Inwiefern gehört bei Heidegger das Bauen in das Wohnen
als offene Frage bei einer Satz für Satz-Auswertung der
von ihm gebrauchten Worte und ihrer Bedeutungsaufladung
Als zweite Frage wirft Heidegger in seinem Aufsatz "Bauen
Wohnen Denken" auf, inwiefern das Bauen in das Wohnen
gehört. Die Antwort auf die Frage würde uns erläutern, was
das Wohnen sei. Zunächst beschränkt er sich auf den Bau
eines Dings. Als Beispiel nimmt er die Brücke als solche.
Sie würde sich "<<leicht und kräftig>>" über den Strom
schwingen und die vorhandenen Ufer verbinden. Aus den
Worten wird deutlich, es ist ein erfundenes Beispiel. Er
setzt vorhandene Ufer voraus. Die Brücke würde sie "ei-
gens" gegeneinander über liegen lassen. Die Ufer würden
auch nicht als "gleichgültige" Grenzstreifen "des festen
Landes" den Strom entlang ziehen. So, wie er es formu-
liert, mußte ich an den Rhein denken, der nicht Grenze
sein sollte. Hier und da waren Gebiete, die wieder staat-
lich zu vereinen waren. Deutschlands Strom solle nicht
Deutschlands Grenze sein. Heidegger spricht davon im
Text nicht explizit, sondern er behandelt die Ufer ohne Wei-
teres als "nicht /.../ gleichgültige Grenzstreifen", in seinem
Text so bezeichnet: "des festen Landes".
Die Brücke würde jeweils "die Weite" "der rückwärtigen
Uferlandschaft" an diesen Strom bringen. Sie würde sogar
"die Erde" "als Landschaft" "um den Strom" versammeln.
Dieses Bild schafft Genuß. Die Stelle, wo die Brücke steht
wird so zur Weltmitte stilisiert, zur Weltachse. Warum so
viel Aufhebens um eine Brücke an einem imaginären Strom,
um die sich "die Erde" versammelt? Das Bild ist ausge-
wählt mythisch. Die Brücke wirkt so erhaben, der Strom
erhaben. Die Erde ist dann Stelldichein, eine komplette hei-
le Welt um diese Brücke. Mögen der Himmel toben, die
Brücke hält stand. Denn es heißt:
"Die Brückenpfeiler tragen, aufruhend im Strombett, den
Schwung der Bogen, die den Wassern des Stromes ihre
Bahn lassen. Mögen die Wasser ruhig und munter fortwan-
dern, mögen die Fluten des Himmels beim Gewittersturm
oder der Schneeschmelze in reißenden Wogen um die
Pfeilerbogen schießen, die Brücke ist bereit für die Wetter
des Himmels und deren wendisches Wesen." (1)
Hiermit wird gesagt, was der Mensch alles vermag. Er
kann, trotz aller Unbilden der Natur, mit Sicherheit die ge-
samte Erde um eine Brücke versammeln. Dem wendi-
schen Wesen der Natur steht das Sicherheit schaffende
Bauen des Menschen gegenüber.
Das sicher überschwingende Wesen des "Brückenbogens"
"sammelt als der überschwingende Übergang vor die Gött-
lichen". Er führt die Brückenheiligen an, die an vielen alten
Brücken vorhanden sind. Er nennt viele Brückenarten, allen
gemeinsam sei:
"Die Brücke versammelt auf ihre Weise Erde und Himmel,
die Göttlichen und die Sterblichen bei sich." (2)
Mit diesem "versammeln" will Heidegger uns zu einem al-
ten Wort führen:
"Versammlung heißt nach einem alten Wort unserer Spra-
che <<thing>>." (3)
Das Geviert aus Erde, Himmel, Göttlichen und Sterblichen,
sei hier in dem "Ding" Brücke versammelt. Er gebraucht
ein starkes Bild. Die Brücke wird zum Symbol der gesam-
ten Welt stilisiert. Die Brücke "sei zunächst und eigentlich
bloß" eine Brücke. "Nachträglich und gelegentlich" "könne
sie" "noch mancherlei" zum Ausdruck bringen. Wenn das
stattfinde, werde sie zum Symbol. Man beachte, erst dann,
wenn das stattfindet, ist eine Brücke mehr als bloße
Brücke.
