"Wir wollen eine Kampagne, die auf breiten Füssen steht"
Interview über die Situation nach dem 19. Dezember
Folgendes Interview über die Verhaftungen vom 19. Dezember
führten wir mit Dominique John, Mitarbeiter der Forschungs-
gesellschaft Flucht und Migration (FFM). Dominique betei-
ligt sich am Aufbau einer Solidaritätskampagne zur Freilas-
sung von Axel, Harald und Sabine.
Habt ihr schon etwas von Harald und Axel gehört?
Von Harald haben wir einen Brief bekommen, über den wir
uns sehr gefreut haben. Von Axel wissen wir über eine
Freundin, die ihn schon besuchen konnte. Beiden geht es den
Umständen entsprechend gut. Axel sitzt in einer Zelle, die
ebenerdig liegt, und hat dadurch sehr wenig Tageslicht. Bei
23 Stunden Einschluss am Tag muss das nach einer Weile
ziemlich heftig sein. Was die Lichtverhältnisse angeht,
geht es Harald besser. Er ist aber auch 23 Stunden am Tag
eingeschlossen. Wenn es regnet, wie er schreibt, dann sind
es 24 Stunden.
Beide unterliegen also den bei § 129a-Verfahren üblichen
verschärften Haftbedingungen?
Ja. Sie dürfen nur alle 14 Tage eine halbe Stunde be-
sucht werden. Wenn man sie besuchen will, muss man erst mit
der Bundesanwaltschaft (BAW) Kontakt aufnehmen und mit di-
versen Herren verhandeln. Die Besuche selbst laufen dann so
ab, dass jemand vom Bundeskriminalamt (BKA) dabei sitzt und
mitschreibt. Was die Post angeht, so läuft sie auch über
die BAW, d.h. alles wird gelesen, und es dauert ein bis
zwei Wochen, bis die Post ankommt, umgekehrt ist es ähn-
lich. Das gilt übrigens auch für die Anwaltspost.
Beide können sich Bücher von draußen schicken lassen.
Als Harald anfragte, ob wir ihm einen Laptop besorgen könn-
ten, haben sie das allerdings untersagt. Ihre Begründung:
Mit einem Laptop könnte man ein Funkgerät bauen. Ich kann
jedoch kaum glauben, dass Harald dazu in der Lage wäre.
Jetzt versuchen wir, ihm wenigstens eine elektrische
Schreibmaschine in den Knast zu schicken.
Die Festnahme von Harald und Axel sowie die Durchsuchung
des Mehringhofes nach Sprengstoff erfolgte auf Grund von
Anschuldigungen...
Die Festnahmen und die Durchsuchung erfolgten vermutli-
ch auf Grund von Aussagen von Tarek M., der kurz zuvor ver-
haftet worden war. Er ist im Frühjahr schon einmal verhaf-
tet worden, war dann wieder draußen und wurde am 23. Novem-
ber erneut festgenommen. Es sieht danach aus, dass er nun
als Kronzeuge aufgebaut wird. Jedenfalls soll er Anschuldi-
gungen ausgesprochen haben. So steht es zumindest im Durch-
suchungsbeschluss für die Razzia im Mehringhof und im Haft-
befehl gegen Harald.
Harald und Axel haben kurz vor Jahresende, bevor die
Kronzeugenregelung auslief, von der BAW auch zwei Mal das
Angebot unterbreitet bekommen, sich als Kronzeugen zu ver-
dingen. Harald hat in seinem Brief geschrieben, dass noch
kurz vor dem 31. Dezember zwei Herren in seiner Zelle auf-
tauchten und ihm ein entsprechendes Angebot gemacht haben:
Es sei für ihn durchaus möglich, Sylvester auch anderswo zu
feiern, wenn er sich auf so etwas einlassen würde. Selbst-
verständlich haben Harald und Axel diese Angebote abge-
lehnt.
Am 19. Dezember wurde auch noch eine Frau in Frankfurt am
Main festgenommen. Was wisst ihr darüber?
Bisher wissen wir nur von der Verhaftung von Sabine.
Wir versuchen zur Zeit mit Leuten in Frankfurt Kontakt auf-
zunehmen und hoffen, dass ein direkter Kontakt bald über
ihre Rechtsanwältin hergestellt ist. Uns ist nur bekannt,
dass es in Frankfurt bisher kein Treffen von Unterstütze-
rInnen gegeben hat. Ansonsten wissen wir nichts. Da sie im
Zusammenhang mit unseren Freunden und Kollegen verhaftet
wurde, wollen wir zumindest in Erfahrung bringen, ob Sabine
Interesse an einer politischen Unterstützung von unserer
Seite hat.
In Berlin gab es während der Bullen-Razzia schon erste Pro-
teste vor dem Mehringhof, einige Tage später dann eine
kleine Demonstration. Wie erklärst du dir, dass es in Ber-
lin sofort zu Solidaritätsbekundungen kam, in Frankfurt
aber nicht?
