> Jupp.
>
> Trump ist die Rache des Fly-over-Countrys, das haben viel zu wenige
> US-Politiker bisher verstanden. Wenn man den Leute die political
> correctness ständig den Rachen runterschiebt, und ihnen laufend ihre
> Hillbilly-Redneck-Obsoleszenz erklärt als angry old white men und
> Auslaufmodell, passiert das schon mal.
>
--- <hier abknabbern> ---
Es war wie ein Erdbeben, dessen Epizentrum in Washington lag und das von
dort die ganze Welt erschütterte. Mit aufgerissenen Mündern verfolgten
Millionen von Menschen weltweit am 8. November 2016, wie ein Gliedstaat
nach dem anderen Donald Trump zufiel und er Hillary Clinton die sicher
geglaubte Präsidentschaft entriss. Bürger stürmten auf die Strassen,
schrien «Not my president», Frauen in pinkfarbenen Wollmützen
protestierten von Washington bis Genf. Es schien, als sterbe Amerika
gerade ein bisschen.
Nur ganz wenige hatten die Zeichen der Zeit zu lesen gewusst: die
Frustration in der weissen Arbeiterschicht, den Hass gegen Angehörige
der Eliten wie die Clintons, den Wunsch nach Veränderung. Rahm Emanuel
etwa, der demokratische Bürgermeister von Chicago, hatte Monate zuvor
gesagt, dass Trumps Charmeoffensive gegenüber der Arbeiterklasse –
gepaart mit seiner frechen Schnauze – unwiderstehlich wirke. Ebenso
wusste Kellyanne Conway, auf Frauen spezialisierte Meinungsforscherin
und zuletzt Chefin von Trumps Wahlkampf, dass die «schweigende Mehrheit»
auf einen solchen Kandidaten nur gewartet hatte. Und nicht zuletzt Trump
selbst erkannte seine Chance – und ergriff sie.
Für die Umfrageinstitute und Medienhäuser hingegen war die Blamage
riesig: Mit 80, ja 90 Prozent Wahrscheinlichkeit hatten sie Clinton als
nächste Präsidentin gesehen. Sie haben alle verkannt, wie sich das Land
verändert hatte. Clintons Niederlage war zwar knapp, 80 000 Stimmen in
Michigan, Wisconsin und Pennsylvania kosteten sie den Sieg. 80 000
Stimmen, die zwischen zwei Versionen von Amerika entschieden haben. Auch
das ist Demokratie.
*Trumpismus als neuer Zeitgeist*
Ein Jahr später spaltet der Wahlausgang das Land noch immer. Die
Not-my-president-Fraktion hofft auf fatale Wendungen in der
Russland-Affäre. Führende Akademikerkreise erklären Trump lieber gleich
für verrückt, denn mit Geisteskranken und ihren Anhängern muss man sich
nicht ernsthaft auseinandersetzen. Das politische Establishment buckelt
und hofft, das Drama möge in drei Jahren vorbei sein.
Das wird es nicht. Denn Trump ist nur Ausdruck eines schwelenden Unmuts
im Land, der sich über Jahrzehnte aufgestaut hat. Gräben klaffen in
Amerikas Gesellschaft; zwischen Weiss und Schwarz, Reich und Arm,
zwischen Küste und Inland. Die Schnittmenge all dieser Konflikte bildet
Trumps Basis: Vom Rest des Landes gerne als «hillbillies» oder «white
trash» aus dem «fly-over country» belächelt, haben seine Wähler eine
politische Revolution angezettelt. Trump als ihr Fahnenführer hat
erkannt, mit welchen Reizthemen er sie auf die Barrikaden rufen kann –
mit der Frage der Zuwanderung etwa. Wer sich unten in der
gesellschaftlichen Hackordnung sieht, tritt gerne noch weiter nach unten
aus gegen die, die illegal ins Land kommen. Es ist der gleiche Neid wie
der, mit dem Sozialhilfeempfänger in Deutschland gegen Flüchtlinge
wettern, für welche die Gesellschaft mehr Empathie aufbringt als für
Hartz IV empfangende Mitbürger. En passant sicherte Trump sich so auch
die Stimmen der Rassisten und Suprematisten, in deren Augen das einzig
wahre Amerika ein weisses ist.
Zweitens mobilisierte er die weisse Arbeiterschicht, indem er vorgab,
ihre Wut auf die Globalisierung zu teilen. Diese allein sei
verantwortlich für ihre wirtschaftlichen Nöte – und nicht etwa die
mangelnde Bereitschaft, sich Veränderungen anzupassen. Die Schuld an der
Globalisierung wiederum schob Trump, drittens, zielsicher den
politischen Eliten Washingtons zu, die sich auf Kosten des kleinen
Mannes bereicherten.
