ist das wahr und ich habe dann doch
tatsaechlich was verpasst.
Will der Schily mit gesetzlichen
Druck eine Einheitsmeinung durchsetzen?
Dann fallen alle Kritiken an den Aktionen
der Amerikaner unter "Volksverhetzung" ?
Wenn dem so sein sollte, werden wir
morgens ein staatlich verordnetes
Schriftstueck bekommen, in dem dann
alles steht was an dem jeweiligen
Tag geaeussert werden darf.
Nein danke, dann muss dagegen gekaempft werden.
Ick lass mir meine Schnauze nicht verbieten. Basta !
Mit sozialem und kollegialem Gruss
Regards,
Ulrich
--
Solinet (seit 1987) Das Netz der Gewerkschafter
WWW.SOLISERV.DE - Die Datenbank der Gewerkschafter
>Will der Schily mit gesetzlichen
>Druck eine Einheitsmeinung durchsetzen?
So ähnlich. Schilly ist auf dem besten Weg zum deutschen McCarthy ...
taz Nr. 6580 vom 22.10.2001
Schily macht Kollegen fassungslos
Das Justizministerium hält wesentliche Teile des Anti-Terror-Pakets für
unverhältnismäßig oder unzulässig. Außerdem verdächtigen andere Ressorts
den Bundesinnenminister, gar nicht gewollt zu haben, dass der Entwurf
geprüft wird
von JEANNETTE GODDAR
Vierzehn Tage nachdem Innenminister Otto Schily (SPD) sein zweites
Anti-Terror-Paket in Eile geschnürt und den Kabinettskollegen zur
schleunigen Verabschiedung unterbreitet hat, hat das Justizministerium
(BMJ) in ungewohnter Deutlichkeit darauf reagiert: Nach Einschätzung des
BMJ sind nicht nur einzelne, sondern ganz wesentliche Teile des Pakets
verfassungsrechtlich bedenklich, unverhältnismäßig, unzulässig oder
stehen gar im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Prinzipien. Selbst eine
gesunde Portion Zynismus erlaubt sich die 32-seitige Stellungnahme des
Justizressorts: Im Hinblick auf den Titel des Pakets, der
"Terrorismusbekämpfungsgesetz" laute, scheine es doch "angeraten, den
Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des
Terrorismus zu beschränken".
Im Einzelnen moniert das Papier, das der taz vorliegt, in etwa die
Punkte, die auch schon von Datenschützern, Ausländer- und
Bürgerrechtlern kritisiert wurden: Die vorgesehene Speicherung von Daten
und Fingerabdrücken von Asylbewerbern über einen Zeitraum von zehn
Jahren sei "zweifelhaft". Bei den vorgesehenen Erweiterungen der
Datenverarbeitungsmöglichkeiten im Ausländerrecht bestünde die Gefahr
einer "unzulässigen verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung". Was die
von Schily geplante Aufnahme der Religionszugehörigkeit ins
Ausländerzentralregister angehe, sei diese mit dem Grundgesetz nicht
vereinbar - und wenn, dann nur mit "Einwilligung der Betroffenen".
Rundweg abgelehnt wird von den Juristen auch die geplante Erleichterung
von Abschiebungen bereits bei einem Verdacht und auch in Länder, in
denen die Todesstrafe gilt: Ein umfassender Rechtsschutz wäre
"illusorisch", so heißt es, wenn "die Verwaltungsbehörden irreparable
Maßnahmen durchführten, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft
haben". Generell fordert das BMJ, die geplanten Änderungen des
Ausländer- und Asylverfahrensgesetzes insbesondere vor dem Hintergrund
"der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz des
Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" zu überarbeiten.
Unhaltbar ist nach Ansicht des Justizministeriums aber auch die von Otto
Schily geplante "beinahe uferlose Ausweitung der Zuständigkeit des
Bundeskriminalamtes". Verdachtsunabhängige Ermittlungen sowie
"Datensammlungen auf Vorrat" seien "verfassungsrechtlich unzulässig",
heißt es. Auch dass der Verfassungsschutz Informationen von Banken, Post
und Fluggesellschaften einholen dürfen soll, sei "problematisch".