Ich denke, es liegt daran, dass Harald und Axel Leute
sind, die hier seit Jahren politisch aktiv sind. Axel hat
praktisch den Mehringhof mit aufgebaut. Er hat lange Zeit
im Speki gearbeitet, so hieß die Kneipe im Mehringhof frü-
her. Und er hat sich in der Nicaragua-Solidarität enga-
giert. In jüngster Zeit hat er bei der Initiative gegen ei-
nen Schlussstrich mitgearbeitet. So jemand ist in Berlin
einfach bekannt.
Ähnliches gilt für Harald, der vor fünf Jahren die FFM
mit gegründet hat. Neben viel unsichtbarer Arbeit, wie z.B.
der Buchhaltung, macht er viel Öffentlichkeitsarbeit im Zu-
sammenhang mit den Taxifahrer-Prozessen in Görlitz und zum
Bundesgrenzschutz sowie zu Übergriffen auf Flüchtlinge an
der Grenze. Harald ist für die FFM viel unterwegs und hält
viele Vorträge zu unseren Themen. Dadurch sind gute Kontak-
te zu kirchlichen und karitativen Organisationen entstan-
den, gerade um diese bemüht sich Harald sehr.
Immer wieder ist die Einschätzung zu hören, die Razzia und
die Verhaftungen seien ein direkter Angriff auf eure Arbeit
und auf den Mehringhof als Ausdruck links-alternativer
Gegenkultur. Meinst du, dass solche Überlegungen im Zentrum
der Bullenaktion stand?
Natürlich gibt es unterschiedliche Einschätzungen; wir
vom FFM denken aber, dass es bei den Festnahmen und der
Durchsuchung in erster Linie darum ging, eine vermeintliche
RZ-Struktur aufzuknacken. Das BKA und die BAW haben offen-
sichtlich ein Interesse daran, eine Struktur anzugreifen,
an die sie in der Vergangenheit nie herangekommen sind. Das
FFM-Büro jedenfalls ist nicht sehr intensiv durchsucht wor-
den. Ein Nebeneffekt der Aktion vom 19. Dezember ist aller-
dings, dass unsere Projekte, die wir für die nächste Zeit
geplant haben, erst mal auf Halde liegen. Der FFM fehlt
jetzt ein Kollege, Harald hat hier förmlich ein Vakuum hin-
terlassen. Gleichzeitig müssen wir uns jetzt mit anderen
Themen befassen, weil wir unsere Freunde, Kollegen und Ge-
nossen aus dem Knast herausholen und politisch unterstützen
wollen. Also Themen wie der Umgang mit staatlicher Repres-
sion, Kronzeugenregelung, 129a etc. Das waren bisher keine
FFM-Themen.
In Berlin sind Plakate aufgetaucht, auf denen u.a. folgen-
des zu lesen ist: "Die RZ haben: AKW-Betreiber sabotiert,
rassistische Richter bestraft, Soziale Bewegungen unter-
stützt und mit vielen anderen Aktionen Leuten aus dem Her-
zen gesprochen. Unsere Solidarität gilt den vier Genossin-
nen und Genossen, die seit Ende 1999 als angebliche RZ-Mit-
glieder im Knast sitzen. Bei allen Differenzen: Ihr Wider-
stand ist auch unser Widerstand." Tut man mit einem solchen
unkritischen und unreflektierten Bezug auf die RZ den in-
haftierten Genossen einen Gefallen?
Unser Ziel ist, unsere inhaftierten Freunde und Genos-
sen aus dem Knast zu holen. Dafür werden wir Geld sammeln,
Veranstaltungen organisieren und versuchen, eine solidari-
sche Öffentlichkeit herzustellen. Harald und Axel haben
sich bisher zu den Vorwürfen noch nicht geäußert. Ich möch-
te aber deutlich sagen: Egal wie sie sich zu dieser Frage
äußern, wir werden weiterhin mit Harald und Axel zusammen-
zuarbeiten. Das steht überhaupt nicht in Frage.
Wenn du das Plakat ansprichst, so fällt mir dazu auch
nicht mehr ein, als dass da Leute einen Mythos hervorge-
kramt haben. Natürlich kann es sinnvoll und notwendig sein,
einen Rückblick zu machen und die Frage zu stellen, welche
Bedeutung die RZ in den 80er Jahren hatten? Ab Mitte der
80er Jahre haben die RZ ja eine Flüchtlingskampagne ge-
macht, was ja auch unmittelbar mit unserem FFM-Thema zu tun
hat. Die RZ haben damals sicherlich in einem bestimmten
Teil der Linken eine Rolle gespielt. Ich würde sogar sagen,
die RZ waren in diesem Kontext nicht unbedeutend, weil sie
mit ihren Aktionen zu wichtigen Diskussionen beigetragen
haben.
