Fwd: [APRI] Hintergründe des sog. Pflegenotstands: Private Fonds mischen den Pflegemarkt auf

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Mike Nagler

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Apr 6, 2021, 7:49:58 AM4/6/21
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Betreff: [APRI] Hintergründe des sog. Pflegenotstands: Private Fonds
mischen den Pflegemarkt auf
Datum: Tue, 6 Apr 2021 12:51:14 +0200
Von: Lothar Reinhard via APRI <ap...@listen.attac.de>
Antwort an: Lothar Reinhard <lo...@mbi-mh.de>, APRI-Netzwerk
<ap...@listen.attac.de>
An: 'PPP-Liste ' <ap...@listen.attac.de>



Während die Pflegeheime Hotspots der Pandemie waren und sind, ging das
Monopolyspiel der Finanzinvestoren im Pflegesektor munter weiter, mit
Corona sogar noch deutlich verstärkt.

Schwester Heuschrecke

Megadeals mit Rehakliniken, Fusionen von Heimbetreibern: Private Fonds
mischen den Pflegemarkt auf – zum Schaden von Patienten und Beschäftigten

Walther Becker <https://www.freitag.de/autoren/der-freitag>| Freitag,
Ausgabe 08/2021__Gesundheit ǀ Schwester Heuschrecke — der Freitag
<https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/schwester-heuschrecke>

*Heimlich, still und unbeeindruckt von der Corona-Krise machen sich
milliardenschwere Fonds im Pflegebereich breit. Private-Equity-Firmen
wie Nordic Capital, Waterland, Chequers Capital, Oaktree oder Carlyle: *
Das sind Beteiligungsgesellschaften, die mit dem Geld ihrer Anleger
Unternehmen aufkaufen, die nicht an der Börse gehandelt werden. Ihr
Geschäftsgebaren hat ihnen den Beinamen „Heuschrecken“ eingebracht.
Ihnen ist egal, ob sie in IT, Immobilien oder eben „Gesundheit“
investieren, entscheidend ist die Rendite, die eine Anlage erzielt. Wie
kann es sein, dass ebendiesen Fonds immer mehr stationäre Altenpflege-
und Reha-Einrichtungen in Deutschland gehören?

Seit dem Erwerb des Pflegeheimbetreibers Casa Reha durch ECM Equity
Capital im Jahr 1998 wurden in dem Sektor immer mehr Einrichtungen
übernommen, *die Zahl der Privaten hat sich in den vergangenen 20 Jahren
verdoppelt. Viele Betreiber von Alten- oder Pflegeheimen wurden mehrfach
von den „Heuschrecken“ durchgereicht, sprich: mit hohen Profiten
weiterverkauft*.
Die größten Pflegeheimbetreiber hierzulande sind die in Paris
börsennotierte Firma Korian – mit dem Werbespruch „Bei Korian sind Sie
bestens umsorgt“ und der Bank Crédit Agricole als Großaktionär – und
Alloheim, das dem schwedischen Finanzinvestor Nordic Capital gehört. In
der Reha ist Median, das seit einigen Jahren Waterland Private Equity
gehört, die Nummer eins in Deutschland. Der Gesundheitssektor –
„Healthcare“ als Investitionsmöglichkeit – rangiert bei den Fonds, die
global über ihnen von Investoren zugesagte, aber noch nicht investierte
Mittel („dry powder“) von gut 1,5 Billionen Dollar verfügen, sogar ganz
oben auf der Liste der bevorzugten Ziele.

Ein aktuelles Beispiel kann das Geschehen verdeutlichen: Mitten in der
Corona-Krise, die Bewohner von Alters- und Pflegeheimen besonders stark
belastet, gab es in der Branche einen neuerlichen Milliardendeal. Und
das ganz ohne große Schlagzeilen, denn die Betreibergesellschaften
tauchen nach Möglichkeit nicht auf – auch nicht oder nur ganz am Rande
in einer Notiz zur Unternehmenshistorie auf der Website. Im Einzelnen
meint das: *Am 30. Dezember 2020 meldet Waterland eine Milliardenfusion:
*Der Finanzinvestor übernimmt die britische Priory Group für gut 1,2
Milliarden Euro und will sie mit seinem deutschen Portfolio-Unternehmen
Median zusammenlegen, zu einem der größten privaten Anbieter von
medizinischer Rehabilitation in Europa mit rund 20.000 Beschäftigten,
570 Einrichtungen und jährlich 260.000 Patienten in Orthopädie,
Neurologie und Psychiatrie.

