Baukunst der Biedermeierzeit in Venedig: die Akademie der Bildenden Künste zieht um und wird erweitert

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Karl-Ludwig Diehl

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Oct 25, 2008, 9:55:57 AM10/25/08
to Baugeschichte


Baukunst der Biedermeierzeit in Venedig: die Akademie
der Bildenden Künste zieht um und wird erweitert


Seitdem zu Beginn der Biedermeierzeit die Akademie der
Bildenden Künste innerhalb der Stadt Venedig umgezogen
war, wurden ihre Aufgaben im Ausbildungssektor erweitert.
Es gab dort schließlich eine Architekturausbildung, eine
Klasse für Malerei, Bildhauerei, für Kupferstich und Per-
spektivmalerei, aber auch die Ausbildung zum Ornament-
maler und zum Elementarfigurenzeichner. Raum war zu
schaffen für die Sammlung der Bildhauerarbeiten und Gips-
abdrücke, genauso für die Handzeichnungen und Bildwerke.
Die Sammlung umfaßte Werke bedeutender Künstler, für
die eine Pinakothek angestrebt worden war. Diese wollte
man als Gebäudeflügel im Hof des Akademiegebäudes er-
richten.

Im Jahre 1807 war die Akademie an ihren neuen Standort
gelangt, im Jahre 1827 legte man den Grundstein für die
Akademie auf diesem Gelände.

"Der Baumeister des neuen Gebäudes, Herr Lazzari, Pro-
fessor der Baukunst an der erwähnten Akademie, hat es
sich zur Aufgabe gemacht, die großen Säle durch Ober-
licht zu beleuchten, den Sälen jene Höhe und den Bildern
jene Stellung zu geben, daß auf denselben keine Spiege-
lung, welche in der Betrachtung von Bildern so nachtheilig
wirkt, bemerkt werden kann, und daß auch die Linien der
Etagen und äußern Gesimse mit dem Palladianischen Ge-
bäude übereinstimmen." (1)

Der Architekturprofessor Lazzari war also mit der Planung
und Bauausführung des Gebäudes betraut worden. Das
läßt aufmerken. Um das Gebäude zu verstehen, empfiehlt
sich ein Blick auf die beigegebenen Zeichnungen.

http://www.fotos.web.de/spaceoffice/Venedig_Pinakothek
(Grundrisse, usw.)

Die Beschreibung im Text aus der Biedermeierzeit lautet:

"Das Erdgeschoß dieses Gebäudes, wo aus Ziegeln ge-
mauerte Pfeiler die Holzdecke tragen, auf welcher ein Ter-
razzo als Fußboden für die Säle liegt, dient zu Magazinen
für Gipsmodelle und Abgüsse und erhielt ein anatomisches
Theater für den akademischen Unterricht. Das obere Ge-
schoß ist in zwei Säle getheilt, wovon jeder mittelst zwei
Laternen beleuchtet wird." (2)

Sieht man sich den Erdgeschoßgrundriß an, so entdeckt
man ein langgestrecktes Gebäude, das auf einem Raster-
system entwickelt wurde. Im Innern der Umhüllung durch
das Außenmauerwerk stehen theoretisch zwei Reihen von
je 13 Säulen als Stützen. Der Architekt hatte jedoch, da
im oberen Geschoß zwischen den beiden großen Sälen
eine schwere Trennwand zu bauen war, ebenfalls im Erdge-
schoß eine massive Querwand ziehen müssen. Hier ließ
er dann zwei Säulen wegfallen, da die Querwand die Last
aufnehmen konnte. Eine weitere Säule fiel im Erdgeschoß
weg, weil für das anatomische Theater ein Saal gebraucht
wurde, der größer als das gewählte Stützenraster sein
mußte. Trotz dieser Abweichungen kann von einem sehr
systematisch auf einem Raster entwickelten Gebäude ge-
sprochen werden. Das Erdgeschoß enthält zwei große
Säle, in denen ein Stützenwald steht. Außerdem finden
wir dort das anatomische Theater, einen Durchgangsraum
mit dabei befindlicher Kammer, eine Treppe und einen Ne-
benraum des anatomischen Theaters. Im Obergeschoß
breiten sich zwei große Säle über die gesamte Länge des
Gebäudes aus. Im Grundriß des Obergeschoßes sind die
Verlaufslinien des Gewölbes eingetragen. Im Schnitt sieht
man die Lichtschächte, die in das Gewölbe eingelassen
sind, damit durch das Dach durch Glasflächen hindurch
Licht einfallen kann. Im biedermeierzeitlichen Text werden
sie als "Laternen" bezeichnet. Die Raumhöhe der Säle im
Erdgeschoß wie im Obergeschoß ist beeindruckend groß.

