Ordnungsgeld, Strafanzeige, Betrug im Bundesamt für Justiz?

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Agnes bei TiSt GmbH

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Jun 22, 2012, 12:15:47 PM6/22/12
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Die Staatsanwaltschaft Bonn hat gegen den stellvertretenden Leiter des Bundesamts für Justiz Winfried Schreiber unter dem Aktenzeichen 338 Js 137/12 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es geht um Betrug. Dies steht in der  Presserklärung des Mark-Intern-Verlages vom 1. 6. 2012 (http://www.markt-intern.de/presse/newsdetails/datum/2012/06/01/-c332486baf/ ). Viele möchten von uns weitere Informationen dazu. Diesem Anliegen nachzukommen, und zumindest einen Zwischenbericht zu geben ist nicht einfach. Außerdem gilt bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldvermutung.

 

Trotzdem stellt sich vielen Unternehmen wieder neu die Frage, ob auch sie selbst Anzeige erstatten sollen,  noch eine Beschwerde schreiben oder eine Klage einreichen – insbesondere Zwangsvollstreckungsgegenklage.

 

Sicher gibt es viele Strafanzeigen, die jeder Berechtigung entbehren. Der eine ärgert sich schon so sehr um ein Parkknöllchen, dass er Anzeige erstattet, der andere schreibt Strafanzeigen gegen die Bundeskanzlerin, die Justizministerin, den Bundesanzeiger und die Mitarbeiter des Bundesamtes – Strafanzeigen also gleich vielfach, ohne sein eigenes Fehlverhalten überhaupt nur zu bemerken.

 

In der aktuellen Strafanzeige eines veröffentlichungspflichtigen Unternehmens geht es um Betrug. Und dass eine solche Anzeige auch eine Berechtigung haben könnte, ergibt sich aus vorangegangenen Veröffentlichungen in dem Fachinformationsdienst Mark-Intern. Schon Ende 2011stellte er für Abonnenten ein Informationspaket zur Verfügung mit Musterbeschwerden und Vorschlägen für Vollstreckungsgegenklagen. Ausgangspunkt war ein unerwartet positives Ereignis: Einer Beschwerde gegen 5000 Ordnungsgeld (vom Bundesamt gegen den Verlag festgesetzt) hatte das Landgericht Bonn stattgegeben (20.10.2011, Aktenzeichen 16 T434/09). Zur Begründung wird angegeben, dass die Androhungsverfügung im Vorfeld der Ordnungsgeldfestsetzung fehlerhaft war: die Nachfrist von weiteren 6 Wochen für die Veröffentlichung der Bilanz dürfe nicht schon 6 Wochen nach Zustellung beendet sein, sondern erst später (nach Eintritt der Rechtskraft der den Einspruch zurückweisenden Entscheidung).

Nach weiteren Recherchen kam Chefredakteur Peter Vogt von GmbH intern zu dem Ergebnis: „In seinen Androhungsschreiben verwendet das Bundesamt in ständiger Praxis ein Formulierungsmuster, welches das Landgericht Bonn für fehlerhaft erklärte und ein daraufhin festgesetztes Ordnungsgeld für unwirksam….Nach Auskunft des BfJ wurde der zugrunde liegende Fehler bereits im März 2009 erkannt…“ (GI 23/12)

So sieht nun ein „Anzeigenerstatter den begründeten Anfangsverdacht, dass Sachbearbeiter des BfJ bewusst rechtswidrig Ordnungsgelder solange festgesetzt und beigetrieben haben, wie die Betroffenen sich gegen diese Maßnahmen nicht konsequent und zielgerichtet gewehrt haben…Offensichtlich besteht auch für die Staatsanwaltschaft der begründete Anfangsverdacht, dass Mitarbeiter des BfJ unter Duldung leitender Verantwortlicher wie Herrn Schreiber wissentlich rechtwidrig zustande kommende Ordnungsgelder weiter festgesetzt und beigetrieben haben…“(GI 23/12)

Bereits am 17.11.2011 berichtete der Markt intern Verlag in seiner Pressemitteilung von einer Sensation: „Die bislang in dreistelliger Millionenhöhe festgesetzten Ordnungsgelder stehen damit auf dem Prüfstand.“

 Aber das Bundesamt für Justiz fährt weiter unbeirrt fort mit den Zwangsvollstreckungen und Kontopfändungen.

 Welche Möglichkeiten stehen also Betroffenen zur Verfügung, wenn ihre Beschwerden vom Landgericht Bonn bereits rechtskräftig abgewiesen wurden, und das Bundesamt sich den Titel zur Zwangsvollstreckung selbst gibt?

