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Geschichte des Berliner Abfalls

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Berliner LAG Naturschutz e.V.

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Mar 11, 1997, 3:00:00 AM3/11/97
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Liebe E-mail -Gemeinde

Im folgenden zur Information ein Abriß der abfallwirtschaftlichen Geschichte Berlins von
Judith Demba, abfallpolitische Sprecherin der Grünen in Berlin, mit Blick auf das
anstehende Mediationsverfahren zur Aktualisierung de Berliner Abfallwirtschaftsplans.

Viele Grüße
Amrai Hartlage
Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN)

Die unendliche Geschichte zur Entsorgung der Berliner Siedlungsabfälle


Die Entwicklung bis 1993 - oder ein Blick zurück

Um die derzeitige abfallwirtschaftliche Situation in Berlin zu erklären, ist es notwendig,
erst einmal zurück zu schauen.

Die Großstadt Berlin inmitten von Brandenburg gelegen, hat sich zur Entledigung ihrer
Zivilisationsabprodukte schon seit langem Plätze im selbigen gesucht. Bereits um 1920
wurden in Vorketzin auf der sogenannten ,Charlottenburger Müllhalde" Berlin
Großstadtabfälle verkippt.
Auch später haben sowohl Ost- als auch Westberlin ihre Abfälle im Berliner Umland
abgelagert: Ostberlin in Wernsdorf, Schwanebeck und Schöneicher Plan; Westberlin vor
allem in Vorketzin und Schöneiche (später incl. Sondermüllverbrennungsanlage). Seit
1974 gab es zwischen der DDR und Westberlin eine vertragliche Regelung über die
Entsorgung Westberlins, welche vorsah, daß die BSR Westberliner Hausmüll für den
Preis von ca. 40 DM/ t auf den Deponien Vorketzin und Schöneiche anliefern konnte.
Dieses Regelwerk ging unter der Bezeichnung ,Langfristvertrag zur Entsorgung
Westberlins" in die Geschichte ein. Dieser Vertrag galt auch nach dem Mauerfall fort und
stellte aus Westberliner Sicht eine ideale Lösung für die sich abzeichnenden
Entsorgungsprobleme dar. Betreiber dieser Deponien war damals der VEB Deponie
Potsdam, woraus bereits im Frühjahr 1990 die Märkische Entsorgungsanlagen-
Betriebsgesellschaft mbH (MEAB) mit dem Alleingesellschafter Treuhand wurde.

Über die Regelung im Einigungsvertrag, daß die üblicherweise in den alten Ländern
kommunal betriebenen Einrichtungen und Betriebe auch in den neuen Ländern an die
Kommune zu übertragen sind, ist der VEB Stadtreinigung samt seiner Deponien
Wernsdorf, Schwanebeck und Schöneicher Plan an das Land Berlin übertragen worden.
Seit diesem Zeitpunkt werden diese Deponien von der BSR bewirtschaftet. Die übrigen
Gesellschaften sollten von der Treuhand privatisiert werden.

Da Berlin mit einer möglichen Veräußerung der MEAB an Dritte seine
Entsorgungsicherheit gefährdet sah und auf der anderen Seite das Land Brandenburg als
möglicher Rechtsnachfolger für die Erfüllung des Langfristvertrages verantwortlich
zeichnete, wurde nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht.

Schließlich einigten sich die Länder Berlin und Brandenburg im Sommer 1993 darauf,
die MEAB jeweils zu gleichen Teilen von der Treuhand zu übernehmen und schlossen
einen Konsortialvertrag ab. Dieser Vertrag schreibt einerseits die Entsorgungssicherheit
für Berlin fest, d.h. Berlin kann weiter über die MEAB - Deponien ,verfügen",
andererseits hat sich Berlin verpflichtet, die Kosten der Sicherung, Sanierung und
Nachsorge der MEAB Deponien zu tragen.
Da die Brandenburger Deponien zwar von der westberliner Firma Berlin Consulting
geplant und gebaut wurden, aber weder über eine Basisabdichtung, noch über eine
Sickerwassererfassung etc. verfügten und die Devisen von der DDR auch nicht zur
Ertüchtigung und Sicherung derselben ausgegeben worden sind, ergibt sich heute ein
hoher Sanierungsbedarf. Die über ein Gutachten ermittelten Sanierungskosten für die
fünf Deponien (BSR + MEAB) betragen ca. 2 Mrd. DM.

