Hinweise aus der Biedermeierzeit auf den Gebrauch der
Mauerziegel im römischen Staat
Der im Jahre 1839 geschriebene Versuch einer Produktions-
und Verwendungsgeschichte des "Mauerziegels" läßt sich
auswerten, um Anhaltspunkte zu gewinnen, wie zu dieser
Zeit die Herkunft des Lehmsteines und Backsteines
reflektiert wurde. Der Autor baute in seinem historischen
Exkurs die geschichtliche Entwicklung in dieser Reihenfol-
ge auf: er beginnt im Zweistromland und wendet sich nach-
einander der Verwendung des Mauerziegels in Aegypten
und dem antiken Griechenland zu, um schließlich seine
Verwendung im römischen Reich vorzustellen. Zu dieser
Zeit galt Pompeji als die umfassendste Quelle, um die Rö-
merzeit vor sich aufleben lassen zu können.
"In der unglücklichen Stadt Pompeji, wo man so vieles in
Bezug auf die Baukunst und die Künste im Allgemeinen Be-
zügliche entdeckte, und welche in der That den Schlußring
unserer fortgeschrittenen Kenntnisse von den Sitten der
Griechen und Römer bildet, war der Gebrauch der Back-
steine durch die dort vorhandenen Baumaterialien als noth-
wendig und nützlich bedingt, da nicht allein die Natur des
Bodens für die Anfertigung derselben vorzüglich geeignet
erschien, sondern indem auch die Anwendung der Back-
steine in der Konstrukzion ihrer Mauern und Gebäude all-
gemein und unvermeidlich eingeführt werden mußte." (1)
Pompeji ging bekanntlich im Ascheregen des nahegelege-
nen Vulkans unter. Hier wird nun gesagt, daß zur Herstel-
lung der Mauerziegel in Pompeji gute Bedingungen herrsch-
ten, also bevor der Ascheregen niederging. Die luftgetrock-
neten Lehmziegel scheinen nicht verbaut worden zu sein,
sondern nur der Backstein. Man brauchte sie regelrecht:
"Die gebrannten Steine wurden nämlich erfordert, um mit
ihnen einen Verband zwischen den unförmlichen Stein-
stücken, aus welchen die Bewohner ihre Wände zum
großen Theile ausführten, herzustellen, oder sie mußten
den Gebäuden, welche von viereckig behauenen, vulkani-
schen Steinen, Eisenschlacken oder Tuffstein erbaut wa-
ren, die nöthige Festigkeit geben." (2)
Dazu will man natürlich mehr wissen. Hingewiesen wird
auf ein Mauerwerk aus "unförmlichen Steinstücken", die
durch Backsteine zusammengehalten wurden. Wie soll
man sich das vorstellen? Der Text sagt dazu noch zu we-
nig. Andererseits seien Quader aus vulkanischen Steinen
in Verwendung gewesen, aber auch bei einem solchen
Mauerwerk habe man mit Backsteinen mehr Stabilität er-
reichen können. Ob das so stimmt, ist die Frage.
"Es sind in der That nur wenige Gebäude jener Stadt, bei
welchen man sich der Backsteine nicht bedient hätte,
und das Auge des Reisenden, welcher das Forum betritt,
wird durch die hohen dunklen Massen der Gebäude ange-
zogen, welche mit den grünenden Bergen hinter densel-
ben und den ringsumher stehenden Gebäuden aus Kalk-
stein einen wunderbaren Kontrast bilden." (3)
Das sagt nun, es habe einen sehr ausgedehnten Mauer-
werksbau mit Backsteinen in Pompeji gegeben. Daß sich
dunkle Massen von Gebäuden vor der grünen Vegetation
abheben, sagt jedoch nichts darüber, wie die Gebäude
zuvor aussahen, bevor der Ascheregen niederging. Es
scheinen aber den Betrachter Kalksteinfassaden in Pom-
peji zu beeindrucken. Da zuvor nur Backsteine, Gesteins-
schutt und Quader aus Eisenschlacken und Tuff erwähnt
wurden, kommt dieser Hinweis etwas überraschend. Ob
diese Kalksteine als Verblender gemauert wurden oder ein
Vollmauerwerk bilden, bleibt ungewiß. Doch nun zu den
Backsteinen, dem Mörtel und dem Mauerwerksverband:
"Die Backsteine sind hier durch einen Mörtel aus Puzzuo-
lane mit einander verbunden, welcher jedoch bei einigen
Gebäuden sehr schlecht ist. Die Dicke der Wände der Ge-
bäude übersteigt selten 18 Zoll, ist aber oft geringer, und
oft hat es den Anschein, als dankten diese Wände ihre Er-
haltung mehr dem Stucke, mit welchem sie überzogen
sind, als dem Mörtel, welcher bei ihrer Erbauung angewen-
det wurde." (4)
Hier wird nun eine Kuriosität angeführt, nämlich die Vermu-
tung, das Backsteinmauerwerk werde wohl mehr durch den
aufgebrachten Stuck zusammengehalten als durch den
schlechten Mörtel. Eingangs war jedoch ausformuliert wor-
den, das in Pompeji ausgeführte Mauerwerk habe den
Backstein geradezu erfordert, damit stabile Wände zustan-
de kommen konnten. In welchem Verhältnis solides Back-
steinmauerwerk zu instabilen Backsteinmauern aufgefun-
den worden waren, läßt sich dem Text natürlich nicht ent-
nehmen. Es muß jedoch auch sehr kunstvoll mit Backstei-
nen gemauert worden sein, was hierdurch bezeugt ist:
"Das Dach der Basilika oder des Gerichtshofes, des größ-
ten Gebäudes in Pompeji, wurde durch ein Peristyl von 28
jonischen Säulen getragen, welche auf eine höchst merk-
würdige Weise aus Backsteinen konstruiert gewesen sind,
die so geformt waren, daß sie die Kannelirungen der Säu-
len bildeten, die dann nur noch einen Ueberzug aus Ze-
ment erhielten, der ihnen die vollständige Form gab." (5)
Solche Formziegel herzustellen und kunstvoll zu Säulen
zu vermauern, spricht wohl eher für eine hohe Mauerwerks-
kunst, die in Pompeji angewandt worden war. Man wird
folglich davon auszugehen haben, daß bei Gebäuden aus
Backsteinmauerwerk der Hierarchie der Gebäudearten in
einer Gesellschaft, den unterschiedlichen sozialen Schich-
ten gemäß, und geschieden nach privaten und öffentlichen
Gebäuden, eine unterscheidbare Qualität des Mauerwerks-
baus anzutreffen war.
Aber auch "Luftsteine" waren in Gebrauch, wie sich schließ-
lich herausstellte, sogar sehr häufig:
"Betrachten wir die Ueberreste der >>goldenen Palläste
und der düsteren Thürme<< an der alten Roma, so finden
wir dieselben meistens mit jenem Materiale aufgeführt,
und sowohl gebrannte Ziegel, als Luftsteine, doch die letz-
teren häufiger, angewendet." (6)
Was mag wohl diese Formulierung "an der alten Roma" be-
deuten?
Im Aufsatz werden nun Hinweise auf die verschiedenen Ar-
ten der Ziegel bei den Römern gegeben. Diese Hinweise
sind einerseits interessant, andererseits ergeben sie wohl
kaum die Möglichkeit, darüber zu erschließen, wie der bau-
geschichtliche Werdegang der Ziegelherstellung, die Auffal-
tung der Ziegelformen im Laufe der Kulturentwicklung, und
die Arten des Mauerwerksbau historisch aufeinander folg-
ten und wo sie nebeneinander bestanden. Immerhin sind
es Hinweise:
"Es waren bei den Römern verschiedene Arten der Ziegel
gebräuchlich, deren eine man Bipeda nannte, weil sie zwei
römische Fuß lang waren; eine andere Art, Didoron, war
6 Zoll breit und einen Fuß lang. Nach Plinius waren die am
meisten angewendeten Steine anderthalb Fuß lang und
einen Fuß breit, eine Größe, welche auch mit den Anga-
ben Vitruv's übereinstimmt. Alberti hingegen erzählt, daß er
an vielen römischen Gebäuden, namentlich an Brücken,
Bögen u., Ziegel gefunden habe, welche 2 Fuß im Quadra-
te hatten." (7)
Plinius, Vitruv und Alberti wurden also ausgewertet. Da-
durch haben wir Angaben aus unterschiedlichen Zeiten,
auch aus einer solchen Zeit, als das römische Reich unter-
gegangen war und Bestandsaufnahmen der Ruinen ge-
macht wurden.
