Die frühe Geschichte der Mauerziegel in England in einem
Text aus der Biedermeierzeit
In der Traditionslinie der Aufeinanderfolge der kulturge-
schichtlichen Entwicklungsschritte wurde in einem bieder-
meierzeitlichen Text die Geschichte der Mauerziegel abge-
handelt. Zweistromland, Aegypten, Griechenland, Römer-
zeit waren die ersten vier Stationen. Nun folgt die Darlegung
der Verwendung der Mauerziegel in den nördlichen europä-
ischen Ländern, wohl um zu suggerieren, daß nun endlich
auch im Norden die Schaffung einer hohen Kultur einsetzte.
"Betrachten wir neben den südlichen Ländern auch die
nördlichen, so finden wir in keinem der letzteren so viele
Ueberreste von Bauwerken, welche den Uebergang aus der
Baukunst der Römer in die der neueren Zeit darstellen, als
in England" (1)
Es wird also gemeint, England sei das Land, wo sich der
Übergang von der Römerzeit zur Kulturzeit danach am be-
sten zur Darstellung bringen lasse. Suggeriert wird, es
würden sich dort wie "in keinem" anderen nördlichen euro-
päischen Land so viele Baureste aus der Übergangszeit
auffinden lassen. Es verrät sich hier sicherlich die Tatsa-
che, daß die Redaktion in Wien ihren Aufsatz auf dem eng-
lischen Text von Turner aufbaute, der als Schriftsteller in
England vermutet werden darf. Wir erfahren:
"Hier müssen wir bemerken, daß sowohl die alten Britan-
nier, wie die Gallier, von den Römern, mit welchen sie in
mannigfache Berührung kamen, die Kunst der Bereitung,
sowohl der Luftsteine, als der gebrannten Ziegel, erlernten,
indessen findet man aus den ersten Zeiten der Anwendung
derselben keine anderen Mauern aus diesem Materiale, als
die wirklich von den Römern aufgeführten." (2)
Man hat also hier zweierlei Kulturräume vor sich, den des
Festlandes, wo sich heute Frankreich befindet, als auch
den der britischen Inseln, die von den Römern in Teilen be-
setzt gewesen waren. Es wird behauptet, die Gallier und
antiken Briten hätten die Kunst, Lehmziegel und Backstei-
ne herzustellen, von den Römern erlernt. Das liesse sich
dadurch aussagen, weil erst ab der Römerzeit Mauern
aufzufinden sind, in denen solche Mauerziegel vorkommen.
Doch seien die Römer höchst sparsam mit Mauerziegel
umgegangen, denn es heißt:
"Selbst bei diesen sind jedoch die Mauersteine sehr spar-
sam verwendet, und man bediente sich ihrer einerseits nur
zum Wölben von Bögen, andererseits um einzelne Bänder
durch das ganze Mauerwerk zu ziehen, und so den ande-
ren Baumaterialien eine innigere Verbindung zu schaffen."
(3)
Es wurden somit, wohl nur Backsteine, in der britischen
Römerzeit zum Wölben von Bögen und zum Mauern von
Bändern genutzt. Diese Bänder faßten anderes Mauer-
werk stabil zusammen und schufen eine horizontale Aus-
gleichsschicht. Sie sind, da man die römischen Ruinen
oder überlebenden Bauten auswertete, genauer beschrie-
ben:
"Diese Bänder bestanden aus drei und vier Schichten von
Steinen, und lagen je drei und vier Fuß von einander ent-
fernt, während der dazwischen liegende Theil der Mauer
mit kleinen Steinen, Schiefer u. in Kalk gemauert war." (4)
Man hatte Bestandsaufnahmen gezeichnet und sie dem
Text aus der Biedermeierzeit beigegeben. Sie zeigen Bei-
spiele dafür aus Verulam, Colchester, Chesterford und
London. Genannt ist auch ein Forscher namens Stowe,
der sich dieser Aufgabe der Erforschung des römischen
Mauerwerksbaus in England widmete. Man wird dessen
Ausarbeitungen genauer durcharbeiten müssen, um zu er-
sehen, was er zusammentragen konnte.
