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*SL 1/2000 4/4* Linton Kwesi Johnson

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ANTIFA-WEST c/o BI-Buergerwache

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Jan 30, 2000, 3:00:00 AM1/30/00
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* Searchlight 1/2000 *
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* Internationale Antifaschistische Monatszeitschrift *
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* Elektronische deutsche Ausgabe. *
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Der Krieger mit der Waffe des Wortes

von Bev Forbes


Schon seit mehr als zwei Dekaden steht Linton Kwesi Johnson als
Synonym für die auf dem Reggae basierende literarische
Kunstform der dub poetry. Johnsons Klassenbewußtsein und seine
kompromisslose lyrische Prosa artikulierte für viele, besonders
für schwarze Jugendliche in den Städten, die zwischen 1970 und
1980 aufwuchsen, die Stimme der Unzufriedenheit, des
Widerstands und der Vergeltung. Bev Forbes diskutiert mit ihm
die Wendepunkte und Wandlungen, die im letzten Viertel des 20.
Jahrhunderts einen entscheidenden Einfluß auf die schwarze
Gemeinde in Großbritannien ausübten. Klar ist, daß die Zeit
Johnsons radikalen Standpunkt nicht aufgeweicht hat.

Wenn man Linton Kwesi Johnson fragt, wie er seine Identität
definiert, folgt kein peinliches Schweigen, wie beim verwirrt
erscheinenden BNP-Mitglied Sharron Edwards, der die selbe Frage
in einer BBC-Dokumentation nicht beantworten konnte. Johnsons
Antwort ist kurz und prägnant: "Ich bin ein Mitglied der
menschlichen Rasse, ich gehöre zur menschlichen Familie.
Zweitens bin ich Jamaikaner, denn dort wurde ich geboren und in
der jamaikanischen Kultur sozialisiert. Drittens bin ich Brite,
ich lebe hier seit mehr als 30 Jahren. So sehe ich meine
Identität."

Wenn man ihn nach den Faktoren fragt, die zu seiner
Identitätsbildung beigtragen haben, erfolgt seine Antwort,
obwohl ihm die Zeit fehlt ins Detail zu gehen, so rhytmisch wie
seine poetische Kunstfertigkeit, die ihn bekannt machte:

"Wir reden über 400 Jahre Geschichte.
Wir reden über Sklaverei.
Wir reden über Kolonialismus.
Wir reden über die Arbeiterbewegung.
Wir reden über eine Menge Dinge."

Wenn man den Namen Linton Kwesi Johnson irgendjemand gegenüber
erwähnt, der alt genug ist, sich noch an die Zeit zu erinnern,
als die Anti Nazi League noch Rock against Racism hieß, und als
die städtischen Unruhen der frühen 80er Jahre die Nation in
Atem hielten, so bekommt man fast immer die gleiche Antwort:
"Oh ja, natürlich erinnere ich mich." Und dann legen sie los,
mit einem Vortrag über ihre bevorzugten Stücke von LKJ, dem
obligatorischen jamaikanischem Dialekt und allem. [1]

1963 kam Johnson im Alter von elf Jahren nach Großbritannien,
um bei seiner Mutter zu leben. Obwohl er in seinem Heimatland
Jamaika Stipendiatsschüler war, wurde er an der Tulse Hill
School niedriger eingestuft. Das Bedürfnis, ein positives
Ventil für seine wachsende Unzufriedenheit zu finden, wurde
Ende der 60er Jahre gestillt, als er der Black Panther-Bewegung
beitrat: "Ich ging damals noch zur Schule und wurde in der
Jugendsektion der Panthers aktiv. Die Panthers waren die
einzige Organisation weit und breit, welche die Themen
ansprach, die mich als Jugendlichen, der in England aufwuchs,
stark beschäftigten."

