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Presseecho auf Radio 1

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Hans-H.Hirschelmann

unread,
Aug 29, 1997, 3:00:00 AM8/29/97
to

*Hallo,*
freitags nach sieben wird´s bewußt: die Rockklassiger auf Radio
Brandenburg gibt´s auch nicht mehr. Über die "Ersatz"sendung
"Experience" schreibe ich lieber nichts. (Kurz vor dem
Ausschalten lief "teenage fan club", gähn!). Da ich die Zeit, in
der ich gewohnheitsmäßig Holger Kampmanns Rockklassikern
lauschte, (stets mit Vergnügen, auch wenn er gemeinerweise nie
einen Jack Bruce Special brachte :( ) mit sinnlosem Nachtrauern
verbringen will, tipp ich mal was Interessantes für BLN/MEDIEN
u.a. ab, das ich grad im Neuen Deutschland entdeckt habe. Es ist
ein Interview, das Peter Berger mit dem einstigen Moderator des
Radio Brandenburg Highlights "Musik ad libitum" Hans-Georg
Knörich führte.

Aus ND vom 29.8.1997

*"Ad libitum" doch nicht beliebig*

Hans-Georg Knörich ist Rundfunkmann seit 40 Jahren, zuletzt
moderierte er die musikalische Kult-Sendung "Ad libitum - Musik
nach Belieben" auf Radio Brandenburg, das soeben abgewickelt
wurde. Angefangen hatte er im DDR-Rundfunk mit Schallplatten-
Informationssendungen. Als Moderator von Jazz- und
Wunschkonzerten und als Nachrichtensprecher wurde seine Stimme
Millionen Hörern vertraut.

ND sprach mit dem Moderator, über seine letzte Erfogssendung,
die nun Radio Eins weichen mußte.


* Herr Knörich, mir steht ein trostloser Sonntagmorgen bevor.
Seit Jahren gehörte "Ad libitum" zum Sonntag wie das Salz zum
Frühstücksei, nun ist es aus mit der Musi. Wie konnten Sie uns
das antun?

Sie haben sicher mitbekommen, was ich sagte, als wir uns letzten
Sonntag von unseren Hörern verabschiedeten: Das Ende von "Ad
libitum" war nicht ganz nach unserem Belieben.

* Wer, um Gottes Willen, hatte denn was gegen dieses herrliche
Gemenge von Beat und Beethoven, Glen Miller und Glenn Gould,
Musette und Motette?

Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten von Berlin und
Brandenburg, die sich zur Kooperation entschlossen haben und nun
gemeinsam drei neue Programme entwickelten.

* Da hätte man ja nun dieses Musikformat glatt übernehmen
können, denn es war von Berlinern und Brandenburgern
gleichermaßen begeistert angenommen worden, oder?

* Das stimmt, die Zusammensetzung war ungefähr fifty-fifty. Auf
kulturellem Gebiet klappte die Fusion zwischen den Ländern
offenbar ohne Probleme, im Unterschied zur politisch verordneten
von oben.

* Sendungen wie diese widerlegten die von Berliner CDU-
Politikern ausgestreute These, daß Radio Brandenburg farblos war
und sein ländliches Verbreitungsbebiet medial
missionierungsbedürftig sei durch den SFB.

"Ad libitum" mußte einem Format weichen, das die
Kooperationspartner ORB und SFB für zukunftsträchtiger halten:
Radio Eins. Da geht es nicht mehr um Vielfalt von
Musikrichtungen, die ein Markenzeichen unserer Sendung war, bloß
noch Rock und Pop der letzten 40 Jahre für Hörer zwischen 25 und
45: Klar, daß man da solche Sendung nicht mehr machen kann.

* Mich bringt das Persönlichkeitsbild eines 40jährigen, wie es
sich im Spiegel des Sendekonzepts darstellt, schwer ins Grübeln.
Wenn sich die musikalischen Bedürfnisse eines Menschen in den
"besten jahren" auf Rock und Pop reduzieren, scheint mir dessen
ästhetische Wahrnehmungsfähigkeit bedauerlich eingeschränkt.
Diese Schmalspur sollte nicht vom Fund zum Maßstab erhoben
werden.