Auf der Grundlage dieses Konsortialvertrages und der von der BSR zwischen 1993 und
1995 angelieferten Mengen hat die MEAB unter Einrechnung der Kosten für Sicherung
und Sanierung der Altkörper (die von Berlin in den letzten 20 Jahren benutzten
Deponieflächen) ein Deponieentgelt von 170,- DM/t Siedlungsabfall errechnet.
Die BSR, die inzwischen vom Eigenbetrieb zu einer Anstalt öffentlichen Rechts
gewandelt wurde, verfolgt nun eigene Interessen, wie z.B. den Bau einer
Thermoselectanlage in der Gradestraße, und weigert sich zunehmend, den
Konsortialvertrag umzusetzen. Wenn die BSR aber weniger Müll bei der MEAB anliefert
als vorgesehen, sei es um schnellstmöglich eigene Deponien zu verfüllen oder langfristig
ihre Müllverbrennungsanlage zu füttern, führt das nicht nur dazu, daß die
Abnahmepreise steigen, sondern auch dazu,daß die Sanierung gefährdet ist.

Das Hassemer Konzept - oder was in dieser Zeit noch passierte

In der letzten Legislaturperiode war die abfallpolitische Stimmung zwischen Berlin und
Brandenburg bis auf die Einigung bezüglich der MEAB denkbar schlecht. Das lag nicht
an der Unwilligkeit Brandenburgs, wie aus dem Hause Hassemer immer wieder zu hören
war, sondern vielmehr an den unterschiedlichen umweltpolitischen Interessen der beiden
Regierungen.

Das Land Brandenburg sprach sich dezidiert gegen die Müllverbrennung aus und setzte
auf alternative Verfahren (kalte Vorbehandlung), gleichzeitig wurde von Brandenburg das
sog. Territorialprinzip festgeschrieben. Damit sollte der Zustand, daß Berliner
Siedlungsabfälle immer noch (und bis heute) unbehandelt auf den Deponien landen,
schnellstmöglich beendet werden. Mit dem Verweis auf dieses Territorialprinzip und auf
die Anforderungen der Technischen Anleitung Siedlungsabfall (TASI), die vorsieht , daß
ab 2005 nur noch Reststoffe mit einem Glühverlust unter 5% abgelagert werden dürfen,
hat der damalige Umweltsenator Hassemer die prognos - AG mit einem
Standortsuchverfahren für mögliche Abfallentsorgungsanlagen in Berlin betraut. Als ein
Untersuchungsergebnis vorlag, welches u.a. bis zu vier neue Müllverbrennungsanlagen
vorsah, fürchtete Senator Hassemer mit Recht um die Akzeptanz eines solchen
Konzeptes. Er versuchte in einem ,Abfallforum" die Bezirke von diesem Konzept zu
überzeugen. Dies mißlang gründlich. Einige BezirksvertreterInnen, wie z.B. der damalige
grüne Bürgermeister von Lichtenberg, Gottfried Mucha, sprachen sich in diesem Kreis
energisch gegen dieses Konzept und das Vorgehen Hassemers aus. Auf Grund dieses
Widerspruches sowie des Protestes von Bürgerinitiativen, Bündnis 90/Grünen und
Umweltverbänden, welche Hassemer immer wieder vorwarfen, Vermeidungsstrategien
nicht genügend geprüft und verfolgt zu haben, gab es ein nachgeschaltetes
,Abfallvermeidungforum" mit etlichen Arbeitsgruppen. Auch wenn bis heute kaum eine
der damals erarbeiteten Strategien und Maßnahmen umgesetzt worden sind, ist es doch
durch die Arbeit der Umweltverbände und BIs im Abfallvermeidungsforum dazu
gekommen, daß die abfallpolitische Diskussion noch einmal einen Impuls bekommen
hat. Denn in der Arbeitsgruppe ,Kalte Vorbehandlung" konnten sie damals durchsetzen,
daß der Senat einen Auftrag zur Prüfung von Möglichkeiten zur Kalten Vorbehandlung
als Alternative zu den geplanten MVAs in Auftrag gibt. Die Erarbeitung diese
Gutachtens fiel in die Zeit des Wahlkampfes, als es fertig war, ließ es Hassemer erst
einmal im Schreibtisch verschwinden, um die ihm lästige Diskussion darum seinem
Nachfolger zu überlassen.

