Auswertung der Aufsätze zu den im 19.Jahrhundert
errichteten Bauwerken: ein Landhaus bei Starnberg
über dem Ufer des Würmsees
Der "Local-Bauinspektor" F.X.Eichheim bekam in der Bie-
dermeierzeit den Auftrag, für die Freifrau von Bayrstorf ein
Landhaus zu errichten. Vorgesehen war ein Bauplatz auf
einer Erhebung über dem Ufer des Würmsees. Dieser See
ist uns heute geläufiger unter der Bezeichnung Starnberger
See. Die Lage für das Haus war gut gewählt. Es kam in
der Zeit vom Jahre 1831 bis 1832 zum Bau.
"Dieses Landhaus steht auf einem über den Wasserspie-
gel des Würm- oder Starnberger Sees gegen 150 Fuß er-
höhten Punkte, der nach allen Richtungen eine herrliche
Aussicht gewährt. Gegen Nord und Ost streift der Blick auf
mehrere Stunden über die viel tiefer romantisch situirten
Ortschaften Starnberg, Bercha, Leutstetten, Buchhof,
Kämpfenhausen u.a.m. mit ihren umliegenden üppigen Gär-
ten, Feldern und Wiesen, Buchen- und Eichenwaldungen,
abwechselnd in Hügel und Thal, und durchzogen von dem
buschumgrünten mäandrisch gekrümmten Würmflusse."
(1)
Wohin man damals auch ging, es soll schöne Landschaft
gewesen sein. Und der Blick vom Haus auf den See und
sein Umland konnte berauschen:
"Noch herrlicher aber zeigt sich diese Landschaft vom
Landhause selbst aus, wenn auch nicht in so großer Aus-
dehnung, dagegen aber bereichert durch den am Fuße der
Landhausanhöhe gelegenen Starnberger See gegen Son-
nenaufgang und Mittag." (2)
Da der Architekt selbst diese Zeilen schrieb, ist anzuneh-
men, daß er die Freifrau um die Lage ihres Landhauses
beneidete. Er legte die wichtigste Fassade dieses Hau-
ses in Richtung der schönsten Aussicht.
"Nach dieser schönsten Aussicht hin hat das Landhaus die
Fasade /.../. Hier liegt der deutsche Lago maggiore, der rei-
zende, über 6 Stunden lange, vom Starnberg bis in die Vor-
berge der bayerischen Alpen sich erstreckende Würm-
oder Starnberger See, umgürtet mit Schlössern, Landhäu-
sern, Dörfern, Gärten, Feldern und waldigen Bergen, bei
günstigem Wetter in feenartigem Reichthum vor dem trun-
kenen Auge ausgebreitet." (3)
Die lange Schilderung der Ansiedler in der Landschaft ver-
rät deutlich das Motiv der Freifrau von Bayrstorf, sich gera-
de hier ein Landhaus zu bauen. Der Ort galt "seiner spit-
zen Kegelform" wegen jedoch als ungünstig für ein Haus.
Wer hier baute, hatte großen Aufwand zu treiben. Dieser
verschreckte die Freifrau jedoch nicht. Sie ließ ganz im
Gegenteil von der Bergspitze soviel abtragen, als nötig war,
um ein stattliches Anwesen zu errichten. All dies geschah
nur zu dem Zweck, damit hier eine Sommeresidenz ent-
stehen konnte.
"Das durch die Abtragung der Bergspitze gewonnene Mate-
rial (größtentheils Kies), wurde, um zugleich einen Vorplatz
an der Fasade des Hauses zu gewinnen, vor demselben an-
gelegt, und damit dieß neue Terrain sich früher oder später
nicht zu viel und ungleich setzen könne, jede nur einen hal-
ben Fuß dicke Lage tüchtig eingestoßen und gewalzt." (4)
Für das Landhaus mußte ein Plateau von 125 Fuß Länge
und 75 Fuß Breite hergerichtet werden, damit das Gebäu-
de und die Terrasse vor dem Haus aufgebaut werden konn-
ten. Andererseits legte der Architekt Wert darauf, daß über
einen bestehenden grünen Erdwall als Ausläufer eines Hü-
gels vom Landhaus aus hinweggesehen werden konnte,
wenn es errichtet worden war. Es gab schließlich ein aus-
reichend großes Terrain für Blumenbeete, Springbrunnen
und Wege. Eine Stützmauer in guter Entfernung vor dem
Gebäude hinderte das aufgeschüttete Erdreich daran, den
Hang hinunter zu gleiten. Wer auf den vorderen Terrassen
stand, der hatte etwa 100 Fuß unter sich das Seeufer.
