[Bei einer Grossrazzia in 52 Wohnungen von vermutlichen Neonazis ist
umfangreiches Material sichergestellt worden. Dazu veroeffentlichte
der Berliner "Tagespiegel" am 21. Januar 1994 folgende Dokumentation
des rechten Terrors von Frank Jansen. Tippfehler sind von mir - dww]
Verbrannt, erschlagen, niedergetrampelt: Rechte Straftaten ohne Ende
- und im Superwahljahr Erfolge fuer Rechtsaussen?
Micha, Ronny und Uwe waren mal wieder "ordentlich beschickert". Im
"Haseneck", einer der wenigen Steinstaedter Kneipen, kippten die drei
jungen Maenner zahllose Pils. Doch die Stimmung sank auf den Grund
der Bierglaeser. Micha hatte Aerger mit seiner Freundin, Ronny stand
die Lehre im Hals, Uwe war seit einem halben Jahr arbeitslos - "wir
koennten beim 'Tahiti' vorbeigehen...". Die Disko war ein Treff
junger Auslaender. Micha zog die Nase hoch, "da kommen wir nicht
rein". "Ein Deutscher kommt in Deutschland ueberall rein!" bruellte
Uwe. Abrupt stand er auf.
In der Garage seines Vaters hatte Uwe einen Baseballschlaeger
deponiert. Die Kumpel steckten sich Brechstange und Schrauben-
schluessel unter die Jacken. Mit Tempo 140 droehnte Uwes Kleinwagen
zum "Tahiti". Auf dem Weg zur Disko fiel ihnen ein Mann mit schwarzen
Locken auf. Uwe bremste scharf. Der junge Suedlaender sprang zur
Seite. Ronny erwischte ihn als erster. Das Opfer wand sich auf dem
Pflaster, um den Tritten zu entgehen. Vergeblich. Als Uwe mit der
Baseballkeule zuschlug, verlor der Auslaender das Bewusstsein. Fuer
Ronny und Micha war es genug. Mit Muehe konnten sie Uwe davon
abhalten, nochmal gegen den blutenden Kopf zu treten, "Mann, weg
hier".
Elf Tage spaeter klingelte die Polizei. Uwe wurde festgenommen, auf
dem Revier traf er Ronny und Micha. Sie hatten Uwe schwer belastet.
Er war in Steinstadt als Rechter bekannt. Die Beamten liessen alle
drei wieder laufen, fester Wohnsitz, keine Vorstrafen. Vier Monate
spaeter standen sie vor dem Richter. Ihnen sei langweilig gewesen,
"ich bin eben ausgetickt" so Uwe. Gegen Auslaender haetten sie
nichts, meinte Ronny, "aber gegen Scheinasylanten". Das Gericht
verurteilte die 18jaehrigen Ronny und Micha zu anderthalb Jahren
Jugendstrafe auf Bewaehrung. Bei Uwe, zur Tatseit 21, fielen eine
fruehere Verwarnung wegen "Heil Hitler"-Gegroele und der Besitz des
Baseballschlaegers ins Gewicht: Zweieinhalb Jahre, wegen "geistiger
Unreife des Heranwachsenden" auch als Jugendstrafe deklariert. Der
Kurzhaarmann sagte nichts. Ronny grinste. Micha heulte.
Eine fiktive Geschichte, zusammengesetzt aus realen Details. So wie
der erfundene Suedlaender werden in Deutschland beinah taeglich
Menschen zu Opfern rechter Gewalt; Asylbewerber, Gastarbeiter,
auslaendische Touristen, Juden, Obdachlose, Alkoholiker, Behinderte,
Homosexuelle, Linke, Punks, von Randale ueberraschte Passanten. 8109
Straftaten "mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer
Motivation" listet der Verfassungsschutz fuer das Jahre 1993 auf. Das
sind knapp 1000 mehr als 1992, mehr als das Doppelte von 1992, fast
das Sechsfache gegenueber dem Jahr der Wiedervereinigung. Seit dem 3.
Oktober 1990 sind mindestens 31 Menschen von rechtsorientierten
Taetern getoetet worden - verbrannt, erstochen, niedergetrampelt,
erschlagen.
Prognosen fuer 1994? "Auffaellig ist die Zunahme der nicht
gewaltsamen Straftaten", meine Ernst Uhrlau, Chef des Hamburger
Landesamtes fuer Verfassungsschutz. Die abnehmende Zahl von Gewalt-
taten (1992: 2584, 1993: 1814) bei gleichzeitiger Ausbreitung
sogenannter Propagandadelikte ist fuer den Experten kein Anlass, von
Entwarnung zu sprechen. Uhrlau sieht "eine beaengstigende Ent-
wicklung", hin zu gezielten Belaestigungen, Drohanrufen. Die Vorstufe
zu Terror nach dem Vorbild der RAF? Soweit seien die Rechtsextremen
noch nicht, sagt Uhrlau. Doch der Soeldnereinsatz von Neonazis im
frueheren Jugoslawien "ist ein Beitrag zur Professionalisierung der
Gewalt von rechts. Das muss ich als Potential einkalkulieren".
Ausserdem ist bekannt, dass die Mitgleider des Foerderwerks Mittel-
deutsche Jugend, dessen Treffpunkte jetzt das Ziel von Razzien waren,
sich auf Untergrundaktivitaeten vorbereiten. In einer ihrer Publikat-
ionen wurde der in Bad Kleinen ums Leben gekommene Terrorist Wolfgang
Grams gelobt - leider habe er auf der falschen Seite gestanden.