 Gemäß Markt Intern sind möglich: Zwangsvollstreckungsgegenklagen gemäß §767 ZPO, hilfsweise Beschwerde im Sinne von §19 FGG, bzw. §87 Abs. 4 FamFG.

 Zu den möglichen Begründungen kann gehören:

 1) Allein maßgeblich für die Wertung einer Androhung als unwirksam ist, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Frist durch das Bundesamt für Justiz rechtswidrig verkürzt wird (Entscheidung Landgericht Bonn vom 8.2.2011, Az. 31 T 791/10)

 2) Es liegt willkürliche Ungleichbehandlung vor.

 3) Die Androhungen der Ordnungsgelder sind  fehlerhaft (vgl Urteil des LG Bonn vom 20.10.2011). Es darf keine willkürliche Ungleichbehandlung geben, abhängig davon ob Einspruch eingelegt wurde oder nicht.

 4) Die hier vorgetragenen Einwendungen wegen unwirksamer Androhungen der Ordnungsgelder waren zuvor nicht bekannt.

 5) Die Ordnungsgelder wurden materiell unrechtmäßig festgesetzt, sind rechtswidrig zustande gekommen. Die Beitreibung ist grob rechtsstaatswidrig.

 6) Der Vollstreckungstitel ist  materiell nicht korrekt und daher unzulässig.

 7) Das Bundesamt für Justiz hätte § 135 Abs. 2 FGG, bzw. § 390 Abs. 4 FamFG berücksichtigen müssen.

 8) Das Bundesamt hätte hinweisen müssen auf die nach §335 Abs. 4  HGB iVM §64 Abs. 3 FamFG für das Landgericht gegebene Möglichkeit, die Vollziehung des Ordnungsgeldes auszusetzen.

Die Rechtsmaterie zum Ordnungsgeldverfahren ist nach wie vor sehr komplex. Wir halten es nicht für sinnvoll, dass sich jetzt jedes zweite Unternehmen einen hoch spezialisierten Anwalt sucht. Es ist Aufgabe des Bundesamtes, den Unternehmen mit einem gewissen Wohlwollen dabei behilflich zu sein, Ihre Pflichten zu erfüllen. Und beim kleinsten Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Ordnungsgeldfestsetzung  ist dies vom Bundesamt selbst zurück zu nehmen!

Agnes bei TiSt GmbH

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Jun 24, 2012, 7:57:19 AM6/24/12
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Anspruch aus Amtshaftung

 In dem Informationsdienst GmbH intern, GI 24/12 (Abonnenten zugestellt am 13.6.2012) wird von etlichen Unternehmen berichtet, die wesentlich mehr als 25.000 € Ordnungsgeld zahlen mussten wegen verspäteter Veröffentlichung ihrer Bilanzen im Internet – verspätet meistens aus Gründen, die die Geschäftsführer für zwingend hielten. Dies deckt sich mit unseren eigenen Erfahrungen. Etliche Unternehmen mussten allein wegen des Ordnungsgeldes Insolvenz anmelden oder werden dies noch tun müssen, weil eine Stundung ihnen noch einwenig Zeit lässt. In vielen Fällen liegen aber Formfehler in den Androhungsverfügungen vor, die die Geschäftsführer nicht erkennen konnten, derentwegen davon auszugehen ist, dass die Ordnungsgelder unrechtmäßig festgesetzt wurden. Im ersten Schritt ist also notwendig, ungerechtfertigt gezahltes Ordnungsgeld zurück zu fordern. Bis das Bundesamt sich selbst darum kümmert, vergeht vielleicht viel kostbare Zeit. Immer dringender wird für viele Unternehmen aber auch die Frage: Wer zahlt dann letztendlich die Kosten, erhebliche Beträge zum Beispiel für zusätzlich notwendig gewordene Arbeiten von Steuerberatern und Rechtsanwälten?

Um zumindest den rechtlichen Rahmen für die Möglichkeiten einer Kostenerstattung aufzuzeigen, können wir aktuell nur auf Veröffentlichungen von Dr. Thomas Stollenwerk verweisen (vorher Richter am Landgericht, Bonn und Pressesprecher des Landgerichtes, später Richter am Amtsgericht Bonn), zum Beispiel auf den Beitrag in der GmbH Rundschau 02 von 2009 (http://www.gmbhr.de/heft/02_09/blickpunkt.htm).