Das BMJ-Papier wirft aber nicht nur inhaltlich, sondern auch wegen
seiner Übermittlung an die Öffentlichkeit ein bezeichnendes Licht auf
die Unzufriedenheit mit Schilys Vorgehen unter seinen Kollegen. In
"verschiedenen Ministerien mit nahen Berührungspunkten" sei man
"fassungslos" gewesen, verlautet es aus einem derselben. Dass ein
Minister einen Referentenentwurf am Freitag vorlege und am Montag von
der Staatsekretärsrunde beraten lassen wolle, habe es "so noch nicht
gegeben". Hätte Kanzleramtschef Walter Steinmeier das Anti-Terror-Paket
II nicht wieder zurückgezogen, hätte es innerhalb von höchstens zehn
Tagen "durch das Kabinett gepeitscht" werden sollen. "Die einhellige
Ansicht in den übrigen Ressorts lautete: Das Bundesinnenministerium will
nicht, dass sein Gesetzentwurf geprüft wird", konstatiert ein daran
beteiligter Mitarbeiter eines Ministeriums. Der nun angepeilte
Kabinettstermin ist der 7. November. Bis dahin dürfte die Liste der
Änderungswünsche lang geworden sein.
+++++++++++++++++++
Junge Welt, 22.10.2001
Peter Nowak
Selbstgebastelte Terroristen
Der neue Paragraph 129 b zielt auch auf Unterstützer von
Befreiungsbewegungen
Ein Handverkäufer der deutschsprachigen Ausgabe der Resistencia, des
Organs der kolumbianischen Guerillabewegung FARC, wird verhaftet und in
Untersuchungshaft gesteckt. Im Verlag 8. Mai, der die Zeitung
herausgibt, findet eine Hausdurchsuchung statt, der Geschäftsführer wird
ebenfalls verhaftet. Dieses Szenario könnte demnächst Wirklichkeit
werden. Schließlich wurde auf einer Sitzung des Bundeskabinetts am 19.
September die Einführung des neuen Paragraphen 129 b ins Strafgesetzbuch
beschlossen. Er soll den 1976 eingeführten und 1987 verschärften
Paragraphen 129 a ergänzen, der die Bildung und Unterstützung von, die
Mitgliedschaft in und die Werbung für terroristische und kriminelle
Vereinigungen in Deutschland unter Strafe stellt.
Die neue Verschärfung soll den Kreis der zukünftig Verfolgenden auf
Mitglieder und Unterstützer internationaler »terroristischer
Organisationen« ausdehnen. Dabei forderten Bürgerrechtsorganisationen
sowie bündnisgrüne Politiker seit Jahren die Abschaffung des 129 a, der
seit seiner Einführung heftig umstritten war. »In der Praxis werden
damit vor allem mißliebige Meinungsäußerungen kriminalisiert: So wurden
Journalisten der >Unterstützung terroristischer Vereinigungen<
beschuldigt, weil sie Bekennerschreiben militanter Gruppen abdruckten.
Sprayer, die die Wände der Münchener U-Bahn mit dem Slogan >Krieg den
Palästen< und einem fünfzackigen Stern bemalten, wurden in den 80er
Jahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung zu zwölf
Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt«. So beschrieb der Jurist Marc
Holzberger die Auswirkungen des Paragraphen. Der Publizist Oliver
Tolmein charakterisierte den 129 a als »ein flexibel einsetzbares
Instrumentarium zur Ausforschung des Protestmilieus«.
Ein Befund, der sich auf Fakten berufen kann, die die Bundesregierung
kürzlich auf eine kleine Anfrage der PDS hin veröffentlichte. Danach
endeten weniger als drei Prozent der Ermittlungsverfahren, die in den
90er Jahren aufgrund des Paragraphen129 a eingeleitet wurden, mit einem
gerichtlichen Urteil. Die eingestellten restlichen 97 Prozent waren für
den Staatsschutz keineswegs nutzlos, denn der 129 a eröffnet eine Fülle
von Möglichkeiten zur Überwachung großer Personengruppen.
Die Einführung des 129 b soll im Windschatten der Anschläge in den USA
schnell über die Bühne gehen. Dabei reichen die Pläne dafür bis in den
Dezember 1998 zurück, als der Rat der Innen- und Justizminister der EU
alle Mitgliedstaaten verpflichtete, in ihr jeweiliges Strafrecht den
Tatbestand der Beteiligung an einer »kriminellen Vereinigung«
aufzunehmen. Damit könnte der alte Traum vieler Sicherheitspolitiker vom
einheitlichen Rechtsraum EU Wirklichkeit werden. Legale politische
Handlungen wie Demonstrationen, Presseerklärungen etc. können
kriminalisiert werden, wenn sie als Unterstützung für eine
terroristische Vereinigung gewertet werden.