Ich bin mit dem neuen Format vor allem auch deshalb nicht
glücklich, weil es darauf schließen läßt, daß die Hörer über 45
weitgehend abgeschrieben sind. Aber es ging hier wohl vor allem
um finanzielle Erwägungen. Das öffentlich-rechtliche Radio Eins
ist mischfinanziert, das heißt: Es fließen auch Werbegelder. Und
die Werbefirmen versprechen sich eben mehr Kaufbereitschaft von
einem jungen Publikum. Ähnliche Erfahrungen gab es bei dem
privatem Oldie-Radio "50 plus". Das war für Leute jenseits der
50 gedacht, hat sich dann aber in seiner musikalischen
Orientierung bald wieder auf die 30 und 40jährigen ausrichten
müssen.

* Haben Sie im Funk für Ihre Sendung gestritten?

Wie denn? Meine zwei festangestellten Mitredakteure haben mir im
Auftrag der Leitung übermittelt, daß meine Sendung in keinem der
neuen Programme vorgesehen sei, das war´s dann. Ich fand es
nichts grad berauschend, daß nicht ein einziger leitender
Mitarbeiter angerufen und sich bedankt hat für die fünfeinhalb
gemeinsamen Jahre. Um so wohltuender die Zuwendung der Hörer,
als die mitgekriegt hatten, daß es zu Ende ging: Unsere
Leitungen waren überlastet, einige haben sogar gweint am
Telefon.

* Saßen auch Fans im Sender selbst?

Zumindest am Anfang nicht. Da gab es heftige Diskussionen mit
den Redakteuren der verschiedenen Musikgenres. Die Klassiker
sagten: Wozu denn Rock und Pop! Die "Rocker" wieder hielten die
Klassik für deplaziert, und ich war drauf und dran, das Handtuch
zu werfen. Aber dann kam uns die Idee, die Hörer einzubeziehen,
um ihre Meinung zu erkunden. Eine kleine Preisfrage in jeder
Sendung sollte den Kontakt knüpfen. Es war ja nicht viel zu
gewinnen, ´ne CD oder Konzertkarten, also mehr so ein Spaß, aber
der wurde angenommen. Und wie sich herausstellte, in
zunehmendeem maße: Unsere Telefonistin hate bald "die Ohren
voll", wenn man das so sagen darf.

* Ein bißchen Ostalgie war nicht im Spiel?

Ich glaube nicht. Wir haben bei Musikauswahl und Rätsel sehr
darauf geachtet, daß auf die unterschiedlichen Erfahrungen und
Erinnerungen der Hörer in Ost und West Rücksicht genommen wurde.
das war ein zusätzlicher Reiz des Programms, wie die Resonanz
zeigte. Die reichte übrigens bis nach München: Eine Dame von
dort hörte uns regelmäßig, wenn sie in Berlin war, wir haben
auch in der letzten Sendung einen Wunsch von ihr erfüllt.
Stammhörer hatten wir aber vor allem auch im Mitteldeutschem
Raum, solange wir dort per Kabel empfangen werden konnten. Warum
das plötzlich abgebrochen wurde, weiß ich nicht, vielleicht hat
jemandem dort die Brandenburger "Konkurrenz" nicht gepaßt. Viele
Hörer haben sich dann eine spezielle Antenne auf´s Dach gebaut,
damit sie uns weiter hören konnten.

* Es geht eben nichts über die vertrauten Technologien der
sächsischen Westantennen Marke "Ochsenkopf". Aber selbst damit
sind Sie ja nun seit kurzem nicht mehr zu empfangen.

Was unser Publikum fassungslos und sehr enttäuscht zur Kenntnis
nahm. Wir waren ja inzwischen bei der 295. Folge von "Ad
libitum" angelangt. Man schaltete Sonntag morgens schon begierig
Radio Brandenburg ein, um zu erfahren was für eine historische
Fassung des St. Luis-Blues denn diesmal zum Auftakt erklingen
würde, welche Rarität von Elvis zur Halbzeit und welcher
unbekannte Glen Miller zum Schluß: Wer mitschnitt, hatte im Lauf
der Jahre eine wertvolle Discographie.

* Trotzdem keine Übernahme? Sieht ganz so aus, als wäre das
Publikumsinteresse nicht unbedingt das wichtigste Kriterium für
die Rundfunkreform gewesen.

