Heidegger und der Bedeutungswandel des Wortes 'bauen'
Heidegger formulierte in seinem Aufsatz "Bauen Wohnen
Denken", den er 1951 vor dem Deutschen Werkbund in
Darmstadt vortrug, daß ein Bedeutungswandel bei dem
Wort 'bauen' stattgefunden habe. Das Bauen als Wohnen
sei zugunsten der Bedeutung Bauen als Errichten in den
Hintergrund getreten. Dazu schreibt er:
"Das altsächsische «wuon», das gotische «wunian» bedeu-
ten ebenso wie das alte Wort bauen das Bleiben, das Sich-
Aufhalten." (1)
Nun habe sich aber das Wort "bauen" im Gebrauch der
Sprache auf das Bauen als Errichten reduziert. Wie könnte
das zu verstehen sein?
Dazu erörtert Heidegger:
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"Dieses Ereignis sieht zunächst so aus, als sei es lediglich
ein Vorgang innerhalb des Bedeutungswandels bloßer
Wörter. In Wahrheit verbirgt sich darin jedoch etwas Ent-
scheidendes, nämlich: das Wohnen wird nicht als das Sein
des Menschen erfahren; das Wohnen wird vollends nie als
der Grundzug des Menschseins gedacht.
Daß die Sprache die eigentliche Bedeutung des Wortes
bauen, das Wohnen, gleichsam zurücknimmt, bezeugt
jedoch das Ursprüngliche dieser Bedeutungen; denn bei
den wesentlichen Worten der Sprache fällt ihr eigentlich
Gesagtes zugunsten des vordergründig Gemeinten leicht
in die Vergessenheit. Das Geheimnis dieses Vorganges
hat der Mensch noch kaum bedacht. Die Sprache entzieht
dem Menschen ihr einfaches und hohes Sprechen. Aber
dadurch verstummt ihr anfänglicher Zuspruch nicht, er
schweigt nur. Der Mensch freilich unterläßt es, auf dieses
Schweigen zu achten." (2)
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Daß es eine Denkebene geben kann, bei der das Wohnen
als Sein des Menschen zum Aufscheinen gebracht werden
kann, ist fraglos richtig. Wenn in der Wortbedeutung von
'bauen' eine solche Bedeutung, also Bauen als Sein des
Menschen, vorhanden war, was zumindest für denkbar ge-
halten werden kann, fragt es sich natürlich, wieso eine
solche Bedeutung zurücktritt und in ein anderes Wort, al-
so das Wohnen wandert, aber da auch selten so gesehen
wird. Heidegger moniert:
"das Wohnen wird vollends nie als der Grundzug des
Menschseins gedacht"
Er sieht das als großen Mangel, aber zugleich werde da-
mit deutlich, daß ursprüngliche ganze Bedeutungen in
Vergessenheit geraten sind.
Diese Spekulation von Heidegger sagt mir bislang nur,
daß sowohl bei dem Wort 'bauen' wie 'wohnen' Bedeutungs-
aufladungen möglich sind, die es zulassen, sowohl das
Bauen als auch das Wohnen als "Sein des Menschen" zu
begreifen. Wenn Bauen hauptsächlich das Errichten ist,
das Wohnen aber als "Sein des Menschen" aufgefaßt
werden kann, läßt sich das eine, also das Bauen in dem
Wohnen wiederfinden. Um sein zu können, ergibt sich
das Bauen. Da, solange wir als Menschen zurückdenken
können, zu wohnen war, war dazu immer das Herstellen
des Wohnraumes notwendig. Diese Tätigkeit des Woh-
nens als solches, des Nutznießens am durch Bautätig-
keit geschaffenen Wohnraum, erweiterte sich genauge-
nommen durch das Bauen. Der Anteil, den gewonnenen
Wohnraum durch Wohnen in Anspruch zu halten, weitete
sich aus, die Bautätigkeit, mit der zusammen zu wohnen
war, reduzierte ihr Verhältnis im gesamten Kontext der
Tätigkeiten des Menschen. Das Bauen an dem langsam
entstehenden und sich erweiternden Wohnraum mußte
in sich als Wort bei diesem Aufbauprozeß des bewohn-
baren Kulturraumes die Wortbedeutung "wohnen" so-
lange beinhalten, bis dieser Entfaltungsprozeß so reich-
lich Wohnraum geschaffen hatte, daß die Wortbedeutung
"wohnen" im "bauen" zurücktreten konnte, dafür zur
Unterscheidung das Bauen als Errichten in den Vorder-
grund trat und dem Wort "wohnen" diese Bedeutung zu-
gewiesen wurde, wie wir sie weitläufig kennen: Nutz-
niessung des aufgebauten Wohnraumes oder Wohn-
gebietes (=Kulturraum, ist Pflegen des aufgebauten
Wohnraumes).
So gesehen hätte der lange Bauprozeß zur Schaffung
von Wohnraum dann einen Zustand erfahren, in dem
reichlich und über die Maßen Wohnraum vorhanden war,
die Bautätigkeit, das Bauen, hauptsächlich nur noch
das Errichten war, und es wäre dann dazu gekommen,
durch das Wort Wohnen die Nutznießung des geschaf-
fenen Bauwerkes deutlicher herauszuheben. Das, was
im Wort "bauen" an Bedeutung war, wäre als Bedeutung
in das Wort "wohnen" gewandert.
Die Logik wäre dann ganz einfach. Während des Bau-
prozeßes hätte das Wort "bauen" zugleich "wohnen"
bedeutet. Nach langen Phasen dieser Kulturleistung wäre
dann der Anteil dessen, was noch zu bauen war, zu dem
was schon als Wohngebiet und Wohnraum gebaut war,
gesunken, folglich sank auch im Wort "bauen" der An-
teil der Wortbedeutung, der andauernd auf das "wohnen"
mitverweisen mußte, ab. Das Wort "wohnen" übernahm
alle Anteile. Auch die Bedeutung "Sein des Menschen",
die der Mensch nun hauptsächlich während der Nutznies-
sung des geschaffenen Wohnraumes erlebe, würde ganz
deutlich im Wort "wohnen" jetzt gut aufgehoben sein und
als Wortbedeutung vorhanden sein müssen, wenn "woh-
nen" gesagt wird. Nur habe man im Wortgebrauch diese
Bedeutung "Sein des Menschen" im Wort "wohnen"
nicht mehr transportiert, es geradezu als tieferen Bedeu-
tungsgehalt vergessen wollen. Man kann sich fragen,
warum das so sein könnte.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
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Anmerkungen:
(1)-(2) zitiert aus: Martin Heidegger: BAUEN WOHNEN
DENKEN. o.O., 1951. pdf-Datei (7 Seiten) S.2 in:
http://www.uni-weimar.de/cms/uploads/media/Heidegger-Bauen_Wohnen_Denken.pdf