Die Geschichte des Mauerziegels in deutschen Landen in einem Text aus der Biedermeierzeit

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Karl-Ludwig Diehl

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Jan 14, 2009, 10:34:23 AM1/14/09
to Baugeschichte


Die Geschichte des Mauerziegels in deutschen Landen in
einem Text aus der Biedermeierzeit


In einem im Jahre 1839 veröffentlichten Aufsatz wurde der
Versuch unternommen, die Geschichte des Mauerziegels
nachvollziehbar zu machen. Da sich der Aufsatz an ein
deutschsprachiges Publikum richtete, endet die Aufeinan-
derfolge der geschichtlichen Abriße in Deutschland. Zuvor
war nacheinander der Gebrauch des Mauerziegels in der
traditionellen Reihenfolge der Kulturentwicklungsräume zur
Darstellung gebracht worden. Es begann im Zweistromland,
daraufhin folgte Aegypten, das antike Griechenland und
Rom. Von den nördlicheren Regionen kamen dann Hinwei-
se zu Britannien, um schließlich mit Deutschland zu enden.
Eine solche Darstellung kann uns niemals das Aufkommen
des Lehmziegels und Backsteines in seiner historischen
Entfaltung wirklich erläutern wollen, sondern uns wird ein
ungefährer Hinweis gegeben, wie der Mauerziegel zu uns
nördlich der Alpen gelangte. Wir müssen uns mit diesem
Text aus der Biedermeierzeit zunächst begnügen, weil er
einen frühen Versuch darstellt, die Geschichte des Mauer-
ziegels vor Augen zu führen.

"Auch in Deutschland finden sich Spuren von Mauerwerken
aus den Zeiten der Römer in hinreichender Menge, um da-
raus beurtheilen zu können, daß die Form und Verferti-
gungsweise der Mauerziegel mit der oben beschriebenen
vollkommen übereinstimmt, was um so eher vorauszuset-
zen war, da die Deutschen die Fabrikazionsweise von den
Cohorten erlernen mußten, welche bei Gelegenheit der rö-
mischen Invasionen dorthin kamen und als Wachposten u.
sich dort ansiedelten." (1)

Mit den römischen Besatzungstruppen und was mit ihnen
mitzog, um große Teile des nördlichen Europa unter Kul-
tur zu nehmen, soll der Mauerziegel nach "Deutschland"
gekommen sein. Die "Deutschen" hätten die "Fabrikazions-
weise" der Mauerziegel von den römischen Cohorten erler-
nen müssen. Das kann natürlich so sein. Mit Lehm Bau-
steine zu formen, könnte jedoch auch schon älter sein, da
Lehm beim Hausbau ein sehr lange verwendetes Material
ist. Außerdem hatte das Brennen von Keramik eine sehr
lange Tradition. Den Übergang vom luftgetrockneten zum
gebrannten Lehmquader zu finden, könnte bereits vor der
Zeit der römischen Besatzung stattgefunden haben. Es
wird jedoch gemeint, der Backstein sei mit den Römern
nach "Deutschland" gekommen. Aber nicht nur der:

"Auch von Terrakotten finden sich aus jener Zeit noch
höchst interessante Ueberreste. Namentlich besitzt das,
durch den Herrn Präsidenten von Stichauer in Speyer ge-
gründete Antiquarium in dieser Hinsicht sehr schätzbare
Gegenstände, indem man bei den Nachgrabungen in Za-
bern so glücklich gewesen ist, die ganze Werkstatt, nebst
dem Brennofen eines römischen Töpfers aufzufinden, in
welcher sich nicht allein eine große Menge der verschie-
denartigsten Gefäße für die Haushaltung, - gebrannt und
ungebrannt, - sondern auch die Formen erhalten haben,
in welchen dieselben mit den darauf befindlichen Reliefs
und Ornamenten gepreßt worden sind." (2)

