Die verschiedenen Arten des römischen Kalkmörtels in der Biedermeierzeit

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Karl-Ludwig Diehl

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Jan 16, 2009, 9:24:22 AM1/16/09
to Baugeschichte


Die verschiedenen Arten des römischen Kalkmörtels in der
Biedermeierzeit


Der Architekt G.Engelhard hatte im Jahre 1839 aus Kassel
einen Text an die Allgemeine Bauzeitung in Wien ge-
schickt, der sich mit dem Bauwesen in Rom befaßt. Die
Redaktion hatte dadurch die Möglichkeit erhalten, ihre
Leserschaft über die Zubereitung des Kalkmörtels und den
Mauerwerksbau in Italien zu informieren. (1)

Engelhard meint, die Art, wie in Rom Mörtel hergestellt wer-
de, könne man in weiten Teilen Italiens antreffen.

"Die Materialien, welche man in dem größten Theile von
Italien zum Bereiten des Mörtels gebraucht, sind in so fern
von den unsrigen verschieden, als dort der Kalk ziemlich
rein, d.h. mit geringer Beimischung von Thon- und Kiesel-
erde vorkommt, und statt des Sandes die sogenannte Poz-
zolanerde angewendet wird. Letztere ist ein vulkanisches
Produkt, das sich als lockere Masse vom feinsten Staube
bis zu Stücken von der Dicke einer Faust findet und ge-
wöhnlich von rothbrauner Farbe ist. Die Güte derselben
ist sehr verschieden, und es kommt darauf mehr an, als
auf die Güte des Kalkes." (2)

Engelhard beobachtete, daß an der Stelle des Sandes
Pozzolanerde dem Kalk beigemischt wurde, um Mörtel zu
erhalten. Die Qualität der Pozzolanerde sei sogar entschei-
dender für den Mörtel als der Kalk.

Während die Puzzolanerde eine lockere Masse von Staub
bis hin zu größeren verfestigten Brocken daraus ist, erhal-
ten wir von der Kalkmasse diese Beschreibung, nämlich:

"daß sie von scharfem glasigen Bruche sei (wie Bimsstein),
und beim Reiben knirsche, sodann, daß sie Wasser nicht
trübe, sondern darin schnell zu Boden falle, und daß sie
von recht intensiver feuriger Farbe sei, was ein Zeichen ist,
daß sie keine vegetabilischen Substanzen enthalte." (3)

Es wird gesagt, der Mörtel unterstütze die Arbeit den Mau-
rer, sodaß diese nicht unbedingt gezwungen sind, genau
zu arbeiten. Der Kalkmörtel sei ihnen deshalb wichtiger als
die Mauersteine. Sie würden sehr großen Wert auf die ge-
naue Zubereitung des Mörtels legen. Wie sich Puzzolan-
erde und Kalk zum Mörtel binden, ist so beschrieben:

"Die Puzzolanerde bildet mit dem Kalk eine an der Luft
schnell erhärtende Masse, die sich hernach, selbst unter
Wasser, nicht wieder auflöset." (4)

Es handelt sich also um einen hydraulischen Mörtel, dem
Wasser nichts mehr anhaben kann. Man wird im deutsch-
sprachigen Kulturraum die Italiener um ihren Kalkmörtel
beneidet haben. Wie werden die Mörtel angemischt?

"Das Mischungsverhältniß derselben bestimmt sich nach
der Güte der Materialien, gewöhnlich nimmt man 3 bis
3 1/2 mal soviel Pozzoloanerde als gelöschten Kalk (Grös-
sentheile). Auch richtet sich die Mischung nach den ver-
schiedenen Arten von Mauerwerk oder Verputz, wozu der
Mörtel gebraucht werden soll; im Allgemeinen aber gilt,
daß der Kalk so lange mit Pozzolanerde und Wasser ver-
setzt wird, bis das Gemisch nicht mehr an der Schaufel
hängen bleibt." (5)

Es wird deutlich, daß die Baustoffe in unterschiedlicher
Qualität vorliegen konnten, worauf bei dem Mischungs-
verhältnis Rücksicht zu nehmen war. Eine solche Mörtel-
mischung setzt also Erfahrung voraus, um im Ergebnis
eine möglichst gleichbleibende Qualität des Mörtels zu
erhalten. Neben der Qualität der Ausgangsstoffe war die
Menge der Wasserbeigabe so zu organisieren, daß sich
Mörtel ergab, der sich zum Mauern gut eignete. Als Kri-
terium der Maurer, ob er gute Konsistenz habe, wird im
Text gesagt, er habe sie dann, wenn er an der Schaufel
nicht mehr kleben bleibt.

