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LSG: Sozialversicherung-Architekt; Kuenstler; KSVG

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Georg Dresel

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Jul 29, 1998, 3:00:00 AM7/29/98
to
LSG Essen vom 13.11.1997 - Urteil - L 16 Kr 29/97


*Vorinstanz:*
SG Aachen - S 11 An 104/96

*Normen:*
§§ 1, 2 KSVG
Art. 5 GG
§ 193 SGG

*Stichworte:*
Künstler
Architekt
Feststellung
Versicherungspflicht
KSVG
künstlerische Tätigkeit

In dem Rechtsstreit hat der 16. Senat des Landessozialgerichts
Nordrhein-Westfalen in Essen auf die mündliche Verhandlung vom
13.11.1997 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen
vom 23.01.1997 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu
erstatten.


Die Revision wird zugelassen.

*Tatbestand*

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Künstler im Sinne der
§§ 1, 2 des Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen
Künstler und Publizisten (KSVG) ist.

Der 1961 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur (FH) und übt den Beruf
des Architekten aus. Er ist freier Mitarbeiter in einem
Architekturbüro. Nach eigenen Angaben arbeitet er nicht nach den
Konventionen der DIN-Normen oder der Ökonomie und auch nicht nach den
Bedürfnissen des Zeitgeistes bzw. der Bevölkerung, sondern nach der
Eigenverantwortlichkeit eines Künstlers sich selbst gegenüber.

Im November 1995 beantragte er die Feststellung der
Versicherungspflicht nach dem KSVG. Die Beklagte lehnte den Antrag mit
Bescheid vom 04.01.1996 mit der Begründung ab, der Kläger übe keine
künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG aus. Den hiergegen
gerichteten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit
Widerspruchsbescheid vom 04.06.1996 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 11.06.1996 vor dem Sozialgericht Aachen Klage
erhoben und vorgetragen: Die von ihm geschaffenen Arbeiten seien dem
Bereich bildende Kunst zuzuordnen. Dies resultiere aus der Art, wie er
gestalte und wie seine Auftraggeber ihn wegen seiner individuellen
Gestaltung und Kunstfertigkeit in Anspruch nähmen. Im übrigen hat er
14 bekannte Baumeister und Architekten benannt und die Auffassung
vertreten, diese Personen sprächen für sein Anliegen.

Er hat beantragt,

den Bescheid vom 04.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 04.06.1996 aufzuheben und festzustellen, daß er
versicherungspflichtig gemäß § 1 KSVG ist.


Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.01.1997 u.a. mit
folgender Begründung abgewiesen:

Die Feststellungsklage sei zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger
übe nämlich als Architekt keine künstlerische Tätigkeit im Sinne des
KSVG aus.

Seine Tätigkeit sei insbesondere nicht dem Bereich bildende Kunst
zuzuordnen. Sie sei mit keiner der in § 2 Abs. 2 der Verordnung zur
Durchführung des KSVG (DV KSVG) vergleichbar. Der Bereich bildende
Kunst sei geprägt von der freien eigenschöpferischen Gestaltung. Dies
sei bei einem Architekten aber nicht der Fall, denn er könne ein
Wohnhaus keineswegs frei gestalten, sondern nur im Rahmen dessen, was
technisch, statisch und materiell möglich sei.

Zusätzlich sei er einer Fülle von baurechtlichen und
bauordnungsrechtlichen Vorschriften unterworfen. Ferner sei das Werk
des Architekten bestimmungsgemäß stets ein Gebrauchsgegenstand, der in
erster Linie die praktischen Bedürfnisse des Lebens zu befriedigen
bestimmt sei. Zwar könne ein Bauwerk außer seinem Gebrauchswert
künstlerische Qualität besitzen. Zweckgebundenheit und Nutzwert
stünden jedoch so sehr im Vordergrund, daß die Arbeiten eines
Architekten nicht einmal den angewandten Künsten zugeordnet werden
könnten.

Der Kläger hat gegen das ihm am 07.02.1997 zugestellte Urteil am
06.03.1997 Berufung eingelegt und vorgebracht: Er sei selbständig im
Bereich der bildenden Kunst tätig. Die Architektur sei - entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts - mit dem in §§ 2 Abs. 2 DV KSVG
genannten nicht abschließend aufgezählten Tätigkeiten vergleichbar.
Auch Bauwerke würden nach ästhetischen Grundsätzen gestaltet unter
Berücksichtigung der Schönheitsideale und der Erfindung neuer
technischer Mittel.