Hinter dem Haus lag tief unter dem Hügel die Landstraße.
Um von ihr zu dem Haus zu gelangen, mußte der Hügel
angeschnitten werden. Der Architekt entschloß sich, zur
Straße hin ein Nebengebäude zu errichten, sodaß zwi-
schen dem Abhang vor dem untersten Geschoß des Land-
hauses und dem Nebengebäude, das mit dem Rücken zur
Landstraße aufgebaut wurde, ein Hof entstand, der mit
Kutscheneinfahrten an das Landhaus angebunden war. Wir
erhalten im Text nähere Angaben zum Nebengebäude:
"Das im Hofe an der Landstraße gelegene Nebengebäude
/.../ enthält eine Stallung, Remisen, Hausmeister- und
Gärtnerwohnung, Bedienten- und Kutscherzimmer, Heula-
gen u." (5)
In den Abhang unterhalb des Landhauses wurden Kellerräu-
me eingelassen, die somit direkt an den Hof mit der Zufahrt
grenzten. Diese Keller und das Nebengebäude mit Remise
und Stallungen lagen sich also am Hof gegenüber.
Um zum Landhause gelangen zu können, wurde von der
Grundstückspitze aus ein Weg angelegt, der bis vor den
Eingang im Erdgeschoß anstieg. Man konnte mit der Kut-
sche bis vor die Eingangstür gelangen. Der Kutscher konn-
te von dort aus zum Hof hinabfahren. Der Hof selbst bekam
seitlich der Stallungen und der Remise Ein- und Ausfahrten
auf die Landstraße.
Das langgestreckte Grundstück wurde "durch englische
Anlagen" zu einem ansehnlichen Park gestaltet. Es wur-
den dort ein Gewächshaus, Lauben, aber auch Obst- und
Gemüsebeete angelegt.
Das Landhaus selbst mußte sich dem Gelände anpassen.
Das als Erdgeschoß bezeichnete Untergeschoß enthält
den Eingang mit der Haupttreppe in das Geschoß darüber.
Hier befinden sich auch die Küche mit Wasseranschluß,
was damals noch keine Selbstverständlichkeit war. Ver-
schiedene Keller, als Speisekeller und Weinkeller bezeich-
net, sowie Bedientenzimmer machen große Teile dieses
Untergeschoßes aus. Ein Abtritt war hier angelegt worden.
Das zum Beheizen der Öfen notwendige Holz mußte hier
in Räumlichkeiten gelagert werden. Es führten auch Perso-
naltreppen von der Küche nach oben in den Wohnbereich
der Herrschaft. Alle Räumlichkeiten wurden sehr symme-
trisch verteilt. Im Schnitt durch das Gebäude sieht man,
daß auch die Keller ansteigend angelegt sind. Ein Teil der
Keller ist vom ersten Treppenabsatz, also auf etwas erhöh-
tem Niveau, zugänglich. Über einen weiteren Treppenab-
schnitt erreichte man ein nächstes Treppenpodest. Von
dort aus waren es nur wenige Stufe bis zum Niveau des
herrschaftlichen Wohngeschoßes, über dem sich ein wei-
teres Wohngeschoß erhob, das identischen Grundriß hat.
Vom untersten Geschoß mit der Küche und den Kellern
wird gesagt:
"Diese sämmtlichen Lokalitäten sind gewölbt, und um das
Eindringen der Feuchtigkeit von der auf drei Seiten um das
Geschoß liegenden Erde zu verhindern, wurden längs den
Wänden Luftkanalmauern in einer Entfernung von 4 Zoll für
den Luftkanal /.../ um das Erdgeschoß angelegt, und damit
sie dem Seitendrucke der Erde besser widerstehen können,
mit den Wänden hie und da verbunden." (6)
http://www.fotos.web.de/spaceoffice/Starnberg_Landhaus
(Lageplan, Grundrisse, Schnitt, Ansicht)
Man sieht diesen Luftspalt zwischen den doppelt gemau-
erten Untergeschoßwänden sowohl im Schnitt wie in der
Zeichnung des Grundrißplanes. Offensichtlich sah man in
der Biedermeierzeit darin ein gutes Verfahren, das Eindrin-
gen der Feuchtigkeit zu verhindern. Im Grundriß des Unter-
geschoßes sind auch die Fundamentmauern der übrigen
Gebäudeteile eingezeichnet, auf denen die Mauern der
Obergeschoße stehen. Andererseits ist im Plan der Ver-
lauf der Gewölbe in den eingewölbten Räumen durch Linien
angedeutet. Man sieht auch, daß die Haupttreppe, mittig
gelegen, sehr viel Raum einnimmt und sicherlich sehr re-
präsentativ gestaltet war.