Unterschieden werden Bipeda und Didoron als geformte
Ziegelgrößen. Bestandsaufnahmen der Ruinen ergaben
eine größere Vielfalt. Man wird darauf zu achten haben,
bei welchen Gebäudetypen welche Ziegel zum Einsatz
kamen. Von Alberti gibt es weitere Angaben:
"Anderswo fügt er hinzu, daß bei verschiedenen Bauwer-
ken, z.B. an der appischen Straße, man sehr verschiede-
ne Arten von Backsteinen, einige kleiner, andere dicker,
angewendet habe, und daß er deren gesehen habe, wel-
che nur 6 Zoll lang, 3 Zoll breit und einen Zoll dick gewe-
sen wären. Diese fanden jedoch nur bei den Fußböden
und Fußwegen Anwendung." (8)
Die Variationsbreite der Backsteinformate war also grös-
ser. Gebrannte Ziegel dienten jedoch genauso für den We-
gebau und als Fußbodenbelag, wodurch diese Backstei-
ne aus dem Zuordnungssystem "Mauerziegel" herauszu-
nehmen sind, wenn man damit Kunststeine benennt, mit
denen Mauern gemauert wurden.
"Uebrigens machten die Römer die Backsteine auch in an-
derer als viereckiger Form." (9)
Alberti erklärt die dreieckigen Backsteine:
"Alberti gibt die Art an, wie sie bei Verfertigung der dreiecki-
gen Steine zu Werke gingen. Zuerst, sagt er, machten sie
einen großen Stein, dessen Seitenflächen einen Fuß lang
waren, und dessen Dicke anderthalb Zoll betrug. Sobald
derselbe halb trocken war, zogen sie über ihn zwei Schnit-
te nach den Diagonalen, wodurch jener Stein in vier gleich
große Dreiecke getheilt wurde, denen zu Folge nach dem
Brande der Stein, durch einen Schlag, in vier kleinere ge-
theilt werden konnte." (10)
Man scheint den Dreiecksformaten angesehen zu haben,
wie sie hergestellt und nach dem Brand auseinander ge-
teilt wurden, als Alberti Bestandsaufnahmen unternahm.
Alberti meint, solche Dreicksformate brachten Vorteile:
"Einmal kosteten sie weniger Thon, ferner ließen sie sich
im Ofen sehr vortheilhaft aufstellen, und waren überhaupt
leichter zu handhaben, indem der Arbeiter deren vier in
Eins aufnahm und sie erst bei der Arbeit nach Erforderniß
theilte. Nach der Vollendung sah die Mauer aus, als hätte
man dieselbe durchaus mit fußlangen Steinen ausgeführt.
Man sieht viele dieser Steine in Rom angewendet, na-
mentlich bei Gebäuden aus der Zeit des Kaisers Aure-
lian." (11)
Dreieckige Backsteine waren also Verblender. Da im Text
Hinweise gegeben werden, an welchen Bauten sie aufge-
funden worden waren, lassen sie sich zeitlich einordnen.
Der Autor aus der Biedermeierzeit meint, man habe sehr
viele solcher Dreicksformate in der Kaiserzeit Aurelians
vermauert.
Ein anderer Autor, Hope, dem nachzugehen ist, stieß auf
rautenförmige Backsteine der Römerzeit:
"Hope erzählt auch von rautenförmigen Ziegeln und von sol-
chen, welche zwar regelmäßig geformt, aber noch feucht
nach gewissen Krümmungen ausgeschnitten worden wä-
ren, so daß dieselben nach der Vermauerung architektoni-
sche Ornamente gebildet hätten." (12)
Solche Steine sind Zier an der Außenfläche des Mauer-
werks. Dieses Blendwerk fällt als Backstein auch oft unter
Terrakotta.
"Diese, in das Gebiet der Terrakottenverfertigung schlagen-
den Arbeiten, sind jedoch keineswegs damals erst bei den
Römern erfunden, sondern die aus dieser Zeit auf uns ge-
kommenen derartigen Ueberreste sind eigentlich schon
Zeugnisse von dem Verfalle dieser Kunst, welche bereits
Jahrhunderte vorher bei den Griechen in ihrer höchsten
Blüte stand, wie die von dort her auf uns gekommenen
Denkmäler /.../ zur Genüge beweisen." (13)
Man wundert sich, wieso sich diese Angaben nicht bei
der Erörterung des Backsteines im antiken Griechenland
auffinden lassen und erst hier gegeben werden. Wichtig
ist im biedermeierzeitlichen Text der Hinweis, daß schon
in der Römerzeit Hohlräume in die Ziegel gemacht wurden.
"In den Steinen von größeren Abmessungen findet man
Aushölungen, welche angebracht wurden, um eine bessere
Austrocknung und Durchbrennung des Steines möglich zu
machen." (14)
Vieles mutet so an, wie wir es auch in unseren Zeiten noch
erleben. Andererseits muß diese Art, wie in der Antike die
Backsteine hergestellt, gebrannt und vermauert wurden,
auf die Jahrhunderte danach Einfluß gehabt haben. Man
fragt sich, wo ganz direkte Übernahmen stattfanden, denn
sowohl die antiken schriftlichen Zeugnisse wie die Be-
standsaufnahmen antiker Ruinen hatten Einfluß auf das
spätere, über Jahrhunderte entwickelte, Bauwesen. Wie
das im biedermeierzeitlichen Text ausgebreitet wird, muß
sich zeigen.