"Allein die Brücke ist, wenn sie eine echte Brücke ist, nie-
mals zuerst bloße Brücke und hinterher ein Symbol. Die
Brücke ist ebensowenig im voraus nur ein Symbol in dem
Sinn, daß sie etwas ausdrückt, was streng genommen
nicht zu ihr gehört." (4)
Diese Sätze sind beachtlich. Sie erklären uns, was
Brücke alles sein kann, alles zu leisten vermag, was
Brücke zugleich ist. Die Symbolkraft gehört eigentlich nicht
zum Bauwerk selbst, andererseits könne sie niemals nur
hinterher Symbol sein, da sie immer das Geviert bei sich
versammelt. Es muß also mit dem Menschsein an sich
und seinem Bauen und Wohnen zu tun haben.
"Als dieses Ding versammelt sie das Geviert." (5)
Sie leistet, mit solcher Bedeutung aufgeladen, als Brücke
sehr viel, denn sie "verstattet" "dem Geviert eine Stätte".
Aus dieser Stätte würden Plätze und Wege hervorgehen,
"durch die ein Raum eingeräumt wird". Die Bedeutung die
hier in den durchdachten Gegenstand "Brücke" wandert,
wird zunehmend komplexer. Es geschieht wie in einem
Schöpfungsmythos, in dem sich Welt entfaltet und alles
eingeräumt wird. Heidegger schreibt:
"Dinge, die in solcher Art Orte sind, verstauen jeweils erst
Räume. Was dieses Wort <<Raum>> nennt, sagt seine
alte Bedeutung. Raum, Rum heißt freigemachter Platz
für Siedlung und Lager." (6)
Es gibt hier viele Möglichkeiten, mit dieser Bedeutungsauf-
ladung umzugehen. Man kann die Mythe auf eine kleine
Gruppe beziehen, die sich einen Übergang über einen Was-
serlauf geschaffen hat, der ihre Lebenswelt zusammenführt.
Es versammeln sich dann hier die Weltteile ihres Kosmos,
sie als Sterbliche mit dem Göttlichen oder der heiligen
Welt dieser Wirkkräfte. Um diese Brücke, die in sich die
Fähigkeit zu diesem Symbol besitzt, liegt das Territorium
dieser Gruppe, die darauf achten muß, um zu überleben,
daß dieses Geviert, dieser eingeräumte Überlebensraum,
bestehen bleibt. Sie tut das durch ihren Mythos, in dem
sich alles bewahrt. Eine solche Bedeutung kann jeweils
jede andere Brücke in ihrem Überlebensreich annehmen,
wenn diese Fähigkeit der Brücke zu diesem Symbol ange-
nommen wird. Jede Brücke kann durch Brückenheilige
zum wirkmächtigen Symbol werden, wie es in einem
christlichen Reich gemacht wurde. Brücke, so erläutert
uns Heidegger damit, besitzt eine Fähigkeit in sich, die
weit über ihre technische Haltbarkeit hinausgeht. Vorgeführt
ist uns im Text die Gestaltmacht der Worte. Anlaß für sei-
nen Exkurs über die "Brücke" war wohl im Wesentlichen
die alte Brücke in Heidelberg, die den Zweiten Weltkrieg
überdauert hat.
