Titania-Mitarbeiter haben eine fast blinde Frau nicht in das Erlebnisbad gelassen, weil sie keine Begleitung dabei hatte. Die 55-Jährige aus Horgau fühlt sich diskriminiert. Von Christoph Frey
Der Schwerbehindertenausweis von Angelika Höhne-Schaller wurde ihr an der Kasse des Titania zum Verhängnis.
Foto: Marcus Merk
Angelika Höhne-Schaller war empört. Ohne Begleitung durfte die fast völlig blinde Frau nicht ins Schwimmbad. Zu Recht? Oder diskriminiert die Badeordnung des städtischen Titania willkürlich Menschen mit einer Sehbehinderung?
Diese Fragen stellten sich der Horgauerin noch nicht, als sie sich am Samstag vor einer Woche von ihrem Mann in das Neusässer Bad fahren ließ. Höhne-Schaller gilt vor dem Gesetz als blind, auf einem Auge ist ihr nur eine Sehkraft von zehn Prozent verblieben. Ins Titania, so erzählt sie, geht sie seit zehn Jahren schwimmen. Zuerst in Begleitung, seit sie sich gut zurechtfindet, aber allein. Gelegentlich sei sie sogar mit dem Bus von Horgau aus nach Kriegshaber gefahren, dort umgestiegen und ins Titania gegangen.
Diesmal aber endete der Ausflug an der Kasse. „Ich bin aus allen Wolken gefallen,“ so die 55-Jährige gegenüber unserer Zeitung. Zum Verhängnis wurde ihr der eigene Behindertenausweis. Dieser ist mit einem großen B gekennzeichnet. Das soll sicherstellen, dass die Horgauerin in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bus oder Bahn kostenlos eine Begleitperson mitnehmen kann, falls sie das wünscht. Für das Kassenpersonal im Neusässer Titania aber war dieses Recht auf Begleitung der Anhaltspunkt, dass Angelika Höhne-Schaller sich allein nicht sicher in dem Bad bewegen kann.
Als bayerische Landesvorsitzende des Bundes zur Förderung Sehbehinderter (BFS) weiß die 55-jährige Horgauerin sich zu wehren. Sie schaltete unter anderem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein. Der Vorwurf: Die Stadt Neusäß als Schwimmbadbetreiberin benachteilige sie wegen ihrer Behinderung. Unter dem vorherigen Schwimmbadbetreiber, der Deyle-Gruppe, sei sie ohne Schwierigkeiten ins Bad gekommen.
Doch dort gilt inzwischen eine neue Benutzungsordnung, wie Dietmar Krenz gegenüber unserer Zeitung bestätigte. Der Neusässer Stadtbaumeister ist einer der Geschäftsführer der städtischen Betriebsgesellschaft für das Bad. Die hat sich unter Mithilfe ihres Partners GMF eine neue Haus- und Badeordnung gegeben, die sich an Musterlösungen des Bundesverbands der Bäder orientiert. Darin ist unter anderem festgehalten, dass Kinder unter acht Jahren, Epileptiker und Blinde nicht alleine ins Bad dürfen. Begründung: Erhöhte Unfallgefahr. Krenz: „In Spitzenzeiten haben wir bis zu 800 Menschen im Bad.“ In diesem Trubel und dieser Umgebung brauche dieser Personenkreis eine Begleitung.
Die Betreiber eines Bades oder anderer öffentlicher Einrichtungen können derartige Einschränkungen machen, wenn es der Sicherheit dient, sagt auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Allerdings müsse es dafür einen nachvollziehbaren Grund geben. „Bloß vage Befürchtungen reichen nicht.“
Geschäftsführer Krenz signalisiert Kompromissbereitschaft. Möglicherweise sei der Grad von Angelika Höhne-Schallers Behinderung falsch eingeschätzt worden. „Wir sind eine junge Betreibergesellschaft und können noch viel lernen.“ Er hat die Horgauerin inzwischen zu einem Gespräch eingeladen. Schließlich wolle das Bad sich so gut wie möglich für Behinderte öffnen und könne vom Wissen der BFS-Vorsitzenden profitieren.
Umgang mit Beschwerde: Titania reagiert richtig
Für Angelika Höhne-Schaller ist klar: Die Badeordnung muss geändert werden. Derzeit, so schätzt sie, dürfe nicht einmal Verena Bentele alleine in Neusäß schwimmen gehen. Die blinde Sportlerin Bentele, mehrfach Weltmeisterin und Paralympics-Siegerin im Langlauf, ist heute Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. In Begleitung hat sie Afrikas höchsten Berg, den Kilimandscharo, bestiegen, und per Rad die Alpen überquert.