Automatisch von der Auffindung eines römischen Töpfer-
ofens darauf zu schließen, daß mit solchen das Terra-
kottabrennen nach "Deutschland" kam, dürfte wenig Sinn
machen, da zugleich danach zu suchen ist, ob nicht
schon zuvor Terrakotten in den römisch besetzten Ge-
bieten gebrannt wurden. Die Textstelle sagt aber eindring-
lich, daß es in der Biedermeierzeit in Speyer ein Anti-
quarium gab und archäologische Ausgrabungen an der
Tagesordnung waren. Diese frühe Archäologie kennen
zu lernen, dürfte interessant sein, da sie auch viel zur
Geschichte der Bautätigkeit beigetragen haben muß.

"In den nördlicheren Theilen Deutschlands finden wir, na-
mentlich an den Gebäuden für den Kultus, ein Ziegelmate-
rial von der größten Vollkommenheit, dessen Spuren bis
in das neunte Jahrhundert hinauf reichen. Die Form der
Ziegel, welche sich durch viele Jahrhunderte erhalten hat,
ist, mit wenigen Ausnahmen, eine Länge von 12 - 13 Zoll,
eine Dicke von 4 Zoll und eine Breite von 6 Zoll, doch fin-
den sich auch hier und da Steine von größeren Dimensio-
nen, und man hat Beispiele von gut gebrannten Ziegel-
platten von 18 Zoll im Quadrate, bei einer Dicke von vier
Zoll, welche sich in den Umfassungsmauern einer im eilf-
ten Jahrhunderte erbaueten Kirche befanden. Zu Gewöl-
ben bediente man sich der Ziegel von 8 Zoll im Quadrate
und 3 1/2 Zoll Dicke." (3)

Es werden hier Maßangaben von Backsteinen gegeben,
ohne darauf deutlich zu verweisen, daß es sich um ge-
brannte Lehmziegel handelt. Außerdem fehlen die genau-
en Hinweise darauf, wo sich solche Steine auffanden. Das
trifft auch für die Backsteine zu, die für den Gewölbebau
genommen wurden. Immerhin lassen sich damit erste
Ideen entwickeln davon, was sich vorfand.

"Der Verband, den man zu jenen Zeiten anwendete, war
keineswegs musterhaft, und beschränkte sich darauf, daß
man z.B. für eine vierfüßige Mauer, die beiden Außenflä-
chen einen Stein stark in einem, unserem jetzigen Block-
verbande ähnlichen Verbande aufführte, den Zwischenraum
mit Steintrümmern, großen Feldsteinen u. ausfüllte und
das Ganze dann mit Kalkmörtel ausgoß." (4)

Als Zeitangaben waren bis jetzt "bis ins neunte Jahrhun-
dert hinauf" und "zu jenen Zeiten" zu lesen. Zuvor war die
römische Besatzungszeit als ungefährer Zeitrahmen ge-
nannt. Das sind sehr undeutliche Angaben, die zusammen
mit den fehlenden Angaben zu den Orten, wo die Ziegel
anzutreffen waren, kaum ein gutes Bild zeigen können.

Als Verband des Mauerwerkes mit Backsteinen wird eine
Art Blockverband genannt, der als Backsteinmauerwerk
einen Zwischenraum aus Steintrümmern umschloß, die
mit Kalkmörtel vergossen waren.

"Eine sehr angenehm ins Auge fallende Mosaik bildete
man in jenen Zeiten dadurch, daß man eine gewisse An-
zahl von Ziegeln im Brande verschiedenfarbig glasirte,
und mit der rothen Waare zugleich nach bestimmten
Mustern vermauerte. Auch Dachziegel wurden so glasirt,
und Ulm hat deren sehr schöne Ueberreste aus dem
Mittelalter, namentlich in der Deckung eines alten Thur-
mes an der Donau." (5)

Der mittelalterliche Backsteingebrauch ist hier für Ulm
und irgendwo anders nachgewiesen. Es wird bereits
vielfarbig vermauert, um Musterungen an den Fassaden
sehen zu können. Glasierungen, die von der Töpferei
her bekannt waren, finden Eingang in die Backsteinpro-
duktion. Sie fanden sich schon im frühen Zweistromland
in Gebrauch. Was mit den Mauerziegeln gemacht wer-
den konnte, fand Ausweitung auf den gebrannten Dach-
ziegel.

