Flachdach und Dächerkrieg in der Biedermeierzeit: ein Nachdenken über die sichere, effektive und ästhetische Art der Dacheindeckung im frühen 19.Jahrhundert

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Karl-Ludwig Diehl

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Oct 29, 2008, 10:39:59 AM10/29/08
to Baugeschichte

Flachdach und Dächerkrieg in der Biedermeierzeit:
ein Nachdenken über die sichere, effektive und
ästhetische Art der Dacheindeckung im frühen
19.Jahrhundert


Das Flachdach hat schon seit geraumer Zeit eine
vehemente Anhängerschaft. Diejenigen, die heute
dafür in der Baukunst eintreten, wissen natürlich
wenig über die Geschichte des Flachdaches. Sie
beziehen sich auf die Zeit des Bauhauses und mei-
nen oft, es sei in der sogenannten "Moderne" für
die Baukunst "neu" erfunden worden. Es habe einen
"Dächerkrieg" gegeben, aus dem die Anhänger des
Flachdaches als Sieger hervorgegangen seien.
Wer daran glaubt, macht sich etwas vor. Es gab
diesen "Dächerkrieg" auch schon vorher. Das Wort
wurde bereits in der Biedermeierzeit gebraucht, um
den Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern
des Flachdaches zu benennen. Es geht hier darum,
das Wissen um das Flachdach durch baugeschicht-
liche Arbeit aufzuweiten. Wir wissen alle zu wenig
darüber, besonders dann, wenn wir das Phänomen
im gesamten Kontext der menschlichen Kultur-
entwicklung betrachten.

Jemand, der in der Biedermeierzeit seinem Hause
"eine gefällige äußere Form geben und das schwer-
fällige nordische Ziegeldach beseitigen" wollte, hatte
dies trotz "Aufopferung alles ökonomischen Dachbo-
denraumes" getan. Womit er sein Dach deckte, um
Witterungseinflüsse, z.B. Regenwasser, abzuweh-
ren, bildet eine offene Frage. Die Baugeschichte
der Eindeckung von Flachdächern wird noch nicht
geschrieben sein, wenn ja, ist sie höchst unvoll-
ständig. Nach Veröffentlichungen ist zu suchen.
Historische Flachdacheindeckungen wären zu do-
kumentieren, oder bestehende Dokumentationen
aufzuspüren und auszuwerten. Da der Dächerkrieg
ein Bestandteil der allgemeinen menschlichen
Kulturentwicklung auf dem Gebiet des Bauwesens
sein muß, ist es notwendig, Fakten dazu zu sam-
meln. Der Dächerkrieg in der Biedermeierzeit in
Deutschland hatte Parallelen anderswo, auf jeden
Fall in Frankreich. Man unterstellte, das Flach-
dach sei im Brandfall feuergefährdeter und daher
ein zu großes Sicherheitsrisiko. Es mag weitere
Begründungen gegeben haben, mit denen ver-
sucht wurde, es abzulehnen.

Ferdinand Fischer machte sich im Jahre 1841 die
Mühe, die Überlegungen mitzuteilen, welche für
das Eindecken der Flachdächer mit Asphalt wich-
tig geworden waren. Denn es war die Erarbeitung
eines Gutachtens erfolgt. Es ging um die Feuer-
sicherheit:

"Das königl.Württemb.Ministerium des Innern hat
von dem Vorstande der polytechnischen Schule
in Stuttgart, in Gemeinschaft mit sämmtlichen
im Baufache und in den Fächern der Chemie und
Physik bei dieser Schule angestellten Lehrern,
ein Gutachten über die Zuverläßigkeit von Asphalt-
dächern in feuerpolizeilicher Hinsicht sich erstat-
ten und umfassende Versuche anstellen zu las-
sen, um die Feuersicherheit der Asphaltdächer
zu ermitteln und je nach dem Ergebnisse Vor-
schriften bei Gestattung derselben an die Hand
geben zu können." (1)

Es waren vier Ängste deutlich geworden, auf die
einzugehen war mit Fragen, wie es sich wirklich
verhält:
- man hatte Angst, Asphaltdächer könnten leich-
ter brennen als Ziegeldächer.
- man befürchtete, asphaltierte Flachdächer könn-
ten Löscharbeiten erschweren.
- man rätselte darüber, ob solche Flachdächer
zu verbieten sind, wenn sich die Befürchtungen
bestätigten.
- man fragte sich, ob sich ein drohendes Verbot
umgehen ließ, wenn man bestimmte Vorausset-
zungen zur Steigerung der Sicherheit bei Feuer
schafft. (2)