Die Zwischengeschoßdecke besteht aus einer Holzkon-
struktion. Die Säulen im Erdgeschoß und die Außenwände
dienen als Auflager für die Holzbalken der Geschoßdecke.
Vermutlich sollte der Fußboden der beiden Säle im Ober-
geschoß sehr viel Auflast aushalten können. Die Säle im
Obergeschoß sind stützenfrei und haben über sich eine
Holzbalkenkonstruktion, die einerseits die Dacheindeckung
zu tragen hat, andererseits der Modellierung der Gewöl-
beflächen, dem Intrados, einen Verlauf zu bieten hatte.

Zu den Oberlichtern der Säle im Obergeschoß gibt es eine
interessante Randnotiz:

"Bei jeder dieser Laternen ist ein Schirm angebracht, um
das Einfallen der Sonnenstrahlen zu verhindern, und das
Licht zu mäßigen, was von größter Wichtigkeit ist. Es liegt
zu diesem Zwecke zwischen einer Fuge, welche die Wände
an zwei Seiten einer jeden Laterne trennt /.../, in horizonta-
ler Richtung ein Rahmen von Eisen, auf welchem weiße
Leinwand aufgespannt ist, so daß die ganze Fläche der La-
terne damit bedeckt werden kann.
Dieser Schirm, mit kleinen Rollen versehen, wird auf eiser-
nen Schienen mittelst eines Getriebes hin und her gezo-
gen, das in den Sälen an einer leicht zugängigen Stelle an-
gebracht und maskirt ist, und mittelst Ketten, welche in der
Wand in die Höhe gehen und mit dem Wagen, den der Rah-
men bildet, in Verbindung stehen. Bedeckt der Schirm die
Laterne nicht, so liegt er, wie es sich von selbst erklärt, im
Bodenraume." (3)

Zur Entlüftung der Säle hatte man sich Maßnahmen ausge-
dacht. Es ist allerdings nicht so einfach nachzuvollziehen,
wie das im Kontext des gesamten Saalraumes zu verste-
hen ist. Zu lesen ist dies:

"Um die Luft in den Sälen zu erneuern, wurden mehrere ein-
ander gegenüber liegende Fenster angebracht, die hinter
Bilderrahmen liegen, welche in Charnieren beweglich sind."
(4)

Es läßt sich vielleicht so verstehen, daß nur durch das
Oberlicht Helligkeit in die beiden Säle kommen soll und die
notwendigen Belüftungsfenster wie klappbare Blindfenster
gehalten waren, die, mit einem Bilderrahmen umgeben, im
Kontext der vielen aufgehängten Bilder möglichst unauffällig
wirken sollten.

Weitere Angaben im Text finden sich zur Dachkonstruktion
und zur Dacheindeckung. Der restliche Teil des Aufsatzes
behandelt den abgebrannten Altbau, der von Palladio errich-
tet worden sein soll. Dazu später.