Die Backsteinbänder wären demnach drei oder vier Back-
steinschichten hoch gewesen und zwischen solchen Bän-
dern habe es Natursteinmauerwerk von drei bis vier Fuß
Höhe gegeben. Zur Kulturzeit nach der Römerzeit gibt es
Hinweise:
"Bei den Sachsen und Normannen finden wir den Gebrauch
der Ziegelsteine fortgesetzt, doch ist es ungewiß, ob sie
dieselben neu anfertigten, oder ob sie sich nur solcher be-
dienten, welche sie von römischen Bauwerken hernahmen;
denn meistentheils befinden sich die Gebäude aus jener
Zeit, bei welchen Ziegelsteine angewendet wurden, in der
Nähe von römischen Stazionen." (5)
Es liegt hier nahe, Spolien anzunehmen, die von den Sach-
sen und Normannen aus den römischen Bauten genom-
men wurden. Es könnte also sein, daß römische Ziegel
bei normannischen und sächsischen Bauten der nachrö-
mischen Zeit aufzufinden sind. Der Autor wird präziser:
"Die beiden Kirchen zu St.Albans sind unbedingt von einem
und demselben Materiale aufgeführt, während die eine, die
Michaelskirche, von den Sachsen im zehnten, die andere,
die Abteikirche, im eilften Jahrhunderte von den Normannen
erbaut wurde." (6)
Man hat Belege sowohl für die Wiederverwendung wie für
eigenständig hergestellte Backsteine aus der Sachsen- und
Normannenzeit. Zur Michaelskirche wird gesagt:
"In letzterer Kirche finden sich jedoch bereits besondere,
zu Treppenspindeln und kleinen Säulen rund geformte Stei-
ne." (7)
Es wurden bereits Backsteine selbst gebrannt und nicht
mehr Spolien entnommen. Dabei griff man zu einem For-
mengut, das als eigenständig aufzufassen ist.
"Aus dem Allen scheint hervor zu gehen, daß die Norman-
nen die, zu ihren Gebäuden nöthig werdenden Steine, nicht
allein noch ganz nach Art der römischen bereiteten, son-
dern, daß sie auch von letzteren die Kunst mit überkamen,
demselben, nach den verschiedenen Zwecken, auch ver-
schiedene Formen zu geben, wie dieß die sich kreuzenden
Bögen an der Westfronte der Botolphs Priorei in Colche-
ster aus dem siebenten Jahrhunderte deutlich zeigen." (8)
Aus kam damit in der Kulturzeit nach den Römern zu ganz
eigenen Backsteinformen, die genauer bekannt werden
müßten, um diese Produktionsphase der Mauerziegel zu
verstehen. Gemauert wurde offensichtlich schon sehr
kunstvoll mit Backsteinen, da es heißt, es seien sich
kreuzende Bögen gemauert worden.
"Wie lange man sich noch der römischen Formen und Ab-
messungen bediente, läßt sich nicht genau bestimmen,
doch finden sich schon aus den Zeiten Heinrichs I. und Ed-
wards II. (1100 - 1307) Steine nach holländischer Art berei-
tet vor, und man hatte deren in verschiedenen Größen." (9)
Einerseits wurden in der Biedermeierzeit von den Wissen-
schaftlern römische Formen und Abmessungen der Mauer-
ziegel in der nachrömischen Zeit Englands identifiziert, an-
dererseits glaubte man zu wissen, es seien Steine nach
"holländischer Art" vermauert worden. Der betrachtete Zeit-
raum der Backsteinbaukulturentwicklung umfaßt etwa 200
Jahre. Das würde bedeuten, man sah sich in der Lage, rö-
mische, frühe britannische, sächsische und normannische
von Ziegeln nach holländischer Art zu unterscheiden.
"Bei der, zu Edwards II. Zeit, um das Jahr 1310 erbauten
Priorei von Ely, hatte man Steine von 12 Zoll Länge, 6 Zoll
Breite und 3 Zoll Dicke, und andere von 10 Länge, 5 Zoll
Breite und 2 Zoll Dicke." (10)
Neben den Abmessungen dieser Backsteine gibt es aber
noch einen anderen interessanten Hinweis.
"Damals bauete ein reicher Kaufmann in Hull, Michael de
la Pole das erste, ganz aus Ziegelsteinen bestehende
Haus." (11)
Hier fragt es sich natürlich, da das Jahr 1310 im Zusam-
menhang mit dieser Angabe steht, wieso behauptet werden
kann, dieses Haus in Hull sei das erste Haus ganz aus
Backsteinen gewesen. Wird es so in schriftlichen Quellen
genannt, oder hat es sich als solches im Laufe der Zeiten
mit dieser Charakterisierung in die erhalten gebliebenen
Texte eingeschlichen? Oder beruht dies auf archäologi-
schen Untersuchungen, die ergaben, ein früheres Gebäude
ganz aus Backsteinen konnte bislang in England nicht
nachgewiesen werden? Der biedermeierzeitliche Text will
uns das nicht verraten. Es gibt jedoch bis in die Biedermei-
erzeit hinreichende Angaben über die Mauerwerksarten,
bei denen sich Backsteine auffinden lassen.