Gesundheit, ein solider Markt

Private-Equity-Fonds wie Waterland, Nordic Capital, Carlyle oder
Blackstone sammeln mit einem zeitlich befristeten Anlagehorizont
Milliarden bei Pensionskassen, Versicherungen, hochvermögenden
Privatpersonen und anderen Einrichtungen wie Stiftungen oder Banken ein.
Dann legen sie die Mittel auf meist drei bis fünf Jahre in
Mehrheitsinvestments von Unternehmen, Immobilien oder eben Alten- und
Pflegeheimen an. Der Gesundheitsmarkt wird ins Visier genommen, weil
dort gut zu kalkulierende, stabile oder sogar stetig steigende
Mittelzuflüsse zu erwarten sind. Die Pfeile zeigen nach oben:
Demografisch gibt es für die nächsten Jahrzehnte im Markt für stationäre
Pflege und Seniorenwohnen einen klaren Wachstumstrend, weitgehend
unabhängig von Konjunkturschwankungen.

Der Knackpunkt im Geschäftsmodell der auf Profit ausgerichteten Fonds
ist, dass der „Equity“-Anteil, also das pro Deal eingesetzte
Eigenkapital des Fonds, möglichst gering gehalten und mittels Krediten
„gehebelt“, also vervielfacht wird. Die Niedrigzinspolitik der
Notenbanken macht das noch einfacher: Kredite werden billiger. Die
aufgenommenen Schulden müssen dann nicht die Investoren, sondern die
gekauften Unternehmen selbst – hier: eine Betreiberfirma von Altenheimen
– abstottern und die Zinsen dafür bedienen. Damit steigt über die
Haltezeit das Eigenkapital des Fonds, nach wenigen Jahren kann er mit
Gewinn an den nächsten Investor weiterverkaufen. In einigen Fällen
verdienen die Fonds auch dadurch, dass sie sich selbst – durch Schulden
finanzierte – Dividenden auszahlen. Auch das ist noch nicht alles: Die
vorherigen privaten oder kirchlichen Betreiber bringen meist auch
Immobilien mit ein, die sich leicht vom Betrieb abspalten und in einem
boomenden Markt getrennt versilbern lassen, sodass die Einrichtungen
auch noch die Mieten zu stemmen haben.

Der fragmentierte und zersplitterte „Gesundheitsmarkt“ hält für diese
Fonds steigende Profitchancen durch das Zusammenkaufen von immer mehr
kleineren Anbietern bereit, um damit Kosten zu senken und die
entstehenden größeren Einheiten mit hohen Gewinnen an die nächsten
Investoren zu verkaufen – die das Spiel in der nächsten Runde
wiederholen. Die heute großen Ketten sind so durch vielfache Zukäufe
kleinerer Einheiten entstanden. Naturgemäß geht die „Integration“ nicht
reibungslos vonstatten. Dazu kommt, dass der häufige Wechsel der
Eigentumsverhältnisse einer auf Langfristigkeit ausgerichteten Strategie
naturgemäß widerspricht. Doch sollte sich das Gesundheitswesen nicht
eigentlich genau daran orientieren?

*Wer die Zeche zahlt, liegt auf der Hand: die Alten und Kranken. Denn
während auf der einen Seite die Profite steigen, steigen auf der anderen
auch die Kosten für die Pflege im Heim. Die selbst zu zahlenden Anteile
klettern weiter – auf nun 2.068 Euro pro Monat im bundesweiten Schnitt,
wie aus Daten des Verbands der Ersatzkassen für 2021 hervorgeht. Das
sind 128 Euro mehr als Anfang 2020. Der darin enthaltene Eigenanteil
allein für die reine Pflege ist seit Anfang 2021 im Bundesschnitt auf
831 Euro angewachsen: Vergangenes Jahr betrug er noch 731 Euro, Anfang
2018 nur 593 Euro.*