"Der Gebrauch der Terrakotten im südlichen Deutschlande
scheint sich in ziemlich frühe Zeiten zurück zu erstrecken,
indem vor Kurzem in Wien, als, bei Gelegenheit eines un-
terirdischen Baues in der Nazionalbank, der Boden auf
eine bedeutende Tiefe ausgehoben wurde, ein Sarg ge-
funden worden ist, der ganz aus diesem Materiale zusam-
mengesetzt war, leider aber durch Unvorsichtigkeit der
Arbeiter zu Grunde gegangen ist." (6)

Die Herstellung der Terrakotta scheint bereits früh zu ho-
her Qualität gelangt zu sein. Hier fragt es sich natürlich,
was aus diesen Überresten des Terrakottasarges gewor-
den ist, der aus Trümmern hätte zusammengesetzt
werden können. Das Thema liegt jedoch etwas abseits
von dem Darstellungsgegenstand Mauerziegel, verweist
also nur auf hohe Herstellungstechnik, die bereits vorhan-
den war.

"Die damaligen Ziegel sind außerordentlich genau geformt
und sehr gut durchgebrannt, und Gebäude, wie sich deren
sehr viele im Königreiche Preußen, in der Altmark und
Mittelmark, finden, bilden Muster, denen gleich zu kom-
men wir uns heut zu Tage bemühen müssen. Auch ge-
formte Gesimssteine finden sich von großer Nettigkeit." (7)

Der Hinweis "damalig" ist natürlich wieder sehr ungenau.
Er bildet mehr einen Anreiz, nach genaueren Angaben
zu suchen, als daß er uns weiterhilft. Andererseits haben
wir kulturräumliche Angaben, die sich auswerten lassen:
Königreich Preußen, Altmark, Mittelmark. Aber auch die-
se Hinweise bleiben undeutlich. Daß damals eine Hoch-
kulturphase bestanden haben muß, die daraufhin in Ver-
fall geriet, sagt der folgende Textabschnitt:

"Die jetzige Ziegelbereitung in Deutschland ist, wiewohl
dieselbe noch vor wenigen Jahrzehenden außerordentlich
in Verfall gerathen war, durch die Bemühungen mehrerer
Architekten und Fabrikanten bereits wieder so sehr ge-
steigert worden, daß sie in mehreren Provinzen die besten
derartigen Arbeiten früherer Zeiten nicht allein erreicht hat,
sondern dieselben theilweise weit hinter sich zurück läßt."
(8)

Hier haben wir nun eine Angabe, die sehr deutlich macht,
daß durch Architekten und andere eine im Verfall begriffene
Backsteinherstellung, usw. wiederbelebt und zu neuer
Blüte gebracht wurde. Das sollte Anlaß bieten, dem ge-
nauer nachzugehen. Glücklicherweise erhalten wir erste
Hinweise.

"So sind z.B. im Königreiche Preußen durch die eben so
thätige als geschmackvolle Einwirkung des geheimen
Oberbaudirektors, Herrn Schinkel, und des Ofenfabrikanten,
Herrn Feilner, eben so wohl vortreffliche Terrakotten und Ge-
simsziegel, als auch gewöhnliche Ziegelsteine geliefert wor-
den, die nichts zu wünschen übrig lassen. In letzterer Hin-
sicht zeichnet sich namentlich die Ziegelei des Herrn Wen-
zel in Wusterhausen aus, über welche die Bauzeitung
(1938, s.189 ff.) Nachrichten geliefert hat. Auch in Würtem-
berg ist für diese Fabrikazion viel gethan worden, und der
Ziegel- und Brunnenröhrenfabrikant Herr Bihl in Waiblingen,
liefert gebrannte thönerne Brunnenröhren, welche einen
Wasserdruck von 300 Fuß aushalten. Die neuesten Arbei-
ten in München zeigen ebenfalls bedeutende Fortschritte,
und die Gesimsziegel, so wie die ordinären Ziegel an den
dortigen öffentlichen und Privatgebäuden, geben Zeugniß
davon." (9)