"Die in jener Zeit am meisten gebräuchliche Art war die
/.../, wo man auf einem Fundamente von Bruchsteinen oder
Schiefer, Pfeiler von regelmäßig gelegten Backsteinen auf-
führte, und die Zwischenräume mit Kieselsteinen oder zer-
schlagenen schwarzen Feuersteinen auslegte, deren Fugen
man rautenförmig anordnete." (12)
Das diagonale Fugenbild der Pfeiler hob sich dabei deutlich
von dem übrigen Mauerwerk, das horizontal geschichtet
war und aus Natursteinplatten bestand, ab. Warum man
in den diagonalen Fugen in die Zwischenräume zerschlage-
ne schwarze Feuersteine einlegte, bleibt unklar. Es könnte
dekorative Gründe gehabt haben, falls diese Schwärze zu
sehen war. Es muß jedoch beim Mauern auf jeden Fall um
eine neue Ästhetik des Anblicks gegangen sein, mit der
nach Regelmäßigkeit gestrebt wurde, die als schöner em-
pfunden wurde, denn es heißt:
"Mit einer vollendeteren Konstruktionsart der Gebäude, und
mit dem immer allgemeiner werdenden Gebrauche der Mau-
ersteine, verloren auch die letzteren immer mehr ihre ur-
sprüngliche Unregelmäßigkeit, und gegen das Ende der Re-
gierung Heinrichs VII. (1505) und am Beginne der Hein-
richs VIII. fingen auch die Landsitze an, allmälig ihr burg-
ähnliches Ansehen zu verändern, während sie jedoch im-
mer noch genug von ihren Eigenthümlichkeiten beibehiel-
ten." (13)
Nicht nur der burgähnliche, also wehrhafte und düster wir-
kende Anblick der Landsitze ging verloren, sondern es wur-
de auch ein eher heiteres und regelmäßiges Mauerwerk auf-
geführt, wird dieser Hinweis aussagen wollen. Der allgemei-
ner werdende Gebrauch von Mauersteinen soll wohl auf
Backsteine hinweisen, oder es sind auch quaderförmig zu-
gehauene Natursteine damit gemeint, was auch sehr viel
mehr Regelmäßigkeit bringen würde, wenn das mit Regel-
maß geschieht. Man darf jedoch hier seiner Phantasie kei-
nen freien Lauf lassen und orientiert sich besser an den
nachgewiesenen Bauten dieser Kulturepoche.
"Layer-Marney-Hall, welches um diese Zeit in der Graf-
schaft Essex gebaut wurde, gibt hiervon ein vortreffliches
Beispiel. Schachbretförmig mit Feuersteinen ausgelegte
Felder oder diagonal angeordnete Linien von dunkel ge-
brannten Backsteinen wurden zwischen den gerade gemau-
erten Pfeilern jetzt häufig angewendet /.../ und im Jahre
1530 erbaute der Maler Hans Holbein ein Thor von White-
Hall, gerade gegenüber von Banqueting-House, in dieser
Art, mit schachbretförmig geordneten Backsteinen, Sand-
stein und schwarzen Feuersteinen, und verzierte dasselbe
mit Büsten, welche in Blenden standen. Gebäude von
dunkelrothen Backsteinen, Fenstergewände aus Ziegel-
masse, und während der Regierung der Königinnen Maria
und Elisabeth (1553 - 1558) Ornamente in römischem Sty-
le aus demselben Materiale, welche die Fronten der Ge-
bäude und die Kamine zierten, und zur Zeit Jakobs I.
(1603) in mannigfache phantastische Schnörkeleien aus-
arteten, bilden den Charakter jener Zeitperiode, wurden
aber kurz nachher ganz wieder bei Seite gelegt." (14)
Man sieht hier allerlei Blendwerk gemauert, das Muster
unterschiedlicher Art an der Fassade erzeugte. Sehen
wir, was dahintersteckt:
"Im Allgemeinen wurde in jener Zeit schlecht gemauert,
und die Wände bestanden meistens nur aus zwei dünnen
Schalen von Backsteinmauerwerk, zwischen welchen der
Raum mit Schutt und Torf ausgefüllt war." (15)
Das liest sich seltsam. Sollte von niemandem mehr auf
gute Qualität geachtet worden sein, nur um außen eine
gute Zier sehen zu können? Vermutlich war das nicht so.
Ein Gegenbeispiel wird angeführt:
"Inigo Jones führte indessen eine bessere Bauart ein, und
Sir Richard Crispe, der Freund König Karls I., soll der Er-
finder der jetzt gebräuchlichen sein." (16)
Jetzt gebräuchlich will sagen: in der Biedermeierzeit.