Einer der größten Pflegeheim-Deals in Deutschland betraf den 1973
gegründeten Alten- und Pflegeheimbetreiber Alloheim. Im Jahr 2017
verkündeten der Verkäufer – Carlyle aus den USA, einer der größten
Finanzinvestoren weltweit – und der Erwerber Nordic Capital kurz vor
Weihnachten in einer dürren Meldung die Alloheim-Übernahme. Der
Verkaufspreis betrug kolportierte 1,1 Milliarden Euro, das 12,5-Fache
des operativen Jahresgewinns von Alloheim. 2008 hatte Alloheims Gründer
seine damals 13 Alten- und Pflegeheime an Star Capital verkauft, vier
Jahre später übernahm Carlyle, das dann 2017 an die schwedische
Gesellschaft Nordic Capital verkaufte.

Als Carlyle einstieg, war Alloheim die Nummer acht der privaten
Anbieter, steht nach Übernahmen inzwischen aber auf Rang 2.
Gemeinnützige Anbieter wie Johanniter, Evangelische Heimstiftung und
Arbeiterwohlfahrt Westfalen hingegen fallen zurück, sie stehen derzeit
nur noch auf Rang 7, 8 und 9. *Die privaten Kapitalinvestoren
beherrschen als größte Organisationen den Pflegemarkt und entsprechend
die Bedingungen, die in den Einrichtungen für Personal wie Bewohner
herrschen*.

Dreißig Prozent Zinsen

Median-Eigentümer Waterland zeigt, dass Firmenjäger mit Rehakliniken im
Portfolio auf eine überdurchschnittlich hohe Verzinsung – ausgedrückt
als /internal rate of return/, kurz IRR – von sage und schreibe rund 30
Prozent kommen können. Median ist heute mit 230.000 Patienten jährlich
Deutschlands größtes privates Reha-Unternehmen mit 120 Einheiten und
18.500 Betten und Plätzen. Die Gruppe setzt stark auf „digitale
Nachsorge“: eine Patienten-App und „Big-Data-Analysen“,
selbstverständlich zur Kostensenkung. Waterland hatte Median 2014 für
geschätzt eine Milliarde Euro gekauft, damals allerdings erst 45 Häuser
mit 9.000 Betten, und die Verschmelzung mit der RHM Klinik- und
Altenheimbetriebe vollzogen, die dem Fonds bereits gehörte.

Waterland-Manager Carsten Rahlfs deutet an, was ihm und seinen Kollegen
in die Hände spielt: „Die demografische Entwicklung, aber auch
angespannte Staatshaushalte machen innovative Healthcare-Angebote
nötiger denn je.“ Waterland, das acht Milliarden Euro Eigenkapital für
Investoren verwaltet und 2019 für neue Beteiligungen 2,5 Milliarden Euro
eingesammelt hat, ist neben Median auch Eigentümer der auf Orthopädie
spezialisierten Atos-Klinikkette, des Pflegedienstleisters Schönes Leben
und des Firmenfitness-Spezialisten Hansefit – es bietet sich ein
Potpourri der kompletten Kapitalisierung körperlicher Befindlichkeiten.

Mit der sogenannten „Build-and-Buy-Strategie“ wurde Median innerhalb
weniger Jahre nach oben gepuscht. Waterland erwarb 2011 den
Rehaklinik-Betreiber RHM und führte 2015 nach dem Median-Kauf beide
Unternehmen zusammen. Klinik-Immobilien für 700 Millionen Euro wurden
umgehend versilbert. Und es wurde aggressiv akquiriert. In der Schweiz
übernahm der Finanzinvestor 2012 den größten privaten
Pflegeheimbetreiber des Landes, Seniocare.

So wächst der Einfluss der Private-Equity-Fonds im Gesundheitssektor.
Ardian, mit 103 Milliarden Dollar unter Verwaltung Europas größte
Private-Equity-Gesellschaft, hat über verschiedene Vehikel allein mehr
als drei Milliarden Euro in den Gesundheitssektor investiert. Für 2019
verzeichnet die Branche hierzulande laut der Beratungs- und
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC insgesamt 106 Fusionen und
Übernahmen. Knapp die Hälfte der Käufe betraf niedergelassene
Leistungserbringer und Labore, die sich für Finanzinvestoren inzwischen
ebenfalls zu attraktiven Zielen entwickelt haben.