Das im Text als 1.Stockwerk gekennzeichnete Geschoß
ist zum Garten hin ein Hochparterre. Man gelangt von den
Wohnräumen auf eine ausgedehnte Terrasse, die nur weni-
ge Stufen über der Gartenterrasse liegt. Eine breite Treppe
führt in den Garten hinab. Dort befand sich unweit ein
Springbrunnen, von dem aus mit wenigen Schritten zur
Brüstung über der hohen Stützmauer für die aufgeschütte-
te gegangen werden konnte, wo ein weiter Blick über den
See möglich war. Unterhalb lag das Seeufer vor dem Be-
trachter der Biedermeierzeit.
Das Bestreben des offensichtlich klassizistischen Architek-
ten war es, auch hier die Räume spiegelsymmetrisch zu
verteilen, was wirklich vollständig gelang. Von der reprä-
sentativen Haupttreppe an der Rückseite des Landhauses
gelangte man in einen großen mittig zum Garten hin gele-
genen Saal, der als Speisesalon eine zentrale Rolle spiel-
te. Zu beiden Seiten wurden große Räume gelegt. Der
eine Saal war als Wohnzimmer, der andere als Arbeitszim-
mer gedacht. An sie schlossen sich links und rechts Blu-
menzimmer an. Schlafzimmer mit Toilettzimmer, zugehöri-
ge Zimmer für das Kammermädchen, Badezimmer und Gar-
derobe, auch ein Abtritt, waren die Räume, die zur Straße
hin angefügt wurden. Zum Garten hin wurden Sitzterrassen
angeordnet, in der Mitte ließ man eine breite Freitreppe
zum Garten ein.
Das Geschoß darüber ist durch Wände eingeteilt, die ge-
nau auf denen darunter stehen. Folglich ist die Raumein-
teilung identisch, nur die Nutzung ist eine andere. Neben
Arbeitszimmer und Schlafzimmer wurden aus den Räum-
lichkeiten Toilettzimmer, Dienerzimmer und eine Gardero-
be gemacht. Ein Abtritt ist auch im obersten Geschoß
auffindbar. Über den Blumenzimmern der Etage darunter
liegen jedoch oben große Dachterrassen. Der mittlere Sa-
lon zum Garten hin wird als Empfangssalon bezeichnet.
"Von den Arbeitszimmern gelangt man zu beiden Seiten
auf die Terrassen oberhalb der Blumenzimmer. Diese Ter-
rassen, so wie der Balkon vor dem Empfnagssalon sind,
um sich daselbst vor Sonne und Regen schützen zu kön-
nen, durch Leinendächer auf leichtem Eisenstangengerip-
pe gedeckt, welche Deckung mittelst Rollen und Schnür-
zügen beseitigt werden kann; auch das Gerippe selbst ist
ganz wegzunehmen." (7)
Über dem Landhaus liegen flache Walmdächer, die den
Vor- und Rücksprüngen der Gebäudemassen angepaßt
wurden. Zu den Baustoffen, mit denen das Landhaus und
die Nebenanlagen errichtet wurden, ist angeführt:
"Das Haus ist aus Ziegel-(Back-)steinen aufgeführt und mit
Schindeln gedeckt; die Freitreppe gegen den Garten, die
Terrassenmauern, Säulen und Gesimsstücke sind von Tuff-
stein.
Die Wände der meisten Zimmer sind nach dem Wunsche
der Besitzerin freundlich tapezirt, und nur einige architek-
tonisch dekorirt. Die Plafonde sind mit leichten, mehr dem
ländlichen Charakter angemessenen Verzierungen bemalt;
die Fußböden theils Parket, theils mit Oelfarbe angestri-
chen." (8)
Auch zu den Nebenanlagen fanden sich Angaben zu den
Baustoffen:
"Die (Stütz-)Futtermauern vor dem Blumengarten, dann zu
beiden Seiten der Hinterwand des Landhauses, so wie in
dem Hofe, der das Nebengebäude an der Landstraße um-
gibt, sind von Bruch- und Tuffsteinen erbaut, und erhielten
alle, um dem Drucke der an ihnen liegenden Erde gehörig
widerstehen zu können, eine angemessene Böschung." (9)
Man hat also mit Tuff- und Bruchsteinen rustikal gemauert
und das feinere Mauerwerk aus Backsteinen aufgeführt. In
repräsentativen Räumen wurde Parkett verlegt.