 Sein Beitrag beginnt damit, dass er die Geschäftsführer mit Nachdruck darauf hinzuweist, dass sie eventuelle Einwendungen schon bei der Androhung im Einspruchsverfahren vortragen müssen.

 In ganz erheblichem Ausmaß wurden Ordnungsgeldverfahren eröffnet und Androhungsverfügungen in gelben Briefen verschickt, die tatsächlich nicht gerechtfertigt waren, also zu einem Erlass der Forderung von Auslagen und Gebühren in Höhe von 53,50 € führten. Im Jahr 2008 zum Beispiel wurden allein das Rechnungsjahr 2006 betreffend fast 500.000 Androhungsverfügungen verschickt, aber jede zweite Androhungsverfügung war nicht berechtigt (es wurde darauf verzichtet, die 53,50 € zu kassieren).

https://fragdenstaat.de/anfrage/ordnungsgeld-gema-335-handelsgesetzbuch/

 Dr. Stollenwerk befasst sich in dem oben genannten Beitrag mit der Frage, welche Möglichkeiten es gibt, dass Unternehmen Kostenerstattung erhalten, wenn das Bundesamt Ordnungsgeld, Gebühren, Auslagen unberechtigt androht und festsetzt.

 Grundsätzlich hält er fest: „Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden bei einer Einstellung des Verfahrens vom Bundesamt nicht übernommen.“ Diese Weigerung des Amtes ist nach unserer Auffassung unbillig und nicht rechtmäßig. Es muss eine gerichtliche Überprüfung möglich sein, das folgt aus dem Justizgewährungsanspruch.

 Dr. Stollenwerk befasst sich mit der Möglichkeit eines Anspruch aus Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG, Anspruch auf Schadensersatz wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung), der grundsätzlich möglich ist. Es sollten aber besondere Gründe vorhanden sein, die nur sehr selten zu finden seien. Denn ein Amtshaftungsanspruch setzt voraus, dass einem Beamten des Bundesamtes für Justiz ein Verschulden nachgewiesen werden kann.

Agnes Tillmann-Steinbuß

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Sep 7, 2012, 6:31:54 AM9/7/12
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Einen gewissen Riegel geschoben vor Zwangsvollstreckungsgegenklagen, Beschwerden bzw. Eingaben an das Landgericht Bonn gegen bestandskräftiges Ordnungsgeld hat das Oberlandesgerichtes Köln in dem aktuellen Urteil vom 19.07.2012, Aktenzeichen: 16 W 25/12.

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2012/16_W_25_12_Beschluss_20120719.html

Wir bedanken uns beim Informationsfachdienst GmbH intern für den Hinweis und beim NRW-Justizportal für die Möglichkeit, die Urteilsbegründung hier verlinken zu können. Nachfolgend ein Zitat aus der Urteilsbegründung:

 „Es kann dahinstehen, mit welchem Rechtsbehelf nachträglich entstandene materielle Einwendungen gegen das Ordnungsgeld (Zahlung, Aufrechnung) oder die Unwirksamkeit des Titels geltend gemacht werden könnten…Die bloße Unrichtigkeit des Titels kann nach dessen Rechtskraft im Vollstreckungsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden.“

 Informationen über die Rechtsbehelfe, die aber doch möglich sind bei nachträglich entstandenen materiellen Einwendungen werden wir so bald wie möglich weitergeben.

Agnes für BgB

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Mar 31, 2013, 11:34:38 AM3/31/13
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In der Ausgabe Gi 11/13 berichtet GmbH-Intern, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahrengegen den stellvertretenden Leiter des Bundesamts für Justiz (Winfried Schreiber, Aktenzeichen 338 Js 137/12) eingestellt wurde. Denn nach Ansicht der Staatsanwältin liege „ein individuelles Versehen“ zugrunde – so sei der Anfangsverdacht des fortgesetzten Betruges nicht mehr gegeben. Die Chefredaktion ist aber der Auffassung, dass der Anzeigenerstatter kein Einzelfall sei. Sie bietet Firmen an, zu prüfen, ob auch sie „Einzelfallopfer“ sind und bittet um Zusendung von Festsetzungsbescheiden (fortgesetztes Ordnungsgeld von mindestens 5000 € mit Festsetzungsdatum vor Mai 2010). Vertrauliche Behandlung aller Unterlagen wird selbstverständlich zugesichert. 


Am Freitag, 22. Juni 2012 18:15:47 UTC+2 schrieb Agnes Tillmann-Steinbuß:
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