Für Johnson war dies die Zeit des Erwachens und des
Bewußtseins, sowohl für ihn als auch für seine Generation. "Es
war die Zeit nach Martin Luther King, es gab die Panthers in
Amerika und Malcolm X und so weiter. Es war eine Inspiration."

So kam er auch in Kontakt mit schwarzer Literatur, den
Schriften von WEB Dubois, Richard Wright und James Baldwin. Er
vertiefte sich in Geschichte und Politik. Außerdem begann er
sich dort zum erstenmal der Poesie zuzuwenden. "Ich entdeckte
die Poesie als eine Konsequenz meines Engagements bei den
Panthers. Das, was ich als Jugendlicher, der in England
aufwuchs, erlebte, beschäftigte mich sehr und ich wollte etwas
verändern. Die Panthers waren die Organisation, bei der ich das
Gefühl hatte, etwas dazu beitragen zu können."

Johnson zeigte sein aufstrebendes Talent, indem er einen Poesie-
Workshop mit 'Rasta Love' organisierte, einer Gruppe, in der
neben jungen Dichtern auch Schlagzeuger beteiligt waren.

Seine erste Gedichtesammlung 'Voices of the Living and the
Dead' erschien Anfang der 70er Jahre in der Zeitschrift 'Race
Today', zu dieser Zeit noch das Journal des 'Institute for Race
Relations' (Institut für Rassenbeziehungen). Für Johnson
erfüllte die Zeitschrift einen anderen Zweck. "Ich engagierte
mich in der "alten" 'Race Today', die dann zu etwas ganz
anderem wurde. Bis dahin war sie das Journal des 'Institute for
Race Relations'. Wir übernahmen die Zeitschrift, entführten sie
nach Brixton und bauten ein politisches Kollektiv drumherum."
Johnson wurde Poesie-Redakteur und veröffentlichte 1980
zusammen mit dem Kollektiv sein drittes Buch 'Inglan is a
bitch'.

In den 70ern begann Johnson seine Solokarriere und wurde
dadurch bekannt, daß er den bittersüßen Realismus einer
entäuschten Jugend reflektierte. 1975 wurde die zweite Sammlung
seiner Werke 'Dread Beat and Blood' bei Bogle-L'Ouverture
veröffentlicht.

1977 erhielt er ein Stipendium der Gemeinde Lambeth, und bekam
dafür in Brixton den Spitznamen "der Poet". 1979 erschien das
Album 'Forces of Victory'. Das Album behandelte vordringliche
Themen wie die Unterdrückung durch die Polizei, schwarze
Selbstorganisierung und faschistische Gegenangriffe und
spiegelte in klassischer Weise die Stimmung dieser Zeit wieder.
Das Stück 'Fite Dem Back' [1], von Johnson als Mischung aus
"Punk, Reggae und Ska" konzipiert, erschien in einer Zeit, die
durch eine deutliche Zunahme faschistischer und rassistischer
Angriffe gekennzeichnet war. Mit diesem Lied wollte er dazu
eine Aussage machen. "Ich wollte etwas über die Zunahme des
Rassismus und der faschistischen Angriffe sagen und über die
Tatsache, daß die Schwarzen nicht ängstlich oder
eingeschüchtert waren und daß wir entschlossen waren,
zurückzuschlagen. Unsere Sichtweise war, daß, wenn der
Polizeistaat nicht in der Lage war, uns Steuerzahler zu
beschützen, wir unsere Verteidigung selbst übernehmen würden."

Johnson war immer der Ansicht, daß eine schwarze
Selbstorganisierung notwendig sei und brachte dies mit dem
Reggaegedicht "Independent Intavenshan" vom selben Album zum
Ausdruck. Er erklärt die Situation aus seiner Sicht: "In den
70ern versuchten Teile der weißen Linken in England die
Lebensbedingungen von Schwarzen für sich auszubeuten, und uns
für ihre unterschiedlichsten ideologischen Positionen zu
gewinnen. Sie sahen uns als Opfer. Nach unserer Analyse waren
wir keine Opfer. Wir hatten eine Geschichte des Kampfes und des
Widerstands gegen den britischen Kolonialismus, der in gewisser
Hinsicht in England fortgeführt wurde. Wir mussten unabhängige
Organisationen aufbauen, die unsere Kämpfe, unsere Hoffnungen
und unser Streben vorwärts bringen würden."