Die Entscheidung, wann bewaffnet kämpfende Gruppen als Terroristen und
wann als Freiheitskämpfer zu gelten haben, behalten sich die Regierungen
je nach politischer Opportunität vor.
+++++++++++++++++++
Frankfurter Rundschau, 20.10.2001
Justizressort rügt Schilys Pläne
Massive Bedenken gegen Gesetze zur inneren Sicherheit / Kritik auch aus
der SPD
Von Vera Gaserow
Das zweite Gesetzespaket von Bundesinnenminister Otto Schily zur inneren
Sicherheit stößt auf massive Bedenken des Bundesjustizministeriums. In
einer Ressort-Stellungnahme stuft das Ministerium wesentliche Teile der
geplanten Regelungen als verfassungsrechtlich bedenklich, nicht
verhältnismäßig und rechtsstaatlich problematisch ein. Auch der
SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz forderte Nachbesserungen.
BERLIN, 19. Oktober. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD)
verteidigte die Pläne ihres Kabinettskollegen am Freitag zwar gegen
Kritik auch aus den eigenen Reihen. Die amtliche Ressort-Stellungnahme
ihres Hauses warnt jedoch vor gravierenden Eingriffen in
Persönlichkeitsrechte durch Schilys Referentenentwurf.
Deutliche Kritik übt das Justizministerium an der geplanten "beinahe
uferlosen Ausweitung der Ermittlungszuständigkeit des
Bundeskriminalamts". Die vorgeschlagenen Regelungen ermöglichten
verdachtsunabhängige Ermittlungen und "Datensammlungen auf Vorrat".
Diese seien jedoch verfassungsrechtlich "unzulässig", heißt es in der
32-seitigen Stellungnahme, die der Frankfurter Rundschau vorliegt.
Bedenken erhebt das Fachgutachten auch dagegen, dass Kredit-, Post- und
Telekommunikationsunternehmen künftig dem Verfassungsschutz über ihre
Kunden Auskunft geben müssen. Schilys Entwurf sieht vor, dass die
Betroffenen nicht unterrichtet werden dürfen, wenn ihre persönlichen
Daten abgerufen werden. Auch die vorgesehene Überprüfung für Mitarbeiter
von sicherheitsempfindlichen Einrichtungen wie Wasser- und
Elektrizitätswerken oder Krankenhäusern geht den Ministeriumsjuristen
entschieden zu weit.
Gegen die umstrittene Speicherung von Fingerabdrücken und biometrischen
Daten in Ausweispapieren erhebt das Däubler-Ministerium keine
"prinzipiellen Bedenken" - sofern diese Merkmale dezentral,
beispielsweise in den jeweiligen Passämtern, und nicht zentral
gespeichert würden. Scharf kritisiert wird aber, dass Schilys Entwurf
offen lässt, welche verschlüsselten Merkmale er noch in den Ausweisen
registrieren lassen will. Nach den Plänen wäre es auch möglich, den
genetischen Fingerabdruck mit "höchst sensiblen Gesundheitsdaten der
Betroffenen" zu speichern, warnt das Gutachten.
Grundlegende Korrekturen am Sicherheitspaket fordert die
Justiz-Stellungnahme bei den geplanten Verschärfungen des Ausländer- und
Asylrechts. Dass Daten und Fingerabdrücke von Asylbewerbern künftig zehn
Jahre gespeichert und für polizeiliche Zwecke nutzbar sein sollen, sei
äußerst zweifelhaft. Die geplante Registrierung der
Religionszugehörigkeit aller Ausländer im Ausländerzentralregister sei
ohne Zustimmung der Betroffenen unzulässig. Als unverhältnismäßig stuft
das Gutachten Pläne ein, nach denen Ausländer ausgewiesen werden sollen,
wenn gegen sie nur der Verdacht des Terrorismus oder einer schweren
Straftat besteht.
Ähnlich wie das Justizministerium kritisierte auch der SPD-Innenexperte
Wiefelspütz, dass es künftig weitgehend ins Belieben des
Innenministeriums gestellt werden soll, welche Daten im Ausweis
registriert werden. Er verlangte der Agentur Reuters zufolge, den
Bundestag bei dieser Frage zu beteiligen. Der innenpolitische Sprecher
der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, sprach sich für eine zeitliche
Befristung für einige der Sicherheitsgesetze aus. "Erhebliche Bedenken"
äußerte auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob.