Da es darum ging, den Bau von Gebäuden mit
Flachdach abzusichern, zu denen es eine ideolo-
gische Durchsetzungsstrategie in der Biedermeier-
zeit gab, also einen Dächerkrieg, mußte somit ein
Weg gefunden werden, sicherzustellen, daß der
Fraktion der Fachwelt, denen an einer Verhinde-
rung des Flachdaches lag, keine guten Argumente
zuflossen. Wer das Flachdach verhindern wollte,
konnte argumentieren, es sei gefährlich, wenn es
mit Asphalt überzogen wird. Und aufgrund der
Feuergefahr sei es wenig sinnvoll, ein Flachdach
zu bauen. Da andere Dacharten natürlich auch
bei Feuerausbruch Gefahrenherde darstellen,
ging es letztlich nur um die Frage, wie das mit
Asphalt überdeckte Dach sich bei Feuer wirklich
verhält und wie eventuelle Gefahren immer weiter
reduziert werden können, sodaß diese Dachart
im Vergleich mit den anderen akzeptierten Dach-
abdeckungsarten ähnlich gut, vielleicht sogar
besser dastand. Da es daneben andere Flach-
dachabdeckungsarten gab, standen auch diese
in einer Kritik. Deshalb wurde das Brandverhalten
des Asphaltdaches im Jahre 1838 zugleich mit
anderen Flachdacheindeckungsarten untersucht.
Man tat das auf einem "Baudepotplatze zu Ber-
lin":

"Im Jahr 1838 wurden auf dem Baudepotplatze
der K.Ministerial-Bau-Commission zu Berlin Ver-
suche mit siebenerlei verschiedenen Bedeckun-
gen für flache Dächer in Beziehung auf ihre grös-
sere oder geringere Feuersicherheit gemacht,
worunter sich ein Asphaltdach befand. Jedes die-
ser Dächer wurde äußerlich und innerlich mit
Holzscheitern und Spänen belegt, und gleich-
zeitig angezündet, so daß die Flamme in den
Dächern mit dem Winde zugekehrten Oeffnun-
gen sehr lebhaft fast den ganzen Raum erfüllte."
(3)

Man muß dazu sagen, eines dieser Dächer
bei diesem Brandversuch war kein Flachdach,
sondern hatte ein übliches "nordisches" Sattel-
dach mit Ziegelbedeckung. Einige dieser Ver-
suchsanordnungen hatten sehr flache Pult-
dächer.

Das Ergebnis erbrachte für das sogenannte
Dorn'sche Dach und das Asphaltdach gute Er-
gebnisse, die natürlich von der anderen Dächer-
kriegspartei fleißig in Zweifel gezogen wurden:

"Wenn ein Gebäude von innen brennt, so ver-
brennen Asphaltdächer dann nicht nur leicht,
sondern noch lebhafter als andere Dächer."
(4)

Den Satz hatte Fischer einer Abhandlung entnom-
men, die auch französische Untersuchungen zum
Verhalten von Flachdachbauten im Brandfall ein-
schlossen, von der er wußte, wie er formuliert,

"daß der Aufsatz insbesondere im Interesse der
Dorn'schen Bedachungsart geschrieben ist."
(5)

Dies sagt uns nun, daß die Betreiber unter-
schiedlicher Flachdacharten untereinander we-
gen ihrer Konkurrenzsituation durchaus bemüht
waren, sich gegenseitig anzukreiden. Daraus
konnten diejenigen Nutzen ziehen, die das
Flachdach, auch aus ideologischen Gründen,
ablehnten. Mit der "Dorn'schen Bedachungs-
art" wird man sich im Zusammenhang des
Themas "Dächerkrieg in der Biedermeierzeit"
noch zu beschäftigen haben.

Aus dem Aufsatz von Fischer kann der kultur-
politische Dissens, der im Dächerkrieg ausgetra-
gen wurde, nicht sehr gut belegt werden, um
ihn aufzuhellen, da die ideologischen Begrün-
dungen, die dazu dienten, eine Architekturtheo-
rie für und wider das Flachdach auf dem Gebiet
der Ästhetik der Baugestalt auszuformulieren,
nicht durchgearbeitet und angeführt werden. Man
muß sie sich anderswo zusammensuchen.