Johnson sah die schwarze Selbstorganisierung jedoch nicht
Selbstzweck. "Wir betrachteten uns nicht als Seperatisten. Wir
fühlten, daß wir uns aufgrund der Besonderheiten unserer
historischen Erfahrungen als unabhängige Kraft organisieren
mussten, um dann Bündnisse mit progressiven weißen
Organisationen aufzubauen."

Außerdem ist er der Ansicht, daß es die Gründung dieser
"unabhängigen Kraft" war, die zu den Umwandlungen führte, die
einen großen Einfluß auf die Lebenssituation der schwarzen
Bevölkerung in Großbritannien hatte. "Als Konsequenz der
Gründung einer unabhängigen radikalen Bewegung, die seit den
70ern zu Themen, die die schwarze Bevölkerung betrafen,
mobilisierten und organisierten, hat es einige Veränderungen
gegeben."

Allerdings erkennt er, daß die Veränderungen auch ihren Preis
hatten: "Der erste Wendepunkt war der 'Aktionstag der schwarzen
Bevölkerung', als 20.000 Menschen in New Cross gegen die
Ermordung [sic] von 13 Kindern protestierten."

Die Demonstration, aus Anlaß des tragischen Todes von 13 jungen
Schwarzen, die eine Party besuchten, als ein Feuer ausbrach und
aus Anlaß des nachfolgenden Umgangs der Polizei mit dem Fall,
war der größte schwarze Protestkundgebung in England. Es können
direkte Parallelen zwischen diesem Ereignis und den Ereignissen
um den McPherson-Report zum Fall Steve Lawrence gezogen werden.
In beiden Fällen wurden Aufsichtsbehörden der Polizei
gezwungen, einen genaueren Blick auf den "institutionellen
Rassismus" der Polizei zu werfen.

Johnson zufolge besteht ein weiter Gewinn darin, daß Schwarzen
Möglichkeiten eröffnet wurden, die ihnen vorher verschlossen
waren. "Schwarze sind nicht mehr so an den Rand gedrängt, wie
sie es 1963 waren, als ich in England ankam. Schwarze sind mehr
an der britischen Gesellschaft beteiligt und zwar in fast allen
Bereichen, in der Regierung in der Kommunalpolitik und in allen
Berufen. Vor 20 Jahren konnte man nicht von einer schwarzen
Mittelklasse sprechen, heutzutage aber schon."

Seit 21 Jahren hat Linton Kwesi Johnson durch seine
einzigartige rebellische Lyrik eine Reihe von Botschaften und
Aufrufen ausgesandt, die die ZuhörerInnen ermutigen, die
Lektionen aus historischen Ereignissen zu lernen und selbst
aktiv zu werden. Zum Beginn des 21. Jahrhunderts war es
interessant zu hören, was er über den anhaltenden Kampf gegen
Rassismus und Rechtsextreme zu sagen hat. "Wir müssen so
weitermachen, wie wir in den letzten soundsovielen Dekaden
weitergemacht haben, unsere Entschlossentheit verstärken und
auf die Regierung Druck auszuüben, damit sie ihren Teil erfüllt
und sicherstellen, daß wir Rassengleichheit haben und soziale
Gerechtigkeit."

[1] Anmerkung eines Übersetzers: Oh ja, natürlich erinnere ich
mich. Mein bevorzugtes Siück von LKJ in jamaikanischen Dialekt
ist "Fite Dem Back": "We gonna smash their brains in, cause
they aint got nothin in 'em"

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Antifa-West - Antifaschistische Initiative im Bielefelder Westen

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