noch ein Nachspiel auf der politischen Bühne haben. Denn im nächsten
Jahr sind in Niedersachsen Kommunalwahlen angesagt, und in den Städten und
Gemeinden tritt eine neue Kommunalverfassung in Kraft. Dann wird die Macht
der Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren, also der Chefs von Politik
und Verwaltung, in einer Person gebündelt - und Boese hat sich als
SPD-Mitglied für den Job beworben.
Ein SPD-Insider kritisch: "Da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen".
Auch einzelne Gewerkschafter und Betriebsräte haben sich vorgenommen, das
Thema im Kommunalwahlkampf zur Sprache zu bringen.
Motto: Wer so menschenverachtend agiert wie Dr. Boese im Fall des kurdischen
Jungen Hasan, der muß dafür auch eine politische Quittung erhalten".

Kommentar
Natürlich haben sich wieder alle an Recht und Gesetz gehalten: Verwaltung,
Politiker, die Richter und die Bundeszentrale für die Anerkennung von
Flüchtlingen sowieso, jene Entscheider, von denen einige Blut in ihren
Händen haben. Nach Recht und Gesetz wird in Deutschland doch immer
entschieden, auch um den Preis menschlicher Existenzen. Denn: Welchen Wert
hat ein Menschenleben aus der Sicht von Bürokraten, zumal das eines
18jährigen Kurden? Fakt ist: Hasan ist auf der Strecke geblieben und der
ausländerfeindliche Rechts-Populismus hat gesiegt. Eines werden Dr. Boese
und sein eifriger Rechtsaußen-Dezernent, Müller-Eberstein, wahrscheinlich
nie mehr los: den äußerst zweifelhaften Ruf, um den Preis eines unversehrten
Menschenlebens den Handlungsspielraum von Humanität und Mitmenschlichkeit
mißachtet, ja sogar verachtet zu haben. Das bleibt absehbar unvergessen, muß
es auch bleiben. pv


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