Fischer äußert sich zu diesem Problem der
ästhetischen Gestaltung nur marginal:

"Wer sein Gebäude mit Asphalt decken lassen
will, beabsichtigt den einen oder den andern
dieser Vortheile, oder will seinem Hause eine
gefällige äußere Form geben und das schwerfäl-
lige nordische Ziegeldach beseitigen, mit Auf-
opferung alles ökonomischen Dachbodenrau-
mes und trotz der bedeutend größeren Kosten
des Deckmaterials." (6)

Obwohl er ein Asphaltdach bespricht, sagt er
damit zugleich aus, das "schwerfällige nordische
Ziegeldach", also Dächer mit erheblicher Dach-
neigung, wird in der Biedermeierzeit abge-
lehnt, weil eine neue "gefällige äußere Form"
gewollt wird. Wieso man diese Form des Hau-
ses mit flachem Dach als gefällig empfand,
und es haben wollte, wird nicht genauer erläu-
tert und belegt. Dies wiederum wäre aber sehr
wichtig, um das Streben nach dem gefälligeren
Flachdach aus der Zeit heraus zu verstehen.
Auch müßte man den Personenkreis ermitteln,
der in der Biedermeierzeit ein Flachdach haben
wollte, da ja nur Teile der Gesellschaft, und
eigentlich nur die, die neu bauten, nach diesem
vorgenannten ästhetischen Empfinden den
Flachdachbau propagierten und zur Durch-
setzung brachten.

Die Gegner des Flachdaches erweiterten ihren
Versuch, das Asphaltdach zu verhindern, da-
durch, daß sie ebenfalls die Asphaltbodenplat-
ten auf den Bürgersteigen vor Flachdachhäusern
mit demselben Argument der zu starken Ge-
fährdung bei Gebäudebränden bekämpften. Der
Dächerkrieg hatte also reichlich Nahrung. Diese
hitzige Debatte konnte durch die Untersuchun-
gen des Verhaltens im Brandfall abgekühlt wer-
den.

In der architekturtheoretischen Auseinanderset-
zung, die im Kampf um die Moderne in der
Biedermeierzeit mit dem Dächerkrieg ausgetragen
wurde, spiegelt sich der Kampf der Baustoff-
industrien. Am Flachdach konnte der kerami-
schen Ziegelindustrie nicht gelegen sein. Da
das Wort "Ziegel" vom Wort tegulum herkommt,
das Dachplatte meint, genauso wie tegel in
einer anderen Sprache, so muß man davon
ausgehen, daß auch andere Dachziegelher-
steller gegen das Flachdach eingestellt waren.
Da die Dachstühle für solche Dächer in der
Regel große Holzmengen benötigten, kann
man sicher sein, daß die Holzindustrie, nicht
nur der Balken wegen, sondern auch der Holz-
lattung wegen, das Flachdach ablehnte, ger-
ne aber bereit war, die geringere Holzmenge
pro Flachdachkonstruktion auch für diese
Dächer zu liefern. Man wird also innerhalb die-
ser Industrie durchaus Konfliktstrukturen fin-
den, welche zugleich ein gegenseitiges Aus-
spionieren beinhalteten.

Es gab allerlei Baustoffe zur Eindeckung und
zum Bau stark geneigter "nordischer" Dächer.
Diejenigen Industrien, die Baustoffe für Flach-
dächer lieferten, bildeten ein vergleichsweise
schwaches Segment innerhalb der Baustoff-
industrie. Trotzdem setzte sich das Flachdach
durch, weil es eine architekturästhetisch aus-
gerichtete Architekturtheorie für den Flach-
dachbau in der Biedermeierzeit gab.

K.L.

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
http://groups.google.com/group/de.sci.architektur
zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen:
(1) Ferdinand Fischer: Ueber die Zulässigkeit der
mit Asphalt bedeckten Dächer in feuerpolizeilicher
Hinsicht und über den Erfolg mehrerer Versuche
zur Ermittlung der Entzündlichkeit der Asphalt-
dächer. S.135-141 in: Allgemeine Bauzeitung.
Wien, 1841. S.135
(2) siehe: F.Fischer, wie vor, S.135
(3)-(4) zitiert aus: F.Fischer, wie vor, S.136
(5) zitiert aus: F.Fischer, wie vor, S.136. Fischer
nennt zwei Publikationen. Aus der einen zog er
das entnommene Zitat, das unter Anmerkung (4)
angeführt ist.
(6) zitiert aus: F.Fischer, wie vor, S.135


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