Weil eine Ansicht der Gartenfassade dem Text der Bieder-
meierzeit beigegeben wurde, ist eine Architekturbetrach-
tung möglich. Schon aus den spiegelsymmetrisch ange-
legten Grundrissen wurde erkennbar, daß der Architekt
darauf aus war, ein klassizistisches Gebäude zu errichten.
Dies wird durch die Gartenansicht bestätigt. Es dürfte sich
um einen Klassizismus handeln, der das biedermeierzeit-
liche Fühlen und Denken widerspiegelt.
Zwischen zwei Seitenrisaliten ist ein etwas zurückliegen-
der Baukörper eingespannt. Links und rechts des zweige-
schossigen Bauwerkes schließen sich eingeschossige
Gebäudeflügel an, über denen eine Dachterrasse liegt.
Zur Sitzterrasse vor dem zweigeschossigen zentralen
Baukörper führt eine breit gelagerte Freitreppe vom Garten
bis vor das Haus. Dort tragen Säulen, die zwischen den
Seitenrisaliten stehen, den Balkon vor dem obersten Ge-
schoß des etwas zurückliegenden Gebäudeabschnittes
in der Mitte. Es ergibt sich durch diese Anordnung der
Bauteile ein langgestreckter Sockel, der in der Mitte durch
die Freitreppe und die Terrassenmauern unterbrochen wird.
Über den Bogenfenstern des Hochparterre führt ein lang-
gestreckter Architrav über die Säulen zwischen den Rund-
bogenfenstern der seitlichen Blumenzimmer weiter und
wird zum Wandabschlußgesims über den Hochparterre-
fassaden der Seitenrisalite, um sich dann wieder in einen
Architrav über den Säulen zu verwandeln, die den Balkon
in der Mitte des Gebäudes tragen. Darüber wechseln
Brüstungsmauern der Terrassen und des Balkons mit dem
hohen Gesimsband ab, welches bis zur Höhe der Fenster-
bänke reicht, die Teil eines schmalen Gesimsbandes sind,
das auf dieser Höhe die Obergeschoßfassade unter den
Fenstern quert. Die Seitenrisalite wurden durch Lisenen
aus Rustikamauerwerk gefaßt. Die Fenster im oberen Ge-
schoß sind rechtwinklig umrahmt. Sowohl die Bogenfen-
ster der niedrigen seitlichen Anbauten für die Blumenzim-
mer, als auch die der beiden Geschosse des Mittelteils
des Gebäudes bilden Dreiergruppen. Mittig liegen die ein-
zelnen Fenster in den Seitenrisalitgeschossen.
Die Fontäne des Springbrunnens auf der Gartenterrasse
steigt mittig vor der Gebäudefassade auf. Die breitgela-
gerte Stützmauer zum See hin besteht aus Rustikamauer-
werk und enthält Vor- und Rücksprünge in Anlehnung an
die Gebäudegliederung des Landhauses. Folglich weicht
das Stützmauerwerk zwischen den rustikalen Seitenrisa-
liten dieser Stützmauer in der Mitte zurück. Man hat hier
drei Rundbogennischen in Anlehnung an die Rundbogen-
reihe des Hochparterre des Landhauses angeordnet.
Aus dem Bogenfeld der Rundbögen stürzen Wasserfälle
herab, deren Wasser in ein Bassin zu fallen scheint. Es
könnte sich um eine skulpturale Gliederung dieses
Stützmauerteiles handeln, aber auch um einen wirklichen
Wasseraustritt. Da eine so hohe Fontäne im Garten be-
trieben werden konnte, liegt die Vermutung nahe, daß
dieses aufsteigende Wasser später als Anordnung von
Wasserfällen aus der Stützmauer heraustritt, bevor es
wieder zur Bildung der Fontäne zurückgepumpt wird.
Die Gartenanlagen auf dem riesigen langgestreckten
Grundstück, sind sehr ausgedehnt und ergaben einen so
großen Landschaftspark, daß Besucher dieser Anlage
reichlich zu gehen hatten, wenn sie alles erkunden wollten.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
http://groups.google.com/group/baugeschichte
zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at)
email.de
Anmerkungen:
(1)-(3) zitiert aus: F.X.Eichheim: Beschreibung des Land-
hauses der Freifrau von Bayrstorf bei Starnberg. S.222-224
und Zeichnungen auf Blatt CXXXVI in: Allgemeine Bauzei-
tung. Wien, 1837. S.222
(4) zitiert aus: F.X.Eichheim, wie vor, S.223
(5)-(6) zitiert aus: F.X.Eichheim, wie vor, S.224
(7) zitiert aus: F.X.Eichheim, wie vor, S.223
(8)-(9) zitiert aus: F.X.Eichheim, wie vor, S.224