Engelhard führt sechs verschiedene Kalkmörtelarten an.

1. Calce da fondamenti

Er bestehe aus dem einfachen Gemisch von gelöschtem
Kalk und Pozzolanerde, wobei er zur Pozzolanerde sagt,
sie werde im rohen Zustande, also ungesiebt, verwendet.

"Dieser Mörtel wird nur zu Mauerwerk unter der Erde und
zu Füll- und Gußwerk in dicken Mauern gebraucht" (6)

Man würde die gröberen Teile der Pozzolanerde, die beim
Sieben durch ein Drahtsieb anfalle, in den Calce da fonda-
menti einmischen, was sagt, daß ein Bestreben bestand,
alles angefahrene Baumaterial zu verbrauchen. Man würde
diesen Mörtel mager und sehr flüssig anmachen. Der fein
ausgesiebte Anteil der Pozzolanerde diente für den qualita-
tiv anspruchvolleren Kalkmörtel.

2. Calce di muratore

Er werde zu allen "reinen Mauern" verwendet und unter-
scheide sich vom vorherigen Mörtel für die Fundamente
nur dadurch, daß ausschließlich fein gesiebte Pozzolan-
erde dem Mörtel beigemischt werde. Sowohl Backstein-
wie Bruchsteinmauerwerk würde mit diesem Kalkmörtel
gemauert. Auf gute und genaue Mörtelmischung sei zu
achten.

"Der Kalk wird zuerst mit sehr wenig Pozzolanerde ge-
mischt und durchgearbeitet, dann wird etwas mehr Poz-
zolanerde zugesetzt und von neuem durchgearbeitet, und
so fort, bis das gehörige Verhältniß erreicht ist." (7)

Man würde mit diesem Mörtel die Wände bewerfen, um sie
roh zu verputzen. Die Bindekraft eines solchen Mörtels sei
ungewöhnlich stark, was erfordere, ihn mit Wasser über
etliche Tage zu nässen, damit kein zu schnelles Abbinden
eintritt und Risse auftauchen. In feuchten Jahreszeiten wür-
de dieser Mörtel am besten zu verwenden sein. Nach etwa
14 Tagen sei er so sehr gehärtet, daß ein Mauerwerksver-
band nur noch mit dem Meißel auseinander geschlagen
werden könne.

3. Calce passata

Diese Mörtelart ist interessant. Man bereitete diesen Mör-
tel, wenn sehr sorgfältig zu mauern war. Verwendung fand
er bei Pfeilern, sehr tragfähigen Mauern, Kaminen. Er wür-
de auch beim Vermauern der Dachziegel genommen. Ge-
nauso sei der zweite Anwurf beim Mauerputz aus Calce
passata. Woher der Name rührt, wird hierdurch deutlich:

"Calce passata ist Calce di muratore, die noch durch ein
großes Sieb geworfen wird, wodurch nicht nur die zu gro-
ben Stücke der Pozzolanerde abgesondert werden, son-
dern auch eine innigere und gleichförmigere Vermischung
des Kalkes mit der Pozzolanerde erreicht wird." (8)

Man nahm Drahtsiebe, die 1 Meter breit und 1.25 Meter
hoch waren und schräg aufgestellt wurden. Es seien Draht-
siebe gewesen "mit 0,012 Met.großen Maschen". Großer
Wert wurde also auf einen Kalkmörtel gelegt, der ein Sieb
passierte und dadurch gleichförmigere Konsistenz annahm.
Offensichtlich ließ sich damit haltbarer mauern.

4. Calce ripassata

Auch hierfür war der Calce di muratore durch ein Sieb zu
geben. Um den Mörtel "fetter" zu machen, wurde er "durch
ein Handsieb" gedrückt, damit "alle nicht ganz feinen Thei-
le der Pozzolanerde" im Sieb verblieben. Man nahm dazu
ein rundes Drahsieb "mit 0,005 Met. großen Maschen".