Es diesem Establishment endlich heimzuzahlen, ist das Mandat, mit dem
Trumps Wähler ihn ins Weisse Haus geschickt haben. Man muss sich das vor
Augen führen, um zu verstehen, warum Trumps Basis durchaus begeistert
von ihrem Präsidenten ist. Nur einer von zehn Befragten gab nach der
Wahl an, für Trump gestimmt zu haben, damit er die republikanische
Agenda vorantreibe. Von aussen betrachtet, mag das Weisse Haus im Chaos
versinken, die Regierung nichts zustande bringen. Doch 80 Prozent der
Republikaner sind zufrieden mit der Arbeit, die das Staatsoberhaupt leistet.
Trump wiederum weiss, woran ihn seine Basis misst, und bemüht sich,
entsprechende Signale zu senden beziehungsweise zu twittern: wie gut es
der Wirtschaft gehe, welche Jobs er im Land gehalten habe, mit welchen
Dekreten er die Visavergabe für Muslime beschränke. Luftschlösser zu
vermarkten, hat er als Fernsehstar und Immobilienhändler gelernt. Läuft
doch etwas unbestreitbar schlecht – etwa die Gesundheitsreform oder die
Russland-Affäre –, sind wahlweise der Kongress oder die «fake media»
schuld. Dass Trump zu viel Quatsch twittert, ein Sexist ist und häufig
zu impulsiv handelt, gestehen in Umfragen auch seine Fans ein. Doch sie
sehen bereitwillig darüber hinweg. Schliesslich ist er die langersehnte
Bombe, mit der sie den Politikbetrieb in Washington aufwirbeln können.
Der Präsident ist nicht ihr einziger Hoffnungsträger. Neue Trumps stehen
schon in den Startlöchern: in Alabama etwa, wo sich der radikale
Republikaner Roy Moore nun einen Senatsplatz angeln dürfte. Oder in New
Jersey und Virginia, wo die republikanischen Anwärter für das
Gouverneursamt sich ebenfalls das Mäntelchen des Nationalismus
umgeworfen haben und mit Halbwahrheiten und rassistischen Anfeindungen
gegen ihre Konkurrenten schiessen. Tabus gibt es längst keine mehr. Der
Trumpsche Ton könnte auch bei den Zwischenwahlen dominieren, bei denen
in einem Jahr die Karten im Kongress neu gemischt werden. Gemässigte
Republikaner müssen fürchten, bei den Vorwahlen von parteiinternen
Hardlinern ausgestochen zu werden. Gestützt werden diese von
einflussreichen Rechtsnationalisten wie dem Milliardär Robert Mercer.
Auch der frühere Trump-Berater Steve Bannon befeuert den Kulturkampf und
sorgt mit seiner Plattform «Breitbart» dafür, dass die Wut auf das
Establishment nicht abflaut. Die neu einziehenden Abgeordneten werden
sicherstellen, dass sich der Trumpismus auch im Kongress verwurzelt.
Die Führer der Grand Old Party haben dem bis jetzt wenig
entgegenzusetzen. Statt um die Zukunft ihrer Partei und des Landes
sorgen sie sich darum, Trumps nächstes Mobbingopfer zu werden.
*Auf Selbstreflexion wartet man vergebens*
Dabei könnten die politischen Eliten dieser Radikalisierung etwas
entgegensetzen, wenn sie endlich die Lehren aus Trumps Sieg zögen –
indem sie etwa eingestünden, dass sie die Sorgen der
Globalisierungsverlierer zu lange belächelt haben. Besonders die
Demokraten weigern sich, aus ihrer Blamage vom November zu lernen.
Stattdessen fahren sie mit dem gleichen Personal weiter, etwa der
77-jährigen Nancy Pelosi als Fraktionschefin oder der 85-jährigen
Senatorin Dianne Feinstein, die ihren Platz nicht für frische Gesichter
räumen wollen. Ebenso weigert sich die Parteiführung zu hinterfragen,
wie sie mit Bernie Sanders umgegangen ist. Hillary Clinton geht mit
schlechtem Beispiel voran: Sie sucht bis heute bei jedem ausser sich
selbst die Schuld für den verpassten Sieg, der ihr doch zugestanden hätte.
Trumps Gegner mögen sich darauf ausruhen, dass seine Umfragewerte im
landesweiten Schnitt miserabel sind. Doch die Präsidentenwahl ist keine
nationale, sondern besteht aus 50 Abstimmungen, in denen jeweils eine
relative Mehrheit genügt. In den wichtigen Gliedstaaten wie im Mittleren
Westen ist der Präsident noch immer sehr populär. Trump dürfte mit
Genugtuung registrieren, dass die Parteispitzen im Kongress noch
unbeliebter sind als er selbst.
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