Liebe Freundinnen und Freunde der Gemeingüter,
in großer Eile wurden in den letzten Wochen Betten in
Krankenhäusern freigemacht, um sie für Corona-Infizierte
vorzuhalten. Das war auch deswegen möglich, weil wir
vielerorts noch eine regionale Krankenhausversorgung haben.
Viele PolitikerInnen loben in den Medien die flächendeckende
Krankenhausinfrastuktur in Deutschland und beschwören ihre
Wichtigkeit. Aber die Realität sieht anders aus: Die
regionalen Krankenhäuser sind nach wie vor von Schließungen
bedroht und schließen auch aktuell – im Schatten der
Pandemie.
Mit dem Postulat der „Qualitätsorientierung“ werden nach
wie vor kleinen regionalen Kliniken die Gelder gekürzt und
ihre Zusammenlegung oder ihr Abbau seit 2019 großzügig
gefördert. Pro Jahr fördert der Bund Krankenhausschließungen
mit insgesamt 500 Millionen Euro. Wer gedacht hat, dass die
Corona-Krise diesen Trend umkehrt, der wird eines Besseren
belehrt. Politiker in Bund und Ländern halten an den Gutachten
fest, die noch vor Corona erstellt wurden und flächendeckende
Schließungen empfehlen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
will eine kalte Strukturbereinigung der Krankenhäuser ebenso
wie der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Gemeinsam
mit Ministerpräsidenten wie Armin Laschet haben sie sich in
Studien ausrechnen lassen, dass Krankenhausschließungen
vorteilhaft sind.
In der Corona-Krise treten jetzt staatlich bezahlte
Lobbyisten wieder vor die Presse. So meinte Professor Reinhard
Busse, es sei eine Fiktion, dass „Gebäude, auf denen
Krankenhaus draufsteht und drinnen Betten sind, helfen
würden“. Das gelte „ganz besonders bei neuen Erkrankungen wie
COVID-19“. Busse ist Autor einer Leopoldina-Studie und war
auch mitverantwortlich für eine Bertelsmann-Studie. Beide
Papiere besagen, dass unsere Gesundheitsversorgung mit
deutlich weniger Krankenhäusern besser wäre.
Und was sagt Minister Spahn dazu? Viele waren unserem
Aufruf gefolgt, ihn zu fragen, ob er ein Ende der Schließungen
garantieren würde. Das blieb nicht unbemerkt! Spahn musste
antworten, lässt aber mitteilen, dass er nicht zuständig sei:
Krankenhäuser seien Ländersache. Ansonsten werde er „die
Entwicklung der Krankenhausstrukturen […] genau beobachten, um
diese insbesondere unter dem Aspekt der Qualitätsorientierung
[…] zu diskutieren“.
Diese Entwicklung stimmt alles andere als optimistisch und
bestärkt uns darin, dass der öffentliche Protest gegen die
Schließungen nötig ist. Kleinere regionale Krankenhäuser sind
nicht nur in Corona-Zeiten unverzichtbar. Sie helfen bei den
sehr häufigen Erkrankungen und Komplikationen wie Sepsis,
Blutungen nach Auto- und anderen Unfällen oder zum Beispiel
bei akuten Blinddarmentzündungen. Auch bei Herzinfarkten
retten sie tausenden Menschen das Leben, weil sie ermöglichen,
dass schnell behandelt wird. Viele Kranke müssen auch ohne
Operationen ins Krankenhaus und sind dann mehrere Tage
bettlägerig, zum Beispiel bei schwerer Grippe, entgleisten
diabetischen Stoffwechsellagen sowie bei akuten
Verschlechterungen bei Asthma oder dauerhaften,
fortschreitenden Erkrankungen der Atemwege. Genau für solche
PatientInnen sind regionale kleine Krankenhäuser nötig.
Viele örtliche Initiativen kämpfen für ihre Krankenhäuser
und für eine gute Gesundheitsversorgung in der Fläche. Wir
haben eine neue Schwerpunktseite eingerichtet, um diesen Kampf
zu unterstützen: https://www.gemeingut.org/krankenhausschliessungen
In
unserer Presseschau (siehe unten) haben wir zahlreiche Artikel
rund um Krankenhausschließungen zusammengestellt.
Herzlich grüßen
Laura Valentukeviciute und Carl Waßmuth
für das
GiB-Team
PS: Auch aus epidemiologischer Sicht ist es besser,
infektiöse Patienten in kleinerer Anzahl in regionalen
Krankenhäusern zu behandeln, wo sie weniger andere anstecken
können. In Riesenkliniken können hunderte Infizierte
zusammenkommen und auf einen Schlag durch eine Notschließung
eine große Lücke in die Krankenhausversorgung reißen.