1991 brachen die Ausschreitungen gegen Asylbewerberheime los, Stich-
wort Hoyerswerda. 1992 steigerte sich der Strassenterror bis zum
Fanal von Rostock. Im selben Jahr verbrannten in Moelln drei Tuerk-
innen. 1993 liessen die Krawalle vor Unterkuenften von Auslaendern
nach - dafuer eskalierten die Brandanschlaege auf Unterkuenfte von
Gastarbeitern, vor allem nach dem Inferno von Solingen. Dazu stieg
die Zahl antisemitischer Uebergriffe von 367 (1991) auf 620 (1992).
1993 ging sie auf 577 zurueck. Uhrlau: "Die Entwicklung der letzten
drei Jahre ist in starkem Masse abhaengig gewesen von spektakulaeren
Grossereignissen - mit dann folgenden Aktionen von Trittbrett-
fahrern".
Bei einem "Grossereignis" waere auch 1994 eine Welle von Nachahmer-
taten zu erwarten. Theorien, warum sich Jugendliche von der Randale
magisch angezogen fuehlen, gibt es soviele, wie die rechte Szene
Cliquen zaehlt. Von "Wohlstandschauvinismus" spricht der Jugend-
forscher Eberhard Seidel-Pielen. Aus Interviews mit Skins folgert er,
dass diese Klientel, meist aus dem Facharbeitermilieu stammend und
mit einem Job versorgt, "Angst hat vor Verlust". Uhrlau sagt,
"rechtsextremistische Parteien und Organisationen sind von ihrer
Zielrichtung her immer gekoppelt mit Bedrohungsszenarien". Als
Beispiel nennt er "Zielgruppenansprachen und -wahlkaempfe". So habe
die DVU in Postwurfsendungen Aerzten erklaert, dass Umsatzeinbrueche
nach Gesundheitsreformen darauf zurueckzufuehren seien, dass
Deutschland sein Geld fuer Europa ausgeben muesse.
Das Zusammenspiel von rechtsextremen Parteien und neonazistischen
Gruppen lasst sich nur schwer nachweisen, da zumindest offiziell
Leute wie Schoenhuber und Frey sich von Ultras distanzieren. Doch
fuer den Verfassungsschutz sind Querverbindungen in der rechten Szene
offensichtlich. Teile der Parteibasis von Reps und DVU verstuenden
sich "als Bestandteil des sogennanten nationalen Lagers", so Uhrlau,
"und das bedeutet fuer sie, dass die Vertreter radikalerer
Organisationen nicht ausgegrenzt werden duerfen".
Perspektiven 1994? "Wir haben bei den grossen rechtsextremistischen
Parteien staendig Mitgliederschuebe im Zusammenhang mit Wahlkampf-
aktivitaeten", berichtet Uhrlau. Wohin steuert dieses Land im
Superwahljahr - Aufschwung fuer Reps und DVU, Straftatenwelle nach
pektakulaeren Grossereignis"?
[Darunter ist eine "Unvollstaendige Chronik rechter Gewalttaten",
daneben eine Karte "Anschlaege im vereinigten Deutschland", mit
Bildunterschrift "Dunkelziffer unbekannt. Mehr als 19000 Straftaten
haben Rechtsradikale seit der Vereinigung begangen, mindestens 31
Menschen fielen der Gewalt zum Opfer. Die Grafik verzeichnet auch
Orte, die aus Platzgruenden in der Chronik fehlen." Grosse Teile von
Bayern und die Insel Ruegen sind leer, im Ruhrgebiet und um Berlin
herum passen die Namen der Orte kaum hinein. - dww]
--
Debora Weber-Wulff, Professorin fuer Softwaretechnik und Programmiersprachen
snail: Technische Fachhochschule Berlin, FB Informatik,
Luxemburgerstr. 10, 13353 Berlin, Germany
email: web...@tfh-berlin.de
>Das Zusammenspiel von rechtsextremen Parteien und neonazistischen
>Gruppen lasst sich nur schwer nachweisen, da zumindest offiziell
>Leute wie Schoenhuber und Frey sich von Ultras distanzieren.
Wo Fernsehkameras nicht hinleichten ist es mit der Abgrenzung vorbei...
>[Darunter ist eine "Unvollstaendige Chronik rechter Gewalttaten",
>daneben eine Karte "Anschlaege im vereinigten Deutschland", mit
>Bildunterschrift "Dunkelziffer unbekannt. Mehr als 19000 Straftaten
>haben Rechtsradikale seit der Vereinigung begangen, mindestens 31
>Menschen fielen der Gewalt zum Opfer. Die Grafik verzeichnet auch
>Orte, die aus Platzgruenden in der Chronik fehlen." Grosse Teile von
>*Bayern* und die *Insel* *Ruegen* sind leer, im *Ruhrgebiet* und um *Berlin*
>herum passen die Namen der Orte kaum hinein. - dww]
Eine Koerperverletzung ist in Bayern eine Wirtshausschlaegerei....
Die Insel Ruegen ist fast unbewohnt, Auslaender sind noch seltener.
Das Ruhrgebiet ist sehr dicht bevoelkert, auch der Auslaenderanteil
ist sehr hoch.
Berlin ist sehr dicht bevoelkert und der Auslaenderanteil ist sehr hoch
in Westberlin.
Achim
Muenchen ist sehr dicht bevoelkert, und der Auslaenderanteil ist sehr hoch
dort. Ferner regiert dort dieser unsaegliche Stoiber der vor einer
"durchrassten" Gesellschaft warnt. Warum ist dennoch dort die Gewalt gegen
Auslaender signifikant niedriger als in vielen anderen deutschen Grossstaedten?
Dirk
>
>
> Achim