"Der Dachstuhl, bei dessen Konstrukzion auf die Unterlage
und den Raum für die erwähnten Schirme Bedacht genom-
men werden mußte, ist nach der in Venedig gebräuchli-
chen Art mit kurzen und schweren Hölzern hergerstellt und
mit Ziegeln gedeckt.-
Das Eigenthümliche dieser Bedeckung besteht darin, daß
auf die Böcke oder Hauptgesperre, welche in einer Entfer-
nung von ungefähr 12 Fuß von Mittel zu Mittel stehen, die
Polsterhölzer (geschnittene Hölzer von 8 - 16 Quadrat-Zoll
Durchschnitt) entweder nach der Richtung des Dachabhan-
ges und in einer Entfernung von der Länge der Pflasterzie-
gel gelegt werden, oder daß man die Polsterhölzer nach
der Quere des Daches und ebenfalls in der Entfernung ei-
nes Pflasterziegels von Mittel zu Mittel aus einander legt."
(5)

Es sind erst einmal die Worte aufzugreifen. Diese lauten:
- Dachstuhl aus kurzen und schweren Hölzern
- Böcke oder Hauptgesperre
- Polsterhölzer
- Dachabhang
- Quere des Daches
- von Mittel zu Mittel
- Pflasterziegel (venzianisch: tavelle)

Man hat also ein Hauptgesperre so errichtet, daß die so-
genannten "Laternen" darin eingelassen werden konnten.
Andererseits war es in Venedig offensichtlich üblich, mit
relativ kurzen Holzbalken zu konstruieren. Dies ist ein
Thema für sich. Aus dem einzigen beigegebenen Schnitt
wird die hölzerne Dachkonstruktion nur in Teilen verständ-
lich. Als Formgeber für das Spiegelgewölbe über den
grossen Ausstellungssälen der Pinakothek wurden zur
Bogenform geschnittene Holzbalkenstücke zum Bogenteil
zusammengesetzt. Darauf kam ein Putzträger für das
Stuckgewölbe.

Auf die Holzbalkenkonstruktion kamen, im Text so genann-
te, "Polsterhölzer". Diese dienten dazu, den Flachziegeln,
hier Pflasterziegeln genannt, ein Auflager zu bieten. Da-
mit schuf man eine mit Mörtel zusammenhängende Unter-
lagsfläche aus Backsteinen für die eigentliche Dachein-
deckung aus Hohlziegeln. Die flachen Backsteine sind
mit dem venezianischen Wort "Tavelle" im Text angeführt.
Man kann sich das an dieser Textstelle nochmals nachvoll-
ziehbar machen:

"Auf diese Polsterhölzer, welche man auch durch eine Bre-
tereinschalung ersetzen kann, wird ein Pflaster von Fliesen
(in Venedig Tavelle genannt) gelegt, indem sie an den Rän-
dern mit gutem Mörtel verbunden werden. Auf dieses Pfla-
ster von Fliesen kommt erst die Eindeckung mit Hohlzie-
geln, wovon die unterste Reihe und der First des Daches
in gutem Mörtel gelegt werden." (6)

Das sagt nun viel darüber aus, was zumindest im Venedig
der Biedermeierzeit als Dachkonstruktion und Dachein-
deckung vorgesehen wurde. Man müßte beliebig viele Ver-
gleichsbeispiele venezianischer Bauten analysieren kön-
nen.

Bei Auswertung dieses Textes fiel auf, daß als Ergänzung
zum Neubau der Pinakothek ein abgebrannter Altbau eines
Klosters rekonstruiert werden mußte. Auch dies tat der
Architekt Lazzari. Dadurch entstand eine mit Fenstern ge-
schlossene Galerie in den Obergeschossen des ehemali-
gen palladianischen Bauwerkes, das nur mit seiner Ge-
schoßhöhe des Erdgeschoßes mit der Pinakothek über-
einstimmt.

K.L.

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
http://groups.google.com/group/baugeschichte
zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen:
(1)-(2) zitiert aus: o.A.: Ueber den Bau der Pinakothek und
die Wiederherstellung eines Palladianischen Gebäudes für
die Akademie der bildenden Künste in Venedig. S.357-
359; S.369-370 und Zeichnungen auf dem Blatt LXXVIII
und S.358 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1836. S.357
(3) zitiert aus: o.A., wie vor, S.357+359
(4)-(5) zitiert aus: o.A., wie vor, S.359


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