Die Angaben zu den gemauerten Wänden in Rom wirken
auf den Leser eigenartig. Der Aufsatzschreiber schrieb:
"Die Höhe und Dicke der Wände in Rom war seit ältester
Zeit bestimmt, und alle wurden nach gesetzlich festgestell-
tem Maße erbaut. Vitruv sagt, daß keine Mauer, welche
nach der Straße zu stand, stärker als anderthalb Fuß ge-
wesen sei, und Julius Cäsar befahl, in der Folge der vielen,
durch nachlässige Fundamentirung herbeigeführten, Un-
glücksfälle, daß kein Haus mehr als ein Geschoß erhalten
solle. Augustus betrachtete es als einen Lobspruch, den
man seiner Regierung zollen müsse, daß er ein Rom von
Ziegelsteinen gefunden habe, und dasselbe von Marmor
hinterließ." (15)
Solche Angaben wirken wie Strohhalme, die der Autor er-
griff, um mit solchen Angaben etwas zu wuchern. Sie ge-
ben nur Angaben, die hier und dort zutreffen, und für einen
gewissen Zeitraum und für bestimmte Orte gelten können.
Man steht also als Leser vor einem großen Problem. Die
Marginalien zum "Mauerziegel" schaffen einige Assozia-
tionsfelder zum Lehmziegel und Backstein. Zugleich las-
sen sie erahnen, daß uns heute, genauso wie in der Bie-
dermeierzeit, ein guter Einblick in die Geschichte des
Mauerziegels fehlen wird. Stichprobenartig wurde in der
Biedermeierzeit das herausgepickt, was uns etwas über
den Lehmziegel und Backstein sagen kann. Wir erfahren
dürftige Hinweise auf den Mörtel und den Mauerwerksbau.
Hier und da eingestreut sind Hinweise auf die Herstellung
der Mauerziegel. Damals, wie heute, wird man sich besse-
re Hinweise auf die Arten der Mauerziegel gewünscht ha-
ben, und auch darauf, was mit ihnen gemauert wurde.
Bei dem Mauerziegel handelt es sich in der Regel um
einen Kunststein im Quaderformat. Das Wort Ziegel selbst
verweist eigentlich auf eine Dacheindeckungsplatte. Man
übernahm das Wort auch in den Mauerwerksbau, um die
kleinen und in der Regel quaderförmigen Kunststeine da-
mit zu bezeichnen. Deswegen wurde vom Mauerziegel ge-
sprochen. Lange Zeit mag die Bezeichnung sowohl für die
luftgetrockneten Lehmziegel wie die Backsteine gegolten
haben. Man ging jedoch hin und stellte auch Tuffsteine
im Quaderformat der Backsteine her, weil dieses Format
für den Mauerwerksbau sehr handlich und gut im Verband
zu vermauern war. In Korea und anderswo wurde auch
anderer Naturstein im Backsteinformat vermauert. Das
Backsteinformat diente auch dazu Betonsteine, Bimsstei-
ne und andere Kunststeine herzustellen. Auch auf solche
backsteinformatigen Kunststeine wurde die Bezeichnung
Mauerziegel anwendbar. Ab wann solche Benennungen
auftauchen, müßte herausgefunden werden. Es könnte
sein, daß dieser Benennungsvorgang erst nach dem Er-
scheinungsdatum dieses biedermeierzeitlichen Aufsatzes
einsetzte. Aber dies bleibt ungewiß, da bereits in der Bie-
dermeierzeit und wahrscheinlich auch davor mit backstein-
formatigen Kunststeinen aus anderen Baustoffen experi-
metiert wurde. Man wird also der Benennungsgeschichte
dieser kleinen Kunststeine nachzugehen haben, um das
Thema "Mauerziegel" etwas besser abrunden zu können.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
http://groups.google.com/group/baugeschichte
zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at)
email.de
Anmerkungen:
(1)-(5) zitiert aus: o.A.: Ueber die Mauerziegel. Nach dem
Englischen des Turner. S.243-252 und Zeichnungen auf
S.247 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839. S.245
(6)-(13) zitiert aus: o.A., wie vor, S.246
(14)-(15) zitiert aus: o.A., wie vor, S.249