"Wenn wir jetzt - wir alle - von hier aus an die alte Brücke
in Heidelberg denken, dann ist das Hindenken zu jenem
Ort kein bloßes Erlebnis in den hier anwesenden Personen,
vielmehr gehört es zum Wesen unseres Denkens an die
genannte Brücke, daß dieses Denken in sich die Ferne zu
diesem Ort durchsteht. Wir sind von hier aus bei der
Brücke dort und nicht etwa bei einem Vorstellungsinhalt in
unserem Bewußtsein. Wir können sogar von hier aus jener
Brücke und dem, was sie einräumt, weit näher sein als je-
mand, der sie alltäglich als gleichgültigen Flußübergang
benützt. Räume und mit ihnen <<der>> Raum sind in den
Aufenthalt der Sterblichen stets schon eingeräumt. Räume
öffnen sich dadurch, daß sie in das Wohnen des Men-
schen eingelassen sind. Die Sterblichen sind, das sagt:
wohnend durchstehen sie Räume auf Grund ihres Aufent-
haltes bei Dingen und Orten. Und nur weil die Sterblichen
ihrem Wesen gemäß Räume durchstehen, können sie Räu-
me durchgehen. Doch beim Gehen geben wir jenes Stehen
nicht auf. Vielmehr gehen wir stets so durch Räume, daß
wir sie dabei schon ausstehen, indem wir uns ständig bei
nahen und fernen Orten und Dingen aufhalten." (7)
Am Bild der Heidelberger Bogenbrücke will uns Heidegger
erläutern, daß wir nur deshalb durch Räume gehen, weil
sie bereits in uns eingeräumt sind. Wenn unsere Gedan-
ken dorthin wandern, so bewegen wir uns real im einge-
räumten Raum. Folglich muß der Begriff "das Geviert" so
aufzufassen sein, als habe die Annahme dieser Mythe
zugleich an der Brücke und an jedem anderen Ort in der
Welt darin die Auswirkung, daß in uns aller Raum einge-
räumt ist, wir folglich auch mit unseren Gedanken dahin
wandern können, real dort sind. Er stellt sich das so vor:
"Selbst dann, wenn die Sterblichen <<in sich gehen>>,
verlassen sie die Zugehörigkeit zum Geviert nicht." (8)
Er erklärt genauer, was er als Mythe entfaltet:
"Der Bezug des Menschen zu Orten und durch Orte zu
Räumen beruht im Wohnen. Das Verhältnis von Mensch
und Raum ist nichts anderes als das wesentlich gedachte
Wohnen." (9)
Somit falle ein Licht auf das "Wesen der Dinge", welche
Orte sind und "Bauten" genannt würden. Eine "Brücke" sei
ein "Ding" solcher Art. Und:
"Das Hervorbringen solcher Dinge ist das Bauen." (10)
Das sagt uns, durch das Bauen werde das "Ding" hervor-
gebracht, wo sich das "Geviert" versammelt. "Wohnen"
wiederum sei der Bezug des Menschen zu diesen Orten,
an denen sich das Geviert versammelt und wodurch uns
der Raum als Mensch eingeräumt sei. Somit ergebe sich
also von selbst, daß das Bauen in das Wohnen gehöre.
Der Textabschnitt über die Brücke schafft uns einen sehr
wichtigen Einblick in die Bedeutungsaufladung, die bei Wor-
ten gestaltet werden kann. Indem er die Brücke zum
"Thing", also zum Versammlungsort der mythischen Welt
des Gevierts macht, ereignet sich eine Weltentstehung,
welche um diese mythische Mitte eine Welt entstehen
läßt, die wir dadurch bewohnen können, weil wir als Men-
schen dieses "Thing" erbaut haben. Zu dieser Mitte kön-
nen wir in diesem Gedankenraum problemlos wandern,
weil es eine eingeräumte Mitte der Welt ist, um die sich
Raum gebildet hat, der uns zum Wohnen eingeräumt ist.
Was Heidegger hier vorführt, ist interessant, denn er erklärt
uns damit, wie Raumbildung, Weltentstehung durch Bau-
en einer Brücke aus Steinen, durch die Bedeutungsaufla-
dung dessen, was mit Brücke gemeint ist, stattfindet. Wir
sind dann Bewohner einer mythischen Landschaft gewor-
den, die wir uns selbst geschaffen haben. Daselbe findet
mit jedem christlichen Kirchenbau statt. Anhänger dieser
durch Mythen erbauten Welt gibt es in Deutschland und
anderswo so zahlreiche wie die Sandkörner im Sand am
Meer. Niemand ist davon frei. Es liegt im Wesen unserer
"Dinge".
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
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Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at)
email.de
Anmerkungen:
(1)-(6) zitiert aus: Martin Heidegger: BAUEN WOHNEN
DENKEN. o.O., 1951. pdf-Datei (7 Seiten) S.4 in:
http://www.uni-weimar.de/cms/uploads/media/Heidegger-Bauen_Wohnen_Denken.pdf
(7) zitiert aus: M.Heidegger, wie vor, S.5f.
(8)-(10) zitiert aus: M.Heidegger, wie vor, S.6