Hinweise auf Schinkel, den Ofenfabrikanten Feilner, die
Ziegelei des Herrn Wenzel in Wusterhausen, Herrn Bihl in
Waiblingen und die Münchner Backsteinherstellung, die
damals große Fortschritte machte, sind überaus nützlich.
Man muß nach den vielen weiteren Hinweisen suchen, die
auf den Entwicklungsgang der Backsteinherstellung ver-
weisen, hier vielleicht übergangen wurden, weil es nahe-
liegt, daß die Allgemeine Bauzeitung nur auf Ziegeleien ver-
weisen will, die durch Annoncen in dieser Bauzeitschrift auf
ihre Produkte verweisen. Man müßte das überprüfen. Be-
zogen sich diese Angaben auf Preußen und andere deut-
schen Provinzen, so folgen als Abschluß im Text Angaben
zu Österreich:

"Nur in Oesterreich, mit Ausnahme von Grätz, ist für diesen
Fabrikazionszweig noch nichts Erhebliches geschehen, un-
geachtet das vortreffliche Material eine ausgezeichnete Be-
arbeitung gestatten würde und ohnedem sehr leicht zu ge-
winnen ist. Namentlich zeichnet sich Wien in dieser Hin-
sicht aus, trotz dem die große, dort herschende Baulust
die Fabrikanten zum Fortschreiten wohl anfeuern dürfte. Es
scheint aber, als wenn eben der große Bedarf an Waare,
der den Käufern nicht zu wählen erlaubt, den Fabrikanten,
die kaum diesem Bedarfe genügen können, weder Zeit
noch Lust gönnte, zeit- und kostspielige Versuche zu ma-
chen, oder Verbesserungen in der Fabrikazion eintreten zu
lassen." (10)

In Graz und Wien hatte man sich in der Biedermeierzeit
offensichtlich sehr um eine Qualitätssteigerung in der Back-
steinherstellung bemüht. Ansonsten scheint zu dieser Zeit
wenig Entwicklungsdynamik auf diesem Industriesektor ge-
herrscht zu haben. Es wird hier im Text gemeint, die große
Nachfrage könne dazu führen, den Standard ganz allge-
mein anzuheben. Andererseits sei es so, daß gerade diese
große Nachfrage es den Fabrikanten erlaube, auch alle
minderwertige Ware loszuwerden, was sie andererseits da-
von abhalte, ihre Produktion zu modernisieren. Dies wird
dann wohl eine wirtschaftspolitische Maßnahme gewesen
sein, da das Land mit der europäischen Entwicklung mit-
halten mußte. Es ergeben sich also viele offene Frage,
um die Geschichte der Backsteinherstellung und -verwen-
dung im deutschen Kulturraum zu verstehen. Immerhin
bietet uns der Text aus der Biedermeierzeit einen Einblick
in das, auf was man in der Biedermeierzeit aufbauen
konnte, um das Bauwesen in seiner Qualität und Quantität
zu steigern. Die Backsteinherstellung und -verwendung ge-
wann bereits im frühen 19.Jahrhundert an rasch zunehmen-
der Bedeutung. Man wird sich mit dieser raschen Zunahme
intensiv beschäftigen müssen.

K.L.

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
http://groups.google.com/group/baugeschichte
zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen:
(1)-(8) zitiert aus: o.A.: Ueber die Mauerziegel. Nach dem
Englischen des Turner. S.243-252 und Zeichnungen auf
S.247 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839. S.251
(9) zitiert aus: o.A., wie vor, S.251f.
(10) zitiert aus: o.A., wie vor, S.252

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