Wenn das künstlerische Element, nämlich die Veranschaulichung von
Ästhetik und Dynamik - wie bei ihm - überwiege, so sei die
Künstlereigenschaft zu bejahen. Er arbeite außerdem allein.
Diskussionen mit seinen Kollegen fänden über seine Arbeiten nicht
statt. Er bezieht sich u.a. auf das Bertelsmann Universiallexikon,
Stichworte: Architektur, Kunst (bildende Kunst). Außerdem überreicht
er eine Fotodokumentation, um darzulegen, wie stark die freie
eigenschöpferische Gestaltung für ihn im Mittelpunkt seines Wirkens
steht. Schließlich nimmt er Bezug auf Referenzschreiben von zwei
Kunden vom 09.03. und 02.03.1996.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils nach seinem Klageantrag
erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und ihre
angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig. Darüber hinaus führt
sie aus: Der Kläger arbeite in einem Team. Es sei nicht abwegig
anzunehmen, daß er Änderungen in seinem Konzept in Kauf nehmen müsse.

Aus den eingereichten Fotos ergebe sich nicht, daß die Ästhetik im
Mittelpunkt stehe. Vielmehr stehe der Nutzwert im Vorgrund. Nach
allgemeiner Verkehrsauffassung liege der Schwerpunkt der Arbeit eines
Architekten im Planen von Bauten und in der Bauüberwachung.

Die Tätigkeit des Klägers könne nicht mit der eines Industrie-
Designers verglichen werden. Die Wirkbereiche seien völlig
unterschiedlich. Die subjektive Auffassung des Klägers zu seiner
Tätigkeit sei nicht maßgeblich. Es fehle schließlich am äußeren
Rahmen, der die Tätigkeit des Klägers als künstlerische qualifizieren
könnte.

Der Senat hat eine Auskunft des Architekturbüros P. P. Bauplanungs-
GmbH, bei der der Kläger seit April 1990 als Architekt und Teamkollege
selbständig und eigenverantwortlich arbeitet, eingeholt. Auf die in
der Auskunft enthaltene Beschreibung des Tätigkeitsfeldes des Klägers
wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

*Entscheidungsgründe*

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Das
Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der
Beklagten vom 04.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
04.06.1996 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im
Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger übt nämlich als Architekt
keine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG aus.

Nach § 1 KSVG werden selbständige Künstler in der Rentenversicherung
der Angestellten und der gesetzlichen Krankenversicherung versichert,
wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig
und nicht nur vorübergehend ausüben und nicht mehr als einen
Arbeitnehmer beschäftigen. Nach § 2 KSVG ist Künstler, wer Musik,
darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt und lehrt.

Das KSVG nimmt damit eine an der Typologie der Ausübungsformen
orientierte Einteilung in Kunstgattungen vor, die der Differenzierung
bei der Abgabeerhebung dient (vgl. §§ 1 und 2 GV KSVG), definiert den
Kunstbegriff aber nicht materiell. Er ist vielmehr aus dem
Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen
Verkehrsauffassung zu erschließen (vgl. BSG SozR 3 - 5425 § 24 Nr. 12;
zum Kunstbegriff des Art. 5 GG: BVerfG E 30, 173, 188 ff. und 81, 108,
116; zur Zielrichtung des KSVG: BT-Drucks. 9/26 S. 18 zu § 2; BT-
Drucks. 8/3172 S. 19 ff.). Dem Kunstbegriff des KSVG ist eine
eigenschöpferische Leistung immanent.

Dabei ist entsprechend dem Schutzzweck der Künstlersozialversicherung
ein relativ geringes Niveau der Leistung ausreichend (vgl. BSG SozR 3
- 5425 § 1 Nr. 4 und SozR 3 - 5425 § 24 Nr. 12). Vorliegend ist das
Leistungsniveau des Klägers allerdings nicht anzuzweifeln. Es geht
vielmehr darum, ob seinem Schaffen eine schöpferische Leistung
zugrundeliegt, die über den in der Ausbildung zum Architekten
vermittelten Bereich hinausgeht. Nach dem Zweck des KSVG sind
vornehmlich solche Personengruppen zu schützen, die vor der Einführung
des KSVG gegen die sozialen Risiken nicht abgesichert waren, aber als
schutzbedürftig erscheinen.