Im Bundesrat erhielten Schilys Pläne Unterstützung. Die Unions-Länder
wollen teils noch über seine Vorschläge hinausgehen.
+++++++++++++++++++
junge Welt, 24.10.2001
jW-Bericht
Hochrangiger Verriß für Antiterrorpaket
Bundesjustizministerium kritisiert Ignoranz gegenüber Menschenrechten in
Schilys Gesetzentwurf
In der Stellungnahme des Bundesjustizministeriums (BMJ) zum Entwurf
eines »Terrorismusbekämpfungsgesetzes« vom 17. Oktober, die jW jetzt im
Wortlaut vorliegt, werden bemerkenswert deutliche Worte gefunden. Die
dort formulierte Kritk an Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien
und an einem sehr sorglosen Umgang mit Menschenrechten kommt in der
Sache einem Totalverriß gleich.
Nach Einschätzung der innenpolitischen Sprecherin der
PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, hat es eine so scharfe Kritik aus
dem BMJ an den Plänen von Innenminister Otto Schily »noch nie gegeben«.
Unter anderem heißt es in der Stellungnahme mit Blick auf die geplanten
Änderungen im Bundeskriminalamtgesetz, sie würden den Weg freimachen
»für eine beinahe uferlose Ausweitung der Ermittlungszuständigkeiten des
BKA«. Die geplante »Vorermittlungskompetenz« des BKA stelle »das dem
Schutz des Beschuldigten dienende System der Strafprozeßordnung
grundlegend in Frage«. Sie würde »die Tätigkeit der Polizeibehörden an
die der Nachrichtendienste annähern und damit das Trennungsverbot
verletzen«.
Die von Schily gewünschte Ausweitung der Sicherheitsüberprüfungen auf
Beschäftigte zahlreicher Branchen wie Pharmazie, Banken, Post, Rundfunk
etc. gehen den Bundesinnenminister nichts an. Sie falle in die Kompetenz
der Länder. Bei den vorgesehenen Auskunftspflichten für Banken, Post und
Luftfahrtunternehmen an das Bundesamt für Verfassungsschutz wird es als
»problematisch« angesehen, daß hier keinerlei
»Tatbestandsvoraussetzungen« definiert werden, die ein solches Vorgehen
rechtfertigen. Auch bezweifelt das BMJ, daß dieses Instrument zur
allgemeinen Gefahrenabwehr taugt.
Schilys Vorstellung, per Rechtsverordnung festlegen zu dürfen, welche
»biometrischen Daten« in Ausweisen gespeichert werden dürfen, sei, so
das BMJ, mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
unvereinbar und verstößt gegen Verfassungsgerichtsurteile.
Auch die Rechtmäßigkeit der geplanten Änderungen im Asylrecht, durch die
auch Kritik an Menschenrechtsverletzungen als »Terrorismus« eingestuft
werden und damit zum Verlust des Asyls führen könnte, werden vom BMJ in
Zweifel gezogen. Das Ministerium weist zudem darauf hin, daß die
geplante Speicherung der Religionszugehörigkeit im
Ausländerzentralregister gegen das Grundrecht auf Religionszugehörigkeit
verstößt.
Was Schilys Vorschläge zur Erhöhung der Flugsicherheit betrifft, macht
das BMJ darauf aufmerksam, daß der geplante Einsatz von BGS-Beamten als
sogenannte »Sky-Marshals« mit der »Bordgewalt des Luftfrachtführers«
kollidiere und zudem völkerrechtlich problematisch sei.