Man mauerte also ab Inigo Jones wieder solider. Der eng-
lische Verband ist eingeführt und wird als wohl durchdacht
bezeichnet:
"Der in jener Zeit allgemein angewendete Verband der
Backsteine, unter dem Namen englischer Verband be-
kannt, war gewiß wohl durchdacht, wie dieß manche, da-
mals mit Sorgfalt aufgeführte Bauwerke beweisen. Zur Zeit
der Regierung König Jakobs aber, und lange hernach noch,
wurde man höchst nachlässig in Ausführung der Backstein-
mauern, und wenn wir auch zugeben wollen, daß man in
den Tagen des Inigo Jones besser mauerte, so wollte man
doch die Vortheile der massiven Bauart vor dem damals
sehr gebräuchlichen Holzbaue nicht zugeben, und erst zur
Zeit Jakobs I. finden wir ein Edikt vom 1.März 1605, worin
der Bau aus Sand- und Backstein ausdrücklich für alle
neu aufzuführenden Häuser angeordnet wird." (17)
Man muß sich hier ein Zeitgerüst schaffen und die Anga-
ben mit Beispielen genau belegen, um das besser zu ver-
stehen. Da wir uns mit dem Text in der Biedermeierzeit
befinden, fragt es sich natürlich, was in späterer Zeit dazu
ausformuliert wurde, denn die Gebäudeforschung wird we-
sentlich mehr erbracht haben müssen. Wir haben also
hier nur spärliche biedermeierzeitliche Angaben vor uns.
Deutlich wurde, daß Massivbau und Holzbau miteinander
konkurrierten. Mischformen ergaben sich auch. Jedoch
werden die Vorschriften darauf aus gewesen sein müssen,
Stadtbrände zu verhindern, was sich zugunsten des Mau-
erwerksbaues auswirkte. Im frühen 17.Jahrhundert kommt
es zu Verschärfungen.
"In Folge mehrerer, bei der Sternkammer verhandelter, dem-
selben entgegenstehender Fälle, erschien ein Verschär-
fungsedikt vom 10.Oktober 1607, und 1614 endlich der
strenge Befehl an alle Behörden, auf Befolgung jener Edik-
te auf das Schärffste zu halten. Doch erst nach der großen
Feuersbrunst in London wurde der Massivbau dort allge-
mein angenommen, und in die Zeit Christopher Wrens und
seiner nächsten Nachfolger fällt die Ausführung jener Bei-
spiele von Nettigkeit der Arbeit und des Materiales, welche
noch heute eine Zierde vieler Gebäude in der Stadt sind,
und bei welchen man den holländischen Verband angewen-
det sieht." (18)
Stadtbrände führen also zur Akzeptanz des Massivbaues.
Die Massivbauten nehmen nun zu, und zwar in rasch wach-
senden Zahlen. Im Jahre 1682 sollen nach Stow in London
bereits 84.000 massive Häuser vorhanden gewesen sein.
Im Jahre 1831 waren es mehr als doppelt so viele.
"Im Jahre 1834 wurden 1180 Millionen Ziegeln versteuert,
und im Jahre 1835 betrug der Steuersatz für die verbrauch-
ten Ziegel nicht weniger als 395030 Pfd.Sterl. 7 Schill. 8 1/4
Pence." (19)
Was uns sagt, daß der Massivbau sich durchgesetzt hat,
und für den Bau der Gebäude der quaderförmige Backstein
das weitaus übliche Material wurde.
Die Bedeutung des Backsteins wuchs also mit großer Ge-
schwindigkeit, wie sich dem Abschnitt entnehmen läßt, der
die Entwicklung des Mauerwerksbaus in England seit der
Römerzeit zusammenfaßt. Man darf annehmen, daß ab
dem 19.Jahrhundert der Umfang des Backsteinmauerwerks
in England rapide zunehmen wird. Es schien auf, daß ein
Mauerwerksverband aufkam, der als englischer Verband be-
zeichnet wird. Es ist sicherlich angebracht, alle diese Mau-
erwerksverbände etwas genauer zu untersuchen, um den
englischen Mauerwerksbau in seiner geschichtlichen Ent-
wicklung zu verstehen. Wir erhielten mit diesem Text vom
Jahre 1839 nur ungefähre Grundlinien der Entwicklung in
England zur Darstellung gebracht, müßten uns also darum
bemühen, neuere Literatur auszuwerten, damit sich das
Bild abrundet.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
http://groups.google.com/group/baugeschichte
zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at)
email.de
Anmerkungen:
(1)-(8) zitiert aus: o.A.: Ueber die Mauerziegel. Nach dem
Englischen des Turner. S.243-252 und Zeichnungen auf
S.247 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839. S.249
(9)-(18) zitiert aus: o.A., wie vor, S.250
(19) zitiert aus: o.A., wie vor, S.250f.