Dies trifft auf den freiberuflich tätigen Architekten typischerweise
nicht zu, was auch der Auffassung des Klägers entspricht. Dies
schließt aber nicht von vornherein aus, daß im Einzelfall die
Tätigkeit eines Architekten als Kunst ausgeübt wird. Wann noch die
allgemeine Tätigkeit eines Architekten oder schon Kunst vorliegt, läßt
sich allenfalls allgemein nach dem Kriterium der eigenschöferischen
Leistung beurteilen. Dies ist aber identisch mit dem Kunstbegriff, der
sich nicht allgemeingültig beschreiben läßt. Hinzu kommt, daß selbst
vom Standpunkt eines einzelnen Betrachters mit seinem individuellen
Kunstverständnis nicht genau zu sagen ist, wo die Grenze verläuft, da
die Kriterien nicht meßbar und die Übergänge fließend sind. Die Folge
ist, daß häufig kaum nachvollziehbar begründet werden kann, weshalb im
Einzelfall eine künstlerische Qualität vorliegt oder nicht.

Das Erfordernis, die Versicherungspflicht in der
Künstlersozialversicherung festzustellen, verlangt aber in solchen
Fällen nach einem nachvollziehbaren, allgemein gültigen
Abgrenzungsmaßstab. Dieser kann weder im Kunstverständnis des
jeweiligen Rechtsanwenders liegen noch in dem Verständnis des
überwiegenden Bevölkerungsanteils oder zumindest breiter
Bevölkerungskreise. Bei Anlegen des letzteren Maßstabs würden gerade
viele, besonders schutzwürdige jüngere Menschen mit neuartigen Ideen
nicht unter die Künstlersozialversicherung fallen, weil sich neue
Entwicklungen erfahrungsgemäß oft erst nach Jahren durchsetzen und in
das Kunstverständnis breiter Bevölkerungskreise eingehen. Der unter
Berücksichtigung des Schutzzweckes des KSVG zutreffende
Abgrenzungsmaßstab kann somit nur darin gefunden werden, ob der
Schaffende mit seinen Werken zumindest in einschlägigen fachkundigen
Kreisen als Künstler anerkannt und behandelt wird (vgl. BSG, Urteil
vom 20.03.1997 - 3 RK 20/96 -).

Dies läßt sich nach dem konkreten Wirkbereich und dem Rahmen,
innerhalb dessen die Tätigkeit ausgeübt wird, beantworten. Dabei sind
etwa die Teilnahme an Ausstellungen und Preisverleihungen durch Jurys,
die Mitgliedschaft in Künstlervereinen, die Aufnahme in
Künstlerlexika, Berichte in Zeitungen, Fernsehen oder Rundfunk über
die Tätigkeit heranzuziehen, so daß anschließend festgestellt werden
kann, ob der Betreffende in einschlägigen Kreisen als Künstler
angesehen und ebenbürtig behandelt wird (vgl. BSG, Urteil vom
20.03.1997 - 3 RK 20/96 -; LSG NRW Urteil vom 22.06.1995 - L 16 Kr 98/
94 - und vom 23.10.1997 - L 16 Kr 24/97 -).

Die vom Kläger eingereichten Stellungnahmen von zwei einzelnen Kunden
reichen in diesem Zusammenhang nicht aus. Sie geben lediglich das
subjektive Kunstverständnis der die Stellungnahme ausstellenden zwei
Personen wieder, was für eine zuverlässige Beurteilung nicht
ausreichend ist. Es kommt hinzu, daß sich der Kläger mit seiner
Tätigkeit, wie sie sich aus der vom Senat eingeholten Auskunft des
Architekturbüros P. P. Bauplanungs-GmbH vom 12.05.1997 ergibt, nicht
in dem Rahmen bewegt, der - wie oben dargestellt - für eine
künstlerische Tätigkeit spricht.

Der Kläger hat auch selbst in dieser Hinsicht nichts vorgetragen,
sondern beruft sich im wesentlichen auf sein subjektive
Kunstverständnis. Nach der Auffassung des Senats kann aber gerade bei
der Tätigkeit eines Architekten auf den entsprechenden äußeren Rahmen
künstlerischer Tätigkeit nicht verzichtet werden, weil die Tätigkeit
des Architekten weitgehend von Vorschriften des Bauplanungs- bzw.
Bauordnungsrechts sowie von DIN-Vorschriften vorgegeben und insoweit
der eigenschöpferische Anteil der Tätigkeit eingeschränkt ist.

Nach alledem kann der Senat nicht feststellen, daß der Kläger aufgrund
des äußeren Rahmens seiner Tätigkeit nicht dem für einen Architekten
üblichen und damit nicht künstlerischen Bereich zugeordnet worden
kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der
Streitsache zugelassen.


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