+++++++++++++++++++
Gruß, Maurice
jW, 24.10.2001
Peter Koch, Rechtsanwalt
»Krieg gegen den Terror«
»Von den Fassaden des Rechtsstaats sind nur Ruinen übriggeblieben« (Otto
Schily 1975). Der Bundesinnenminister weiß also, was er tut
Terrorismus ist in der Bundesrepublik kein unbekannter Begriff, sondern
einer, der Mitte der siebziger Jahre von allen Beteiligten
durchdekliniert worden ist, von Attentätern, Rechtsanwälten und
Gewaltorganen. Welchen Stellenwert dem Kampf gegen den Terror damals
eingeräumt wurde, erhellt folgender Kommentar des damaligen Präsidenten
des Bundeskriminalamtes Horst Herold: »Ich sehe hier einen objektiv in
Gang gesetzten Prozeß, der eben weltweit ist und der gewissermaßen am
Ende stehen hat eine gewisse Verpolizeilichung des Krieges. Während der
große Krieg eben zunehmend an Substanz verliert ... zwischen Nationen,
weil diese ihre geschichtsbestimmende und geschichtsverwirklichende
Kraft weitgehend verloren haben, tritt eben eine neue Form der
Aggressionsentlastung ein, die nur international begriffen werden kann.«
(Die Welt, 13. März 1975). In der Tendenz hin zu einer Verpolizeilichung
des Krieges werden die staatlichen Gewalten auch im Innern strategischer
Bestandteil einer Auseinandersetzung mit politisch-militärischer
Zielsetzung. Gegen die »Guerilla im Industriestaat«, die »Kriegsform der
Zukunft«, schrieb Die Welt, »kann nur durchdachte, geplante Gegengewalt
helfen. Sie muß in Staatsregie bleiben. Die Armee muß einbezogen
werden.«
Unter ausdrücklichem Bezug auf diese Zitate hatte Otto Schily, 1975
Verteidiger von Gudrun Ensslin im Stammheimer RAF-Prozeß, die
Einstellung des Verfahrens beantragt. Zur Begründung führte er aus: »Das
Verfahren, das hier in Stammheim durchgeführt werden soll, ist Teil der
unter Staatsregie ausgeübten durchdachten, geplanten Gegengewalt unter
Einbeziehung der Armeen.«* Dezidiert und juristisch prägnant arbeitete
der Verteidiger Schily heraus, wie unter dem Stichwort der
Verpolizeilichung des Krieges nicht nur die justitiable von der
militärisch-politischen Auseinandersetzung überlagert wird, sondern auch
die Legislative in den Sog der strategisch-militärischen Gegengewalt
gerät. Bei dem »Bündel von Maßnahmegesetzen, die im Blitzverfahren
verabschiedet worden sind«, und weiteren Gesetzesvorhaben handele es
sich, so Schily, um »Sondergesetze« für den Stammheimer Prozeß, also
eigens zur Bekämpfung der RAF. Und Otto Schily nannte im einzelnen:
»Einführung des Kronzeugen, Verschärfung des Haftrechts; Haftgrund stets
dann, wenn Verdacht nach §129 StGB besteht, Schaffung eines neuen
Straftatbestands zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen.«
Die Terrorismusbekämpfung heute geht über die Einbindung der Justiz in
die politisch-militärische Auseinandersetzung hinaus. Die Justiz als
politisch-militärisches Kampfmittel ist ersetzt durch den wirklichen
Krieg. Die von Schily herausgearbeiteten Charakteristika einer den
Rechtsstaat zertrümmernden Terrorismusbekämpfung (Schily wörtlich: »Von
den Fassaden des Rechtsstaats sind nur Ruinen übriggeblieben«) sind
dadurch nicht überholt, sie lesen sich vielmehr wie ein pointierter
Vorgriff auf die heutige Situation. Die Verweigerung eines
rechtsstaatlichen Verfahrens ist gewissermaßen vorverlagert. Nicht mehr
erst der »terroristische« Angeklagte unterliegt der Vorverurteilung ohne
Möglichkeit der rechtsstaatlichen Verteidigung (wie Schily für die
RAF-Angeklagten ausführt), sondern bereits der einfach Verdächtige.
Genau besehen reicht die Vorverurteilung in ein Feld noch vor Bestehen
eines eigentlichen Anfangsverdachts und werden in weiten
zivilgesellschaftlichen Bereichen die rechtsstaatlichen Mechanismen
außer Kraft gesetzt.
Eine wirksame und rechtsstaatliche Verteidigung war nach den
überzeugenden juristischen Ausführungen von Rechtsanwalt Otto Schily in
dem Stammheimer Verfahren im Kern deshalb aufgehoben, weil durch eine
vom Staatsschutz selbst ausgehende militärisch-politische Kampagne
jeglicher politischer Inhalt ausgeschaltet werden sollte. »Jegliche
politische, den Staatsschutzbehörden nicht genehme Argumentation soll
unterdrückt werden.« (Schily) Staatsschutz, Medien und Politik waren
einheitlich an dieser Kampagne beteiligt. »Die Interpretation, die der
Öffentlichkeit beigebracht werden soll, ist Terror um des Terrors
willen, die pure Gewaltausübung um der Gewalt willen«, was Schily in
scharfer Kritik auf eine Äußerung Willy Brandts bezog.
