Die Tage von Imola
Sennas Tod an der Schallmauer des Reglements
von Helmut Zwickl
Jahrelang war in der Fliegerei die Schallmauer aus Beton gewesen.
Die Piloten starben, denn die Konstrukteure verstanden die
aerodynamischen Phaenomene nicht, die an dieser Barriere
auftraten.
Auch Ayrton Senna starb gewissermassen an einer Schallmauer,
einer kuenstlich aus dem Reglement errichteten Barriere.
In den letzten 30 Jahren habe ich diese Frage immer wieder den
Rennfahrern gestellt: Kann man die Autos noch beherrschen? Ist
der Moment nah oder fern, wo der Mann mit dem Sturzhelm
ueberfordert ist?
Ich habe diese Frage Jim Clark und Jochen Rindt gestellt. Ich
habe sie Mario Andretti und Emerson Fittipaldi, Jackie Stewart
und Niki Lauda, Prost, Mansell, Wendlinger und Senna gestellt.
Ich habe sie in jeder Epoche gestellt, als die Slicks aufkamen
und die Fluegel, der Ground Effect und der Turbo.
Die Antworten waren zu jeder Zeit sinngemaess ungefaehr
gleichlautend: Es gaebe kein Limit, nein, ein Limit waere noch
nicht in Sicht.
Der Mensch wuerde sich anpassen. Durch Training. Alles ginge
immer schneller, aber man koenne geistig alles noch verarbeiten.
Manchmal, in einer besonderen Stunde, oeffnete einer seinen
Tresor und gab ein paar Gedanken preis, die normalerweise
weggesperrt sind.
Am 1. Mai 1994 sass ich am Morgen mit Gerhard Berger im Ferrari-
Zelt. Am Vortag war Roland Ratzenberger verunglueckt und der
Gerhard gab zu, er habe die haIbe Nacht nicht geschlafen und an
diesem Morgen stand der Tresor weit offen, denn der Tod des
Roland hatte ihn geoeffnet.
Unter anderem sagte Gerhard:
"Bis zu meinem Imola-Unfall gab es nichts auf der Welt, was mich
gebremst haette. Aber wenn du einmal an dieser Mauer in der
Tamburello gepickt bist, dann denkst du anders. Nehmen wir den
Senna. Der hatte noch nie in seinem Leben einen wirklich ernsten
Unfall. Vom Schumacher red ich gar nicht..."
Stunden spaeter war Senna tot.
Wie harmlos hatte dieses Imola begonnen. Senna kam Donnerstag
Nachmittag ins Fahrerlager. Er war vielleicht nicht so
umschwaermt wie in den frueheren Jahren. Schliesslich hatte er
heuer noch keinen WM-Punkt. Alles lauerte auf Schumacher.
Im Pressecenter hielt FIA-Praesident Max Mosley eine
improvisierte Pressekonferenz. Es ging um die Ferrari-Affaere.
Ferrari hatte bekanntlich im Pacific-Grand-Prix von Aida in einem
freien Training eine neue Form von Traktionskontrolle oder
Drehmoment-Kontrolle, wie immer man dieses Ding nennt,
ausprobiert.
Max Mosley musste sich rechtfertigen, wieso es gegen Ferrari
nicht jene "drakonischen Strafen" gegeben habe, mit denen er
immer gedroht hatte. Der Praesident sagte: Erstens habe Ferrari
daraus keinen Vorteil gezogen und zweitens war es in Japan noch
nicht klar, ob es sich tatsaechlich um etwas Illegales gehandelt
habe.
Laengst ist klar geworden: Die FIA wird sich schwer tun, irgend
etwas Verbotenes an gewissen Autos zu entdecken, und dann auch
noch zu verfolgen. Patrick Head von Williams sagte in Imola: "Die
FIA kann sicher nichts orten."
Zu orten gaebe es:
Traktionskontrollen, die ueber ein Computerprogramm aktiviert
werden, das ueber den Drehmomentverlauf des Motors und die aus
dem Windkanal bekannten Eckdaten des Autos und der Reifen
entwickelt wird. Die Sperrwirkung des Differentials wird je nach
Kurve veraendert. Aus dem Bordcomputer weiss das Auto ohnehin,
auf welchem Streckenteil es sich befindet. Eine Automatik, die
die Bremskraftverteilung regelt.
Im Reglement heisst es immer nur:
Ein Verstoss ist ein Verstoss, wenn er den "Spirit of Rules", den
Geist des Reglements, schaendet.
Die Ohnmacht ist vorprogrammiert. Ein Ferrari-Mann fluesterte
uns: "Wir haben Chips, die werden drei Monate programmiert."
Also diese Ferrari-Affaere war am Donnerstag in Imola Thema
Nummer eins. Wie bruechig hingegen das ganze Sicherheitsnetz
bereits war, das war noch kein Thema.
Roland Ratzenberger meinte, und dabei brachte er noch ein
Laecheln zustande: "Mir steht das Wasser bis zum Hals. Ich muss
denen irgendwann Geld bringen, denn Simtek hat keines mehr. Ein
neuer Satz franzoesischer Carbon-Bremsscheiben ist einmal
vorhanden. Den kriegt der Brabham. Fuer einen zweiten Satz ist
kein Geld da."
Am Freitag musste Roland noch mit jenem Cosworth-Motor fahren,
der bereits den Pacific-Grand-Prix am Tacho hatte.
Freitag unterhielt ich mich mit Roland laengere Zeit nach dem
Training und gewann den Eindruck: Er war von der Formel 1 , vom
Fahren an sich, trotz seiner Probleme, obwohl das Schwert der
Nichtqualifikation ueber ihm hing, er war von der Formel 1
fasziniert.