Aber klar ist auch, dass Teile der RZ-Strukturen Anfang
der 90er Jahre öffentlich geäußert haben, dass sie mit
ihrer Form, Politik zu machen, aufhören. Sie haben gesagt,
dass ihre Aktionen ohne entsprechende Verankerung in den
Bewegungen keinen Sinn mehr machen. Dazu gab es mehrere
Gegenstimme, das kann man ja alles nachlesen. Was auch im-
mer das Ergebnis dieser Dikussionen war, Fakt ist, dass die
RZ seither kaum mehr in Erscheinung getreten sind. Zumin-
dest wird wohl niemand bestreiten, dass die Flüchtlingskam-
pagne der RZ abgeschlossen sein dürfte. Was diese Kampagne
Ende der 80er Jahre war und was wir heute noch damit zu tun
haben, darüber sollten wir reden. Ich fände es aber poli-
tisch falsch, wenn dies zum Mittelpunkt unserer heutigen
Auseinandersetzungen wird. Wir haben in den letzten Jahren
neue Ansätze entwickelt. Und die dürfen jetzt nicht einfach
in den Hintergrund geschoben werden.
So steht die FFM beispielsweise für eine kritische Re-
cherche, aber auch für eine Verzahnung von Bewegungsstruk-
turen mit anderen politischen Kräften. Daran wollen wir
auch weiterhin arbeiten. Für uns stand vor dem 19. Dezember
und steht auch danach eine antirassistischen Flüchtlingspo-
litik im Vordergrund.
Ich habe das Gefühl, dass sich die Leute, die sich nun
auf das Thema RZ stürzen, ein Thema aufdrücken lassen. Was
eine antirassistische Flüchtlingspolitik anbelangt, kann
ich nicht erkennen, dass diejenigen, die in den letzten
Jahren aktiv waren, ihre politischen Bezüge in RZ-Erklärun-
gen gesucht hätten. Daher empfinde ich eine Verengung auf
das RZ-Thema als einen Rückschritt.
Heißt das, dass ihr das politische Engagement eurer Genos-
sen in den letzten Jahren in den Mittelpunkt eures Versuchs
stellen wollt, Unterstützung zu organisieren?
Auf jeden Fall! Wir dürfen uns nicht von der BAW vor-
schreiben lassen, was wir in den nächsten Monaten zu disku-
tieren haben. Für Harald ebenso wie für Axel gilt, dass sie
an konkreten politischen Fragen gearbeitet haben. An diesen
Themen müssen wir weiterarbeiten.
Was heißt das konkret für die Unterstützungsarbeit?
Zwischen Weihnachten und Neujahr sind in Berlin sehr
viele Leute wegen der Verhaftungen zusammengekommen. Da
trafen sich Menschen aus autonomen Strukturen bis hin zum
Flüchtlingsrat Brandenburg, die teilweise noch nie zusammen
an einem Tisch gesessen hatten. Diese Treffen haben - auch
wenn es teilweise ein ziemlich komplizierter Diskussions-
prozess war - funktioniert. Diese Erfahrung hat uns dazu
gebracht zu sagen - und das steht auch im Zusammenhang mit
unserer Arbeit in der FFM -, wir wollen eine Kampagne, die
auf breiten Füßen steht. Wir wollen auch versuchen, eine
liberale Öffentlichkeit zu diesem Thema zu mobilisieren.
Vielleicht gelingt uns das. Harald zum Beispiel hatte
ja sehr viele Kontakte zu Leuten aus den Kirchen und Wohl-
fahrtsverbänden. Das sind Leute, die seit der Verhaftung
hier anrufen und wissen wollen, was mit Harald passiert
ist. Wir versuchen ihnen die Situation zu erklären. Das ist
zwar nicht immer einfach, aber es funktioniert. Harald ist
für sie eben kein Unbekannter. Sie kennen ihn aus seiner
aktiven Arbeit. Diese Leute wollen wir ansprechen und für
eine politische Unterstützung gewinnen.
Man muss sich in Erinnerung rufen mit welchen politi-
schen Verhältnissen wir heute konfrontiert sind. Wir wissen
über die Umstände, unter denen MigrantInnen und Flüchtlinge
in diesem Land leben. Täglich finden Übergriffe statt.
Jährlich werden 30.000 Menschen aus Deutschland abgescho-
ben. Bei diesen Abschiebungen sterben teilweise Menschen.
Andere sterben an den Grenzen, erfrieren in Wäldern oder
ertrinken in Grenzflüssen. Tausende kommen erst gar nicht
über die Grenzen und werden in die mittel- und osteuropäi-
schen Staaten zurückgeschoben. Dies ist die heutige Situa-
tion. Und dies muss eigentlich im Zentrum unserer politi-
schen Arbeit und unserer politischen Diskussionen stehen.
Wir müssen es schaffen, eine Kampagne für die Freilassung
mit den Themen zu verknüpfen, zu denen wir in den letzten
Jahren gearbeitet haben und für die Harald und Axel stehen.
Das Interview führte mb., Berlin
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