Dem Treiben der Investoren und ihren Profitsteigerungen folgt
spiegelbildlich ein zweites Karussell, um das erste am Laufen zu halten:
das der Kostensenkung. Am einfachsten im größten Umfang geht das beim
Personal. Leiharbeitskräfte, die im Gesundheitswesen und besonders in
Pflegeheimen massenweise eingesetzt werden, erfüllen dabei eine
Doppelfunktion: Sie sind einerseits billiger und schnell abrufbar und
schwächen andererseits mit ihren im Tagesrhythmus wechselnden
Arbeitsplätzen den Zusammenhalt des Personals gegenüber der Leitung,
eine Freude für jeden Investor.

Eine weitere, fatale Auswirkung zeigt sich aktuell: Durch die laufende
Personalzirkulation von Einrichtung zu Einrichtung können
Leiharbeitskräfte während der Corona-Pandemie Träger für die
Virusverbreitung sein. Umso bedenklicher, dass die Impfstrategie in
Deutschland Anfang 2021 diese profitablen Leiharbeitskräfte in
Pflege-Einrichtungen vergessen hatte: Ausgerechnet sie wurden gar nicht
erst als relevant für Impfungen markiert. Auf der anderen Seite
präsentiert sich ein Bild, das gegensätzlicher nicht sein könnte:
Offenbar sind die finanziellen Kompensationen für Corona seitens der
Bundesregierung für Klinikbetreiber nach dem Ermessen der
Finanzjongleure gut bemessen. „Damit können die meisten Kliniken und
sonstigen Träger gut durch die Krise manövrieren“, heißt es etwa bei
Ardian. Für Pflegeheime und die ambulante Intensivpflege hat der
Gesetzgeber lukrative Regelungen getroffen, um die Einflüsse von
Covid-19 finanziell auszugleichen. Eines steht in der Krise ganz oben:
keine Schädigungen oder Eigentumsverluste für große Kapitalinvestoren.

„Healthcare“ wird im Investorentrend bleiben: „Die Alterung der
Bevölkerung sorgt dafür, dass das Gesundheits- und Sozialwesen mit
bundesweit sieben Millionen Beschäftigten im Jahr 2040 die meisten
Erwerbstätigen stellen wird“, circa 660.000 mehr als zuletzt, meldete
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für Deutschland. *Bis
2030, so eine Projektion der Beratungsgesellschaft Deloitte, werde das
Marktvolumen von derzeit etwa 47 Milliarden auf über 66 Milliarden Euro
pro Jahr steigen. Dabei soll die Zahl der Pflegebedürftigen um 34
Prozent auf 4,1 Millionen zunehmen. Es würden bis zu 400.000 zusätzliche
vollstationäre Pflegeplätze und Investitionen in Höhe von 85 Milliarden
Euro benötigt.*

2018 hatte Gesundheitsminister Jens Spahn gesagt: „Wir führen in der
Pflege nicht den Sozialismus ein“, daran hat er sich bis jetzt auch
gehalten. Doch wollte er gegen private Altenheime gesetzlich vorgehen,
bei denen Investoren beteiligt sind. „Zweistellige Renditen für
Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften – das ist nicht die Idee
einer sozialen Pflegeversicherung“, sagte der CDU-Politiker damals.
Rechtlich sei eine Begrenzung der Renditen zwar „ein erheblicher
Eingriff“. Aber „wenn sich das vernünftig regulieren lässt, kann ich mir
das vorstellen“. Bei der Vorstellung ist es geblieben. Während die
Pflegeheime Hotspots der Pandemie sind, geht das Monopolyspiel der
Finanzinvestoren munter weiter.

Walther Becker war 20 Jahre lang Redakteur und Reporter der
/Börsen-Zeitung/ in Frankfurt am Main. Im Jahr 2005 gewann er den
Europäischen Private Equity Award für Artikel in deutscher Sprache

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