"Diese Kurvengeschwindigkeiten, diese Verzoegerung beim Bremsen,
obwohl meine Bremsen schnell nachlassen, das ist alles ein
Hammer. Leider hat unser Auto in den letzten Wochen keinen
wirklichen Sprung vorwaerts gemacht. Das stimmt mich
nachdenklich."
Vielleicht ist das Konzept falsch, warf ich ein.
"Ja, das habe ich mir auch schon gedacht", hiess seine Antwort.
Roland fuhr seine erste Runde im Abschlusstraining in 1:31 min.,
er befand sich in seiner zweiten Zeitrunde. Mit 314,9 km/h lag
nach der Tamburello-Kurve Hoechstgeschwindigkeit an, wie die
Lichtschranken zeigten.
Dann flog, wie auf TV-Aufzeichnungen zu sehen ist, offenbar der
obere Teil des linken Frontfluegels des Simtek in die Luft.
Ein Augenzeuge will gesehen haben, wie das Fluegelteil den Helm
des Piloten traf.
Wenn dir bei 300 vorne links der Fluegel wegfliegt, fehlen dir
200 kg Anpressdruck.
Das Auto wurde nicht mehr lenkbar.
Roland konnte sich nicht mehr in die Villeneuve-Rechtsbiegung
reinschiessen.
Und das war ja auch die Tragik fuer Senna. Der zwischen
Tamburello-Kurve und Tosa zur Verfuegung stehende Sturzraum
reicht nicht mehr aus, wenn ein Auto schnurstracks aus der Piste
fliegt.
Die Tamburello-Mauer kann man nicht mehr weiter zuruecksetzen,
weil dahinter ein Fluss liegt.
Also gaebe es jetzt nur eine Konsequenz: eine Schikane einbauen,
die dort die Autos in den zweiten oder dritten Gang runterzwingt.
Senna war nach dem Barrichello-Unfall am Freitag bereits sehr
aufgewuehlt. Als Ratzenberger am Samstag starb, hatte er sich
sofort zur Unfallstelle begeben. Dafuer wurde er spaeter von der
Rennleitung geruegt.
Barrichello hatte Glueck. Er verlor bei 220 in einer Bodenwelle
die Bodenhaftung. Die hohen Imola-Randsteine wurden seine
Abschussrampe. Er flog breitseits in einen Reifenstapel, die. ihn
zum Rotieren brachte, die Landung erfolgte mit dem Bug voran. Ein
schauriger Unfall. Auch dort war der Sturzraum ausgegangen.
Unter all den Kommentaren, Statements, Meldungen, Geruechten.
Dementis, Kampagnen war in den Tagen nach dem Katastrophen-
Wochenende von Imola wenig Kompetentes zu hoeren.
Die FIA hielt sich bedeckt. Bernie Ecclestone meinte in einem BBC-
Interview sinngemaess: man wisse noch nichts Genaues ueber die
Unfallursache, aber offenbar sei Senna von einem Metallteil
getroffen worden.
Der erste, der den wahren Hintergrund des Senna-Unfalles
aufzeigte. war Dr. Udo Zucker, Chef von TAG Electronic Systems,
Diplom-Physiker und Doktor der Naturwissenschaften.
Dr. Zucker wagte offen auszusprechen, was die Fahrer nicht sagen
duerfen, die FlA und ihre Kommissionen nicht wahrhaben wollen:
"Die heutigen Autos sind durch ihr aerodynamisches Konzept ohne
aktive Radaufhaengung gefaehrlich."
Die aktive Radaufhaengung, heuer verboten, abgeschafft, weil sie
zu teuer wurde, zu aufwendig. weil die FIA sich eine Fahrer-WM
und keine Computer-WM wuenschte, diese aktive Radaufhaengung
hielt die Autos unter allen Bedingungen in einem aerodynamischen
Fenster, um sicherzustellen, dass der Anpressdruck nicht
abreisst.
Das optimale Fenster ist eigentlich ein winziger Spalt. Es liegt
plus-minus einen Millimeter um den optimalen Bodenabstand.
Der beste Pilot der Welt fiel diesem Fenstersturz zum Opfer.
"Die Autos sind nicht schlecht" praezisiert Dr. Zucker, "doch man
hat ihnen bloss die Dinge entzogen, fuer die sie urspruenglich
konstruiert wurden."
Gerhard Berger liess uns ein Detail wissen. dass alles noch
verboeserte: "Nach der Startkollission von Lamy mit Lehto sind
wir rundenlang hinter dem Pace-Car hergeschlichen. Als das Rennen
Ende der 5. Runde losging, waren die Reifen noch nicht auf
Temperatur, sie waren im Unterdruck und die Reifenstruktur ist
weicher. Ein Auto wie der Williams. das extrem bodennah gefahren
wird, wird dann auf Bodenwellen noch kritischer."
Die Formel 1 hat ihre Schallmauer.
Ein Extremist wie Senna flog naeher an sie heran als manch
anderer. Er wusste sicher nicht, dass der nachdraengende
Schumacher ein viel leichteres Auto hatte, denn dessen Strategie
war nicht auf zwei, wie sich im neugestarteten Rennen
herausstellte, sondern auf drei Tankstops ausgerichtet.
Wer momentan in der Formel 1 an die Schallmauer klopft, dem wird
der Steuerknueppel aus der Hand genommen.
Wenn dann die Mauer wie in Imola zu nahe und in einem denkbar
unguenstigen Winkel steht, dann haben auch die Schutzengel aus
Kohlefaser keine Fluegel mehr.
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_/_/_/_/ _/ _/ _/_/_/_/|Hans-Gert Schloegl A-6152 TRINS 89|
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