"Man braucht ihn besonders bei vielen Ziegelsteinkonstruk-
zionen, z.B. bei Gewölben, Thür- und Fenstergewänden,
Ecken von Gebäuden, Gesimsen, zum Einmauern von
irdenen Röhren u.s.w. aber überall nur in sehr dünnen La-
gen, da er wegen seiner größeren Fettigkeit leichter reißt
als andere Mörtel." (9)

Wenn große Werkstücke vermauert wurden oder "Ziegel-
steinmauern von geschliffenen Steinen" herzustellen wa-
ren, benötigte man diesen fetten Kalkmörtel. Zum Ver-
putzen durfte man ihn nicht nehmen, da er zu fett war.
Im Mauerwerk mit sehr dünnen Fugen war er angebracht.

5. Colla

Colla ist sehr magerer Kalkmörtel. Man beachte, wie er
hergestellt wurde. Auch er wurde durch Sieben gewonnen.

"Colla ist Calce ripassata, noch einmal durch ein feines
Haarsieb gelassen, und hernach mit eben so fein gesieb-
ter Pozzolanerde gemischt, um den Mörtel wieder mager
zu machen, da bei dem mehrmaligen Durchsieben immer
weniger Pozzolanerde darin bleibt." (10)

Das Haarsieb wird als Werkzeug grivello genannt, hat run-
de Form, einen Durchmesser von einem halben Meter und
wurde damals aus starken Pferdehaaren geflochten. Es
wird gesagt, die Maschen wären vielleicht so eng, daß 25
Pferdehaare "auf 0,01 Quad.Met. zu stehen kommen".

Man habe die Colla "zum Ausputzen der Fugen" beim
Ziegelmauerwerk verwendet, wenn darauf verzichtet werden
sollte, solche Mauern zu tünchen. Genauso habe man da-
mit Gesimsgliederungen fein verputzt und auch damit die
letzten Feinheiten des Wandputzes angebracht. Er sei
auch
"bei manchen Konstrukzionen, z.B. bei weitgespannten
horizontalen Ueberwölbungen aus Ziegelsteinen" (11)
in Verwendung gekommen. Dieser Hinweis auf das Wöl-
ben dürfte sehr wichtig sein. Die letzte geschilderte Kalk-
mörtelart ist:

6. Stucco

Er diente in der Biedermeierzeit zum Verputzen. Er wurde,
"wie die Colla", einen "Messerrücken" dick aufgetragen.
Unbedingt zu nehmen war er zum Glätten feiner Gliede-
rungselemente, bei Ornamenten, usw.

"Stucco ist wie Colla, nur mit dem Unterschiede, daß,
statt der feinen Pozzolanerde, feiner Marmorstaub zuge-
setzt wird, wodurch der Mörtel eine sehr große Festigkeit
und ein schönes Ansehen bekommt" (12)

Sowohl die Colla wie der Stucco habe man mit einer sehr
schmalen und kleinen Kelle aufgetragen, um den feinen
Kalkmörtel "glänzend" zu verstreichen.

Es stellt sich nun die Frage, wie sich in Rom und Italien
der Mörtel nach der Biedermeierzeit weiterentwickelte.
Durch die Industrialisierung müssen andere Herstellungs-
verfahren für die Mörtel aufgekommen sein, trotzdem muß
diese Tradition der Mörtelzubereitung Nachwirkungen ge-
habt haben, die dazu führte, daß sich das Mauern nörd-
lich der Alpen und südlich der Alpen anders entwickelte.

Man hat vor und während der Biedermeierzeit sicherlich von
der Zubereitung des hydraulischen Mörtels in Italien gelernt.
Die italienischen Kalkmörtel dieser Mischung mit Puzzolan-
erde waren hydraulische, also wasserfeste Mörtel. Man
holte sich auf Schiffen die Pozzolanerde nach Nordeuropa,
wie aus biedermeierzeitlichen Texten hervorgeht. Ab wann
man im nördlichen Europa von den Italienern den hydrau-
lischen Mörtel übernahm, wäre herauszufinden. Die Ge-
schichte der Herstellung und Verwendung von Mörteln
ist wohl ein weites Feld, das wissenschaftlich zu erschlies-
sen ist. Was davon schon durch die römischen Besatzer,
also vor dem nordeuropäischen Mittelalter, nach Norden
gelangte, bildet eine weitere Frage, die auf Antwort wartet.

K.L.

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
http://groups.google.com/group/baugeschichte
zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen:

(1) G.Engelhard: Bauarbeiten in Rom. S.188-195 in:
Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839
(2)-(5) zitiert aus: G.Engelhard, wie vor, S.188
(6)-(12) zitiert aus: G.Engelhard, wie vor, S.189

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