In bezug auf die heutige politisch-militärische Kampagne geht es mir
nicht um eine juristische oder moralische Bewertung der Anschläge vom
11. September oder der wirklichen Täter. Diese steht außer Frage. Das
vermeintliche Wissen um die Täter geistert jedoch in den
undurchdringlichen Festungen der Geheimdienste und Politikerköpfe, die
einhellig in staatsmännischer Manier so tun, als wüßten sie etwas, es
aber für klug halten, darüber in der Öffentlichkeit nicht zu reden.
Bezogen auf die Angeklagten des Stammheimer Verfahrens schrieb der
Verteidiger Schily: »Die auf die Vorausverurteilung und Herstellung
eines Feindbildes abzielende Kampagne in einem Großteil der Massenmedien
wurde von den Staatsschutzbehörden nicht nur unterstützt, sondern direkt
oder indirekt gesteuert.«
Es gibt keine Anklageschrift
Unter dem obersten Staatsschützer Schily soll die Öffentlichkeit heute
die Vorausverurteilung und das Feindbild auch ohne den für eine Anklage
ausreichenden Nachweis, oder juristisch gesprochen, ohne hinreichenden
Tatverdacht schlucken. Der weitgehendste Täternachweis, der, soweit
ersichtlich, der Öffentlichkeit bisher zugänglich gemacht wurde, dürfte
die offizielle Dokumentation der britischen Regierung sein »Osama bin
Laden und der 11. September 2001« (FAZ, 9. Oktober 2001). In der
Bibliothek des Unterhauses wurde ein noch weitergehenderes
zwanzigseitiges Dokument ausgelegt, das einen Indizienbeweis führen
soll. »Doch als Anklageschrift vor einem ordentlichen Gericht könne es
nicht dienen, geben die Briten zu« (FAZ). Außenminister Fischer dagegen
stellt in der Bundestagsdebatte vom 11.Oktober klar, daß er den
»saudischen Extremisten bin Laden« und die Taliban für die
Verantwortlichen der Anschläge hält. Juristisch weniger gebildet, platzt
Fischer offen damit heraus, daß es auf Beweise gar nicht ankommt. Wer
die jüngste Ankündigung neuer Morde gesehen habe, für den stelle sich
nicht mehr die Frage nach Beweisen (!), so Fischer.
Es gibt keine Anklageschrift. Es gibt nicht einmal einen Haftbefehl
eines amerikanischen Amtsgerichts und auch kein offizielles
Auslieferungsgesuch. Keiner der förmlichen Voraussetzungen für die
rechtsstaatlich legitimierte Vebrechensbekämpfung liegen also vor. Aber
es wird, wie dies Schily für den Kampf gegen die RAF anschaulich
belegte, auch heute nach dem gleichen Schema jegliches Handeln des
Angegriffenen auf rein verbrecherisches Gewalthandeln reduziert, welcher
Tat am Ende er auch immer überführt werden sollte oder auch nicht. Die
Mehrheit der Medien (ausdrücklich auszunehmen ist hier die FAZ)
beteiligt sich an einer Desinformationskampagne, die unter typischen
Schlagzeilen auffährt wie »Haß-Botschaft aus den Bergen« (RNZ vom 9.
Oktober 01) oder »Haß auf die Ungläubigen«. Selbstverständlich wird die
Rede Osama bin Ladens dann nicht wörtlich wiedergegeben, sondern
interpretierend. Einer staatlichen Weisung folgend, ausgehend von den
USA, sollen die Verlautbarungen Osama bin Ladens jetzt generell nicht
mehr im Wortlaut veröffentlicht werden. Der Öffentlichkeit soll
beigebracht werden, daß alles, was von diesem Mann kommt, nur »Terror um
des Terrors willen« ist, aus religiösem Fanatismus und Haß gegen den
Ungläubigen. Alles Politische soll also herausgehalten werden oder, um
die oben zitierten Ausführungen Schilys fortzuführen, »(es) sollen
allenfalls politische Motive diskutiert werden, die sich bequem in das
Gebiet der Psychiatrie, des Krankhaften abdrängen lassen«.
Dabei ergibt der direkte Vergleich der Erklärungen Osama bin Ladens und
des Präsidenten Georg W. Bush nach Beginn der Angriffe Erstaunliches.