***
Eigene GiB-Artikel, -Beiträge und
Pressemeldungen:
Radio-Interview: Carl Waßmuth zur Verstaatlichung privatisierter
Krankenhäuser, Radio LORA am
02.04.2020
Corona-Virus: „Wir sind gut aufgestellt.“? Das Gegenteil ist
der Fall“, Artikel von Herbert Storn, GiB-Website,
31.04.2020
„Deutschland muss seine Krankenhäuser
verstaatlichen“, GiB- Pressemitteilung vom
25.03.2020
„Demokratie nicht aussperren! Strittige
S-Bahn-Ausschreibung aussetzen“, gemeinsame
Pressemitteilung des Aktionsbündnisses „Eine S-Bahn für Alle“,
zu dem auch GiB gehört, 23.03.2020
„Krankenhäuser dichtmachen“, Beitrag von Carl
Waßmuth in Ossietzky 6/2020, 21.03.2020
Presseschau (Auswahl) zum Thema
Krankenhäuser:
22. April, Bayerischer Rundfunk: „Nürnberger Theresien-Krankenhaus wirft Spahn
Wortbruch vor“
20. April, Tagesspiegel: Hannes
Heine: „Leere Stationen, kaum OPs.Warum Krankenhäuser
trotz Schutzschirms in finanzielle Not geraten“
15.
April, Der Freitag: Kalle Kunkel: „Auf den Leim gegangen“
7. April, Die
Zeit: David Gutensohn: „Kliniken schließen – wenn sie am nötigsten
gebraucht werden“
26. April, Wirtschaftswoche,
Cordula Tutt: „Krankenhäuser in der Coronakrise: 'Wir haben zu
viele Krankenhäuser und Betten'“
3. April,
Tagesschau: Hubertus Heil zur Corona-Krise: „Einige Krankenhäuser
kaputtgespart"
20. April, Junge Welt: Steve
Hollasky: „Gesundheitsnotstand in der BRD – Post an
Spahn“
16. April, Die Zeit: Ingo Malcher: „Krankenhäuser: Leere Betten, leere
Kassen“
15. April, Initiative Krankenhaus statt
Fabrik: „Das Fallpauschalensystem und die Ökonomisierung
der Krankenhäuser – Kritik und Alternativen“, Broschüre,
208 Seiten
2. April, Süddeutsche Zeitung: Dietrich
Mittler, Martin Kaul, Antonius Kempmann, Reiko Pinkert und
Nicolas Richter: „Tausende Ärzte und Pfleger mit Coronavirus
infiziert“
2. April, Bayerischer Rundfunk: „Rächt sich das ‘Aus‘ kleiner Krankenhäuser in
der Corona-Krise?“
11. April, Neues Deutschland:
Nadja Rakowitz: „Die Strategie der Klinikchefs, ‘Niemand weiß
genau, wie viele Intensivbetten es gibt‘“
20.
April, FAZ: Rainer Hank: „Deutsche Krankenhäuser: Von wegen
kaputtgespart“
21. März, Junge Welt: Sylvia Bühler
vom ver.di-Bundesvorstand, Leiterin des Fachbereichs
Gesundheit im Interview mit Herbert Wulff: „Es darf nicht dem wirtschaftlichen Wettbewerb
überlassen bleiben, wie viele Krankenhäuser man
braucht“
18. April, Ossietzky: Anne Rieger: „Pandemie entblößt Kapitalismus“
April,
ver.di, Grit Genster, Leiterin des Bereichs Gesundheitspolitik
beim ver.di-Bundesvorstand: „Der Schutzschirm ist löchrig“
8.
April, Labournet: Dossier „Bertelsmann fordert Kliniksterben – der
Pflegenotstand lässt sich auch neoliberal beseitigen
…“
20. Februar, Süddeutsche Zeitung/dpa-Newskanal: „Spahn: Mehr Mut bei Debatte um
Krankenhaus-Schließungen“
6. Juni 2019, Augsburger
Allgemeine: Joachim Bomhard interviewt Karl
Lauterbach:„SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach: Wir haben zu
viele Krankenhäuser“
Sonstiges:
24. April, Neues
Deutschland: Nicolas Šustr: „Streiks nicht ausgeschlossen: Der Widerstand
gegen die Vergabe der Berliner S-Bahn im Wettbewerb
wächst“
März 2020, Entwürfe für Mietverträge
und Erbbauverträge zu Berliner Schulen, die
privatisiert werden sollen