Wo stehen wir heute

Die Diskussion des Gutachtens fand dann auch erst unter dem jetzigen Senator Strieder
statt. Die Auswertung zeigte sehr deutlich, daß mit den Zahlen und Prognosen von 1992
nicht mehr gearbeitet werden kann. Die SPD, insbesondere ihr Umweltsenator, wollte in
der Abfallpolitik neue Akzente setzen. Somit war die Frage um die Notwendigkeit neuer
MVAs neu eröffnet. Die Umweltverbände, BIs und Bündnis 90/Grüne stellen sich dieser
Diskussion nun seit sechs Jahren und fordern andere Konzepte ein. Insbesondere in der
derzeitigen Haushaltssituation muß diese Auseinandersetzung. auch vor dem
Hintergrund der hohen finanziellen Belastungen, die mit dem Sanierungsaufwand der
Deponien auf das Land zukommen, geführt werden. Zusätzlich verändert sich die
abfallpolitische Lage durch das am 7. Oktober 1996 inkraftgetretene
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG), welches die Zuständigkeit des
öffentlichen Entsorgungsträgers zukünftig auf Abfälle zur Beseitigung begrenzt.

Die BSR und die BEWAG wollen nach wie vor ihre Verbrennunganlagen bauen. Um
damit aber Profit machen zu können, brauchen sie einen sog. Rahmenvertrag mit dem
Land Berlin, der ihnen über 20 Jahre oder mehr die notwendigen Abfallmengen zusichert
(bzw. das Geld dafür). U.a. aufgrund der unsicheren Datenlage hat Strieder im Senat
durchgesetzt, daß ein solcher Vertrag mit den Berliner Pyromanen derzeit nicht
ratifiziert wird. Damit ist die Kuh aber noch lange nicht vom Eis, denn das Begehren der
potentiellen Verbrenner BSR und BEWAG ist damit nicht vom Tisch.

Für das Land Berlin geht es darum, sechs Jahre nach dem Mauerfall endlich zu
zukunftsweisenden ökologisch und ökonomisch vertretbaren Konzepten zu kommen.
Wie kann das gehen?

Auf Grund der beschriebenen Situation läßt sich meines Erachtens feststellen, daß
insbesondere wegen der hohen Sanierungskosten für die Deponien, die Möglichkeit
eines kombinierten Verfahrens zwischen deponienaher MBA (mechanisch-biologischer
Anlage) und Sanierung bei gleichzeitigem Verzicht auf weitere MVAs ein Weg ist, der
erstens schnellstmöglich den Zustand beendet, daß weiterhin Berliner Müll völlig
unbehandelt auf den Deponien verkippt wird und zweitens die Entsorgungssicherheit
Berlins über Jahrzehnte garantiert. Darüber hinaus hält er bei einem Weiterbetrieb der
Deponien weit über das Jahr 2005 hinaus die Belastungen der
AbfallgebührenzahlerInnen entsprechend gering, weil die Refinanzierung der teuren
MVAs entfällt und die Sanierungskosten über einen langen Zeitraum erbracht werden
müssen.
Praktisch könnte dies wie folgt aussehen: von den fünf derzeit von Berlin genutzten
Deponien werden drei saniert und mindestprofiliert (geschlossen), Schöneiche und
Schöneicher Plan werden von einer Betreibergesellschaft aus BSR und MEAB mit
angeschlossener MBA weiterbetrieben.

Seit dem mißglückten Abfallforum und dem gescheiterten Versuch eines
Konfliktmanagementverfahrens zur Thermoselectanlage in der Gradestraße, geht es
darum, den abfallwirtschaftlichen Dialog zwischen allen relevanten gesellschaftlichen
Gruppen in der Stadt neu zu organisieren. Nicht zuletzt auf Initiative der Bürgerinitiativen
Britzer Umweltforum, BI Nord Ost, des Umweltforums Karlshorst und der
Umweltverbände ist es am 20.01.1996 gelungen, einen Beschluß zur Durchführung
eines Mediationsverfahrens zur Aktualisierung des Abfallwirtschaftsprogrammes
herbeizuführen. An diesem Verfahren sind insgesamt 28 Verbände, Organisationen, BIs,
BezirksvertreterInnen , Entsorger etc. beteiligt. Das ,grüne Spektrum" von BIs bis
Bündnis 90/Die Grünen sieht in diesem Verfahren einen zusätzliche Möglichkeit für
ökologisch und ökonomisch vertretbare Lösungen zu streiten.


Judith Demba, 28.01.1997

AMRAI2.DOC

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