Trotz aller religiösen Beschwörungen ruft Osama bin Laden in seiner
Kernaussage völlig rational auf zum Kampf gegen die Anwesenheit
amerikanischer Truppen auf fremden Territorium und gegen die Fortsetzung
der - international als völkerrechtswidrig angesehenen -
Besatzungspolitik Israels. Bush dagegen ruft, religiös etwas weniger
verbrämt, auf zum Kampf fern der Heimat für die Freiheit Amerikas. Und
von der hiesigen Öffentlichkeit offenbar unbemerkt, weckt er fatale
Erinnerungen an Zeiten der stolzen Trauer für die auf dem Feld der Ehre
für das Vaterland Gefallenen. »Ein kleines Mädchen«, sagt er »das weiß,
was Amerika bedeutet«, schenkte ihm, dem Präsidenten, ihren Dad. »>So
sehr ich nicht möchte, daß mein Dad kämpft. Ich bin bereit, ihn dir zu
geben.< Das größte, was sie geben konnte ... Möge Gott Amerika weiter
segnen.« (Bush)
Natürlich gilt die Kampagne nicht vorrangig dem einen Mann (den sie zum
superman stilisiert hat, in dem Jugendliche in aller Welt inzwischen
einen coolen Typ sehen). Die auf Vorausverurteilung zielende Kampagne
knüpft an ein Verdachtsmoment an, das einzig und allein in der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur- und Religionsgemeinschaft
besteht. Auf Antrag des Hessischen Landeskriminalamts hat zum Beispiel
das Amtsgericht Wiesbaden einen Beschluß zur Rasterfahndung erlassen,
wonach alle hessischen Hochschulen verpflichtet sind, die Daten ihrer
Studenten herauszugeben. »Gesucht wird«, so lautet der Beschluß, »nach
islamischen Studenten zwischen 18 und 40 Jahren ohne Kinder«! Begründet
wird der Beschluß u.a. mit der Gefahr von Massenprotesten nach den
Angriffen der USA auf Afghanistan.
Kollektivverdacht
»Berlin sitzt auf einem Pulverfaß«, schrieb die RNZ (9. Oktober 01),
denn in Berlin lebten 200000 Muslime. Entgegen aller Beteuerungen werden
die Muslime einem kollektiven Verdacht der Komplizenschaft unterworfen,
da es der Islam selbst sein soll, der die latente Gewaltbereitschaft und
den Hang zum Terrorismus hervorbringt. Schily fordert von den Muslimen
nicht nur, daß sie sich von den Anschlägen distanzieren, sondern daß sie
an seiner Art der Terrorbekämpfung auch noch mitwirken. Etwa nach dem
Vorbild jener deutschen Region, in deren Polizeidienststellen laut
Fernsehmeldung bereits mehr als 1 500 Hinweise auf »Schläfer«
eingegangen sind? Dem Vorbild also einer hysterisierten Öffentlichkeit,
die in den Unauffälligkeiten ihrer islamischen Mitbürger das höchste
Alarmzeichen des Terrorismus »erkennt« und pflichtschuldigst den
Sicherheitsbehörden vermeldet. Der Islam wird zur irrationalen Quelle
des Bösen und Terrors erklärt, wobei mit Terroristen nicht die
überführten Täter der Anschläge gemeint sind, sondern eine diffuse
Kollektivbezeichnung für Fanatiker oder ein Synonym für islamische
Fundamentalisten.
Pikanterweise gilt diese Verteufelung des Islams nicht seiner religiösen
Entfaltung und damit der Entfaltung des irrationalen Moments, das jeder
Religion innewohnt, sondern vielmehr der Abkehr vom Jenseitigen und der
Hinwendung zum weltlich Diesseitigen, dem Politischen eben. Angehörigen
des islamischen Kulturkreises machen sich der Komplizenschaft verdächtig
nicht nur bei versteckter Sympathie, sondern bereits bei der sachlichen
Erörterung politischer Hintergrundprobleme. Sagt etwa ein Immigrant aus
einem islamischen Land, ob gläubig oder Atheist, daß es den USA gar
nicht um Osama bin Laden ginge, sondern um die Kontrolle der
Erdölvorräte, dann gilt er als islamischer Fundamentalist und
Sympathisant der Gotteskrieger.