Es ist schon seltsam, dieses plötzliche Einvernehmen zwischen
Rosenbauer und von Lojewski, die sich doch so lange Zeit in
Kriegsstimmung gegeneinander befanden. Ich denke, hier gings für
zwei Sender ums Überleben. Zwei Kleine sind zusammen finanziell
logischerweise besser abgesichert als jeder für sich alleine.

* Hatte man nicht den Mitarbeitern auch Sicherheiten versprochen
bei der Neuformierung der Sender?

Das hat man auch gehalten, bei den Festangestellten zumindest.
Aber ich bin ja frei und nur für die eine Sendung engagiiert
gewesen.

* Die freien Mitarbeiter haben sich aber auch gewehrt und um
Übernahme ihrer Verträge gekämpft, leider nur die vom SFB. Die
Freien aus dem Osten schwiegen, wenn auch ausgesprochen
vorwurfsvoll.

Ich kann meine jüngeren Kollegen gut verstehen: Wer will schon
anecken und seinen Job verliehren? Jeder hofft ja zunächst erst
mal, daß er den seinen behalten kann. Ich weiß aber vom
Hörensagen, daß viele Westberliner Kollegen mit den Ossis nichts
zu tun haben wollten. Trotzdem sind einige nun auch übernommen
worden. Ich bin 66 und relativ fein raus.

* "Mit 66 Jahren" hieß es mal in einem Titel, den Sie sicher
selber schon irgendwann aufgelegt haben, "fängt das Leben erst
an ..."

Ja, ja, ich weiß. Man hat mir empfohlen, zu Spreeradio zu gehen,
aber was sollte ich da machen? Ich hätte nicht die Möglicheiten
individuellen Gestaltens, die ich bei Radio Brandenburg hatte.
Ich hab ja viel aus meiner eigenen Sammlung dort eingebracht.
Das ist bei Spreeradio gar nicht möglich, die haben ihre
festgelegte deutschsprachige Musik, das ist alles bißchen
einseitig. Und völlig digitalisiert, ich könnte dort keine
Platten abspielen. "Antenne Brandenburg"? Vieleicht. Aber
Klinken putzen geh ich nicht.

* Tun Sie´s doch mir zuliebe, ich hätte noch so manchen
Musikwunsch.

Da können Sie lange warten. Aber darin müßten Sie als Stammhörer
ja Übung haben: Es war schon manchmal Geduld nötig, bis wir das
gewünschte Scheckerchen ausgebuddelt hatten. Ein Jahr war ich
mal auf Hörerwunsch dem Soundtrack eines Durbridge-Krimis
hinterher. In der hintersten Ecke eines Kramladens in der
Wilmersdorfer Straße von Charlottenburg lag er dann, in einem
verstaubten Stapel mit Singels. Ein Krimi für sich.

* Wo haben Sie denn die vielen Aufnahmen vom St. Luis-Blues
herbekommen?

Zum Beispiel habe ich viel profitiert von einem großen
Versandhaus in Nordrhein-Westfalen, das Bezehungen bis Amerika,
Japan und Australien unterhält. Und dann hab ich die
Stadtbibliothek aufgesucht, oder im Deutschen Musikarchiv in
Lankwitz recherchiert und vieles umschneiden lassen. Das hätte
noch lange so weitergehen können mit meinen musikalischen
Wiederentdeckungen.

* Merci für das, was Sie für uns gefunden haben. Auch an Ihre
Telefon-Assistentin Gaby übrigens, die am Ende immer die
Gewinner bekanntgegeben hat. Geht´s hr gut?

* Danke der Nachfrage. Gaby ist ja eigentlich bei der BVG
angestellt. Sie fährt Straßenbahn und hat Dank der Großzügigkeit
ihres Brötchengebers ihren Dienst so einrichten können, daß sie
stets pünktlich Glücksfee spielen konnte. Die Gaby hat ja nie
gefehlt. Sie hat ihren Jüngsten freitags entbunden, und
Sontagfrüh war sie wieder auf dem Sender. Ihr verdank ich meine
Hörerkontakte. Kurz vor Schluß der letzte Sendung hatte ihr noch
ein Tierarztehepaar angeboten, ein großes Treffen der Stammhörer
zu organisieren. Aber so was ist kaum zu machen: Die kriegt man
ja gar nichst alle auf einmal unter.

Gespäch: Peter Berger


Mit freundlichem Gruß

Hans-Hermann Hirschelmann


Radio Eins: Was glauben Sie denn,
ist Kapitalismus?

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