Weichgeklopft im Psychokrieg
Noch ein weiteres Moment der psychologischen Kriegführung aus den Zeiten
des Kampfes gegen den RAF-Terrorismus erlebt dieser Tage eine
Neuauflage. Seit Tagen verbreitet das FBI die Warnung an die
Bevölkerung, daß ein weiterer Anschlag bevorsteht. Woher hat das FBI die
hundertprozentige Gewißheit, also umfassende Kenntnis, wenn es
andererseits den Anschlag nicht verhindern kann? Was soll die Warnung
bezwecken, wenn die Bevölkerung ohnehin nichts tun kann? Der einzig
erkennbare Zweck ist die Verbreitung von Angst und Schrecken, um den Haß
gegen den Feind anzustacheln. Da die Bundesrepublik den USA
uneingeschränkten Beistand geschworen hat, wird diese geheimdienstliche
Methode der psychologischen Kriegführung auch für Deutschland
übernommen. Obwohl laut Regierungsmeldungen keinerlei Hinweise auf
bevorstehende Anschläge in Deutschland vorliegen, wird die Bevölkerung
verschreckt und sei es mit Meldungen wie: »Die Lage ist ruhig« (Schily)
oder: »Die Bundesregierung arbeitet normal.«
Während sich in Afghanistan wegen der Bombardierungen eine humanitäre
Katastrophe abspielt - Hilfsorganisation und UN-Organisationen rechnen
nach unterschiedlichen Zahlenangaben mit 3,5 Millionen bis über acht
Millionen Menschen, die unmittelbar vom Hunger- und Kältetod betroffen
sein könnten - wähnt sich eine verblendete Bevölkerung in Deutschland in
einem biologisch-chemischen Krieg. Geheimdienste, Regierungsstellen und
Medien sorgen in einer konzertierten Aktion für Panik unter der
Bevölkerung. Die Bundesregierung richtet eine
Biowaffeninformationsstelle ein, das Robert-Koch-Institut ruft Bürger zu
erhöhter Vorsicht auf, Kinderärzte fragen an, ab wann Kinder gegen
Milzbrand geimpft werden können.
Nach dem 11. September haben sich zahlreiche tatsächliche Katastrophen
ereignet. Die Ukraine schießt ein Passagierflugzeug ab, in Toulouse
explodiert eine Chemiefabrik, ein Schweizer Selbsmordattentäter bringt
14 Regierungsmitglieder und Parlamentarier um, wegen Nachlässigkeiten
verunglückt eine Passagiermaschine beim Start auf dem Mailänder
Flughafen. Es ist aber nicht diese offenkundige Anfälligkeit unserer
technisierten Zivilisation, die Beunruhigung auslöst. Obwohl das alles
keine Terroranschläge waren, erdreistet sich eine Kasseler Zeitung zu
schreiben: »Die Saat der Terroristen geht auf. Niemand ist mehr sicher.«
Zu Zeiten der RAF gab es die sogenannte Stuttgarter Bombendrohung, im
Mai 1972, es gab die angebliche Drohung der RAF, das Trinkwasser zu
vergiften oder während der Fußballweltmeisterschaft die Fußballstadien
mit Raketen anzugreifen. Kurz vor dem Stammheimer Prozeßbeginn wurde die
Meldung verbreitet, die RAF plane Giftgasanschläge, die die Bevölkerung
in hohem Maße gefährden würden.
All diese Beispiele kann man nachlesen in der Antragsschrift des
Verteidigers Otto Schily. Sie dienten nach seinen Worten nur dazu, den
Haß auf die Angeklagten aufs äußerste zu schüren. »...wenn man weiß«,
schreibt Schily, »was das für ein psychologisches Element enthält,
Giftgasanschläge u.ä., dann weiß man Bescheid über den Charakter einer
solchen psychologischen Kriegführung, wie das richtigerweise genannt
wird.« Und was der Verteidiger Schily weiß, das weiß der
Bundesinnenminister erst recht. Aber vielleicht weiß der Innenminister
ja auch noch mehr. Vielleicht wird ja demnächst unter Berufung auf
geheime Quellen die Herkunft der Milzbrandbakterien enthüllt, z.B aus
den Beständen Saddam Husseins. Dann wissen Schily und die anderen Damen
und Herren von der rosagrünen Regierungsbank und den Parteispitzen ja
vielleicht auch, was uns noch bevorsteht.
* Sämtliche Zitate des Verteidigers Otto Schily stammen aus einer
überarbeiteten und 1976 veröffentlichten Fassung einer gerichtlichen
Antragsschrift)